Regentropfen
by Shendara

Ein Snippet, das geschrieben werden wollte, aber in keine längere Story passte. Nicht betagelesen, alle Fehler/Unklarheiten/Klischees gehören nur mir und sind auch allein meine Schuld.


Der Regen prasselte gegen die Scheibe, dahinter war in der Dunkelheit fast nichts mehr zu erkennen. Für einen normalen Menschen. Aber er? Er sah alles so genau, nein, genauer, als ein normaler Mensch an einem sonnigen Nachmittag.

Bei einem Wetter wie diesem war überdurchschnittliche Sehkraft wirklich nicht zu erwünschen. Was brachte es ihm schon, wenn er die einzelnen Tropfen in einem Regenguss sehen konnte? Was für einen Sinn hatte es, dass er die Reflektionen der Straßenlampen in den Tropfen sehen konnte? Oder, dass er - wenn er sich nur ein wenig mehr konzentrierte - noch tiefer hinein sehen konnte?

Nichts, absolut gar nichts. Außer Kopfschmerzen und der akuten Gefahr, sich in dem trübsinnigen Anblick selbst zu verlieren.

Es war noch nicht sicher, ob er wirklich Moleküle sehen konnte, doch Blair schien es zu glauben und auch davon überzeugt zu sein, dass er es mit ein bisschen Übung auch tatsächlich schaffen konnte.

Blair hatte versucht, ihm diese neue "Gabe" schmackhaft zu machen, ihn mit Theorien gelockt, wie er in seinem Job noch effektiver werden konnte.

Dabei wollte er doch einfach nur seine Ruhe haben. Ruhe vor seinen Sinnen, Ruhe vor der viel zu hektischen Welt um ihn herum, Ruhe vom Job... war das zuviel verlangt?

Offensichtlich.

"Jim?"

Blair. Wer sonst. Die sanfte Stimme drang zu ihm durch, rief ihn zurück. Das Problem war nur, dass er nicht zurück wollte... Warum konnte er nicht einfach hier bleiben? Hier, wo er seine Ruhe hatte und den Regentropfen beim Fallen zusehen konnte.

"Jim! Komm schon..." Blair gab keine Ruhe und mit einem lautlosen Seufzen ergab er sich dem Unvermeidlichen, wandte sich vom Regen und dem Frieden ab und suchte einen Weg zurück.

Er wartete - hoffte - auf den Tag, an dem er ihn nicht mehr finden würde, auch wenn er wusste, dass es dann vorbei war.

Aus. Vorbei. Zu tief in sich selbst zurückgezogen, keine Chance mehr, ihn zurückzuholen.

Aber nicht heute. Vielleicht das nächste Mal.

Jim öffnete seine Augen, gerade als Blair noch einmal seinen Namen rief. Noch immer ruhig und kontrolliert - er war es gewohnt, dass es oft verdammt lange dauern konnte, bis Jim aus einem Zone-Out erwachte.

Und wenn keine Gefahr bestand, was machte es schon, ob es fünf oder fünfzehn Minuten waren, die Jim abwesend war.

"Was war es diesmal?", fragte er leise.

"Sehen", kam die ebenso leise Antwort. "Die Regentropfen..." Jim brach verwirrt ab, als ihm klar wurde, dass es nicht mehr regnete. Er schüttelte leicht den Kopf, dann lächelte er. "Wir sollten es demnächst versuchen."

"Was?"

"Diese Tests, von denen zu seit Tagen redest."

Oh, die Tests. Die hatte er total vergessen. "Sicher, klar. Wann immer du dazu bereit bist, Jim."

Wieder ein Lächeln. "Wie wär's mit morgen?"

Diesmal war er es, der mit den Schultern zuckte. "Von mir aus - ich bin bereit." Es hatte keinen Sinn, über Jims plötzliche Kooperationsbereitschaft weiter nachzudenken und sie zu hinterfragen. Einem geschenkten Gaul sah man nicht ins Maul - und einem Sentinel, der sich freiwillig Tests unterzog, erst recht nicht.

Mit einem Nicken bestätige Jim, dass es okay war. "Gute Nacht, Chief." Er wandte sich vom Fenster ab und ging.

Blair starrte ihm einige Sekunden lang nach, unsicher, was gerade passiert war und ob es eine tiefere Bedeutung hatte, als ihm klar war, doch schließlich musste er kapitulieren.

Morgen dann. Tests. Herausfinden, wie gut Jims Augen wirklich waren. Hey, kein Problem. Ihm würde schon irgend was einfallen. "Nacht, Jim." Die Worte waren kaum mehr als ein Hauch, trotzdem wusste er, dass Jim ihn gehört hatte. Das Gehör war der einzige von Jims Sinnen, die schon in aller Ausführlichkeit und bis an die absoluten Grenzen seiner Belastbarkeit, getestet hatten.

Ergebnis? Außer Gedanken konnte Jim, wenn er wollte, so ziemlich alles hören.

ende


|| 23.07.03 || Fiction ||