The Magnificent Seven

Miracles Happen

Author: Shendara
Mail:
shendara@gmx.net

Fandom:
Mag7
Rating:
PG
Category:
Drama, Angst, ein Hauch von Humor
Characters:
Ezra, Josiah
Universe:
OW
Spoiler:
Ghosts Of The Confederacy, One Day Out West, Witness, Nemesis, ein ganz kleiner für Love And Honor (ich bezweifle zwar, dass der überhaupt auffällt, aber um sicher zu sein…).

Note:
Was die Verweise auf den amerikanischen Bürgerkrieg betrifft - ich habe ein wenig recherchiert, um nicht totalen Blödsinn abzuliefern. Falls sich ein paar Fehler eingeschlichen haben... nobody's perfect und ich gebe offen zu, nicht die Geduld für langfristige Nachforschungen zu haben. (Quelle: http://www.civilwar.com)
Die Grundidee zu dieser Story stammt von einer Challenge auf Blackraptor, allerdings habe ich mir bei den Bedingungen ein paar Freiheiten genommen. Die genauen Angaben sind unter http://blackraptor.hispeed.com/m7/josiahfic.htm zu finden.
Ewiger Dank geht an Birgitt, die wieder einmal den fast aussichtslosen Kampf gegen meine Rechtschreib-, Zeichensetzungs- und Logikfehler aufgenommen hat. :)

"Wir brauchen ein Wunder." Der geflüsterte Satz war kaum laut genug, um von ihm selbst gehört zu werden, trotzdem bekam auch Josiah den Kommentar mit. Eine Sekunde. Ein winziger Moment, ein Sturz und der ganze Tag ging zum Teufel. Verdammt, seufzte Ezra lautlos.

"So schlimm?"

Schlimmer. Die Erwiderung lag Ezra auf der Zunge, doch er hielt sich im letzten Moment zurück. Während er mit einer Hand ein Stück Stoff gegen den offenen Bruch am rechten Bein des älteren Mannes drückte und versuchte, die Blutung endlich zu stillen, ließ er seinen Blick über ihr Versteck gleiten. Versteck... die Übertreibung des Jahres, dachte er wütend. Ein Felshaufen, mitten in der Wüste, war alles, was sie hatten. Sie würden mit dem Schatten wandern müssen und außerdem das Wasser rationieren, sonst würde vor allem Josiah nicht lange durchhalten. "Wie fühlt es sich an?", fragte er statt einer Antwort.

"Na wie wohl?", gab Josiah wütend zurück. Die Wunde brannte, ihm war heiß, sein Kreislauf war unten und beim bloßen Gedanken an Bewegung drehte sich ihm der Magen um. Diese Kombination reichte, um den sonst im Grunde friedfertigen Mann gereizt reagieren zu lassen.

"Entschuldigung, dass ich fragte. Hier, drück' drauf und warte, bis ich wiederkomme. Wenn es zu bluten aufgehört hat, werde ich mich darum kümmern." Mit etwas mehr Kraft, als eigentlich nötig gewesen wäre, presste Ezra Josiahs Hand auf die Wunde und ignorierte den leisen Aufschrei des älteren Mannes. "Ich werde unsere unmittelbare Umgebung etwas genauer erkunden."

Es dauerte einige Momente, und Ezra war schon außer Sicht, als Josiah die ungewohnte - sprich klare - Wortwahl des Südstaatlers auffiel. Angst. Er redet nur so, wenn er wirklich Angst hat. Wunderbar. Versuchsweise hob er das Stück Stoff an, erneuerte seinen Druck auf die Wunde jedoch sofort, als frisches Blut hervorquoll. Josiah zwang sich dazu, sich von seiner unbequemen, halb gegen einen der Felsen gelehnten, halb liegenden Haltung in eine sitzende Position zu kommen - eine Aktion, die ihm sowohl noch mehr Schmerzen wie auch eine stärkere Blutung bescherte. Nie wieder, schwor er sich. Nie wieder werde ich einen Felsen auch nur ansehen!

[Eine halbe Stunde früher]

"Ezra?" Josiah warf seinem Reisegefährten einen fragenden Blick zu; der jüngere Mann war schon viel zu lange viel zu ruhig.

"Hmm?"

"Was ist los mit dir?"

"Mit mir? Nichts, gar nichts." Mit diesen Worten war für Ezra das Gespräch beendet, und er starrte wieder gerade voraus, darauf hoffend, bald auf ein Zeichen von Zivilisation zu stoßen, obwohl er genau wusste, dass es sinnlos war. Sie waren noch gute zwei Tagesritte von Four Corners entfernt, und zwischen ihnen und der Stadt lag nicht einmal das kleinste Grenzkaff, sondern nur Wüste, Hitze und grenzenlose Langeweile. Es könnte schlimmer sein. Ich könnte zum Beispiel mit JD hier gefangen sein.

Beim bloßen Gedanken an stundenlanges, nie endendes und unglaublich banales Geplapper, beziehungsweise Fragen der trivialsten Natur, musste Ezra trotz der Hitze ein Schaudern unterdrücken. Nein, Chris hatte Nachsicht bewiesen und statt des Jungen Josiah mitgeschickt. Im Grunde war es ein einfacher Botenritt, aber Ezra hatte sich freiwillig gemeldet. Ein Paket in Bitter Creek abliefern und dabei ein paar Dollar Gewinn im Saloon herauszuschlagen war sicher interessanter, als sich in Four Corners zu Tode langweilen. Doch Chris, vorsichtig und misstrauisch wie immer, hatte darauf bestanden, dass zwei reiten mussten. Ezra war mittlerweile darüber hinweg, das als persönlichen Affront zu werten; er wusste genau, dass Chris bei jedem anderen auch auf Begleitung bestanden hätte. Es war keine Frage des Vertrauens mehr, Ezra hatte seine Loyalität bewiesen.

Oder?

Es gab da immer noch diese kleine Stimme des Zweifels, die ihm schon seit Beginn seiner "Karriere" in Four Corners einzureden versuchte, dass es Zeit war, weiterzuziehen, alles hinter sich zu lassen - und all die Vorurteile, die die restlichen Sechs anfangs gegen ihn gehabt hatten, zu bestätigen. Nein. Er schüttelte entschieden den Kopf. Nicht mehr, egal was diese Stimme oder seine Mutter wollten - er würde nicht mehr wegrennen. Zumindest jetzt noch nicht...

Davonlaufen brachte nur Schwierigkeiten...

~ Lauf nicht noch einmal von mir weg. ~

Noch heute hörte er die Worte; der leise, fast gezischte Tonfall war wesentlich effektiver gewesen, als es Schreien jemals hätte sein können. Mit einem Blick hatte Chris sehr deutlich klar gemacht, was er tun würde, wenn er es noch einmal wagte, sich gegen ihn zu stellen - Ezra hatte keine Absicht, Chris' Temperament auf die Probe zu stellen. Und später dann, nachdem dieser Zwischenfall mit Colonel Anderson und seinen irrgeleiteten Soldaten erledigt war, kurz nach James' Entkommen... in diesem einem Moment - er war eingesperrt in einer Zelle und die einzige Chance rauszukommen war, seine Hilfe anzubieten - kam dieser Blick noch einmal. Eigentlich hatte er geplant, sich spätestens nach fünf Minuten abzuseilen und als sei der Teufel hinter ihm her, davonzureiten, doch im letzten Moment entschied er sich anders. Wenn er geflüchtet wäre, hätte er sich glücklich schätzen können, wenn der Teufel ihn vor Chris Larabee gefunden hätte. Somit blieb nur noch eine einzige Möglichkeit offen - mitspielen, helfen, James zu fangen, und dann abhauen. Doch aus irgendwelchen Gründen war dieses "dann" bis heute nicht eingetreten...

