Title: Captive
Author: Tegan

Fandom: Angel
Rating:
Category: Action, Fights and Schuld
Characters: Angel, Cordelia, Gunn, Wesley und Natassja (eigener Charakter)

Summary: In seinen Traum wird Angel von einer alten Freundin, die längst verstorben ist, kontaktiert. Er erfährt das sie Hilfe braucht und macht sich auf den Weg ihre Seele zu retten ...

Disclaimer: Die Charaktere von Angel gehören nicht mir, sondern Joss Whedon, David Greenwalt und anderen. Diese Story ist FanFiction mit der weder Geld verdient, noch Rechte verletzt werden sollen. Ich schreibe sie nur zu meinen Vergnügen.

Note: Die Idee entstand als ich die Angel-Folge sah, wie er versucht Darlas Leben zu retten und sich einer Prüfung unterzieht. Dazu kommt noch ein kleiner Hauch der Folge mit den Geschehnissen des Hyperion-Hotels. Das brachte mich auf diese Story. Mailt mir, wenn ihr etwas darüber oder zu einer anderen Story zu sagen habt.


Captive
written by Tegan
© 2001

~ Prolog ~

... Dichter Nebel hüllte den Raum ein. Schemenhafte Gestalten waren zu sehen. Sie schwebten. Ihre Gesichter zeigten Schmerz und Leid. Sie hatten Angst. Obwohl sie schon längst tot waren und auf den Einlaß ins Reich der Toten warteten, zitterten sie heftig. Man konnte ihre panische Angst riechen; man konnte es spüren.

Aus der Menge erhob sich eine Gestalt. Die grau grünen Augen offenbarten einem ihr Leid. Ihr langes, pechschwarzes Haar glänzte nicht mehr so wie einst als sie noch gelebt hatte. Sie war ein Schattenwesen. Ein Wesen, daß auf seinen Frieden wartete. Doch dieser Friede war noch weit entfernt. Man gönnte ihr den Frieden – nachdem sie sich so sehr sehnte – nicht.

Ihre Seele war gequält. Sie litt. Man hatte ihr Frieden versprochen. Doch dieses Versprechen war nie gehalten worden. Nun schwebte sie seit vielen Jahren durch die Zwischenwelt als ein Wesen, das für Menschen nur in Geschichten existierte. Nun war sie ein Geist; ein körperloses Geschöpf. Ein Geschöpf, das sehnlichst auf seine Erlösung wartete.

Sie schwebte zwischen den gequälten Seelen umher. Ihr Blick schweifte über jedes Gesicht. Doch sie fand nicht den, den sie brauchte. Als schien sie zu spüren, daß sie nicht länger allein war, drehte die junge Frau sich um. Sie blickte in die Ferne. Ein Schauder lief über ihren Rücken. Es war fast wie früher.

Dieses Gefühl war immer über ihren Rücken gerieselt wenn er in der Nähe gewesen war. Sie wußte, er war da. Er war in der Ferne; aber er war da. Und sie wußte, er konnte sie sehen. Er konnte sie verstehen. Er hörte sie. Sie lächelte leicht. Obwohl sie ihn nicht sehen konnte, war ihr bewußt, er war da.

„Ich brauche deine Hilfe, Angel“, sprach sie ...

Angel fuhr aus seinem Schlaf hoch. Er blickte sich um. Was war das soeben für ein Traum gewesen? Angel war spät von der Dämonenjagd nach Hause gekommen. Und obwohl er noch etwas müde war konnte er jetzt nicht mehr einschlafen. Schon lange hatte er nicht mehr geträumt. Und wenn, waren seine Träume nicht so gewesen; nicht so intensiv.

Aber vor allem war er noch nie direkt in seinen Träumen angesprochen worden. Angel stand auf und zog sich ein Hemd über. Er lehnte sich gegen die Tür und seufzte. Er kannte die Frau, die zwischen den gequälten Seelen herum geschwebt war. Er kannte sie aus seiner Vergangenheit.

Mit ihr hatte er ein Stück Erinnerung an eine vergangene Zeit. Aber sie war tot. Sie war seit langer Zeit tot. Angel seufzte. Dieser Traum mußte eine Bedeutung gehabt haben. Vielleicht, nein, er spürte es ... sie brauchte Hilfe. Sie hatte nach ihm gesucht. Und nun hatte sie ihn um Hilfe gebeten. Das war mehr als ein simpler Traum gewesen. Sie brauchte seine Hilfe.

„Natassja“, sprach er leise und er seufzte. Angel rieb sich über die müden Augen. Er hatte sie nicht vergessen. Wie könnte er auch dieses Mädchen vergessen? „Ich muß herausfinden was los ist“, sprach der Vampir zu sich selbst. „Ich werde dir helfen, Natassja. Das verspreche ich dir“, flüsterte Angel. Er stieg die Stufen hinunter um sich mit seinen Freunden zu bereden, die noch da waren.

Die junge Russin, die er einst gekannt hatte, war in Schwierigkeiten. Und er hatte das Gefühl das ihre Seele nach ihrem Tod nicht zur Ruhe gekommen war. Angel mußte rauskriegen was mit ihr geschehen war. Tief in sich fühlte er, daß sie verzweifelt nach Hilfe suchte. Angel würde herausfinden was sie nicht zur Ruhe kommen ließ. Er war es Natassja einfach schuldig.

~ 1. ~

Cordelia und Wesley diskutierten heftig miteinander. „Ich glaube, da liegst du falsch, Cordelia“, sprach Wesley und er griff nach einer Akte. „Wir sind nicht sicher das der Dämon wirklich vernichtet ist. Und solange kannst du diese Akte nicht ablegen.“ Cordelia verdrehte die Augen und sah Wesley genervt an.

„Er ist tot, Wes“, sprach sie eindringlich. „Angel und Gunn haben ihn getötet. Schon vergessen? Die Axt und Kopf ab.“ „Aber in dem Buch, daß ich gestern gelesen habe, stand das der Dämon zurückkehren kann. Seine Gliedmaßen können sich nämlich erneuern und ...“ Wesley brach ab als er ein Geräusch hinter sich hörte. Charles Gunn, der Vampirjäger von der Straße, betrat die große Halle.

„Hey, Leute!“ grüßte er. „Gunn, gut das du kommst. Kannst du Wesley bitte sagen das dieser Dämon tot ist? Der Dämon, dem Angel und du den Kopf abgeschlagen habt?“ rief Cordelia aufgebracht als sie einen erneuten Karton öffnete und einige Akten herausnahm. Sie waren umgezogen. Nachdem Wolfram & Hart Angels Wohnung und damit auch sein Büro in die Luft gesprengt hatten ... hatten sie eine gewisse Zeit von Cordelias Wohnung aus operiert. Doch das war nun vorbei.

Angel hatte dieses alte Hotel gekauft, wo er im Jahr 1952 gelebt hatte. Er hatte den Paranoia-Dämon, der hier gehaust hatte, ausgetrieben und getötet. Nun waren sie mit ihrem ganzen Bürokram umgezogen. Angel Investigations hatte ein neues Büro. Angels Wohnung befand sich im ersten Stock. Einige Zimmer waren einfach zusammen gelegt worden. Die große Halle würde das Büro werden. Rechts vom Tresen gab es einen Raum, wo Angel und seine Crew die ganzen Bücher aufbewahrt hatten.

Aus den Gästezimmern hatte Angel mit Hilfe Gunns und Wesleys Trainingsräume sowie Büroräume gemacht. Sie hatten die Wände eingerissen und die Räume zusammen gelegt. Das ehemalige Hyperion Hotel hatte sich in ein tolles, gemütliches Gebäude für Arbeit und Wohnung verwandelt. Angel war zufrieden. Dieser Ort war solange ein Haus des Bösen gewesen. Er war entschlossen daraus ein Haus des Friedens zu machen.

Gunn ließ sich auf dem Sofa fallen. „Der Dämon ist vernichtet. Angel und ich haben ihn zerstückelt um sicher zu gehen. Also, regt euch ab, Leute. Es ist vorbei.“ „ Sag ich doch“, meinte Cordelia mit einen triumphierenden Lächeln und sie nahm Wesley die Akte ab. Sie ging zu einem der Schränke und legte die Akte ab. „Damit ist die Sache erledigt“, sprach sie und sie schloß die Schublade.

In diesem Moment betrat Angel die Halle. „Mann, du siehst ja schrecklich aus“, spottete Gunn. Angel sah wirklich nicht gut aus. „Ist der frisch?“ fragte der Vampir Cordelia und deutete auf den Kaffee. Sie nickte. „Ja, ich hab ihn vor ein paar Minuten gemacht.“ Angel goß sich eine Tasse ein und trank einen langen Schluck.

Er drehte sich zu seinen Freunden um und sah sie eingehend an. „Wenn du so schaust steht etwas an“, schloß Gunn und er klatschte in die Hände. „Also, welche Dämonen verprügeln wir diesmal?“ Angel schüttelte den Kopf. „Gar keinen. Jemand braucht unsere Hilfe.“ „Wer?“ fragte Wesley sofort. Angel seufzte und stellte die Tasse ab. Er strich sich durch sein kurzes Haar und setzte sich auf das Sofa, das vor dem Tresen stand.

„Wir müssen einer jungen Frau helfen“, begann Angel. Seine Augen wurden noch trüber als sonst; er sah noch ernster aus als gewöhnlich. Das etwas nicht stimmte, erkannten seine Freunde sofort. Angel sah nur so aus, wenn jemand in Gefahr war oder wenn sich etwas böses zusammenbraute. Seine Freunde kannten ihn jetzt schon lang genug um die Gesichtsausdrücke Angels richtig deuten zu können.

„Um wen geht es?“ erkundigte sich Wesley. Angel lehnte sich im Stuhl zurück und starrte die Decke an. „Sie ist in Gefahr; in großer Gefahr. Ich spüre es.“ „Angel“, rief Cordelia ungeduldig. „Wer ist sie?“ „Ihr Name ist Natassja.“ „Das klingt sehr ...“, begann Gunn. „Russisch?“ half Angel ihm auf die Sprünge. Der Vampirjäger nickte. „Natassja ist Russin.“ „Wie lautet ihr voller Name?“ fragte Wesley. Angel zuckte mit den Schultern.

„Weiß ich nicht. Ich kenne nur ihren Vornamen. Sie hat mir nie gesagt wie ihr Familiennamen lautet.“ „Und sie lebt hier?“ erkundigte sich Wesley. Verneinend schüttelte Angel den Kopf. „Wo dann?“ „Diese ganze Sache ist komplizierter als ihr denkt.“ „Ist es doch immer“, meinte Cordelia und sie zog ein paar Akten aus dem Karton. Während Angel sprach räumte sie die Akten ein.

„Natassja lebt nicht mehr“, sprach Angel leise. Cordelia hielt mitten in ihrer Arbeit inne und sah ihren Chef fassungslos an. „Wir sollen einer Toten helfen? Angel, du hast mit keinem Wort gesagt, daß wir es hier mit einen Vampir zu tun haben.“ „Sie ist auch kein Vampir.“ „Was dann?“ „Na, tot eben“, sprach Angel kurz angebunden. „Du meinst, wirklich tot? Nicht mehr unter den Lebenden und auch keine Untote und so“, sprach Cordelia. Angel nickte.

„Verstehe“, rief Gunn dazwischen. „Sie ist ein Geist oder so ähnlich, richtig?“ Gunn sah Angel an und dieser nickte zur Bestätigung. „Ich dachte, sie hätte schon längst das Reich der Toten betreten, aber da habe ich mich anscheinend getäuscht. Immerhin ist sie tot und sie gehört in das Reich der Toten.“ „Stop!“ rief Cordelia dazwischen bevor Gunn und Angel richtig heftig anfingen darüber zu diskutieren. Die beiden Jäger der Finsternis sahen die dunkelhaarige Schönheit irritiert an.

„Ich weiß ja, das dies ein Thema ist über das ihr Stunden diskutieren könnt. Aber bevor ihr das tut möchte ich gerne eines wissen.“ Fragend sah Angel Cordelia an. „Woher weißt du, Angel, das sie in Schwierigkeiten ist?“ brachte Cordelia die Sache auf den Punkt. „Ich hab von ihr geträumt. Sie ist mir im Traum erschienen.“ „Und was hat sie getan?“ Angel seufzte schwer.

„Sie schwebte zwischen den gequälten Seelen umher. Und sie wußte das ich da bin; das sie in meinen Traum war. Natassja hat zu mir gesprochen.“ „Was hat sie gesagt?“ fragte Wesley neugierig. Der ehemalige Wächter hatte schon ein paar Mal von Verbindungen zwischen Menschen und Geistern gelesen, aber ... Niemals hätte er es für möglich gehalten einen solchen Fall mal selbst zu erleben. Und das dies eine Verbindung zwischen einen Vampir und einen Geist war ... das war wirklich ungewöhnlich und gleichzeitig faszinierend.

„Ich brauche deine Hilfe, Angel“, wiederholte der Vampir die Worte von Natassja. „Sie braucht deine Hilfe?“ fragte Wesley. „Ja, ich glaube, ihre Seele ist in Gefahr. Natassja sollte eigentlich schon für viele Jahre ihre Ruhe haben und ihren Frieden im Reich der Toten gefunden haben. Aber sie schwebt zwischen den gequälten Seelen umher. Sie ist in Gefahr, ich spüre es. Und wir müssen rausfinden was da los ist.“ „Aber sie ist ein Geist“, warf Cordelia zögernd ein.

Angel stand auf und sah seine Freunde entschlossen an. „Wir müssen rauskriegen was da los ist. Ich spüre, daß Natassja in Gefahr ist. Und das es einen bestimmenden Grund gibt warum sie noch nicht im Reich der Toten ist. Es hat seinen Grund warum sie noch nicht ihren Frieden gefunden hat. Sie hat mich um Hilfe gebeten und ich werde ihr helfen.“ Seine Freunde schwiegen. Sie wußten, wenn Angel so entschlossen war ... meinte er es auch wirklich ernst.

Gunn sprang auf und straffte die Schultern. „Okay, was sollen wir machen? Recherchieren?“ Angel nickte. „Ja, sammelt alle Informationen zusammen die es über das Reich der Toten, Geister, Verbindungen zwischen Geister und Dämonen sowie Menschen gibt. Außerdem will ich alles über die Zwischenwelt wissen, wo die gequälten Seelen um ihren Einlaß zum Reich der Toten kämpfen. Ich will alles über das Reich der Toten im Allgemeinen wissen und die Ruhelosigkeit von Geistern sowie Traumdeutungen.“ Gunn nickte.

„Machen wir uns an die Arbeit“, sprach er. „Und du solltest schlafen. Du siehst wirklich geschafft aus, Angel.“ „Ich kann jetzt sowieso nicht mehr schlafen“, murmelte der Vampir. „Du solltest es wenigstens versuchen. Wir machen das schon. Du wirst sehen ... in ein paar Stunden haben wir das Wichtigste zusammen.“ Angel schüttelte den Kopf. „Ich greife mir selbst ein paar Bücher und schaue nach. Das lenkt mich ab“, murmelte er.