Er wusste selbst nicht, warum er seine Distanz zu den restlichen Sechs unter anderem damit aufrecht erhielt, indem er sie immer mit Nachnamen ansprach, in seinen Gedanken war er schon nach wenigen Tagen zu einer vertrauteren Anrede übergegangen. Vermutlich eines der vielen Überbleibsel seiner Kindheit, die ihm heute noch regelmäßig das Leben schwer machten...

"Wer's glaubt."

"Bitte?" Von den Worten aus seinen Gedanken gerissen warf Ezra Josiah einen fragenden Blick zu. Als der Ex-Prediger nur fragend eine Augenbraue hob, seufzte er leise. "Ich vermisse den relativen Komfort von Four Corners. Ist das Entschuldigung genug für meine uncharakteristische Stille?" Er lächelte leicht, seine Haltung blieb jedoch angespannt. Es war nicht nur sein Wunsch, möglichst schnell wieder nach Hause - Nach Hause? Seit wann das denn?; darüber würde er später noch genauer nachdenken müssen - zu kommen, sondern auch dieses seltsame Gefühl, das ihn seit heute vormittag begleitete, loszuwerden. Es lenkte ab, und das konnte er absolut nicht brauchen. Nicht wirklich Angst, er wusste genau, dass diese Route so gut wie nie benutzt wurde, aber trotzdem hatte er dieses unbewusste Gefühl, dass heute noch etwas schlimmes passieren würde. Und wenn Ezra Standish sich auf etwas verlassen konnte, dann waren es seine Gefühle. Neben den Karten das Einzige, das ihn noch niemals im Stich gelassen hatte.

"Es dauert noch gut zwei Tage, bis wir wieder dort sind. Hältst du es noch solange durch?"

"Habe ich denn eine andere Wahl? Wenn ja: Nein, ich werde nicht durchhalten." Ezra grinste seinen Begleiter leicht an, langsam aber sicher verflüchtigte sich das ungute Gefühl. "Aber da wir hier mitten durch absolutes Niemandsland reiten, und ich weder eine Chance auf ein Bad, noch ein wirkliches Bett habe, bringt es mir keinerlei Vorteil, mich zu beschweren." Ein fragender Blick. "Oder siehst du das anders?"

Die Aussicht, den Rest des Rittes mit einem Ezra, der sich wirklich beschwerte, zu verbringen, reichte, um Josiah entschieden den Kopf schütteln zu lassen. "Es ist gut, so wie es ist. Man muss dem Herrn auch für kleine Gefälligkeiten dankbar sein."

"So wird es also aufgefasst, wenn ich mich mit Worten zurückhalte?"

Vertraue auf Ezra, um dich mit einem Satz in den Wahnsinn zu treiben... "Unter Umständen, ja. Könntest du vielleicht wieder zu deinem vorigen Verhalten zurückkehren?" Und, in Gottes Namen, still sein, fügte er in Gedanken hinzu. Josiah konnte gerade noch verhindern, dass ein Seufzen seine Antwort begleitete.

"Wie du wünschst."

Josiah musste sich nicht umdrehen, er sah Ezras Gesichtsausdruck auch so deutlich vor sich. Diesmal hielt er sein Seufzen nicht zurück. Dieser Tag kann nur noch besser werden.

[Gegenwart]

So kann man sich täuschen.

Keine fünf Minuten nach ihrem kleinen Gespräch hatte irgendetwas - Josiah wusste nicht genau was, obwohl Ezra darauf bestand, eine Schlange gesehen zu haben - sein Pferd halb zu Tode erschreckt. Das völlig verstörte Tier scherte aus, kam ins Straucheln, warf seinen Reiter ab... und Josiah landete genau auf dem einzigen Stein weit und breit. Was dazu führte, dass er jetzt mit einem offenen Bruch am rechten Unterschenkel zu kämpfen hatte, sie in glühender Hitze festsaßen und er sich auf Stunden voller angeregter Konversation mit Standish freuen konnte. Ja, sicher. Er wird sich zwei Stunden lang, in drei verschiedenen Sprachen darüber beschweren, überhaupt mit mir mitgekommen zu sein. Und dann, aber auch nur vielleicht, wird er still sein. Wenn ich Pech habe, fängt er dann an, darüber zu jammern, dass wir mittlerweile schon fast zu Hause sein könnten.

Wie zur Bestätigung seiner Gedanken kam Ezra in diesem Moment zurück, mit einem - den Umständen entsprechend - regelrecht erfreuten Gesichtsausdruck. "Man mag es kaum für möglich halten - aber ich habe gute Nachrichten." Mit diesen Worten ließ er sich auf unzeremoniell auf den Boden sinken, zum Teufel, seine Kleidung war so oder so schon ruiniert. Mit etwas Glück konnte eine gute Wäscherei den Schmutz sogar wieder herausbekommen...

"Die da wäre?"

Josiahs sanfte Stimme durchbrach seine Gedanken, und er konzentrierte sich wieder auf das Wesentliche. "Wasser", antwortete er schlicht. Mit einem triumphierenden Grinsen überreichte er Sanchez eine gefüllte Feldflasche. "Eine Sorge weniger. Jetzt müssen wir nur noch einen Weg finden, dich wieder zurück nach Four Corners zu bringen."

"Kein Problem. Ich steige auf mein Pferd..." Weiter kam er nicht, Ezras skeptischer Gesichtsaudruck zeigte deutlich, was er von dieser Idee hielt. "Was?"

"Wenn du glaubst, in diesem Zustand reiten zu können, bist du wesentlich dümmer, als ich bisher angenommen habe. Und ich halte dich eigentlich für recht intelligent." Ezra unterstrich seine wütende Aussage, indem er auf Josiahs Bein deutete, bevor er - wesentlich ruhiger und mit einem Hauch von Besorgnis in der Stimme - fortfuhr. "Denk nach: Du kannst unmöglich reiten, bis wir in der Stadt sind, bist du entweder verblutet oder an einem Fieber gestorben. Und ich habe keinerlei Intention, Mr. Larabee erklären zu müssen, warum einer seiner Männer an einem Beinbruch verstorben ist. Auch wenn es ein recht komplizierter Bruch ist." Mit einem Kopfnicken bedeutete er Sanchez, die Hand von der Wunde zu nehmen. "Lass mich mal sehen", sagte er, während er bereits vorsichtig den, mittlerweile blutdurchtränkten, Rest seines Ersatzhemdes entfernte. Ein harsches Einatmen war Josiahs einziges Zugeständnis an den Schmerz.

"Bist du auch ein Arzt, oder was? Und was schlägst du sonst vor? Dass wir hier warten, bis das hier", er deutete auf sein Bein, "verheilt ist?" Er fragte hauptsächlich, um sich vom, plötzlich noch um ein Hundertfaches verstärkten, Schmerz abzulenken; weniger um einer Antwort willen. Ezra Antwort hingegen schaffte es spielend, ihn abzulenken, und einmal mehr fragte er sich, was Standish in seinem Leben noch alles gemacht hatte. Vermutlich wäre ich schneller fertig, wenn ich ihn frage, was er noch nicht gemacht hat...

"Um ehrlich zu sein, nein. Obwohl ich im Laufe der Zeit einiges aufgeschnappt habe..." Auf Josiahs fragenden Blick hin zuckte er bloß leicht mit den Schultern, während er vorsichtig den Bereich um den Bruch abtastete. Die Berührung, die - wie Josiah aus Erfahrung wusste - wesentlich schmerzhafter sein konnte, machte klar, dass Ezra mehr als nur eine flüchtige Bekanntschaft mit der Medizin gemacht hatte. "Der Knochen muss gerichtet werden", verkündete Ezra. "Wie willst du..." Er bekam keine Gelegenheit, den Satz zu beenden.

"Tu es einfach, okay?"

"Du weißt..."

"Ja, verdammt, ich weiß wie es sich anfühlt. Und nein, ich will keine langwierigen Vorbereitungen. Mach es einfach, ich werde mit dem Schmerz schon fertig."

Ezra reagierte nur mit einem leichten Schulterzucken. Er wusste es besser, als mit Josiah zu argumentieren. Mit einer einigen schnellen Bewegungen korrigierte er den Bruch und entfernte den Schmutz aus der Wunde - als er wieder aufsah, war er überrascht, Josiah direkt in die Augen zu sehen. Aufgrund der Tatsache, dass kein Laut über die Lippen des älteren Mannes gekommen war, hatte Ezra angenommen, dass er das Bewusstsein verloren hatte. Bewundernswert. Zwar unnötig, aber trotzdem... Sein Respekt gegenüber Josiah stieg gewaltig.

Hoffentlich entzündet es sich nicht, dachte Ezra, während er vorgab, sich vollständig auf seine Aufgabe zu konzentrieren. In Wirklichkeit beobachtete er seinen Patienten genau und zwang sich dazu, sein Gesicht ausdruckslos zu halten. Es brachte ihnen beiden nichts, wenn er zugab, wie sehr ihn das bloße Ansehen des Bruchs schmerzte. Er hatte in seinem Leben schon genug Verletzungen dieser Art erlitten, um zu wissen, welche Beherrschung es Sanchez kosten musste, jetzt ruhig zu bleiben.

Als er daran ging, die Verletzung zu verbinden, konnte Josiah einen leisen Schrei nicht unterdrücken; doch Ezra schien den Laut gar nicht wahrzunehmen, oder er war taktvoll genug, sich nichts anmerken zu lassen.

Trotzdem... Ablenkung war jetzt gefragt. Warum also nicht die Neugier des Mannes befriedigen und etwas über seine Vergangenheit erzählen? Ezra nahm sich noch einen Moment Zeit, um sich die Details der Geschichte zurecht zu legen - keine Chance, dass er mit der ganzen Wahrheit herausrückte. Eine etwas abgeschwächte Version ist ratsam. Er zweifelte nicht daran, dass er es nach seinen nächsten Worten mit etlichen Fragen zu tun bekommen würde. "Ich stellte recht schnell fest, dass die Medizin nicht meine Berufung darstellt... genauso wenig wie ein Dasein als Anwalt nicht meinen Erwartungen entsprach. Was die andere Frage betrifft: Es wird uns nicht umbringen, wenn wir die Nacht hier verbringen und uns morgen langsam wieder auf den Weg zurück in die Stadt machen."

"Du warst einmal Anwalt?" Sanchez hatte den Rest von Standishs Ausführungen nur noch halb mitbekommen; sein gesamtes Denken fixierte sich auf den ersten Teil des Monologs. Gott, hörte der Mann nie auf, einen zu überraschen?

"Kurzfristig. Ich musste aufgrund einiger... 'Schwierigkeiten' mit ein paar lokalen Unternehmern die Stadt verlassen, und seitdem brauche ich diese Kenntnisse nicht mehr."

Anwalt, Wanderprediger, Spieler, Betrüger, medizinische Kenntnisse, Gesetzeshüter. Grundgütiger, gibt es irgendwo auf deiner schönen Erde noch einen widersprüchlicheren Menschen? "Und die Medizin?" Jetzt wollte er es wirklich wissen - Ezra war die letzte Person, die er mit einer solchen Tätigkeit in Verbindung gebracht hätte. Aufgrund des üblichen Verhalten des Mannes konnte man fast annehmen, dass er nicht einmal Blut sehen konnte... oder, dass es unter sein Würde war, sich mit so etwas zu beschäftigen.

"Die Medizin ist eine interessante Profession, aber leider auch sehr zeitaufwendig, und ich bin jemand, der etwas schnell erlernen will, um danach weiterzuziehen." Ezra schüttelte leicht den Kopf; als er weitersprach, schwang fast so etwas wie Bewunderung in seiner Stimme mit. "Meinen tiefsten Respekt allen gegenüber, die sich darauf einlassen. Ja, das schließt Mr. Jackson mit ein. Das wolltest du doch wissen, oder?"

Nicht zu vergessen die erstaunliche Fähigkeit, Gedanken lesen zu können. Wieder ein neuer Punkt auf Sanchez' gedanklicher Liste.

"Die Frage war offensichtlich", meinte Ezra als eine Art Erklärung. In Wirklichkeit hatte er dem anderen Mann seine Neugier regelrecht ansehen können, und es war nicht schwer, dahinter zu kommen, in welche Richtung sich Josiahs Gedanken bewegten. "Während des Krieges habe ich einiges mitbekommen."

"Du warst im Krieg? Welcher Rang? Wo?" Die Fragen kamen wie von selbst - zu überraschend kam Ezras Aussage. Er bekam keine unmittelbare Antwort; erst als Ezra den Bruch mit geschickten - und erfahrenen - Bewegungen fertig versorgt hatte, und sich etwa einen Meter von Josiah entfernt niedergelassen hatte, begann der jüngere Mann zu sprechen.

"Wo sollte ich sonst gewesen sein, außer im Krieg?", beantwortete er die erste Frage. Seine Stimme war leise und sanft, fast nicht wiederzuerkennen. "Auf welcher Seite ich kämpfte, muss ich wohl nicht hinzufügen, es ist wohlbekannt, wo ich herstamme." Er pausierte kurz, sprach erst weiter, als er Josiahs leichtes Nicken sah. Der Süden, wo sonst? "Dank der... Beziehungen meiner Mutter, nennen wir es so, musste ich nicht direkt an die Front. Zumindest am Anfang nicht." Er lachte leicht. "Nein, eigentlich war es gar nicht Mutters Verdienst, sondern der eines Bekannten. Ich lebte als Kind eine Zeitlang bei ihm, und er sorgte dafür, dass ich in die Reserve versetzt wurde."

Zum wiederholten Mal fragte Josiah sich, wie Ezras Kindheit genau ausgesehen hatte - dass sie weder schön noch eine wirkliche Kindheit gewesen war, war mehr als offensichtlich. Wie auch, mit einer Mutter, die nie da war und sich lieber damit beschäftigte, in Saloons und ähnlichen Etablissements anderen Leuten das Geld aus der Tasche zu ziehen und die Erziehung ihres Sohnes ständig wechselnden Verwandten und Bekannten überließ? Niemand wusste davon, doch Josiah hatte den Streit zwischen Maude und Ezra damals mitbekommen - die Einblicke, die er dabei in Standishs Leben gewonnen hatte, hatten ihm sehr geholfen, den Mann besser zu verstehen. Was aber nichts an der Tatsache änderte, dass er die Frau einfach atemberaubend fand. Und nicht zu vergessen geldberaubend, gestand er sich widerwillig ein. Ohne Zweifel hätte eine Frau von Maudes Kaliber einen anderen Lebensweg einschlagen und trotzdem erfolgreich sein können. Doch das war ihr Problem, und Josiah hatte schon vor langer Zeit aufgegeben, sich über den Lebenswandel seiner Mitmenschen aufzuregen. Was er der Frau jedoch nicht verzeihen konnte, war die Tatsache, dass sie ihren Sohn genauso in ein Leben voller Betrug und Misstrauen hineingezogen hatte - etwas, das Ezra bis heute nachhing und ihm öfter im Weg stand als half.