Wesley hatte sich das Messer geschnappt, das auf Cordelias Tisch lag, und wandte sich den Kartons mit den Büchern zu. Alle Bücher waren noch nicht in die Regale geräumt worden. Und die, die sie brauchten, lagen noch in Kartons herum. Er schnitt sie auf und holte die Bücher heraus, die er an die Anwesenden verteilte. Jeder nahm sich einen Stapel Bücher und verkrümelte sich in eine Ecke. Angel ging mit seinen Stapel in sein Büro, das im Gang hinter dem Tresen seinen Stand hatte. Bevor er jedoch die Tür hinter sich zuzog rief Wesley ihn zurück.

„Angel?“ Angel drehte sich mit versteinerter Miene um. „Ja?“ „Was ist mit Natassja geschehen? Ich meine, an was ist sie gestorben?“ Angel schluckte schwer. Wenn er daran zurück dachte erlitt sein totes Herz einen schmerzhaften Stich. Die Zeit war vergangen, aber jetzt ... schoß die Erinnerung wieder hoch. Es tat sehr weh wenn er daran zurückdachte. Er hatte Natassja nicht retten können.

Er hatte alles probiert. Angel hatte sie vor der Straße retten können; hatte ihr für eine kurze Zeit ein zu Hause gegeben. Doch es hatte ein Wesen gegeben vor dem hatte er Natassja nicht retten können. Und dieses Wesen war sie selbst gewesen. Er hatte die junge Russin nicht vor sich selbst retten können. Sie selbst war ihr schlimmster Feind gewesen. Natassja hatte es nicht geschafft ihre inneren Dämonen zu besiegen. Angel seufzte.

Er blickte seine Freunde an; einen nach dem anderen. Er war gerade dabei gewesen in die Erinnerung abzutauchen. Also schüttelte er den Kopf und straffte seine Schultern. Angel begegnete den Blick des coolen Vampirjägers Gunn. „Natassja hat sich das Leben genommen“, sprach er. Dann fiel die Tür hinter ihm zu.

~ 2. ~

In den Büroräumen von Angel Investigations herrschte seit Stunden eine gewisse Stille. Nur das Umblättern von Bücherseiten war zu hören und das leise Geräusch, das der Kugelschreiber machte, wenn sie etwas aufschrieben. Ansonsten war es total ruhig. Einheitlich arbeiteten sie zusammen und durchforschten die Bücher. Gunn saß auf dem Sofa und die Bücher stapelten sich neben ihm auf dem Boden.

Wesley saß auf einem Polstersessel. Auf dem Stuhl ihm gegenüber lagen die Bücher, die er durchkämmte. Seufzend legte er das Buch, in dem er gerade gelesen hatte, zur Seite und griff nach dem Nächsten, das ein dicker Wälzer war. Kurz strich er sich durchs Haar, dann machte er sich an die Arbeit. Cordelia war hinter dem Tresen nur ansatzweise zu erkennen weil der Tresen voll von Büchern war, die sie durch forstete.

Es war eine sehr schwierige Suche. Es gab genügend Informationen, die sie festhalten mußten. Und von diesen Informationen mußten sie noch die Wichtigsten herausfiltern. Angel wollte alles wissen, was es zu wissen gab. Das war nicht so einfach. Denn Angel verlangte viele Informationen. Es war ihm wichtig diesem Geist zu helfen. Das erkannte Cordelia. Sie sah dem Vampir an das er sich schuldig fühlte. Vielleicht ... weil er das Mädchen nicht vom Selbstmord hatte retten können. Und das war für Angel Grund genug jetzt um sie - und ihre Seele - zu kämpfen.

Auf Angels Schreibtisch lagen schon Seiten von Informationen, die er sich zusammen geschrieben hatte. Die Bücher, die er gelesen hatte, lagen am Boden. Angel las gerade ein Buch über die Verbindung zwischen Geister und Dämonen. Er versuchte sich zu konzentrieren, aber es war ihm einfach nicht möglich. Es ging nicht. Seine Gedanken glitten immer wieder ab. Er konnte sich schwer konzentrieren. Entnervt rieb er sich den Nacken und schloß die Augen. Und er erinnerte sich; erinnerte sich an seine erste Begegnung mit Natassja ...

[Moskau/Russland - Jahr 1957]

Fünf Jahre nach den Geschehnissen im Hyperion Hotel hatte es Angel nach Russland verschlagen. Er hatte ein Apartment und lebte zurück gezogen. Der Winter war nach Moskau gekommen und die Temperatur fiel rapide ab. Es wurde eiskalt und die Menschen zogen es vor während dieser Zeit zu Hause zu bleiben.

Doch es gab da auch noch die andere Schicht der Gesellschaft. Die Menschen, die auf der Straße lebten und für die der Winter die schlimmste und schrecklichste Jahreszeit überhaupt war. Sie hatten nicht viel. Der einzige Gedanke, der ihnen durch den Kopf ging, war: Wo schlafe ich heute Nacht?

Die Sonne stand in Russland nicht lange am Himmel. Es war Nacht und der Wind war eiskalt. Er schlug Angel um die Ohren. Angel war auf den Weg nach Hause. Sein Weg führte ihn am Hauptplatz von Moskau vorbei. Am großen Springbrunnen saßen die Menschen, die ganz unten angekommen waren. Sie saßen dort zusammen um sich Geschichten zu erzählen oder einfach nur das Leid mit anderen - Gleichgesinnten - zu teilen. Und einige von ihnen waren auch da um zu betteln.

Angel schlug den Kragen seines Mantels höher. Aus dem Augenwinkel heraus sah er ein junges Mädchen, das die Passanten um ein paar Rubel anbettelte. Doch die Menschen bedachten sie mit einen angewiderten Blick und gingen einfach weiter. Das Mädchen mit den pechschwarzen Haaren verdrehte die Augen und drehte sich zu einen älteren Mann um, der an den Stufen zum Brunnen saß.

„Sag mal, Vladimir, ist es von diesen Leuten wirklich zuviel verlangt ein paar Rubel abzudrücken? Die sind doch reich, daß sieht man ja an ihrer Kleidung.“ Der ältere Mann lächelte nachsichtig. „Wir leben auf der Straße. Wir sind Ausgestoßene dieser Gesellschaft. Du müßtest diese Ablehnung doch schon gewohnt sein, Natassja.“ Sie stöhnte und schüttelte sich. Angel stellte fest, daß sie nicht sehr warm angezogen war.

Sie trug schwarze Schuhe und einen langen Wollrock, darüber einen Pullover und eine dünne Jacke. Kein Schal, keine Handschuhe ... nichts was sie sonderlich wärmte. Für diese kalte Jahreszeit war es kein Wunder, daß sie fror. Sie war jung. Angel sah ihr an das sie noch keine zwanzig war. Es war in Russland keine Seltenheit das so junge Mädchen ein Leben auf der Straße führten.

Natassja rieb sich ihre Handflächen aneinander und stieß kräftig die Luft aus. Die Kälte gefror ihren Atem fast. Sie tat Angel leid. Sie hatte etwas an sich was sie schutzlos erschienen ließ. Aber die Erinnerung an die Geschehnisse in Hyperion Hotel war noch sehr frisch. Die Leute waren von einen Paranoia-Dämon heimgesucht worden. Er hatte ihnen helfen wollen. Doch sie hatten ihn aufgehängt. Das geschah, wenn er den Menschen helfen wollte. Und deshalb hatte er beschlossen sie ihrem eigenen Schicksal zu überlassen. Er würde sich nie mehr einmischen.

Angel ging an den Obdachlosen vorbei ohne sie eines Blickes zu würdigen. Vladimir wurde jedoch auf ihn aufmerksam. „Frag den doch“, schlug er Natassja vor. „Der?“ meinte Natassja kopfschüttelnd. „Er ist jung, sieht gut aus ... Ich denke, bei dem hast du Chancen ein wenig Geld zu kriegen. Immerhin bist du sehr hübsch und blutjung.“ „Ich bin nicht blutjung“, widersprach Natassja. „Frag ihn einfach. Ich glaube, er wird dir nicht widerstehen.“ „Du willst nur einen warmen Tee“, sprach Natassja und sie zog ihren langjährigen Freund liebevoll damit auf.

Vladimir lachte. „Ich muß dich vorschicken, Natassja. Ich bin alt. Mir gibt niemand mehr Geld. Aber dir ... Und das Geld können wir nachher teilen.“ Natassja lachte. „Du hast Hunger“, stellte sie sachlich fest. Vladimir nickte. „Ja, wenn ich nicht bald etwas zum Essen kriege werde ich noch wahnsinnig.“ „Okay, ich hab verstanden. Ich geh ja schon“, sprach sie und sie ging hinter Angel her.

„Mister, warten Sie mal einen Moment“, rief Natassja. Angel spürte, daß die Anrede ihm galt und er blieb widerwillig stehen. Neben ihm tauchte das junge Mädchen auf. „Sagen Sie, könnten Sie ein paar Rubel entbehren? Sie sehen mir wie jemand aus, der nicht sehr viel Geld zum Leben benötigt.“ Flehend sah das Mädchen ihn aus großen Augen an.

Angel kramte in seiner Manteltasche herum und zog ein paar Rubel hervor. Er reichte dem Mädchen das Geld. Dann ging er weiter. „Danke“, rief Natassja ihm verwundert nach. Sie blickte auf das Geld in ihrer Hand und ihre eisige Miene hellte sich auf. Ihr Kopf schoß hoch. Sie erblickte nur noch den Rücken des Mannes, dann war er auch schon in der Menge verschwunden.

Natassja steckte das Geld ein und ging zu Vladimir zurück. „Und? Was hat er gesagt?“ erkundigte sich dieser. Sie schüttelte den Kopf. „Gar nichts. Er hat mir einfach Geld gegeben und ist dann weiter gegangen.“ „Wieviel hat er dir gegeben?“ Sie lächelte. „Genug, damit wir beide heute Abend eine warme Mahlzeit und eine heiße Tasse Tee bezahlen können.“ „Klingt toll. Laß uns gehen“, rief Vladimir und er stand auf. Natassja hakte sich bei ihm ein und sie verschwanden von ihrem Stammplatz ...

[Gegenwart]

Angel stöhnte. Die Erinnerung schmerzte ihn. So hatte er Natassja kennen gelernt. Sie hatte ihn um Geld angebettelt und er hatte es ihr gegeben. Ein Klopfen an seiner Tür ließ ihn aufsehen. Im nächsten Moment ging die Tür auf und Cordelia kam herein. „Du solltest dir das ansehen“, sprach sie und sie reichte Angel ein aufgeschlagenes Buch. Angel legte seine Stirn in Falten und griff nach dem Buch.

Während er las, was seine Mitarbeiterin ihm gebracht hatte, setzte sich Cordelia mit ernster Miene vor seinen Schreibtisch und wartete. Sie beobachtete, wie Angel immer blasser wurde; wenn das bei ihm überhaupt noch möglich war. Er seufzte schwer und sah auf. Angel legte das Buch zur Seite und stützte sich mit den Ellbogen auf der Tischplatte ab.

„Ich weiß, daß ...“, begann Cordelia. „Ihre Seele ist verdammt weil sie Selbstmord begangen hat. Sie hat sich damit selbst zu ewigen Leid verdammt“, murmelte Angel fassungslos. Gunn und Wesley betraten das Büro. „Cordy hat dir also das Buch schon gegeben“, stellte Gunn ruhig fest. Angel nickte. „Was willst du jetzt machen?“ Angel stand auf und wanderte hinter seinen Schreibtisch hin und her.

Dann drehte er sich zu seinen Freunden um. „Sie wird in dieser Welt gefangen gehalten. Und man läßt sie leiden. Ich werde ihr helfen.“ „Wie?“ Angel sah entschlossen aus. Seine Augen funkelten. „Ich werde um ihre Seele kämpfen, damit Natassja endlich ihren Frieden findet. Das bin ich ihr einfach schuldig.“ „Aber du weißt nicht wo man ihre Seele gefangen hält“, warf Wesley ein. Angel nickte.

„Stimmt. Aber in diesem Buch steht, daß die Seelen jener, die Selbstmord begangen haben, an dem Ort fest gehalten werden, wo sie die meiste Zeit ihres Lebens verbracht haben.“ „Und das wäre?“ „Als Natassja noch auf der Straße gelebt hat ... gab es einen Ort, wo sie fast jede Nacht geschlafen hat.“ „Und der wäre?“ „Der alte Palast der Zarenfamilie. Er ist verlassen gewesen und Natassja hat sich dort ein wenig eingerichtet. Ich bin mir sicher das ihre Seele dort fest gehalten wird und sie dort gequält wird.“ Angels Freunden sahen sich wissend an.

Was Angel da sagte ... ergab einen Sinn. Aber der alte Palast der Zarenfamilie, der war ... Cordelia riß die Augen auf als dieser Gedanke sich bei ihr einschlich. „Moment mal!“ bremste sie Angel. „Wir sprechen hier doch von dem alten Palast der Zarenfamilie, oder? Den meinst du doch?“ „Ja.“ Cordelia stützte sich mit ihren Händen auf Angels Schreibtisch ab. Sie sah ihn durchdringend an.

„Angel, der ist in Russland!“ rief sie entsetzt. „Das ist mir auch klar.“ „Aber ...“ „Ich muß sie retten. Versteht ihr das den nicht? Ich konnte Natassja damals nicht retten.“ „Das nagt an deinem Gewissen“, stellte Gunn fest. Angel nickte und blickte beschämend zu Boden. „Ich konnte Natassja nicht vor sich selbst retten. Ich meine, nach der Sache im Hyperion Hotel habe ich mir echt Mühe gegeben ihr zu helfen“, erzählte der Vampir mit nachdenklicher Miene.

„Ich habe sie von der Straße geholt; habe sie bei mir wohnen lassen. Doch ich konnte sie nicht vor ihren eigenen, inneren Dämonen retten. Ihr Selbstmord hat mir sehr zu schaffen gemacht. Ich bin es Natassja einfach schuldig das ich jetzt da bin und das ich sie rette.“ „Und das bedeutet?“ fragte Wesley. Angel sah auf; blickte seine Freunde entschlossen an. „Wir fahren nach Russland.“

~ 3. ~

„Du willst nach Russland?“ rief Cordelia geschockt. „Nicht ich ... sondern wir. Ich brauche euch vielleicht.“ „Ich bin dabei; wenn mir die Reise bezahlt wird“, mischte sich Gunn ein. „Ähm ... Angel“, sprach Wesley zögernd. „Da gibt es aber ein Problem.“ „Und welches?“ „Wie willst du nach Russland kommen ohne ein unfreiwilliges Sonnenbad zu nehmen?“ Angel seufzte. Darüber hatte er sich auch schon Gedanken gemacht.