"Was die zweite Frage betrifft... aufgrund der Beziehungen des Mannes, ich werde hier keine Namen nennen, durfte ich mich Captain nennen." Wieder ein kurzes Schulterzucken. "Natürlich ein relativ wertloser Rang, wenn man nichts zu tun hat. Aber es stellte sich als durchaus praktisch heraus, als wir an die Front mussten. Du weißt schon, Offiziere haben etwas mehr Privilegien." Das vertraute Grinsen kam und verschwand zu schnell, dass Josiah sich nicht einmal sicher war, es wirklich gesehen zu haben. "Im Endeffekt war es noch grauenhafter als erwartet... aber das weißt du genauso gut wie ich. Auf so etwas kann man sich nicht vorbereiten, und was auch immer du dir erwartetest und befürchtest - es wird hundertfach übertroffen."

Soviel Bitterkeit. "Und die Medizin?", setzte Josiah nach. Die Schmerzen setzten jetzt, wo der erste Schock langsam nachließ, erst richtig ein, und er wusste, bald würde es noch schlimmer werden. Aber bevor er etwas dagegen unternahm, wollte er, dass Ezra seine Geschichte zu Ende erzählte - die Gelegenheiten, an denen der Spieler so freimütig etwas über seine Vergangenheit preisgab waren viel zu selten, um sie ungenutzt verstreichen zu lassen.

"Du lässt nicht locker, oder?" Josiah schüttelte bloß grinsend den Kopf. Niemals!

"Gott, gib mir Kraft", murmelte Ezra leise, doch Josiah konnte den amüsierten Unterton in der Stimme des Anderen leicht ausmachen. "Ich wollte nicht in den Krieg - genauso wenig wie jeder andere, vielleicht sogar noch etwas weniger. Ich fand und finde es unsinnig, dass eine Gruppe von Menschen einer anderen ihren Lebensstil aufzwingen will. Nein", seine Stimme wurde ein wenig schärfer, "ich verteidige hier keineswegs die Sklaverei, in Fakt bin ich recht froh darüber, dass dieses unmenschliche... sagen wir System, in Ermangelung eines besseren Wortes, nicht mehr existiert. Aber das ändert nichts an der Tatsache, dass ich es falsch finde, wie diese Änderungen durchgesetzt wurden. Zu viele Tote, zu viele, die ein Leben lang an den Nachwirkungen dieser Sinnlosigkeit leiden." Ezra wandte den Kopf ab, starrte in die untergehende Sonne. "Am Anfang war es natürlich anders. Wir wollten unsere Unabhängigkeit, und ich war dafür." Ein bitteres Lächeln. "Aber nicht auf Kosten meines Lebens. Also war ich mit meiner Position recht zu frieden. Aber zu dem Zeitpunkt, an dem auch wir an die Front mussten, hatte der Norden längst die Sklavenbefreiung zum offiziellen Ziel des Krieges erhoben, und ab da saß ich zwischen den Stühlen. Ob du es glaubst oder nicht, Josiah, ich war niemals für die Sklaverei. Überraschung, ich weiß." Standish hatte den Kopf noch immer abgewandt, er hatte vor der Reaktion des älteren Mannes Angst und wollte die Konfrontation noch möglichst lange hinausziehen.

"Und warum..." Josiahs Stimme klang ungewohnt rau, als Ezra seinen Blick endlich wieder auf seinen Begleiter richtete, war er überrascht, in den blauen Augen so etwas wie Traurigkeit zu sehen, gemischt mit Neugier. "Warum hast du dich dann anfangs Nathan gegenüber so verhalten? Wir dachten alle..."

"Dass ich etwas gegen Schwarze habe? Genauso ein Rassist wie viele andere bin?" Es überraschte Ezra selbst, dass seine Stimme nicht kräftiger, kämpferischer klang - stattdessen einfach nur resigniert. Josiah nickte leicht, widerstrebend. So gerne er auch etwas anderes gesagt hätte - Fakt war, dass Ezra auf den ersten Blick genau dem Klischee entsprach. Und erst, wenn man den Mann besser kennenlernte, entdeckte man die Unsicherheit, konnte man erahnen, warum er sich auf diese Art und Weise verhielt. Das Problem war nur, dass aufgrund des ersten Eindruckes keiner einen zweiten haben wollte... und Ezra sich perfekt darauf verstand, sich selbst dann noch zu verstellen. "Das wird doch von mir erwartet, oder? Wenn die Menschen mich sehen, sehen sie als erstes den Spieler. Erste Erwartung vollends erfüllt. Hören sie meine Stimme, meinen Akzent... das Urteil steht und daran lässt sich nichts mehr ändern. Glaub mir, ich habe genug Erfahrung in dieser Hinsicht."

"Nicht jeder ist so."

"Ich habe schon vor langer Zeit aufgegeben, nach den wenigen Ausnahmen zu suchen."

"Ezra..." Die Aufgabe und die absolute Sicherheit in Ezras Stimme taten Josiah weh. Er wusste, dass auch er seine Mitmenschen mit seiner Abgebrühtheit erschrecken konnte, doch er hatte noch nie jemanden so junges erlebt, der schon so in seinen Vorteilen sich selbst gegenüber gefangen war. Wie alt ist er eigentlich? Die Frage tauchte auf einmal auf und brachte ihn dermaßen aus dem Konzept, dass er den Rest des Satzes unvollendet ließ. Er hatte schon früher flüchtig darüber nachgedacht - seltsam, aber über das Alter hatten die Sieben unter sich noch nie gesprochen. Es gab eine klare Rollenverteilung, es war klar, wer jünger und wer älter war, Fall erledigt. Aber jetzt...

"Genug", entschied Ezra abrupt. Eine schnelle Bewegung, die gleichzeitig Aufstehen und Staub von seiner Kleidung Wischen darstellte, und er war auf dem Weg zu den Pferden. "Die Sonne geht unter, und die Pferde warten noch immer darauf, endlich abgesattelt und versorgt zu werden. Ich bringe die Dinge, die wir für unser Nachtlager benötigen, hierher, dann bringe ich die Tiere zur Quelle. Und du", er wandte sich noch einmal kurz um und warf Josiah ein nur allzubekanntes Grinsen zu, "rührst dich nicht von der Stelle. Wenn ich wiederkomme, erwarte ich dich genau hier wieder vorzufinden, nicht irgendwo bei den Vorräten, wo du versuchst, ein Feuer zu machen. Habe ich mich verständlich ausgedrückt?"

"So klar wie nur selten", gab Josiah lächelnd zurück. Masken, Unmengen von Masken - diese plötzlichen und totalen Verhaltensänderungen waren etwas, dass nicht nur ihm, sondern vor allem Chris und Nathan mehr und mehr auf die Nerven ging. Es ging mittlerweile so weit, dass sie sogar schon darüber nachgedacht hatten, Ezra zur Rede zur stellen; es gab für ihn keinen Grund mehr, sich zu verstellen. Sie hatten den Plan aufgegeben, wohlwissend, dass er zum Scheitern verurteilt gewesen wäre. Dieses Verhalten war zu tief verwurzelt, und spätestens, nachdem sie Maude kennen gelernt hatten, war klar gewesen, woher es kam.

"Wie fühlst du dich?"