„Ich weiß es nicht. Ich schätze, wir werden ein paar Zwischenstops machen müssen.“ „Dir ist das wirklich ernst“, stellte Cordelia fest. Angel nickte langsam. „Ich muß die Seele von Natassja retten. Ich muß es tun, versteht ihr? Ich kann nicht zulassen das sie weiter gequält wird. Ich weiß, was das bedeutet. Ich weiß es zu gut. Natassja hat diese Qual nicht verdient. Sie sehnte sich nach Frieden und ich werde ihr diesen beschaffen.“ Ein unangenehmes Schweigen breitete sich in Angels Büro aus.

„Okay, dann fliegen wir“, meinte Gunn locker. „Angel kriegen wir schon irgendwie sicher nach Russland. Wir sollten einfach mal die Flüge checken. Wahrscheinlich werden wir ein paar Mal umsteigen müssen.“ „Danke Gunn“, meinte Angel. „Ich werde mal am Flughafen anrufen“, meinte Cordelia und sie verließ das Büro. Wesley folgte ihr. Gunn blieb noch einen Moment. Die Tür fiel hinter Wesley zu und der Vampirjäger hatte endlich die Möglichkeit allein mit Angel zu sprechen.

„Ist noch etwas, Gunn?“ fragte Angel. Gunn nickte. „Ja.“ „Und was?“ „Du hast gesagt, du hast sie von der Straße geholt und hast ihr ein zu Hause gegeben. Sie war eine Obdachlose?“ Angel nickte. „Ich lernte sie kennen als sie mich um Geld angebettelt hat. Eigentlich wollte ich damals die ganze Sache vergessen, doch sie ging mir nicht mehr aus dem Kopf. Sie ... tat mir irgendwie leid. Natassja sah so verletzlich aus. Ich bekam einfach von selbst das Gefühl sie beschützen zu müssen.“ „Du hast angefangen sie zu suchen“, meinte Gunn. „Ja. Ich hab sie auch gefunden.“ „Du fühlst dich schuldig“, stellte Gunn sachlich fest.

„Ich konnte sie nicht vorm Absturz retten.“ „Es war ihre Entscheidung, Angel. Sie hat entschieden sich das Leben zu nehmen und ...“ „Jetzt trägt sie die Konsequenzen“, fiel Angel Gunn ins Wort. „Sie wird gequält. Nur weil sie entschieden hat ihr Leben zu beenden. Ich muß ihr helfen. Ich hab keine Wahl. Ich war der Einzige, der ihr das Vertrauen in die Menschen zurück gegeben hat.“ „Doch da ist noch was.“ „Wie meinst du das?“ „Ich weiß nicht“, meinte Gunn und er zuckte mit den Schultern.

„Da steckt mehr dahinter. Sie muß etwas getan haben was dich berührt hat.“ „Das hat sie“, murmelte Angel. „Und was?“ „Sie hat mich so genommen wie ich bin. Natassja fand heraus das ich ein Vampir bin.“ „Und?“ „Sie ist nicht schreiend weggelaufen, wenn du das meinst“, sprach Angel. „Nicht?“ Gunn riß überrascht die Augen auf. „Was hat sie dann getan?“ erkundigte er sich neugierig. Ein trauriges Lächeln huschte über Angels Lippen.

„Sie hat es akzeptiert; hat es einfach so hingenommen. Sie war total cool. Natassja war einer jener Menschen, die mich so akzeptiert hat wie ich bin.“ „Das hat dich beeindruckt.“ „Nicht nur das! Sie hat mir das Gefühl gegeben auch als Vampir akzeptiert zu werden. Außerdem brachte sie mir bei den Menschen wieder zu vertrauen. Nach den Geschehnis - hier im Hyperion Hotel - wollte ich mit den Menschen nichts mehr zu tun haben. Natassja belehrte mich eines besseren.“ „Verstehe.“ Gunn nickte wissend.

„Ich bin mir sicher das wir ihrem Geist helfen können. Wir schaffen das. Und wir kriegen dich auch nach Russland ohne das du ein Sonnenbad nehmen mußt. Irgendwie kriegen wir das schon hin. Wir helfen ihr.“ „Ich werde um ihre Seele kämpfen ... und wenn ich dafür sterben muß“, flüsterte Angel und er starrte an die Decke. Gunn verstand Angels Beweggründe und er ließ den Vampir allein in seinen Büro.

Angel nahm die letzten beiden Bücher, die er noch zu lesen hatte, an sich und ging in seine Wohnung hinauf. Er machte sich Gedanken. Cordelia saß am Telefon und erkundigte sich am Flughafen über die jeweiligen Flüge und die Zwischenstops. Die Zeit mußte genau ausgerechnet werden, damit Angel bloß nicht der Sonne ausgesetzt war. Gunn und Wesley kümmerten sich wieder um die Bücher, um noch mehr Informationen in Erfahrung zu bringen.

Der Vampir zog sich zurück und nahm auf dem Sofa Platz. Obwohl Charles Gunn Derjenige unter seinen Freunden war, den er zuletzt kennen gelernt hatte, schien er Angel am besten zu kennen. Er hatte erkannt wie sehr diese Geschichte an Angel nagte. Das er Natassja nicht hatte retten können war ihm sehr nahe gegangen.

Natassjas Selbstmord hatte Angel das Gefühl gegeben sie eigenhändig umgebracht zu haben. Es war, als wäre sie durch seine Hand gestorben; als hätte er sie in den Tod getrieben wie schon so viele seiner Opfer. Doch diesmal war ein Mensch nicht durch seine Hand gestorben. Diesmal hatte sie selbst entschieden. Sie hatte den freiwilligen Tod gewählt. Aber für Angel war das genauso schlimm ...

[Moskau/Russland - Jahr 1957]

Die Sterne funkelten hell am ansonsten so dunklen Himmel von Russland. Angel saß zu Hause und studierte ein Buch. Seit Tagen versuchte er sich abzulenken. Abzulenken, von diesen großen, flehenden Augen des obdachlosen Mädchens, daß er getroffen hatte. Angel hörte, wie der Schnee auf den Boden fiel. Es schneite heftig. Und ihm war klar, daß dieses Mädchen unglaublich frieren mußte.

Er versuchte sich weiter auf sein Buch zu konzentrieren. Doch es gelang ihm nicht. Diese Augen hatten sich tief in seine Seele gebrannt. Angel seufzte und schleuderte das Buch in eine Ecke. Er stand auf und riß die Tür zu seinen Kleiderschrank auf. Daraus entnahm er einen Schal und einen alten grauen Mantel, den er seit Ewigkeiten nicht mehr anzog. Angel griff nach seinen schwarzen Mantel, zog ihn an - warf die Sachen in einen Plastiksack - und verließ das Haus.

Unterwegs schaute Angel noch in einen Geschäft vorbei. Dann machte er sich auf den Weg zum Brunnen. Doch sie war nicht da. Das sah er sofort. Aber er würde sie finden. Die Obdachlosen, die am Brunnen saßen, waren fast immer die Gleichen. So waren auch an diesem Abend einige anwesend, die damals dabei gewesen waren. Zielsicher ging Angel zu einem Obdachlosen und baute sich zu seiner vollen Größe vor ihm auf.

„Kann ich Ihnen helfen, Mister?“ fragte der Obdachlose. Der Obdachlose saß ein wenig entfernt von den anderen, die da waren. An dem kalten Abend waren nicht viele da. Er blickte auf und erschrak. Noch nie hatte er bei einem Menschen so dunkle Augen gesehen. „Ich suche jemanden. Sie ist jung, zierlich, klein, hat schwarzes langes Haar ...“, erklärte Angel. „Kenne ich nicht.“ Angel zog eine Whiskeyflasche hervor. Bestechung war besser als seine Vampirkräfte. Auf dem Hauptplatz war es keine gute Idee sich zu verwandeln.

„Hilft Ihnen das auf die Sprünge?“ fragte er. Die Augen des Mannes hellten sich auf als er die Whiskeyflasche sah. Er griff danach, doch Angel zog die Hand zurück. „Wo ist das Mädchen?“ „Sie meinen sicher Natassja. Sie schläft im alten Zarenpalast. Wahrscheinlich ist sie dort“, sprach der Obdachlose wie verwandelt. „Kriege ich die Flasche jetzt?“ Angel reichte sie ihm und machte sich auf den Weg zum alten Palast der Zarenfamilie.

Der große Zaun rund um das Gelände war schon etwas verbogen. Das Tor stand offen und gab den Blick zum großen Zarenpalast frei, der seit vielen Jahren schon leer und verlassen war. Angel betrat den Weg und ging auf das große Gebäude - mit über hundert Zimmern - zu. Die Fenster waren alle mit Holzbrettern vernagelt. Das große Tor des Palasts war ebenfalls vernagelt; ebenso die Löcher in den Grundmauern. Doch Angel fand den einzigen Weg, der in den Palast führte.

In der Mauer prangte ein großes Loch. Die Steine waren gelockert und teilweise nicht mehr vorhanden. Und auch keine Bretter waren darüber genagelt worden. Dies schien der einzige Eingang in den alten Palast zu sein. Der Vampir zögerte nicht lange. Angel schlüpfte hindurch und betrat den verlassenen Palast. Er fand sich in einen großen Saal wider. Ein langer Tisch stand dort. Spinnweben bedeckten den Tisch und alles andere im Raum. Angel stellte fest das er sich im Eßsaal befand. Er ging zur Tür und sah eine Treppe. Sie führte rechts wieder hinauf und in der Mitte hinunter in den riesigen Tanzsaal.

Angel stieg links die Stufen hinunter und blickte sich um. Rechts führten die Stufen in den oberen Teil des Palastes. Angel roch Feuer und er sah tanzende Schatten an den Wänden. Das Mädchen mußte oben ihren Schlafplatz haben. Soll ich das wirklich tun? fragte sich Angel. Er zögerte. Er wollte keinen Kontakt mehr zu Menschen. Die Sache im Hyperion Hotel hatte ihm gereicht. Angel hatte sich geschworen den Menschen nie mehr zu helfen. Man dankte es einem ja doch nicht.

Also, warum bin ich hier? fragte sich Angel. Er sollte nicht hier sein. Das Schicksal dieses Mädchens sollte ihm egal sein. Er hatte hier nichts verloren. Bevor er weiter darüber nachdenken konnte erschien oben ein Schatten und eine Stimme rief: „Hallo, ist da wer?“ Angel wußte, er hatte sie gefunden. Sie beugte sich über das Geländer und erblickte ihn.

„Sie?“ Natassja erkannte ihn. Er war der Mann, der ihr soviel an Rubel gegeben hatte - ohne dabei jedoch ein Wort zu sagen. Was wollte er den hier? „Was machen Sie hier?“ Angel wußte, für eine Umkehr war es jetzt zu spät. Sie hatte ihn gesehen und da mußte er jetzt durch. „Ich hab nach dir gesucht“, gestand er deshalb. „Tatsächlich? Wieso? Haben Sie beschlossen mir Ihr ganzes Vermögen zu vermachen“, witzelte Natassja. Angel schüttelte den Kopf.

„Das nicht, aber ... ich hab was anderes hier für dich.“ „Wirklich? Und was?“ „Unter anderem was zu essen.“ „Kommen Sie rauf. Menschen, die uns was zu essen bringen sind hier immer willkommen“, sprach Natassja. Angel überlegte noch einen Moment, aber dann stieg er die Stufen hinauf. Eine der vielen Türen stand offen. Das Mädchen - der Obdachlose hatte sie Natassja genannt - stand vor der Tür und sie strich sich eine Strähne zurück.

Sie wirkte nervös. „Wenn Sie nach mir gesucht haben ... wie haben Sie mich gefunden?“ „Nun, Bestechung hilft manchmal“, meinte Angel. „Verstehe! Eine Flasche Whiskey?“ fragte Natassja nach. Angel nickte bejahend. „Das bringt nur Waslav zum Reden. Er liebt einen guten Whiskey. Kommen Sie rein“, meinte Natassja und sie führte Angel in das Innere des Raumes.

Es war Feuer gemacht worden und in zwei verschiedenen Ecken waren Schlafplätze errichtet worden. In der Ecke neben dem brennenden Kamin schlief ein älterer Mann. „Vladimir ist mein bester Freund“, klärte Natassja ihn auf. „Leider kann ich Ihnen keine richtige Sitzgelegenheit anbieten“, meinte sie. „Schon gut. Ich bin schlimmeres gewohnt“, meinte Angel kurz angebunden und er setzte sich zu Natassja auf das Schlaflager.

„Mein Name ist Natassja“, stellte sie sich vor. „Das hat mir dein Freund auf der Straße schon verraten. Ich bin Angel.“ „Angel ... ein schöner Name“, meinte Natassja lächelnd. „Ich will ja nicht unhöflich sein, aber Sie haben was von Essen gesagt.“ Angel griff in den Plastiksack und holte einen Leib Brot heraus. Dazu einen Käse und ein Messer. „Wow, womit haben wir den das verdient?“ sprach Natassja vollkommen überwältigt. „Ist doch egal.“ „Stimmt.“ Natassja sprang auf und ging zu ihrem Freund.

„Vladimir, wach auf“, sprach sie und stieß ihn leicht an der Schulter an. „Was ist den?“ stöhnte er. „Wir haben Besuch. Und er hat uns was zu essen mitgebracht.“ „Essen? Also, da bin ich sofort munter“, rief der Mann fröhlich und er erhob sich. „Das ist Angel. Er war so nett in dieser kalten Zeit an uns zu denken.“ „Freut mich! Die Kleine kennen Sie ja schon. Ich bin Vladimir.“ „Hat sie mir schon gesagt.“ Vladimir griff nach dem Messer, schnitt zwei Scheiben vom Brot herunter und belegte sie mit Käse. Eines davon reichte er Natassja, die wieder neben Angel Platz genommen hatte.

Vladimir widmete sich ganz seinen Essen und war für den Moment zufrieden. „Was wollen Sie wirklich hier, Angel?“ fragte Natassja. „Ich hab mir Sorgen gemacht.“ „Um mich?“ rief sie ungläubig aus. „Ja. Dieser Winter ist eiskalt. Und wenn man so zart ist ... überlebt man das kaum.“ Natassja lachte. „Ich hab schon viel schlimmere Winter hier auf Russlands Straßen überlebt. Das ist nicht der erste Winter, den ich auf der Straße erlebe.“ „Wie alt bist du?“ fragte Angel unvermittelt.

„Achtzehn.“ „Und seit wann lebst du auf der Straße?“ „Seit drei Jahren. Ich bin im Waisenhaus aufgewachsen. Ich bin abgehauen weil ich dort nicht mehr leben konnte. Ich hab Vladimir getroffen und seit dem leben wir als Freunde auf der Straße. Das ist meine Geschichte - kurz und bündig.“ „Zukunft?“ „Hab ich keine“, meinte sie nüchtern. „Ich bin ein Straßenmädchen. Ich werde hier sterben - irgendwann.“ Angel konnte nicht fassen wie ruhig sie das sagte. Sie lächelte bei ihren Worten sogar. Es war, als würde sie übers Wetter reden und nicht über ihr Schicksal.

Sie sah ihrer Zukunft nüchtern und knallhart entgegen. Ihr Blick fiel auf den Plastiksack. „Sie haben noch was dabei?“ fragte Natassja verwundert. Angel nickte. „Ja.“ Angel zog den Schal und den alten Mantel heraus. „Ich ziehe den Mantel nicht mehr an. Und ich glaube, du kannst ihn gut gebrauchen - genauso wie den Schal.“ „Das kann ich nicht annehmen.“ „Ich hab mich auf die Suche nach dir gemacht damit du was warmes in dieser Kälte zum Anziehen hast“, sprach Angel. „Aber ...“ „Nun nimm die Sachen schon an und bedanke dich“, warf Vladimir ein.

Natassja lächelte verlegen. „Danke“, sprach sie leise. Diese Sorge von Angel schüchterte sie ein. Außer Vladimir gab es keinen Menschen, der sich je Sorgen um sie gemacht hatte. Sie war ihr ganzes Leben allein gewesen. Und das ein Fremder, der sie so gut wie gar nicht kannte, sich in diesen kalten Tagen um sie sorgte, rührte sie auf eine gewisse Art und Weise.

„Schon gut. Ich gehe jetzt. Ich hab erledigt was ich tun wollte. Nun kann ich wieder gehen.“ „Aber ...“, sprach Natassja. Doch da war Angel schon aufgestanden und in den Flur getreten. Natassja lief zur Tür. Sie konnte nur noch einen Blick auf seinen Schatten erhaschen. „Er ist weg“, stellte sie monoton fest. Verwundert blickte sie Vladimir an.

„Was denkst du?“ fragte Natassja ihren langjährigen, besten Freund. „Er hat sich Sorgen um dich gemacht. Das bedeutet, er mag dich. Darüber solltest du froh sein, Natassja. Du brauchst einen Freund. Ich lebe nicht ewig. Und, auch wenn dieser Kerl etwas wortkarg ist, scheint er mir nett zu sein. Du solltest schauen das er dir als Freund erhalten bleibt“, sprach Vladimirs ernst.

„Von Freund kann doch gar keine Rede sein. Ich meine, er ist einfach hier mal vorbei gekommen“, widersprach Natassja ihm. „Und hat dir warme Sachen von ihm zum anziehen gebracht ... dazu etwas zu essen. Er mag dich und er sorgt sich um dich. Das sieht man ihm deutlich an. Denk mal darüber nach“, meinte Vladimir. Natassja blickte ihren Freund mit ernster, nachdenklicher Miene an.

~ 4. ~

[Gegenwart]

„Angel?“ Angel schreckte aus seinen Gedanken als Cordelia gemeinsam mit Wesley seine Wohnung betrat. „Also, ich hab mit dem Flughafen telefoniert“, sprach Cordelia. „Und?“ „Ich hab die Zeit ausgerechnet damit du der Sonne nicht ausgesetzt bist. Wir werden gut drei Tage für die Reise brauchen. Es geht ein Flug nach London, was sich mit der Sonne knapp ausgeht. In der Nähe von London gibt es ein Hotel, wo du dich vor der Sonne verkriechen kannst“, sprach Cordelia.

„Das Flugzeug startet kurz nach Sonnenuntergang. Am Abend des nächsten Tages geht eine Maschine nach Deutschland. Und am darauffolgenden Tag geht ein weiteres Flugzeug nach Moskau. Es geht sich mit der Sonne immer nur knapp aus. Aber du wirst der Sonne nicht ausgesetzt.“ „Das ist gut. Buche die Flüge, Cordelia. Wir fliegen so schnell es geht“, sprach Angel ohne lange darüber nachzudenken. „Okay“, meinte Cordelia nur und sie ging in ihr Büro zurück.

„Bist du dir sicher?“ fragte Wesley nach. „Ja. Wir werden fliegen.“ „Das meine ich nicht“, widersprach Wesley. „Glaubst du ... du bist für diesen Kampf bereit? Du willst um ihre Seele kämpfen. Glaubst du wirklich, du schaffst das?“ „Ja, ich muß es schaffen. Natassja braucht mich. Und ich werde ihr helfen. Wesley, bereite alles vor was wir für die Reise brauchen. Und buche die Hotelzimmer für uns während Cordy damit beschäftigt ist die Flüge zu reservieren.“ Wesley nickte und sagte nichts mehr. Er ließ Angel allein. Es war beschlossene Sache: Sie würden nach Russland reisen um Angels alter Freundin zu helfen.

Kurz nach Sonnenuntergang bestieg das Team das Flugzeug nach London. Gunn fand diese ganze Reise super weil er dadurch endlich etwas von der Welt sah. Er war noch nie richtig verreist. Angel bezahlte ihm die Reise nach Russland und das war für ihn Grund genug um mitzukommen. Sie hatten ihre Plätze eingenommen. Gunn saß neben Angel. Eine Reihe vor ihnen hatten Wesley und Cordelia Platz genommen.

Die Maschine hob ab. Die Stewardessen kümmerten sich um ihre Gäste. „Ich finde das toll“, rief Gunn begeistert. „Hey, Lady!“ Er holte eine Stewardeß zu sich. „Haben Sie einen Wunsch, Sir?“ fragte sie freundlich. „Ich hätte gern einen ihrer tollen Cocktails – mit so `nen Schirmchen drin.“ Die Stewardeß lächelte. „Wir werden Ihnen einen mixen“, versprach sie. Gunn sah Angel an. Er wollte etwas sagen, doch Angel schlief tief und fest. Also zuckte Gunn mit den Schultern und wartete auf seinen Cocktail. Ihm gefiel das Fliegen während Angel neben ihm vor sich hin schlummerte.

... Angel sah sich um. Um ihm herum herrschte völlige Finsternis. Doch aus der Finsternis wurde Nebel und alles erhellte sich. Dann erkannte Angel auch wo er war. Er befand sich auf den Geisterstraßen. Auf den Straßen, wo die Toten auf den Einlaß zu ihrem Reich warteten. Sie zitterten und Angel konnte ihre Angst riechen. Doch was tat er hier? Instinktiv sah er sich um; suchte nach dem Mädchen aus seiner Vergangenheit.

„Angel“, flüsterte eine Stimme hinter ihm. Er drehte sich um. Da war sie – direkt vor ihm. „Natassja“, sprach er. Sie schwebte auf ihn zu. „Bist du gekommen um mir zu helfen?“ fragte sie. Angel nickte. „Ich bin schon auf den Weg. Halte durch! In wenigen Tagen bin ich da und ich werde dir helfen. Ich schwöre, ich werde dich retten.“ „Es tut mir leid, das ich dich aus deinen gewohnten Leben reiße, aber ... du bist der Einzige, der mir helfen kann.“ „Natassja, sag mir warum. Warum hast du dich mir nicht anvertraut? Warum hast du dir das Leben genommen?“ Sie lächelte sanft.

„Ich kann es dir nicht sagen – noch nicht. Du wirst die Antworten auf deine Fragen kriegen. Wenn du an dem Ort bist, wo ich auf dich warte.“ „Der alte Zarenpalast“, stellte Angel fest. „Ja, der alte Palast. Du weißt es noch. Angel, ich wollte nie das du dir Schuld an meinen Tod gibst. Ich hab entschieden meinen Leben ein Ende zu setzen. Du konntest nicht wissen das ich mich damit selbst zu ewigen Leid verdammte. Gib dir nicht die Schuld, Angel.“ „Sag mir warum“, forderte er. „Du wirst es noch erfahren“, sprach Natassja und sie ließ Angel allein zurück ...

„Natassja“, rief Angel und er schrak aus seinen Traum hoch. „Beruhige dich, Mann! Wir sind noch nicht da um deiner verstorbenen Freundin zu helfen“, sprach Gunn neben dem Vampir. Angel rieb sich die Augen. „Du hast wieder geträumt?“ fragte Gunn. Angel nickte. „Ja, das habe ich.“ „Willst du darüber reden?“ „Nun, ich ... es war nur ein Traum.“ „So wie der Letzte! Das war auch nur ein Traum und du bist sofort gesprungen um ihr zu helfen. Sicher, Angel“, spottete Gunn, jedoch ließ er den Vampir in Ruhe.

Eine halbe Stunde vor Sonnenaufgang landete die Maschine in London ohne jegliche Verspätung. Mit dem nächsten Taxi fuhren sie zum Hotel und bezogen ihre Zimmer. Angel zog die Vorhänge zu um sich vor der Sonne zu schützen. Schon bald würde es weitergehen nach Deutschland. In ein paar Tagen würde er in Russland sein und dann würde er eine alte Schuld begleichen.

„Ich finde, er nimmt diese ganze Sache zu ernst“, sprach Cordelia als sie mit Wesley und Gunn im Restaurant des Hotels saß. Seit Stunden hatten sie nichts gegessen und sie wollten sich stärken bis sie weiterreisten. „Cordy, er hat das Mädchen offensichtlich sehr gern gehabt. Ich denke, er glaubt es ihr schuldig zu sein.“ „Er denkt, jedem etwas schuldig zu sein, den er mal begegnet ist.“ „Sie hat sich das Leben genommen“, mischte sich Gunn ein.

„Cordelia, du weißt nicht wie das ist wenn man einen Menschen, den man mag, einfach nicht helfen kann; wenn dieser jemand einfach den Tod vorzieht“, murmelte der Vampirjäger. „Woher weißt du das den?“ „Meine Schwester“, begann Gunn. „Ich mußte sie töten um sie zu erlösen.“ „Das ist doch etwas anderes. Deine Schwester wurde zum Vampir gemacht“, widersprach Cordelia. Leicht schüttelte Gunn den Kopf. So einfach war diese Sache auch wieder nicht.

„Ja, aber niemand konnte sie zwingen das Blut des Vampirs zu trinken. Sie hat sich dazu entschieden. Es war ihre Entscheidung, die sie getroffen hatte. Deshalb kann ich Angel verstehen. Wenn in einen meiner Träume meine Schwester auftaucht und mich bittet ihr zu helfen, würde ich es auch sofort tun ohne großartig nachzudenken. Aus diesem Grund kann ich Angels Entscheidung nachvollziehen.“ Cordy nickte langsam. Sie waren alle Angels Freunde. Doch von ihnen schien Gunn dem Vampir besser zu verstehen als alle anderen.

Angel hatte eine Dusche genommen und sich umgezogen. Er konnte nicht schlafen. Er mußte immer wieder an Natassja denken. Er würde ihre Gründe erfahren wenn er in Russland war. Was hatte das alles zu bedeuten? Schwach ließ sich Angel auf das Bett sinken. Seine Gedanken kreisten nur noch um Natassja. Obwohl sie ihm gesagt hatte – ihr Tod wäre nicht seine Schuld – gab er sich doch die Schuld daran. Er hatte das Gefühl, daß er ihr nicht hatte helfen können. Und das nagte schwer an seinen Gewissen.

„Ich wünschte, wir wären endlich in Russland, damit ich etwas tun kann“, murmelte Angel. Er mochte es nicht, wenn er nur herumsaß und darauf warten mußte bis er endlich etwas unternehmen konnte. Angel haßte es einfach geduldig warten zu müssen bis er etwas tun konnte. Angel drehte sich auf die Seite und versuchte zu schlafen. Sobald die Sonne untergegangen war würden sie weiterreisen.

Ein Klopfen an der Tür riß Angel aus seinen unruhigen Schlaf. „Angel!“ rief Cordelia und sie öffnete die Tür. Sie wartete gar nicht ab bis er sie hereinbat. „Bist du wach?“ fragte sie. Angel nickte. „Ja“, murmelte er. „Gut, dann hole deine Tasche, zieh deinen Mantel an und komm. Wir müssen zum Flughafen.“ „Ich bin in einer Minute unten“, erklärte Angel ihr. „Okay.“ Cordelia schloß die Tür hinter sich und wartete mit den anderen in der Lobby des Hotels auf Angel.

Angel seufzte und setzte sich auf. Er zog die Vorhänge zurück. Die Sonne war untergegangen. Die Reise ging weiter. Angel zog seinen Mantel an, schulterte seine Tasche und begab sich auf den Weg in die Hotellobby. Wesley beglich gerade die Rechnung und das Taxi stand auch schon bereit.

„Alles okay, Angel?“ fragte Gunn. Angel nickte leicht. „Ja. Ich wünschte nur die Reise würde schneller verlaufen. Ich will endlich etwas unternehmen um Natassjas Leiden zu beenden.“ „Wir sind bald da.“ „Das ist nicht schnell genug“, murmelte Angel und er stieg ins Taxi ein. Cordelia, Wesley und Gunn sahen sich besorgt an. Obwohl Angel während der Reise viel schlief, schien er gar nicht richtig ausgeschlafen zu sein. Er machte sich Sorgen. Angel hatte Angst zu spät zu kommen. Er betete dafür das er für Natassja noch etwas tun konnte, wenn er endlich in Moskau angekommen war.

~ 5. ~

[2 Tage später]

Nach ihren Zwischenstop in München waren sie endlich in Moskau angekommen. Sie hatten sich ins Hotel zurück gezogen und warteten die nächsten Nacht ab. Angel hatte selbst gesagt das er fit sein mußte, wenn er den Zarenpalast betrat. Niemand wußte, was die Gang dort erwartete. Und er wollte auf alles mögliche vorbereitet und vor allem ausgeruht sein.

Nach dem letzten Sonnenstrahl verließ Angel sein Zimmer und das Hotel – ohne seine Freunde. Er wollte sich zuerst im leerstehenden Zarenpalast allein umsehen, bevor er seine Freunde dorthin mitnahm. Er ging allein. Angel kannte den Weg. Er war in früher oft genug gegangen und eigentlich hatte sich – sah man von der Modernisierung ab – nichts in Moskau verändert. Und erneut schweiften Angels Gedanken ab und er befand sich wieder im alten – seinen bekannten – Russland ...

[Moskau/Russland – Jahr 1957]

Natassja wanderte allein über den Hauptplatz in Moskau. Irgendwie hoffte sie Angel wiederzusehen. Und momentan konnte sie einen guten Freund gebrauchen. So wie Vladimir es gesagt hatte: Sie brauchte einen Freund. „Vladimir“, seufzte Natassja traurig. Vor drei Tagen war ihr bester und einzig wahrer Freund hier auf der Straße verstorben. Vladimir war nicht mehr der Jüngste gewesen und irgendwann hatte auch er den Tribut für ein Leben auf der Straße zahlen müssen. Nun war sie allein. Sie hatte zwar einige Bekannte unter den Obdachlosen, aber niemanden vertraute sie so sehr wie Vladimir.