"Hmm... was hast du gesagt?" Langsam, sehr langsam, quälte Josiah sich aus der Art Halbschlaf, in den er gefallen war, und konzentrierte sich wieder auf seine Umgebung. Es ist dunkel geworden. Die Entdeckung kam überraschend; seinem Empfinden nach waren nicht mehr als wenige Minuten vergangen, seitdem Ezra ihn verlassen hatte, um sich um die Pferde zu kümmern. Doch als er gegangen war, hatte die Dämmerung gerade erst eingesetzt - jetzt war es stockdunkel. Ein Feuer brannte wenige Meter entfernt, ein Lager war vollständig aufgebaut und am Rande des Bereiches, der noch vom Feuer erhellt wurde, konnte Josiah die Umrisse ihrer beiden Pferde entdecken. Erst jetzt bemerkte er auch das leise Plätschern des Wassers, in derselben Richtung, aus der auch die leisen Geräusche der Pferde kamen.

"Ich wollte wissen, wie es dir geht." Wie schon einige Stunden zuvor fiel ihm auch diesmal wieder die ungewöhnliche Wortwahl Ezras auf.

"Mir geht es gut."

"Inwiefern?"

"Ezra..." Josiah versuchte, sich etwas zu beruhigen. Ezra war besorgt, und er hatte das Recht auf eine ehrliche Antwort. Er führte den Satz nicht zu Ende; was hätte er auch groß sagen sollen?

"Schlaf weiter."

Erst wollte er protestieren, doch schließlich fügte er sich widerspruchslos. Wenn sie sich morgen wirklich wieder auf den Weg zurück nach Four Corners machen wollten - und er hatte nicht vor, ihre Rückkehr noch länger zu verzögern - sollte er versuchen, möglichst ausgeruht zu sein. "Nacht, Ezra."

"Ebenfalls." Ezra war sich nicht sicher, ob Josiah seine Erwiderung überhaupt noch gehört hatte; nicht, dass es wichtig war. Sein Blick blieb noch einige Minuten auf dem schlafenden Mann ruhen, bevor er sich selbst ebenfalls für die Nacht fertig machte. Er verzog kurz das Gesicht, als der Schein des Feuers einige Flecken auf seinem Jackett ungünstig beleuchtete, zuckte dann jedoch resigniert mit den Schultern, legte das Kleidungsstück ordentlich zusammen und legte es neben dem Haufen Decken, aus dem er sich in den nächsten Minuten etwas Bettähnliches zusammenbauen musste. Eine Absteige in Purgatory würde mehr Komfort bieten.

Noch ein letzter Blick auf Josiah - der Mann schien ruhig zu schlafen und keine weiteren Probleme zu haben - dann rollte er sich auf die Seite und schloss die Augen.

Ein leichtes Stöhnen riss ihn wenige Stunden später aus seinem - unterwegs ohnehin nur sehr leichten - Schlaf. Was zur Hölle... Verdammt! Von einer Sekunde auf die nächste war er hellwach. "Josiah?" Keine Reaktion. Nicht gut, gar nicht gut. Verdammt!

Nach einigen Sekunden Kampf mit seinem Bettzeug, das die ungute Eigenschaft hatte, sich immer regelrecht um ihn herum zu wickeln, tastete er sich im schwachen Schein des mittlerweile fast erloschenen Feuers zu dem anderen Mann vor. Er erwog kurz, die Glut neu anzufachen, um etwas mehr sehen zu können, verwarf den Gedanken aber sofort. Darum konnte er sich noch kümmern, wenn er festgestellt hatte, was mit Josiah los war.

"Josiah?" Keine Reaktion. Er wiederholte den Namen etwas lauter - wieder ohne Ergebnis. Vorsichtig berührte er Josiah an der Stirn - Fieber, genau wie er befürchtet hatte. Natürlich. Warum sollte irgendetwas ohne Komplikationen ablaufen?

Etwas Kühles, Nasses auf seiner Stirn. Eine Stimme, die mit ihm sprach und ihn dazu aufforderte, endlich aufzuwachen. Hitze und gleichzeitig Kälte. Schmerzen im rechten Bein, so stark, dass er am liebsten geschrien hätte. Dunkelheit. Nein, halt, es war dunkel, weil er die Augen geschlossen hatte. Mit einiger Anstrengung schaffte Josiah es, seine Augen zu öffnen - um festzustellen, dass die geschlossenen Augen doch nicht der einzige Grund für die Dunkelheit waren. Es ist Nacht. Er hatte diese Feststellung schon einmal, vor nicht allzu langer Zeit gemacht, nicht wahr? Dunkelheit hier, Dunkelheit da - er entschloss sich, seine Augen wieder zu schließen, während er versuchte, die Geschehnisse der letzten Stunden zu rekonstruieren.

Der Heimritt aus Bitter Creek, halbherzige Gespräche mit Ezra... Ezra... da war doch irgendetwas gewesen. Etwas mit der Armee, dem Krieg... genau, sie hatten sich über Ezras Vergangenheit bei der Armee unterhalten. Doch wie waren sie auf dieses Thema gekommen? Und warum, zum Teufel, hatte er solche Schmerzen im Bein? Nein, falsche Richtung. Zurück zum Anfang. Sie waren in relativer Stille heimgeritten. Irgendetwas hatte sein Pferd erschreckt, woraufhin das Tier ihn abgeworfen hatte. Beinbruch. Blut. Ezra hatte ihn versorgt, Wasser gefunden und das Lager aufgebaut. Ja, soweit ist alles richtig. Langsam aber sicher reihten sich die Erinnerungen aneinander. Er war eingeschlafen und etwas später wieder aufgewacht, woraufhin Ezra ihm befohlen hatten, weiterzuschlafen. Und dann? Nichts mehr.

Gut, jetzt, nachdem er wieder wusste, was geschehen war, konnte er sich wieder auf seine Umgebung konzentrieren und herausfinden, was genau passiert war. Die Augen ließen sich diesmal schon wesentlich leichter öffnen, und auch sein Blickfeld war bei weitem nicht mehr so eingeengt und verschwommen. Sehr gut.

"Ezra?" Fast ein wenig überrascht stellte er fest, dass er den Namen schon beim ersten Versuch hervorbrachte. So ausgetrocknet, wie sein Mund war, hätte er erwartet, nicht viel mehr als ein unartikuliertes Krächzen herauszubringen.

"Na endlich!" Ezras Stimme klang leicht angespannt und übermüdet, trotzdem war die Erleichterung in ihr deutlich zu erkennen. Die Stimme verriet ihn; als Ezras Gesicht endlich in Josiahs Blickfeld auftauchte, waren sämtliche Gefühle hinter dem bekannten Pokerface verschwunden. Bloß die dunklen Ringe unter den Augen sowie Ezras offensichtliche Probleme, die Augen offen halten zu können, machten klar, dass er seit einiger Zeit nicht mehr geschlafen hatte. "Ich machte mir schon Sorgen." Er lächelte leicht, während er Josiah eine Wasserflasche reichte. "Hier, ich wette, du bist durstig."

"Ich wette hier und jetzt genauso wenig gegen dich, wie ich es immer tue", murmelte Sanchez, nachdem er die Hälfte des Wassers getrunken hatte. "Was ist passiert?"

"Kannst du dich nicht mehr erinnern?"

"Das Letzte ist, wie du mir befohlen hast, zu schlafen. Danach? Nichts mehr." Er schüttelte leicht den Kopf, schnitt jedoch augenblicklich eine Grimasse, als die leichten Kopfschmerzen dadurch wesentlich stärker wurden.

"Gott sei Dank."

"Wie bitte?"

Erst jetzt wurde Ezra bewusst, dass er laut gesprochen hatte - ein deutliches Anzeichen für seine Erschöpfung. "Ich kann dir versichern, dass du nichts verpasst hast, was erinnerungswürdig wäre."

"Ezra?" Der Angesprochene zuckte bei dem halb fragenden, halb befehlenden Ton deutlich zusammen. "Was war los?"