Am Brunnen setzte sich Natassja zu Waslav. „Vladimir war ein guter Mensch“, sprach Waslav betrübt. „Ja, das war er“, seufzte Natassja. „Und was machst du jetzt?“ „Hier leben bis ich sterbe“, antwortete sie nüchtern. Waslav ließ dies unkommentiert stehen und wandte sich seiner Whiskeyflasche zu. „Willst du auch einen Schluck? Der wärmt dich.“ Natassja schüttelte den Kopf. „Nein, danke.“ Sie ließ ihren Blick über die Straßen von Russland schweifen.

Ich wußte es, dachte sie. Wenn Angel sich wirklich um sie sorgte, wäre er in den letzten Tagen aufgetaucht um nach ihr zu sehen. Doch er hatte es nicht getan. Er war nicht gekommen. Sie sind alle gleich. Sie denken alle mit einer kleinen Freundlichkeit ihr Gewissen beruhigen zu können, dachte Natassja kopfschüttelnd. Da sah sie eine männliche Person in der Menschenmenge. Er trug einen schwarzen Mantel und instinktiv wußte Natassja, daß es Angel war.

Zielsicher kam er auf sie zu. Natassja stand auf und kam ihm entgegen. „Hi“, grüßte er. „Angel, Sie denken noch an mich?“ „Natürlich. Wo ist dein Freund?“ fragte er verwundert als er über ihre Schulter blickte und Vladimir nirgendwo sehen konnte. „Er ist tot“, sprach Natassja ruhig. „Was?“ „Sein Herz hat einfach zum schlagen aufgehört“, meinte sie mit einen Schulterzucken.

„Das tut mir leid.“ „Schon okay. Er war schon alt. Es mußte irgendwann passieren und in der letzten Zeit hat sich Vladimir nicht sehr wohl gefühlt.“ Erst da bemerkte Angel das sie seinen Mantel und auch seinen Schal trug. Natassja registrierte seinen Blick. „Danke noch mal für die Kleider.“ „Gern geschehen. Was willst du jetzt tun?“ fragte er. „Weiterleben; solange bis der Tod mich holt. Keine Sorge, Angel, ich komme schon klar.“ Angel nickte langsam und drehte sich um.

Doch etwas hielt ihn auf zu gehen. Er drehte sich zu Natassja um. „Hast du Lust ein paar Tage bei mir zu wohnen?“ sprach er, bevor er richtig darüber nachdenken konnte. „Wie bitte?“ Natassja zog die Stirn kraus und sah Angel verwirrt an. „Ich habe einen Platz zum schlafen.“ „Stimmt. Aber, erstens ist er für dich allein zu gefährlich und zweitens ist es dort auch nicht besonders warm. Ich kann dir ein Bett anbieten; eine warme Wohnung“, schlug Angel vor.

„Ist das dein Ernst?“ fragte sie zweifelnd. „Sicher. Du kannst bleiben solange du willst. Und du kannst jederzeit wieder gehen. Ich will nur das es dir gut geht.“ „Kann ich dir vertrauen?“ fragte sie und blickte zu ihm auf. Noch hatte sie Zweifel, daß sein Angebot wirklich ehrlich gemeint war. Angel nickte und schlug den Kragen seines Mantels höher, da in diesem Moment ein eiskalter Wind über die Straße wehte.

„Natürlich kannst du das. Ich mache mir Sorgen um dich. Du gehörst nicht auf die Straße.“ Natassja lächelte. „Na gut, ich bleibe aber nur ein paar Tage bis dieser schreckliche Schneefall nachgelassen hat. Danach bin ich wieder weg.“ „Einverstanden“, sprach Angel und er fragte sich in diesem Moment, was in ihm gefahren war sie zu sich einzuladen. Er konnte sie doch unmöglich mitnehmen. Natassja würde heraus finden was er war und wie andere Menschen vor ihr würde sie ihn an eine wütende Menge verraten.

Doch tief in sich wollte Angel nicht daran glauben. Sie war anders. Er spürte es irgendwie. Ich kriege das schon hin. Ich muß es hinkriegen, dachte Angel und er nahm Natassja mit in seine Wohnung. Sie folgte ihm und war froh für einige Nächte einen warmen Schlafplatz in dieser extremen Winterkälte zu haben ...

[Gegenwart]

Angel sah auf den mächtigen Palast, der sich vor ihm erstreckte. Er war wieder da. Die Fenster waren zugenagelt – so wie früher. Am Palast selbst hatte sich nichts verändert. Angel ging den Weg zum Palast hinauf und suchte das Loch. Es war noch da. Doch Bretter waren vor dem Loch angenagelt worden. Entschlossen riß Angel die Bretter herunter und betrat den Zarenpalast.

Wild hämmerte Cordelia an Wesleys Tür. Verschlafen riß er sie auf. „Was ist los?“ fragte er als Gunn und Cordy mit ernsten Mienen vor ihm standen. „Angel ist weg“, sprach Cordelia. „Was?“ „Er ist weg. Er ist nicht in seinen Zimmer.“ „Vielleicht macht er einen Spaziergang“, murmelte Wesley. „Nein, er ist im Palast“, sprach Gunn. „Angel sucht den Zarenpalast ohne uns auf. Er ist allein gegangen.“ „Aber das kann er nicht machen! Wir wissen doch gar nicht was dort auf ihn wartet.“ „Eben“, kommentierte Cordelia.

„Du solltest dich schnell anziehen, Wes. Wir wollen los. Wir müssen ihm nach.“ Wesley verstand und schlug die Tür zu. Hastig zog er sich an und machte sich mit Cordelia und Gunn auf den Weg zum alten und längst verlassenen Zarenpalast. Hoffentlich ist Angel nichts passiert, dachte er besorgt. Niemand wußte, was im Palast auf Angel wartete. Der Vampir konnte womöglich schon in höchster Lebensgefahr schweben.

„Natassja?“ rief Angel. Seine Stimme verhallte in den vielen Gängen und Zimmern des alten Zarenpalastes. Angel stieg die Stufen hinauf und betrat den überaus großen Tanzsaal. „Natassja, bist du hier?“ sprach er laut. Angel sah sich um. Hoch oben an den Fenstern hatte sich früher die Sonne gespiegelt. Die farbenfrohen Bilder an den Wänden waren nicht mehr da. Alles, was einmal von Wert gewesen war, fand man jetzt in einen Museum. Der Palast war verlassen und schien nur noch eine ruhelose Grabstätte für verdammte Seelen zu sein.

Angel spürte es. Die Mächte der Finsternis hatten auch hier ihre Finger im Spiel. Etwas war hier. Die Dunkelheit hatte den Palast übernommen und aus ihm ein Haus der Qualen gemacht. Langsam ließ er seinen Blick über den Tanzsaal, die Stufen und die oberen Gänge schweifen. Er war nicht allein. Angel konnte die Anwesenheit von etwas übernatürlichen regelrecht spüren. Und es war nicht sehr weit von ihm entfernt.

Und als er den Kopf hob, bemerkte Angel, daß er nicht länger allein war. An der ersten Stufe blickte er in die Augen eines jungen Mädchen. Seine Augen trafen sich mit ihren grau grünen. Ihr langes pechschwarzes Haar fiel ihr über die Schulter. Sie lächelte nicht. Angel erkannte sie und konnte nicht glauben wie müde und erschöpft sie aussah. Ihr Gesicht war ein Zeugnis des Leids. Ihre Augen und ihre Haare hatten ihren Glanz verloren. Sie waren stumpf und traurig.

Angel schluckte schwer. Er konnte es kaum glauben; konnte nicht fassen wer da vor ihm auftauchte. Seine Träume hatten recht gehabt. Seine Träume hatten ihn wirklich zu ihr geführt. Sie war es. Und jetzt – wo er ihr gegenüberstand – wußte er: Sie brauchte dringend seine Hilfe. Es war Natassja ...

~ 6. ~

„Natassja“, rief Angel aus. Er stieg die Stufen hinunter. „Hallo Angel“, sprach sie ruhig. Angel sah, das sie leicht über den Boden schwebte. Ihre Füße waren nicht zu erkennen, den die waren in eine schwebende, dunkle Wolke gehüllt. Fassungslos starrte Angel sie an. „Du bist wirklich gekommen“, sprach sie. „Ja, das bin ich. Ich hab dir doch versprochen, daß ich immer für dich da bin“, antwortete Angel.

In diesem Moment wurden sie durch laute Geräusche gestört. Angel drehte sich um und erkannte seine Freunde, die an der Treppe standen. „Wieso bist du ohne uns gegangen, Angel?“ protestierte Cordelia als sie näher kamen. Doch dann stockte Cordelia der Atem. Sie blickte auf das Mädchen bei Angel. „Sehe ich etwa richtig?“ murmelte sie. „Ja, das tust du“, flüsterte Wesley zurück.

„Wer ist das?“ fragte Natassja und sie blickte Angel aus großen Augen an. „Meine Freunde. Ich wußte nicht was mich hier erwartet, deshalb hab ich Verstärkung mitgenommen. Wir sind alle hier um dir zu helfen. Natassja, warum hast du dir das Leben genommen?“ Angel mußte endlich wissen warum. Diese Frage zerrte an seinen Nerven. Er hielt es nicht mehr aus. Er mußte es einfach wissen.

„Noch ist es nicht an der Zeit, Angel. Du ...“ Sie unterbrach als hinter ihr heftiges Donnern stattfand. Angel spürte, das sie Angst hatte. Sie zitterte. „Was ist los?“ fragte er besorgt. Natassja sah ihn an. In ihren stumpfen Augen spiegelte sich ihre ganze Angst wieder. „Ich muß gehen. Du wirst noch alles erfahren. Ich bitte dich: Rette mich, Angel!“ Dann verschwand Natassjas Seele in einen dunklen Nebel.

Verwirrt drehte sich Angel zu seinen Freunden um. „Was hat das zu bedeuten? Wesley, hast du dafür eine Erklärung?“ „Ja“, sprach der ehemalige Wächter. „Welche?“ Wesley kam an Angels Seite. „Die Vorboten der Hölle. Angel, die Wesen, die auch dich gefoltert haben müssen.“ „Oh mein Gott“, flüsterte Angel schockiert. Er wußte, was das zu bedeuten hatte. „Wovon sprichst du, Wes?“ mischte sich Cordelia ein. Bevor Wesley antworten konnte brach die Erde auf und vor ihnen erschien ein Wesen, das sie noch nie zuvor gesehen hatten.

Angel jedoch hatte so ein Wesen schon einmal gesehen. Er kannte es aus der Hölle. Ein solches Wesen hatte ihn gefoltert. Und ein solches Wesen war für Natassjas Leid verantwortlich. Wesley spürte, wie es in Angel vor Wut kochte. „Beruhige dich“, sprach er leise. „Ich bin mir sicher, du kannst Natassja retten. Doch so einfach ist es sicher nicht. Bist du wirklich dafür bereit, Angel?“ „Ich bin bereit alles zu tun um sie zu retten“, sprach Angel kurz angebunden.

Das Wesen ließ einen markerschütternden Schrei los. Der Schrei hallte durch den ganzen Palast und prallte an den Wänden ab. Cordelia erschauerte. Dieses Wesen war ihr nicht geheuer. Es schwebte in der Luft und trug einen langen, dunklen Umhang, der seinen Körper verdeckte. Nur an den Ärmeln konnte sie die langen, knochigen Finger sehen. Schwarze Augen blickten auf sie herab und ein dämonisches Grinsen war zu sehen. Mehr konnte man von dem Wesen nicht erkennen.

„Sterbliche und ein Vampir – hier im Haus des Leids! Wie könnt ihr es wagen hierher zu kommen und uns stören?“ „Wir ... äh ... wollten gerade wieder gehen“, stammelte Cordelia. Angel jedoch ließ sich von diesem Wesen nicht beeindrucken. Er trat einen Schritt nach vorne und sprach: „Ich bin hier weil ich Natassja retten will. Gib ihre Seele frei, du Monster!“ „Ah ... Natassja! Du bist also der geheimnisvolle Mann, den sie in seinen Traum kontaktiert hat“, sprach das Wesen zufrieden.

„Ja, ich will – nein, ich verlange – das ihr Natassja gehen läßt. Schon zu ihren Lebzeiten hatte sie kein einfaches Leben.“ „Sie hat sich selbst zu diesem Leid verdammt. Sie hat sich das Leben genommen und dafür müssen wir sie bestrafen. Sobald ein Mensch sich das Leben nimmt ... gehört seine Seele uns – für immer.“ „Aber nicht ihre Seele! Natassja gehört nicht euch“, rief Angel zornig. Das Wesen sah ihn an und es spürte Angels Wut.

„Du kennst mich“, stellte das Wesen sachlich fest. „Ja, ich hatte mit euch schon zu tun.“ „Du bist Angel, der Vampir, der in die Hölle geschickt worden war und der von dem reinen Bösen auf die Erde zurück geholt wurde.“ „Ja, genau der bin ich.“ „Du wehrst dich noch immer gegen das was deine Bestimmung ist.“ „Meine Bestimmung ist es euch Kreaturen der Nacht in den Hintern zu treten. Also, ich will das ihr Natassja freiläßt oder ich werde ziemlich ungemütlich“, forderte Angel.

„Das geht nicht“, sprach das Wesen eingeschnappt. „Was?“ „Sie gehört uns. Wir können sie nicht gehen lassen. Und nichts was du tust kann das ändern.“ „Ich will um ihre Seele kämpfen“, sprach Angel entschlossen. „Du willst kämpfen?“ fragte das Wesen verwundert. Es kam näher und sah Angel direkt in die Augen. Angel wich diesem Blick nicht aus; er hielt ihm eisern stand. Das Wesen las seine Entschlossenheit und seine Wut. Er war bereit alles zu tun um Natassja zu helfen; um sie zu erlösen.

„Na gut, dein Wunsch soll dir erfüllt werden. Du kannst gerne um ihre Seele kämpfen, doch es wird dir nicht gefallen. Es wird nicht einfach Natassja zu befreien.“ „Was muß ich tun?“ sprach Angel nur. „Du wirst dich einer Prüfung unterziehen. Die Prüfung besteht aus fünf Aufgaben. Wenn du alle fünf bewältigst und danach noch lebst ... gehört Natassjas Seele dir. Dann darf sie gehen.“ „Was ist der Haken dabei?“ fragte Angel.

Das Wesen grinste kalt. „Wenn du nicht bestehst ... gehört deine Seele uns – für immer. Und kein Ritual, kein Fluch ... wird dir die Seele jemals wieder zurück geben. Dann bist du auf ewig wieder Angelus, der böse Vampir mit dem Engelsgesicht“, forderte das Wesen. „Angel, nein!“ schrien die Freunde des Vampirs gleichzeitig auf. Angel blickte das Wesen an und nickte. „Das ist alles?“ „Ja.“ „Okay, ich willige ein. Wenn ich nicht bestehe, könnt ihr mich haben. Doch wenn ich die Prüfung schaffe ... laßt ihr Natassja gehen und rührt sie nie mehr an.“ „Einverstanden“, flüsterte das Wesen einschmeichelnd.

„Angel, das kannst du nicht machen“, sprach Gunn. „Entschuldige uns einen Moment“, meinte Gunn an das Wesen gewandt und zog Angel zur Seite. „Bist du wahnsinnig? Du hast keine Ahnung was dich da erwartet; was das für eine Prüfung ist. Die werden dich mit Bestimmtheit reinlegen wollen. Die werden alles tun damit du die Prüfung nicht schaffst.“ „Gunn hat recht. Das ist zu riskant. Du könntest deine Seele verlieren und ...“, mischte sich Cordelia ein. „Ich hab keine Wahl“, unterbrach Angel seine Freunde. „Es geht hier um Natassja. Ich fühle mich für sie verantwortlich, versteht ihr das nicht? Niemand außer mir kann ihr helfen. Sie zählt auf mich.“ „Aber, was ist wenn ...“, stammelte Cordelia panisch. Angel schüttelte den Kopf.

„Ich werde diese Prüfung machen. Keine Sorge, Leute, ich komm lebend wieder. Ich muß Natassja einfach helfen. Ich muß es tun.“ „Angel“, sprach Wesley schwach. Doch Angel drehte sich zu dem Wesen um. „Wann beginnt die Prüfung?“ fragte er. Angels Freunde stöhnten hinter ihm leise auf. „Jetzt“, sprach das Wesen und hob die Hand. Eine Klappe öffnete sich im Boden und offenbarte Angel ein tiefes, schwarzes Loch.

„Du mußt dort hinunter gehen. Deine Prüfung findet dort unten statt.“ Angel nickte und verstand. Er zog seinen Mantel aus und reichte ihn Wesley. „Deine Waffen läßt du hier zurück“, befahl das Wesen. Wortlos gehorchte Angel und legte seinen Holzpflock und die beiden Dolche ab. „Das ist nicht fair“, protestierte Cordelia. „Niemand weiß was ihn dort unten erwartet und er soll unbewaffnet gehen?“ „Er hat sein Dasein als Vampir als Waffe dabei“, wies das Wesen Cordelia zurecht.

„Das wird seine einzige Waffe sein. Mehr braucht er nicht. Auf mehr darf er sich nicht verlassen.“ „Aber ...“, stammelte Cordelia schwach. „Es ist in Ordnung“, sprach Angel ruhig, doch er wußte, es beruhigte die dunkelhaarige Schönheit nicht sehr. „Ich bin soweit. Gibt es ein Zeitlimit?“ „Nein. Die Prüfung ist vorbei, wenn du nach der letzten Aufgabe noch lebst oder wenn du bei deiner Prüfung ums Leben kommst“, klärte das Wesen Angel auf. Angel nickte und ging auf das schwarze Loch zu.

„Angel, warte!“ rief Cordelia. Er drehte sich zu ihr um. Fragend sah er sie an. Cordelia schluckte schwer und sprach: „Paß auf dich auf, ja?“ „Natürlich“, erwiderte er. Angel sah das Wesen an. „Was ist mit meinen Freunden?“ „Sie können hier warten. Keine Sorge, ihnen passiert nichts.“ „Das will ich auch hoffen.“ „Viel Glück, Angel“, rief Gunn. Angel straffte die Schultern und stieg die Stufen hinunter, die tief in das schwarze Loch führten. Die Klappe schloß sich hinter ihm.

„Du kannst es gut gebrauchen“, murmelte Gunn und sah ihm nach. Cordelia setzte sich auf eine der Stufen. „Und jetzt?“ fragte sie und ein Stöhnen drang über ihre Lippen. Eine Falte legte sich in ihre Stirn. Ein eindeutiges Zeichen dafür, daß sie sich wirklich ernsthaft Sorgen um Angel machte. Die beiden Jungs nahmen links und rechts neben ihr Platz. „Jetzt warten wir bis Angel wieder da ist“, meinte Wesley und er seufzte leise. Er betete, daß Angel die Prüfung bestand ...

~ 7. ~

Sicher stieg Angel die Stufen hinunter bis er sich in einem dunklen Raum wiederfand. Um ihn herum herrschte völlige Finsternis. Doch es machte ihm nichts aus. Er konnte alles erkennen und sah, das es rein gar nichts in diesem Raum gab. Angel blickte sich um. Okay, eine Prüfung mit fünf Aufgaben, dachte er. Das mußte einfach zu schaffen sein. Der Preis war hoch, wenn er versagte. Nicht nur für Natassja, sondern auch für ihn. Wenn er versagte würde er seine Seele für immer verlieren und nie mehr wieder bekommen. Das bedeutete, das er auf ewig eine Geisel des Bösen sein würde.

Angel blickte sich um; orientierte sich. Er sah einen langen Gang, der sich vor ihm auftat. Sein Blick glitt hinter sich. Die Treppe war verschwunden. Es war, als hätte es hinter ihm nie eine Treppe gegeben. Langsam ging Angel den Gang entlang. Etwas anderes blieb ihm ja auch nicht übrig. Er sah sich alles genau an; prägte sich jedes kleinste Detail ein. Vielleicht konnte ihm dieses Wissen noch einmal nützlich werden.

Die Atmosphäre im Gang war angespannt und totenstill. Zu still, wie Angel entschied. Er wußte aus Erfahrung das diese Stille immer etwas zu bedeuten hatte. Es bedeutete meistens das etwas dämonisches und sehr gefährliches aus der Dunkelheit brach. Vorsichtig setzte Angel einen Schritt nach dem anderen bis der Gang schließlich endete und er eine Tür sah. Und instinktiv wußte Angel: Hinter dieser Tür befand sich die erste Aufgabe seiner Prüfung.

Angel stieß die Tür auf und betrat einen dunklen Raum. Er sah sich um als die Tür hinter ihm langsam ins Schloß fiel. An den Wänden waren Fackeln montiert worden, die sich nun von Geisterhand entzündeten. Die Fackeln warfen tanzende Schatten auf die Wände. Angel stand in einen verlassenen Raum – irgendwie hatte er das Gefühl in einem Boxring zu stehen. Vor Angel befand sich eine Tür, die nun aufging.

Aus dem Schatten trat eine große Gestalt. Angel hob den Kopf um dem Dämon überhaupt in die Augen sehen zu können. Der Dämon war gut zwei Köpfe größer als Angel und um einiges stärker. Die Haut des Dämons war schwarz und seine Augen glühten dunkelrot. Ein teuflisches Grinsen breitete sich auf dem Gesicht des Dämons aus. Aus seinen Schultern ragten lange, spitze Zacken heraus. Spitze Hörner trug der Dämon auf dem Kopf. Das wird ein Spaß, dachte Angel seufzend.

„Ah ... ein Kämpfer“, sprach der Dämon. „Du bist gekommen um für die Seele einer alten Freundin zu kämpfen, nicht wahr, ... Angel?“ Angel stutzte irritiert. Woher wußte diese abscheuliche Kreatur das? „Du unterziehst dich einer Prüfung. Und wir alle wissen davon. Hier unten bleibt niemanden etwas verborgen.“  „Hör mal, du ... was auch immer du sein magst ..., ich hab keine Zeit für ein Plauderstündchen. Also kämpfen wir, okay?“ sprach Angel. Der Dämon knurrte und griff Angel an.

Der Dämon rammte Angel seine Hörner in den Bauch und warf den Vampir gegen die Mauer. Schmerzerfüllt schrie Angel auf und sackte zu Boden. „Du wirst diese Prüfung nicht überleben“, versprach der Dämon ihm. Er trat auf Angel ein und verhinderte somit das die Wunde heilen konnte. Doch so leicht war Angel nicht unter zu kriegen. Er packte dem Dämon am Fuß und holte ihn von den Beinen.

Überrascht riß der Dämon die Augen auf und fiel zu Boden. Angel rappelte sich hoch. „Niemand kann mich daran hindern meine Mission zu erfüllen“, knurrte Angel und er spürte, wie er sich verwandelte. Der Dämon in ihm bekam die Oberhand und kam zum Vorschein. Angels Gegner stand auf und grinste breit. „Jetzt zeigst du, wer du wirklich bist.“ Angel knurrte nur und stürzte sich auf den Dämon.

Nur knapp konnte er jedesmal den scharfen Klingen an der Schulter des Dämons entgehen. Doch er steckte eine gehörige Tracht Prügel ein. Der Dämon schlug auf Angel ein; warf ihn gegen die Wände. Angel stöhnte. Er sah an der Wand hinauf. Da war eine brennende Fackel montiert. Angel entging dem nächsten Schlag, schnappte sich die Fackel und er setzte den Dämon damit in Brand.

Das Feuer griff über den Dämon und fraß sich in dessen Haut. Der Dämon stolperte und schrie auf. Er fiel zu Boden. Doch er konnte die Flammen nicht löschen. Der Dämon verbrannte am lebendigen Leib. Angel öffnete die Tür, durch die er gekommen war, und stolperte zurück in den Gang. Im nächsten Moment erschütterte eine heftige Explosion den Raum. Der Platz der ersten Aufgabe ging in Flammen auf. Dann war alles ruhig. Die erste Aufgabe hatte er überstanden und er hatte gesiegt.

Angel lehnte sich gegen die Wand und befühlte seine Wunde. Die Haut schloß sich langsam; die Schmerzen ließen nach. Angel schloß die Augen und straffte die Schultern. Der lange Gang führte tief in die Dunkelheit. Angels Instinkt sagte ihm das er weitergehen mußte. Und genau das tat er auch. Doch der Gang schien endlos zu sein. Also schweiften Angels Gedanken ab ...

[Moskau/Russland – Jahr 1957]

Angel hatte Natassja klarmachen können das er sich mit der Sonne nicht sehr gut verstand, wie er sich ausdrückte. Deshalb auch die verriegelten Fenster in seiner Wohnung. Irgendwie hatte er Natassja ja beibringen müssen warum seine Wohnung so abgedunkelt war. Seit drei Tagen lebte Natassja bei ihm. Und das warme Bett hatte es ihr angetan. Sie fühlte sich wohl in seiner Wohnung; in seiner Nähe.

Und Natassja stellte auch nicht viele Fragen. Sie hatte seine Erklärung wegen den verdunkelten Fenstern einfach hingenommen und akzeptiert. Das Erste, das sie getan hatte, war ... sie war ins Bett gefallen und hatte fast vierundzwanzig Stunden durch geschlafen. Und Angel hatte sie schlafen lassen. Er mußte achtgeben das sie nicht hinter sein Geheimnis kam, aber ... dieses junge Mädchen war für die Straße nicht geschaffen. Sie brauchte ein zu Hause; eine Familie oder Freunde.

Angel stand in der Küche und trank einen Schluck Blut. Da Natassja soviel schlief war das kein Problem. Sie hatte ihn nie dabei erwischt. Doch diesmal sollte er nicht das Glück haben unentdeckt zu bleiben. „Entweder hast du einen gehörigen Dachschaden oder es ist lebensnotwendig für dich das du Blut trinkst“, ertönte Natassjas Stimme hinter ihm. Angel fuhr herum und erschrak heftig.

Sie stand – in einen dicken Pullover von ihm gehüllt – am Küchentisch und beobachtete ihn. „Natassja, ich ...“ Natassja starrte ihn entsetzt an. „Angel, dein Gesicht ...“, stammelte sie. Verdammt, dachte Angel gequält. Nun hatte er keine andere Wahl. Er mußte ihr alles sagen. Und er konnte nur hoffen, daß sie nicht das machen würde was die Menschen im Hyperion Hotel getan hatten.

„Es gibt eine Erklärung dafür“, fing Angel zögernd an. „Welche?“ fragte die junge Russin herausfordernd. „Natassja, ich ... ich kann dieses Geheimnis niemanden anvertrauen.“ „Wieso nicht?“ hakte sie nach. „Weil die Menschen mich wegen dem hassen und jagen würden.“ „Was? Bist du ein Massenmörder oder so was?“ „Du weißt gar nicht wie nahe du der Wahrheit bist. Natassja, ich bin ein Vampir“, gestand Angel.

Er wartete auf Natassjas Reaktion. Sie stand still da und musterte ihn. Es war totenstill in der Wohnung. Dann kam Natassja auf ihn zu und sie streckte die Hand aus. Sanft berührte sie die Konturen seiner Vampirfratze. „Ich dachte immer Vampire existieren nicht. Doch du beweist mir das Gegenteil.“ „Hast du keine Angst?“ fragte Angel verwirrt. Natassja schenkte ihm ein zartes Lächeln.

„Nein, ich vertraue dir. Und ich spüre, du bist anders“, sprach sie zögernd. Natassja lächelte ihn sanft an. „Das bin ich auch“, flüsterte Angel schwermütig. „Inwiefern?“ fragte sie als sich Angel von ihr abwandte und zu seinem menschlichen Antlitz zurückkehrte. „Ich hab eine menschliche Seele. Früher war ich der Grausamste meiner Art. Doch dann belegten mich Zigeuner mit einem Fluch. Und seit dem bin ich ein Wesen der Nacht, das nicht mehr töten kann. Ich hab mein Gewissen zurück bekommen.“ „Du hast eine Seele?“ fragte Natassja fassungslos.

Angel nickte. „Wow! Das ist ...  ich schätze, du bist ein Sonderexemplar deiner Art, oder?“ „Ja, so kann man es nennen. Wieso reagierst du so ...“ „Was hast du den geglaubt was ich mache? Schreiend aus dem Haus rennen und dich einer wütenden Meute überlassen?“ Angel nickte langsam. „Angel, mich behandelt man nicht besser. Ich weiß wie das ist, wenn man eine Ausgestoßene ist. Genau wie du werde ich geächtet und gehaßt. Ich kenne diesen Hass. Außerdem ... du hast dich um mich gekümmert; hast mir einen warmen Platz zum schlafen angeboten. Du bist mein Freund. Und egal was passiert – ob du jetzt ein Vampir bist oder nicht – du wirst es auch bleiben“, sprach Natassja und sie ging zurück ins Schlafzimmer.

Er sah ihr nach und er fühlte sich unendlich erleichtert. Sie war der erste Mensch, der ihm begegnet war, der seine Art akzeptierte. Sie reagierte nicht so wie die Menschen im Hyperion Hotel. Nein, sie war anders. Und Angel war froh das es so war. Sie vertraute ihm. Angel war froh das es einen Menschen gab, der ihn so akzeptierte wie er war ...