Ein leises Seufzen war für einige Sekunden Ezras einzige Antwort. Er versuchte, Josiahs Blick standzuhalten, gab jedoch nach kurzer Zeit auf und studierte stattdessen den Horizont, als ob dort gerade ein besonders spektakulärer Sonnenaufgang stattfand. Nur, dass der Sonnenaufgang noch einige Stunden entfernt war. Gerade, als er noch einmal sein Glück versuchen wollte, begann Ezra zu sprechen.

"Letzte... nein, vorletzte Nacht, wurde ich wach." Grandios, Ezra, gratulierte er sich selbst. Ein Meisterwerk der Formulierungskunst. "Du hattest Fieber." Noch besser. Er zuckte kurz mit den Schultern. "Ich habe versucht, es zu senken. Mit offensichtlichem Erfolg." Er zwang sich dazu, den Blick wieder auf seinen Gegenüber zu lenken. "Das Fieber ist so gut wie weg, und die Entzündung ist auch deutlich zurückgegangen. Noch ein, zwei Tage Ruhe und wir dürften in der Lage sein, ohne weitere Probleme in die Stadt zurückzukehren."

Vorletzte Nacht. Das bedeutet, dass wir bereits seit gut drei Tagen... Josiah führte den Gedanken gar nicht zu Ende. "Warum", begann er, unterbrach sich jedoch sofort. Was wollte er eigentlich fragen? Warum bist du geblieben? Nein, diese Frage konnte er sich selbst beantworten. Es gab auch keine anderen Fragen, auf die er nicht selbst eine Antwort finden konnte. Er glaubte, sich vage daran zu erinnern, Ezra gehört zu haben. Eine sanfte, beruhigende Stimme, die mit ihm sprach und ihn dazu aufforderte, endlich wieder aufzuwachen, verschwommene Erinnerungen daran, zum Trinken gezwungen zu werden... Doch er war sich nicht sicher, und er wusste auch, dass er Ezra gar nicht zu fragen brauchte - der Mann würde bloß ausweichen und nie im Leben zugeben, dass er sich Sorgen gemacht hatte. Genau wie jetzt. Josiah riss sich aus seinen Gedanken und studierte seinen Gegenüber - Ezras Gesicht verriet nichts, doch die angespannte Haltung sowie der besorgte Blick machten klar, dass dieses Verhalten bloß Charade war. Seine Strategie, nach außen hin keine Verantwortung übernehmen zu wollen, um bloß in Ruhe gelassen zu werden. Hatte er wirklich noch nicht mitbekommen, dass dieses Versteckspiel sinnlos war? Dass die Anderen diese Taktik schon längst durchschaut hatten? Vermutlich nicht - immerhin war er noch nie lange genug an einem Ort geblieben, um von seinen Mitmenschen etwas besser kennengelernt zu werden. "Chris? Die Anderen?" Da, das war eine Frage, auf die er selbst keine Antwort fand.

Ezras Antwort bestand aus einem Schulterzucken. "Vermutlich glauben sie, dass ich uns aufgehalten habe."

"Wie meinst du das?"

"Du kennst doch meine Angewohnheit, im Saloon zu verschwinden und erst wieder aufzutauchen, wenn niemand mehr mit mir spielt, oder?" Ein bejahendes Nicken. "Sie denken vermutlich, dass du nicht ohne mich gegangen bist."

Genug war genug. "Das glaubst ja wohl selbst nicht, oder?" Josiah bemühte sich, sich seine wachsende Frustration nicht anmerken zu lassen - mit relativ wenig Erfolg. Wie lange brauchte Ezra eigentlich noch, bevor er endlich kapierte, dass er genauso ein vollwertiges Mitglied des Teams war wie jeder andere auch? "Chris hat sicher ein Telegramm geschickt, als wir nicht zum vereinbarten Zeitpunkt zurückgekehrt sind, und sobald die Antwort, dass wir schon längst aus Bitter Creek abgereist sind, eingetroffen ist, sind die Anderen auf die Suche gegangen."

"Und wie sollen sie uns finden?" Die Frage schnitt Josiahs Redefluss erfolgreich ab und ließ ihn sprachlos zurück. "Falls du dich nicht mehr erinnern kannst", fuhr Ezra nüchtern fort, "wir haben uns an keine der üblichen Routen gehalten, weil wir beide uns in der Hinsicht einig waren, dass diese zu überlaufen sind." Und ich den Weg mittlerweile schon im Schlaf finden würde. Es ist besser, immer einen neuen Weg zu reiten - hält die Sinne wach. Wieder ein Schulterzucken. "Du hast recht, sie sind vermutlich auf die Suche gegangen", immerhin bist du mit mir unterwegs, "aber in Anbetracht der Umstände dürfte nicht einmal Mr. Tanner es schaffen, unseren Aufenthaltsort ausfindig zu machen. Nein", er schüttelte den Kopf. "Wir müssen aus eigener Kraft zurückkommen, und genau das werden wir auch. Morgen." Er formulierte den Aufbruchszeitpunkt bewusst als Feststellung und nicht als Frage; er wusste genau, dass er froh sein musste, wenn er Josiah noch einen Tag und eine Nacht ruhig halten konnte. Sturheit, du hast einen Namen.

"Sobald die Sonne aufgeht..."

Und niemand da, der meine offensichtlichen hellseherischen Fähigkeiten zu schätzen weiß. Mit diesem Trick könnte ich ein Vermögen machen. Ezra unterdrückte das Grinsen, das sich bei diesem Gedanken förmlich aufdränge; das Letzte, was er jetzt brauchte, war, dass er Josiah auch noch erklären musste, warum er anscheinend grundlos zu lachen begann. "Nein", erwiderte er schlicht. "Wir werden nicht bei Sonnenaufgang losreiten. Wir werden noch einen Tag hier bleiben. Gib' deinem Körper ein wenig Zeit, sich zu erholen." Bitte. "Es ist so schon schlimm genug, und ich kann auch bis übermorgen warten, dass Mr. Jackson mir einen Vortrag hält, dass ich dich in dieser Verfassung nicht hätte reiten lassen dürfen." Wenn es nur beim Vortrag bleibt, kann ich mich glücklich schätzen.

Wesentlich wahrscheinlicher war, dass die Unterhaltung als Diskussion beginnen und als Streit enden würde - wie üblich. Das Einzige, in dem Ezra und Nathan sich einig zu sein schienen, war, dass sie sich nicht einig waren. Egal welches Thema - Ezra wäre sofort bereit, eine Wette darauf abzuschließen, dass sich in fünf Minuten aus einer normalen Unterhaltung ein Streitgespräch entwickelte. Und er wettete niemals, außer der Ausgang stand hundertprozentig fest.

"Einverstanden." Josiah lächelte leicht, als er Ezras überraschten Blick bemerkte.

"Dir muss es schlechter gehen als ich dachte, wenn du mir so einfach zustimmst", kommentierte er trocken.

[Vier Tage später]

"Ich hätte nie gedacht, dass ich mich einmal so freuen würde, dieses Kaff wiederzusehen. Du wartest hier, ich komme sofort wieder, ich will nicht, dass du versuchst alleine abzusteigen", meinte Ezra an Josiah gewandt, bevor er sich mit etwas mehr Schwung als notwendig aus dem Sattel schwang und sein Pferd die letzten paar Meter bis zum Stall führte. Besser, das Tier jetzt zu versorgen und Josiah warten zu lassen als umgekehrt - die Aussicht auf einen wütenden Josiah war nicht halb so angsteinflößen wie die, Chaucers Temperament ausgeliefert zu sein.