[Gegenwart]

Der dunkle Gang war zu Ende. Angel befand sich vor einem großen gerundeten Torbogen wider. Im Gegensatz zum Rest dieser ganzen Räume war dieser hier hell beleuchtet. Und was er sah gefiel Angel ganz und gar nicht. Es gab einen engeren Gang und von der Decke tropfte Wasser; Weihwasser wie Angel frustriert feststellte. In der nächsten Sekunde schossen Holzpflöcke aus den Wänden und brachten sich in Position. „Natürlich. Eine Prüfung wird von Etappe zu Etappe schwieriger“, sprach Angel. Der zweite Teil konnte beginnen.

~ 8. ~

„Wie es ihm da unten wohl geht?“ fragte Cordelia in die Stille hinein. Sie sah von Wesley zu Gunn und wieder zurück. „Ich bin mir sicher, die werden es ihm nicht leicht machen“, sprach Wesley vorsichtig. „Die werden alles tun damit Angel die Prüfung nicht besteht.“ „Er wird sie schaffen“, mischte sich Gunn ein. „Ich bin mir sicher. Angel schafft das. Hey, er ist ein Vampir. Er ist stark. Er schafft das.“ Gunn straffte die Schulter.

„Trotzdem will ich das es bald vorbei ist. Ich meine, Angel ist dort unten ganz auf sich allein gestellt und niemand weiß was ihn erwartet. Ich mache mir Sorgen. Angel ist mein Freund.“ „Er ist unser aller Freund. Gunn hat recht“, sprach Wesley. „Angel wird das schaffen. Er ist zu allem entschlossen. Angel wird nicht aufgeben. Er weiß was auf dem Spiel steht. Ich glaube, es ist ihm wichtiger die Seele seiner Freundin zu retten als seine eigene. Angel weiß, daß diese Geschichte erst dann für ihn beendet ist wenn er Natassja erlöst hat. Und er wird das schaffen. Wir müssen einfach daran glauben. Wir müssen an ihn glauben.“ Cordelia nickte langsam. Und wieder herrschte Schweigen zwischen Angels Freunden.

Angel starrte auf die Decke. Das Weihwasser tropfte in regelmäßigen Abständen von der Decke und bedeckte den Boden. Die Holzpflöcke waren spitz und schienen nur darauf zu warten sich endlich in einen Körper bohren zu dürfen. „Es war klar das sie es mir nicht leicht machen“, murmelte Angel und er straffte die Schultern. „Ich tue das ganz allein für dich, Natassja“, sprach Angel sich Mut zu und er lief los.

Sobald Angel den Gang betrat schossen die Holzpflöcke aus ihren Positionen. Nur haarscharf entkam Angel den Pflöcken jedesmal. Die Spitzen streiften seine Kleidung und zerrissen das Hemd. Doch sie kamen nicht in die Nähe seines untoten Herzens. Das Weihwasser tropfte auf seine Hand. Es brannte sich in seine Haut, doch Angel ignorierte den Schmerz.

Geschickt wich er den fliegenden Holzpflöcken aus und kam am anderen Ende des Ganges zum stehen. Er riß die Tür auf und stürzte hindurch. Mit einen lauten Knall flog die Tür ins Schloß. Angel lehnte sich dagegen und wartete einen Moment. Er blickte auf seine Hand. Die Brandwunde war deutlich zu sehen. Doch sie würde wieder heilen. Angel öffnete die Augen und blickte sich um.

Es überraschte ihn nicht das er sich erneut in einen langen Gang befand. „Okay, es kann ja nur schlimmer werden“, murmelte Angel und er ging los. Die Brandwunde ignorierte er. Sein Hemd war sowieso schon ruiniert und er riß sich die letzten Fetzen vom Leib. Er war bereit; bereit für die nächste Aufgabe dieser Prüfung.

An den Wänden des Ganges waren Fackeln befestigt worden damit der Besucher, der sich dieser Prüfung unterzog, den Weg erkennen konnte. Der Gang erschien Angel erneut endlos. Es war, als hörte er gar nicht mehr auf. Doch inzwischen wußte Angel, daß sich das sehr schnell ändern konnte. In dieser einsamen Abgeschiedenheit holten die Erinnerungen Angel wieder heim. Es waren die Erinnerungen an seine Zeit mit Natassja. Doch diesmal kehrten seine Gedanken zu jenen Tag zurück, den er am liebsten für immer vergessen wollte ...

[Moskau/Russland – Jahr 1957]

Seit einigen Wochen lebte Natassja nun schon bei Angel. Wie sie wurde auch er etwas lockerer und er gab ihr einen Einblick in sein Leben als Vampir, der mit einer Seele bestraft worden war. Angel erzählte ihr von seinen früheren Leben. Er vertraute ihr seine Taten an und Natassja hörte ihm still zu. Sie vertraute ihm. Das spürte Angel ganz deutlich. Und sie schien sich langsam, aber sicher, bei ihm wie zu Hause zu fühlen. Angel wußte: Das erste Mal in ihrem Leben hatte Natassja ein richtiges zu Hause.

Doch neben dem fröhlichen Mädchen, das immer einen lockeren Spruch auf den Lippen hatte, gab es noch eine andere Natassja. Angel hatte ihre Stimmungsschwankungen natürlich bemerkt. Das blieb ihm nicht verborgen; wo er doch mit Natassja zusammenwohnte. War sie in der einen Minute fröhlich ... war sie in der nächsten depressiv und in sich gekehrt. Dieses Verhalten bereitete ihm Sorgen. Natassja bedrückte etwas und er fragte sich was es war.

Schon oft hatte Angel versucht sie zum reden zu bringen, doch über das, was sie traurig stimmte, sprach Natassja nicht. Auch wenn sie sich bei ihm wohl fühlte, Angel hatte das Gefühl, daß er nicht richtig an sie herankam. Sie schien nicht zuzulassen das er tief in ihre Seele blickte. Sie schien Angst davor zu haben was Angel finden würde. Er machte sich Sorgen um sie. Er wußte, daß es so nicht weitergehen konnte. Ihr Kummer war einfach zu groß als das sie allein damit fertig werden konnte. Natassja wandelte auf dünnen Eis und Angel hatte Angst das sie einbrechen würde.

Angel stand im Türrahmen zu seinen Schlafzimmer und er beobachtete Natassja. Sie lag – in eine Wolldecke eingewickelt – im Bett und starrte einfach nur vor sich hin. „Natassja?“ Sie reagierte nicht auf seine Stimme. Angel seufzte und kam ans Bett. Er setzte sich zu ihr. „Sag mir, was dich so depressiv macht“, bat er. „Natassja, vielleicht kann ich dir helfen. Ich sehe das dich etwas quält. Sag mir, was es ist.“ Doch die junge Russin schwieg.

„Okay, wie du willst. Ich bin kurz weg. Ich muß ... mein Blut holen. Aber ich bin bald wieder da. Kann ich dich allein lassen?“ Natassja nickte. „Sicher“, murmelte sie. „Na gut.“ Angel strich ihr sanft über das Haar und stand auf. Er ließ sie allein im Schlafzimmer zurück. Angel zog seinen Mantel an und verließ die Wohnung. Als er ging, wußte er nicht, daß es das letzte Mal gewesen war das er Natassja lebend gesehen hatte.

Natassja war allein. Es war still in der Wohnung. Jedenfalls für eine kurze Zeit. Denn die Stimmen kehrten zurück. Es waren die Stimmen, die Natassja seit Jahren verfolgten. Die Stimmen hatten keine körperliche Form. Doch sie waren da. Natassja hörte sie und das, was die Stimmen zu ihr sagten, quälte sie.

„Du bist ein nichts“, sprachen die Stimmen. „Du bist es nicht wert zu leben. Du hast keine Familie, keine Freunde. Du bist allein.“ „Nein, daß ist nicht wahr“, rief Natassja verzweifelt und sie sprang auf. Sie stolperte aus dem Schlafzimmer und fand sich in der Küche wider. „Doch, es ist wahr“, flüsterten die Stimmen ihr einschmeichelnd ins Ohr. „Du quälst dich nur wenn du weiter lebst. Du bist ein nichts. Die Menschen hassen dich. Du bist allein. Du hast niemanden.“ „Doch, ich habe ...“ „Den Vampir?“ spotteten die Stimmen um sie herum.

„Der kann dir auch nicht helfen.“ „Doch, er kann. Angel ist mein Freund“, flüsterte Natassja. „Ist er nicht. Er wird nie dein Freund sein. Er fühlt sich nur einsam und braucht etwas Gesellschaft und du kamst ihm da genau richtig. Er hat dich nur von der Straße geholt, damit er jemanden um sich hat. Doch sorgen ... tut er sich nicht um dich. Du bist ihm völlig egal. Er denkt nur an sich.“ „Nein, daß ist ...“ Natassja versagte die Stimme.

Die Stimmen wurden immer lauter. Sie quälten Natassja immer mehr und sprachen ihr Zweifel ein. Sie ließen sie deprimiert werden. Natassja konnte die Stimmen nicht mehr ertragen. „Laßt mich in Ruhe“, bat sie verzweifelt und sie sank schwach auf das Sofa. „Wir können nicht“, flüsterte eine der vielen Stimmen. „Wir können dir helfen deine Qualen zu beenden.“ „Wie?“ „Beende es! Beende dein unerträgliches Leben und du wirst den Frieden finden, den du verzweifelt suchst. Du gehörst nicht in diese Welt. Dir ist das Leben nicht bestimmt.“ Wie von Zauberhand öffnete sich eine der Küchenschubladen und ein Messer wurde herausgeholt.

Das Messer sank neben Natassja auf das Sofa. „Tue es“, flüsterten die Stimmen. „Niemand wird dir nachweinen. Du hast niemanden auf dieser Welt, dem du etwas bedeutest. Auch dem Vampir wird es egal sein ob du lebst oder nicht. Tue es! Nur so kannst du deinen Frieden finden. Dir ist es nicht bestimmt zu leben. Beende dein nutzloses Dasein auf dieser Erde.“ Die Stimmen verschwanden und ließen Natassja allein.

Natassja starrte auf das Messer. Sollte sie es wirklich tun? Tief in ihr rief eine Stimme nach Erlösung. Wie in Trance griff sie danach. Sie traf ihre Entscheidung. Die Stimmen hatten recht. Sie war nutzlos und niemanden interessierte es ob sie am Leben war oder nicht. Es interessierte auch Angel nicht. Er würde sie sowieso nie verstehen können. Er war kein Mensch. Natassja schloß die Augen und schnitt sich die Pulsader an beiden Händen auf. Sie saß völlig ruhig da und wartete auf den Tod. Sie wollte nicht mehr leben. Sie wollte einfach nur weg aus dieser Welt. Und Natassja fühlte wie der Tod immer näher zu ihr kam ...

Als Angel zurück kam, merkte er sofort, daß etwas nicht stimmte. Angel stellte die Tüte, die er bei sich trug, in der Küche ab. „Natassja?“ Alles war ruhig. Und das mißfiel Angel. Er hatte so sehr gehofft, daß Natassja sich wieder gefangen hatte, wenn er wieder da war. Da fiel Angels Blick auf die offene Schublade. Angel sah sofort das ein Messer fehlte und die Alarmglocken schrillten in ihm los. Er ahnte, was hier los war. Doch er weigerte sich daran auch nur einen Gedanken zu verschwenden.

Angel drehte sich um und entdeckte Natassja liegend auf dem Sofa. „Natassja“, rief er ihren Namen. Doch sie reagierte einfach nicht. Bewegungslos lag sie einfach nur da. Als Angel näher kam, sah er, daß sie nicht atmete. „Mein Gott, bitte nicht“, flehte er. Angel kniete sich neben das Sofa und drehte Natassjas Gesicht zu sich. Sein Blick fiel auf die Wunden an ihren Händen. Das Sofa war voller Blut. Angel tastete nach ihrem Puls, obwohl er wußte, daß es sinnlos war.

Sie war tot. Natassja hatte sich das Leben genommen. „Warum hast du das getan? Warum hast du diesen Ausweg aus deinen trostlosen Leben gewählt?“ flüsterte Angel traurig. In seinen Körper machte sich eine große Traurigkeit und ein großer Schmerz breit. Angel konnte es nicht glauben. Warum hatte sie das nur getan? Angel strich ihr sanft das Haar zur Seite. Sein Finger glitt an ihrer Wange entlang. „Warum, Natassja, warum?“ fragte er leise. Angel schüttelte den Kopf und trauerte um das Straßenmädchen, für das er sich verantwortlich gefühlt hatte ...

[Gegenwart]

Angel schüttelte den Kopf. Er konnte es noch immer nicht glauben. Noch immer hatte er dieses Bild vor Augen; Natassja - tot auf seinen Sofa. Für ihn war es unfaßbar warum sie das getan hatte. Was hatte sie dazu getrieben? Warum hatte sie nicht den Mut gehabt ihm ihre Sorgen anzuvertrauen? Er hätte alles getan um ihr aus ihrer depressiven Krise zu helfen. „Ich hätte sie niemals allein lassen dürfen“, murmelte Angel, während er seinen Weg über den Gang fortsetzte.

Wäre ich bloß bei ihr geblieben ... wäre sie am Leben geblieben, dachte er bedrückt. Sie hätte sich niemals das Leben nehmen können ... wenn ich nur bei ihr geblieben wäre, schoß es ihm durch den Kopf. Diese Schuld quälte Angel sehr. Er hatte sie allein gelassen. Und als er wieder gekommen war, hatte sie tot auf dem Sofa gelegen. Angel fühlte sich so schuldig. Er fühlte sich für ihren Selbstmord verantwortlich. Vielleicht hatte er ihr nicht genug geholfen. Vielleicht war er zu wenig für sie dagewesen. Er hätte hartnäckiger sein müssen. Er hätte darauf bestehen müssen, daß sie ihm sagte, was mit ihr los war. Doch das hatte er nicht getan.

Er hatte seine Chance versäumt sie aufzufangen. Deshalb war es ihm jetzt um so wichtiger ihr zu helfen. Diesmal würde er für sie da sein. Er würde um sie kämpfen. Und wenn er sein Leben dabei verlor ... diesmal würde er Natassja nicht allein lassen. Angel würde bis zum bitteren Ende kämpfen – nur für Natassja. Das war er ihr einfach schuldig. Er war der Einzige, der sie von ihren Qualen erlösen konnte. Und er würde nicht versagen. Allein für Natassja würde er diese Prüfung überleben.

Angel wurde aus seinen Gedanken gerissen als der Weg zu Ende war. Er befand sich vor einer schweren Tür. Augenblicklich fragte sich Angel was ihn dahinter erwartete. Du erfährst es nur wenn du gehst, dachte Angel und er stieß die Tür auf. Er trat in einen dunklen Raum, der nur von zwei Lampen schwach beleuchtet wurde. Die Tür fiel hinter Angel ins Schloß. Er wartete. Doch nichts rührte sich. Niemand zeigte sich.