"Home, sweet home", flüsterte er leise, als er den Mietstall betrat. Durch Josiahs Verletzung hatten sie, anstatt der üblichen zwei, satte drei Tage bis in die Stadt gebraucht, und er hatte genug Zeit gehabt, um sich über seine Beziehung zu Four Corners und seinen sechs Kameraden Gedanken zu machen - um zu dem Ergebnis zu kommen, dass diese kleine Stadt am Ende der Welt wirklich zu seiner Heimat geworden war. Genau das, vor dem seine Mutter ihn immer gewarnt hatte - aber Ezra fühlte sich keineswegs dazu verpflichtet, bis an sein Lebensende das gleiche Leben wie seine Mutter zu führen. Mein Leben würde auch nicht mehr sehr lange dauern, wenn ich Mutters Vorbild folgen würde. Maudes Vorteil war ihre Weiblichkeit, mit der sie sich schon aus vielen brenzligen Situation befreit hatte, während Ezra bloß auf sein Mundwerk und seine Schnelligkeit mit der Waffe vertrauen konnte. Und zumindest seine Geschwindigkeit, eine Waffe ziehen zu können, würde über kurz oder lang unweigerlich nachlassen... und kein Trick der Welt würde ihm dann helfen. Außer Freunden.

Er lächelte leicht, während er das Pferd absattelte. "Ich komme später wieder und sorge dafür, dass du heute noch ordentlich gebürstet wirst", versprach er dem Tier. "Aber erst muss ich dafür sorgen, dass Josiah sich nicht in die Arbeit sondern ins Bett stürzt." Er zögerte kurz ob seiner unglücklichen Wortwahl, tat es aber im Endeffekt mit einem Schulterzucken ab.

Er verließ den Stall gerade wieder rechtzeitig um dabei zuzusehen wie Josiah versuchte, auf eigene Faust abzusteigen. Die Flüche, die er dabei von sich gab, waren erstaunlich - eine solche Ansammlung von Schimpfworten hatte Ezra schon lange nicht mehr gehört. "Es ist immer gut, das Vokabular seiner Mitmenschen zu verbessern - aber denkst du nicht, dass dein Publikum für diese Art von Worten noch nicht alt genug ist?" Er deutete auf einige Kinder, die in der Nähe des Stalls gespielt hatten und jetzt dem Schauspiel interessiert zusahen - und hörten.

"Verdammt noch ein..." Sanchez unterbrach sich, als er die Bedeutung der Worte verstand, und seufzte laut. "Wenn du früher gekommen wärst, hätte ich es nicht selbst tun müssen", fauchte er. Manchmal ist Angriff die beste Verteidigung.

"Was hättest du nicht selbst tun müssen?" Der unschuldige Ausdruck auf Ezras Gesicht hätte ihn fast dazu gebracht, mit seiner Tirade noch einmal von vorne zu bringen. "Falls du es noch nicht bemerkt hast", fuhr Standish ungerührt fort, "bist du noch immer auf dem Pferd, und das Einzige, das deine Flucherei dir gebracht hat, ist, dass du unnötig Aufmerksamkeit auf uns gezogen hast. Und ich, für meinen Teil, könnte gut darauf verzichten, die gesamte Stadt auf unsere Anwesenheit hinzuweisen."

"Eines Tages, Ezra..."

"Was? Ich wollte einfach nur vorschlagen, dass du bis zur Kirche reitest, dort mit meiner Hilfe absteigst und ich das Pferd dann in den Stall bringe. Das wäre doch wesentlich effektiver, findest du nicht auch?"

Die erste Reaktion, die sich Josiah aufdrängte, war, Ezra hier und jetzt zu erschießen, nur um dieses verdammte selbstgefällige Grinsen aus seinem Gesicht verschwinden zu sehen. Doch eigentlich war die Idee gut... Verdammt, warum war er nicht selbst darauf gekommen?! "Von mir aus", gab er schließlich zähneknirschend nach.

Die kurze Strecke vom Stall bis zur Kirche verbrachten die beiden schweigend, bewusst den neugierigen Blicken der wenigen Passanten ausweichend.

"Weißt du, Josiah", begann Ezra, nachdem sie angehalten hatten. "Wenn wir bis..." Weiter kam er nicht.

Was auch immer es war - Josiah wollte nichts davon wissen. "Vergiss es und hilf mir lieber hier runter!" Es war ihm sichtlich unangenehm, auf fremde Hilfe angewiesen zu sein, um vom Pferd zu kommen, doch er sah schlussendlich ein, dass es notwendig war. Nie wieder sehe ich einen Stein auch nur an!, schwor er sich zum hundertsten Mal seit seinem Sturz. "Ich werde mich nie wieder von dir dazu überreden lassen, eine andere Route außer der meistgenutzten zu nehmen." Er war dankbar, als Ezra darauf verzichtete, auf die Tatsache hinzuweisen, dass es ihrer beider Idee gewesen war. Zu dem Zeitpunkt, als er endlich wieder mit beiden Beinen auf der Erde war, war er derart erschöpft, dass er sich schwer gegen Ezra lehnte. Dieser schaffte es überraschend leicht, den wesentlich größeren und schwereren Mann abzustützen.

"Bist du bereit?"

"Wofür?"

Ezra richtete den Blick gen Himmel, als ob er sich himmlischen Beistand erhoffte. "Um in deine Unterkunft zu kommen, natürlich. Was denkst denn du?"

Josiah verzichtete darauf zu antworten, sondern gab bloß durch ein leichtes Nicken zu verstehen, dass er soweit war. Erst als sie sich bereits in seinem Raum befanden, fiel ihm ein, was ihn seit ihrer Ankunft unbewusst gestört hatte. "Wo sind die anderen?"

"Nicht da", lautete die knappe Antwort.

"Das habe ich auch bemerkt. Wo sind sie?"

"Weiß ich nicht. Ich weiß nur, dass die Pferde unserer Kameraden weg sind, daraus schließe ich, dass sie alle die Stadt verlassen haben."

"Und warum?"

"Bin ich ein Hellseher?" Ezra bedauerte sofort seinen harschen Tonfall, doch passiert war passiert. "Ich weiß es nicht", meinte er wesentlich ruhiger. "Aber ich werde Mrs. Travis aufsuchen und mich nach dem Verbleib der Anderen erkunden, einverstanden? Sobald ich etwas weiß, komme ich wieder. Ich gehe davon aus, dass du die letzten paar Schritte alleine zurücklegen kannst." Er wartete gar keine Antwort ab, sondern verschwand fast sofort.

Mit einiger Anstrengung schaffte Josiah die letzten Meter bis zum Sessel. Mit einem lauten Stöhnen ließ er sich auf dem unbequemen Möbelstück nieder. Die stundenlange verkrampfte Haltung im Sattel hatte die Schmerzen in seinem Bein verstärkt, außerdem wurde er jetzt, wo er sich in einer halbwegs erträglichen Position befand, wieder an die Existenz etlicher Muskeln, die er schon längst vergessen hatte, erinnert. Die Nachteile des Alters. Er war es weder gewohnt, noch mochte er es, in seiner Bewegungsfreiheit derart eingeschränkt zu sein - das war fast noch schlimmer als die Tatsache, dass er auf fremde Hilfe angewiesen war. Auf sich selbst wütend trommelte er mit den Fingern auf den Tisch, während er in Gedanken zu ergründen versuchte, warum die anderen Fünf ausgeritten waren. Es war selten, dass alle auf einmal die Stadt verließen - normalerweise blieb immer mindestens einer zurück, für den Fall, dass ein Notfall eintrat. Wenn alle weg waren hieß es, dass etwas Schlimmes passiert sein musste - oder, dass sie alle miteinander auf die Suche nach den zwei Verschollenen gegangen waren.

Die wenigen Minuten bis zu Ezras Rückkehr gestalteten sich zu einer Bewährungsprobe für seine - ohnehin schon sehr angegriffene - Geduld. Als der jüngere Mann endlich durch die Tür kam, war Josiah kurz davor, die Wände hochzugehen. Irgendwie hätte er es geschafft, dessen war er sich ganz sicher.

"Und?", fragte er ungeduldig.

"Was und?" Die Frage sowie der überhebliche, um nicht zu sagen selbstgefällige, Ausdruck auf Ezras Gesicht waren die letzten Tropfen für das überlaufende Fass.

"Keine Spielchen, verstanden?" Mit Mühe schaffte Josiah es, seine Stimme halbwegs ruhig zu halten und nicht die ganze Stadt zusammenzubrüllen. Was er allerdings nicht zusammenbrachte, war, ruhig sitzen zu bleiben. Es kostete ihn einige Mühe, doch er schaffte es, Ezras skeptischen Blick demonstrativ ignorierend, aufzustehen und die wenigen Schritte bis zur Tür zurückzulegen. Er lehnte sich schwer gegen die Wand und verzog das Gesicht, doch er hütete sich, auch nur einen Laut von sich zu geben. "Also?"

Angesichts dieser, wie Ezra zugeben musste, doch recht imposanten Vorführung, entschied er sich dafür, auf weitere Neckereien zu verzichten. "Es gab Probleme mit Guy Royal." Er ignorierte Josiahs "Schon wieder?", als er leise die Tür hinter sich schloss. "Die Anderen sind zu Miss Wells' Ranch geritten; offensichtlich will er wieder einmal an ihr Land. Gewisse Personen können oder wollen einfach nicht aus Schaden klug werden." Er schüttelte leicht den Kopf.

"Wie lange sind sie schon weg?"

"Seit drei Tagen. Mrs. Travis erwartet, dass sie bis spätestens Samstag zurückkehren, zumindest hat Mr. Larabee das angekündigt. Das ist übrigens auch der Grund, warum sie uns nicht sofort begrüßt hat - sie hat dem Richter die aktuelle Lage telegraphiert." Samstag... das war übermorgen. Ezra war von der Aussicht, zwei Tage lang quasi alleine für die Sicherheit der Stadt verantwortlich zu sein, zwar nicht begeistert, aber es könnte schlimmer sein. Er hatte Josiahs Verletzung versorgt, und wenn er sich in der nächsten Zeit etwas schonte, dürfte es keine weiteren Komplikationen geben. Und wenn Nathan wirklich erst in zwei Tagen zurückkehrt, besteht eine durchaus gute Aussicht darauf, dass er sich soweit erholt hat, dass außer einer Kontrolluntersuchung nichts mehr zu tun ist. Was wiederum bedeutete, dass er hoffentlich um die Standpauke wegen der überstürzten Heimkehr herumkam.

"Zwei Tage", überlegte Sanchez laut. "Das werden lange Tage."

"In der Tat", stimmte Ezra zu. "Und zwar für mich." Er ignorierte Josiahs Versuch, etwas zu erwidern. "Du wirst dich ausruhen, und ich will dich erst wieder auf deinen Beinen sehen, wenn Mr. Jackson es dir erlaubt hat!"

"Und was ist mit der Stadt?"

"Mit eventuellen Problemen werde ich schon fertig."

"Alleine?"

"Wie sonst?" Mit einem Seufzten hob Ezra die Hand, um weitere Proteste zu verhindern. "Bitte, ja? Wenn schon nicht dir zuliebe, dann tu wenigstens mir den Gefallen, für die nächste Zeit etwas kürzer zu treten. Ich will nicht auch noch Nathans Zorn ausgeliefert sein."

Nicht auch noch? Die seltsame Formulierung drängte regelrecht darauf, näher darauf einzugehen, doch es war offensichtlich, dass Ezra mit Nerven und Geduld am Ende war. Irgendwann würde sich die passende Gelegenheit schon ergeben... "Und was ist mit der Patrouille?"

"Es wird niemanden umbringen, wenn diese ein paar Tage ausfällt. Außerdem ist mir in letzter Zeit sowieso ein signifikanter Rückgang in der Gewaltbereitschaft der hiesigen Bevölkerung aufgefallen." Ein kurzes Grinsen. "Vermutlich haben sie Angst vor unserem Ruf. Ich gebe ja zu - los magnificos klingt nicht schlecht, oder?"

"Los magnificos? Seit wann denn das?"

"Seit die Kunde von unseren Heldentaten bis nach Mexiko vorgedrungen ist. Wir werden noch internationale Berühmtheiten."

Gott... Josiah wollte gar nicht daran denken. War es noch nicht genug, dass dieser verlogene Schreiberling Steele ein Werk mit ihren Namen verbrochen hatte? Offensichtlich nicht. "Internationale Berühmtheiten", wiederholte er leise. Nein, besser nicht darüber nachdenken.

"Ich werde mich dann verabschieden, ich habe eine Verabredung wahrzunehmen." Langsam ging Ezra zur Tür, wandte sich kurz davor jedoch noch einmal um. "Und du bleibst hier, verstanden? Keine Arbeit an der Kirche, kein Kontrollgehüpfe durch die Stadt und im Saloon will ich dich auch nicht sehen."

"Ich dachte immer, ich könnte als dein Vater durchgehen, nicht umgekehrt." Für einen Moment verlor Ezra jede Beherrschung über seine Mimik und pures Entsetzen zeigte sich in seinem Gesicht. In der nächsten Sekunde hatte er sich wieder unter Kontrolle.

"Ich kann dir versichern, dass es zwischen uns keinerlei verwandtschaftliche Beziehung gibt. Sie mag mir vielleicht sonst nicht viel erzählen, aber ich bin sicher, dass Mutter mich über dieses Detail informiert hätte." Mit einem Grinsen sowie seinem typischen Salut verabschiedete er sich. "Ich komme später noch einmal her, ansonsten - ich habe Miss Travis informiert, und ich bin mir sicher, dass sie auch noch nach dir sehen wird." Die Rache ist mein..., dachte er sich. Er konnte sich weitaus angenehmere Dinge vorstellen, als unter Mary Travis' Beobachtung zu stehen. Pünktlich bei Sonnenaufgang aufzustehen, beispielsweise...

"Oh Freude", kommentierte Josiah leise; zu leise, um noch gehört zu werden. Jetzt hatte er Mary auch noch am Hals! So nett er die Frau normalerweise auch fand, er wusste, dass sie dafür sorgen würde, dass er wirklich Ruhe gab. Er würde sich dafür schon noch bei Ezra bedanken, irgendwie...

Erst jetzt, wo er wieder zu Hause war und alle offenen Fragen beantwortet waren, fiel ihm auf, dass Ezra auf die Frage, woher er sich so gut in der Medizin auskannte, niemals eine klare Antwort gegeben hatte. Typisch. Lenkt mich mit allerhand Dingen ab, ich erfahre sogar einiges über ihn, doch das, was mich wirklich interessiert, weiß ich noch immer nicht. Gut, er konnte warten. Wenn es um Geduld ging, konnte er sich mit den Besten messen. Und während er über seine Revanche nachdachte, fand er vielleicht auch einen Weg, dieses Rätsel namens Ezra Standish endlich zu lösen.

Aber nicht heute, morgen war auch noch ein Tag. Jetzt freute er sich erst einmal auf eine Nacht in seinem eigenen Bett.

|| Fiction ||