„Okay, was soll das? Ich will hier nicht die ganze Nacht warten“, rief Angel. Seine Stimme prallte an den Wänden ab. Angel blickte sich um. Es war niemand hier; niemand außer ihm. „Hallo Angel“, sprach auf einmal eine Stimme. Angel fuhr herum. Erschrocken starrte er auf die Frau, die da stand. Er konnte es nicht glauben. Angel fand sich ausgerechnet Jenny Calendar gegenüber.

~ 9. ~

„Jenny“, flüsterte er schwach. „Schön, daß du dich noch an mich erinnerst“, sprach sie. „Was ... was machst du hier? Du bist doch ...“ „Tot?“ fragte Jenny. „Tja, daß bin ich wohl. Das hier ist eine Prüfung, die dir auf den  Leib geschrieben wurde, Angel. Das ist deine Prüfung und du wirst mit dem konfrontiert was dein Leben betrifft. Ich denke, ich gehöre dazu, oder?“ Jenny kam näher. Angel wich automatisch einen Schritt zurück.

„Du fragst dich gerade was du hier besiegen sollst, richtig?“ Angel nickte. „Tja, daß kann ich dir nicht sagen. Ich bin hier weil ich ein Teil deiner Prüfung bin. Sag mir, warum willst du die Seele dieses Mädchens retten? Sie ist doch nur ein unbedeutendes, kleines Straßenmädchen. Ihr Leben hatte keinen Wert. Sie ist wertlos. Sie hat nie jemanden etwas bedeutet.“ „Das ist sie nicht“, widersprach Angel heftig. „Natassja hat mir etwas bedeutet“, sprach er ruhig.

„Natassja war ein Mensch, der Hilfe brauchte. Leider konnte ich ihr diese Hilfe nicht geben. Doch jetzt werde ich beenden was ich damals angefangen habe. Ich werde sie retten – egal, was ich dafür opfern muß.“ Angel schwieg einen Moment. „Es tut mir leid, Jenny. Ich kann nicht rückgängig machen was ich getan habe. Doch ich versuche wenigstens einen Teil meiner Schuld wieder gut zu machen.“ „Allerdings. Glaubst du, es gelingt dir? Glaubst du wirklich du kannst für alles Buße tun was du getan hast?“ fragte Jenny herausfordernd.

Angel schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, daß kann ich nicht. Aber ich tue mein Bestes. Vielleicht kann ich einen kleinen Teil von meiner Schuld wieder gut machen. Ich erwarte nicht das meine Opfer mir verzeihen. Ich kann nichts erwarten was ich selbst nicht fertig bringe. Doch es geht hier nicht um meine Schuld. Es geht um Natassja.“ „Stimmt“, pflichtete Jenny ihm bei. Sie trat nahe an Angel heran und legte ihm eine Hand auf die Schulter.

Der Vampir zuckte unter der Berührung zusammen. Jenny zu sehen ... das tat ihm weh. Er hatte all das niemals gewollt. Er wußte, mit ihrem Tod hatte er Giles sehr weh getan. Und das war nicht zu verzeihen. Angel erwartete es auch gar nicht. Sein Verhältnis zu Buffys Wächter hatte sich etwas gebessert. Doch verzeihen würde Giles ihm nie, daß wußte Angel. Jedoch hatte er diese Dinge hinter sich gelassen. Sunnydale war vergangen. Er lebte nun in  Los Angeles und versuchte die schrecklichen Taten seiner Vergangenheit wieder gut zu machen. Mehr konnte er nicht tun.

„Was bist du bereit aufzugeben für dieses Mädchen, das du nicht hast retten können?“ sprach Jenny. Angel blickte ihr tapfer in die Augen. Plötzlich wurde ihm klar warum Jenny diese Aufgabe durchführte; worum es hier eigentlich ging. Man wollte wissen was er bereit war für Natassja zu opfern. „Mein Leben“, sprach er schließlich. „Mir ist egal was mit mir passiert. Ich will nur sie retten. Natassja hat genug gelitten. Ich will, daß sie endlich erlöst wird. Sie soll endlich ihren Frieden bekommen.“ „Du könntest deine Seele verlieren“, sprach Jenny und sie trat einen Schritt zurück.

„Was spielt das schon für eine Rolle? Ich würde mein Leben geben um Natassja zu retten“, gestand Angel. „Dein Leben gegen ihre Erlösung?“ fragte Jenny. Angel nickte. „Ja, wenn mein Tod das Einzige ist, daß sie retten kann ... dann opfere ich mein Leben für sie.“ Jenny nickte. Sie drehte sich zu ihm um und legte eine Hand auf sein untotes Herz. Prüfend sah sie Angel an.

Ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Du hast diese Aufgabe bestanden. Deine Antwort ist ehrlich. Sie kommt aus der Tiefe deiner Seele“, sprach Jenny. Jenny drehte Angel den Rücken zu und verschwand im hinteren Teil des Raumes. Jedoch drehte sie sich noch einmal zu Angel um. „Doch die schlimmste Aufgabe hast du noch vor dir. Wir werden sehen ob du die überstehst“, sprach sie, dann war sie in der Dunkelheit verschwunden.

Der Raum um Angel verschwand. Er fand sich plötzlich im Gang wider. Angel blickte sich um. Sein Blick fiel auf seine Hände. Sie zitterten. Er hatte gewußt, das die Prüfung schwierig sein würde. Doch das man ihm ausgerechnet Jenny schickte fand er nicht mehr lustig. Die Begegnung mit Jenny hatte ihn sehr mitgenommen. Angel schüttelte den Kopf. Er durfte nicht darüber nachdenken; er durfte sich davon nicht ablenken lassen. Das war genau das was diese Vorboten der Hölle erreichen wollten.

Sie wollten ihn mit aller Macht von seiner Mission ablenken. Sie wollten verhindern das er die Prüfung schaffte. Den, wenn er sie schaffte, mußten sie eine gequälte Seele gehen lassen. Und das wollten sie nicht. Angel ahnte, daß es noch nie jemand bei dieser Prüfung soweit geschafft hatte wie er. Die Meisten waren wahrscheinlich schon an der ersten Aufgabe gescheitert. Angel hatte nur noch zwei Aufgaben vor sich, dann hatte er die Prüfung überstanden. Und das gefiel den Vorboten der Hölle nicht. Mit aller Macht wollten sie verhindern das Angel die Prüfung wirklich bestand.

Unruhig lief Cordelia auf und ab. Immer wieder blickte sie auf die Stelle am Boden, wo Angel verschwunden war. „Ich halte das nicht mehr aus“, sprach Cordelia und sie strich sich ein paar Haarsträhnen aus dem Gesicht. „Cordy, setz dich wieder hin.“ „Ich kann nicht. Diese Warterei zerrt an meinen Nerven. Wieso dauert das solange?“ „Ich weiß es nicht“, sprach Wesley ehrlich. „Was ist ...“ Cordelia entgleisten die Gesichtszüge.

„Oh mein Gott! Was ist, wenn er nicht mehr lebt? Wenn er bei der Prüfung schon umgekommen ist?“ fragte Cordelia panisch. „Cordelia, beruhige dich! Er lebt sicher noch“, sprach Gunn. „Und was ... wenn nicht? Ich meine, er ist jetzt schon gut zwei Stunden da unten. Da stimmt doch was nicht“, sprach Cordelia. Wesley stand auf und legte Cordelia eine Hand um die Schulter. „Es geht ihm sicher gut.“ „Das kannst du nicht wissen. Angel könnte da unten – weiß Gott – was passiert sein! Er ist völlig allein.“ „Er schafft es“, sprachen Gunn und Wesley gleichzeitig.

Cordelia lehnte ihren Kopf schwach an Wesleys Schulter. „Ich habe Angst um ihn“, gestand sie offen. „Wir haben keine Ahnung was da unten vor sich geht; wie die Prüfung aussieht. Ich meine, ... es ist doch offensichtlich das diese Prüfung nicht leicht sein wird. Er hat sich auf einen Kampf auf Leben und Tod eingelassen. Diese Vorboten der Hölle werden alles tun damit Angel scheitert.“ „Er wird nicht versagen“, sprach Gunn energisch.

„Wie kannst du dir da nur so sicher sein, Gunn?“ fragte Cordelia. „Ich weiß, wie wichtig Angel diese ganze Sache ist. Leute, er hat den weiten Weg von Los Angeles nach Russland auf sich genommen um Natassjas Seele zu retten. Angel ist bereit alles zu tun um ihr zu helfen. Doch es geht hier auch um ihn. Wenn er Natassja befreit und sie ihren Frieden bekommt, dann verliert er seine Schuld. Er fühlt sich für ihren Tod verantwortlich“, sprach Gunn.

„Und nur wenn sie ihren Frieden bekommt, kann auch er diese Sache abschließen und mit gutem Gewissen an Natassja zurückdenken. Er wird niemals zulassen das diese Wesen ihn daran hindern Natassja zu retten. Er wird den Vorboten der Hölle einen Strich durch die Rechnung machen. Angel ist stark. Er schafft das. Ich weiß es“, sprach Gunn. „Ich hoffe, du hast recht“, murmelte Cordelia. Wir alle hoffen das, dachte Wesley ernst. Diese Warterei zerrte an ihren Nerven. Sie alle wünschten sich das Angel lebend zu ihnen zurückkam.

Der Gang endete erneut an einer Tür. Ohne noch großartig darüber nachzudenken betrat Angel den Raum. Der Raum sah nicht anders aus als die Anderen. Sie ähnelten sich alle. Angel sah sich um. Was erwartete ihn wohl hier? Inzwischen war er wirklich auf alles vorbereitet. Nach dem Erlebnis mit Jenny hatte er eines kapiert. Alles, was man ihm mit dieser Prüfung präsentierte, konnte er nicht mit roher Gewalt besiegen. Gegen alles konnte er nicht kämpfen und die Sache hatte sich erledigt wenn sein Gegner tot war. Nein, die Prüfung hatte einen tiefgründigeren Wert. Es ging auch darum mit dem Verstand zu siegen.

Vor seinen Augen tauchten schemenhafte Gestalten auf. „Und? Mit wem habe ich es jetzt zu tun?“ fragte Angel als er den schattenhaften Wesen mit seinen Augen folgte. „Wir sind Natassjas innere Dämonen“, sprach eines der Wesen. Für einen Moment war Angel wie erstarrt. Natassjas innere Dämonen, dachte er. Und auf einmal wurde ihm alles klar. Jetzt war ihm klar warum Natassja Selbstmord begangen hatte. Man hatte es ihr eingeredet. Diese schattenhaften Wesen ähnelten dem Verhalten eines Paranoia-Dämons.

Sie hatten Natassja gequält. Sie hatten ihr eingeredet, daß sie nichts wert sei und sie niemanden auf der Welt hatte. Diese Wesen hatten Natassja Frieden versprochen wenn sie ihr Leben beendete. In Wirklichkeit jedoch hatten sie Natassja in ihre eigene, persönliche Hölle getrieben. Angel spürte, wie Wut in ihm aufkam. Mit Absicht hatten sie Natassja solange gequält und ihr falsche Hoffnungen auf Frieden gemacht ... nur damit die Vorboten der Hölle eine weitere Seele hatten, die sie bis in alle Ewigkeiten quälen und foltern konnten.

„Ihr habt sie getötet“, sprach Angel. „Nein, sie hat sich selbst gerichtet.“ „Aber ihr habt ihr das Messer in die Hand gegeben. Ihr habt Natassja solange mit Zweifeln gequält bis sie euch geglaubt hat.“ „Sie wollte den Tod. Sie war das Leben nicht wert.“ „Das ist eine Lüge“, sprach Angel und er ließ die schattenhaften Wesen nicht aus den Augen. „Natassja war ein Mensch. Sie hatte Gefühle.“ „Sie hatte niemanden auf der Welt. Sie war ein nichts. Ihr war das Leben nicht bestimmt.“ „Ihr habt ihr Frieden versprochen“, sprach Angel zornig.

„Sie hat euch geglaubt. Sie hat sich das Leben genommen weil sie glaubte, im Tod ihren Frieden zu finden. Ihr habt sie belogen.“ „Das ist unsere Aufgabe“, flüsterte eine der Stimmen. „Sie gehörte schon immer zu uns.“ „Nein“, widersprach Angel heftig. „Sie gehört euch nicht. Auch wenn sie ein armes Straßenmädchen war ... war ihr Leben sehr viel wert. Sie war etwas besonderes.“ „Natassja war allein.“ „Sie war nicht allein. Sie hatte Vladimir ... und mich“, erwiderte Angel.

Die schattenhaften Wesen umkreisten ihn. Doch Angel ließ sich von ihnen nicht einschüchtern. „Sie war allein. Natassja hatte nie einen Menschen, der sie liebte. Und deshalb gehörte sie von Anfang an uns.“ Angel schüttelte den Kopf. „Das glaubt aber auch nur ihr. Ich hatte meine Gründe warum ich mich um sie gekümmert habe.“ „Welche Gründe? Du hattest Mitleid mit ihr.“ „Nein, sie erinnerte mich an meine Schwester“, gestand Angel. „Deine Schwester? Das Mädchen, das du getötet hast – nach deiner Verwandlung?“ fragten die Stimmen scharf.

Angel nickte. „Ja, Natassja erinnerte mich an meine Schwester. Und ... ich liebte Natassja wie meine eigene Schwester. Ich wollte nie das Verbrechen – das ich an meiner Familie begangen hatte – an Natassja gutmachen. Das war nie meine Absicht. Ich wollte Natassja einfach beschützen; ihr ein zu Hause geben. Ich wollte Natassja das Gefühl geben geliebt zu werden. Und ich habe sie geliebt – wie einst meine Schwester“, sprach Angel offen.

„Dieses Gefühl für Natassja ist noch immer da. Ich werde sie immer beschützen – egal, ob sie lebt oder tot ist. Ich war der einzige Mensch, der sich nach Vladimirs Tod um sie gekümmert hat. Ich habe mich um sie gesorgt. Und ihr ... ihr werdet sie niemals kriegen. Dafür werde ich sorgen. Laßt sie endlich in Ruhe. Natassja ist nicht allein; so wie andere verlorene Seelen. Sie hat einen Freund. Und mir bedeutet sie sehr viel. Mir wird sie immer etwas bedeuten“, sprach Angel energisch.

Die Wesen hörten auf ihn zu umkreisen. Sie zogen sich zurück. „Wir haben verloren“, verkündeten die Stimmen. „Wenn eine verlorene Seele auch nur einen Menschen – oder einen Dämon, in deinen Fall – hat, der sich um sie sorgt und bereit ist sein Leben für sie aufs Spiel zu setzen ... dann müssen wir gehen. Sie bedeutet dir etwas und das vertreibt uns“, flüsterten die Stimmen. Sie zogen sich in die Dunkelheit zurück und die Tür ging hinter Angel auf. Er wußte: Er hatte auch diese Aufgabe bestanden. Angel drehte sich um und kehrte in den Gang zurück.

Laut hallten Angels Schritte im Gang wider und prallten an den Wänden ab. Er wußte genau, er hatte es bald überstanden. Und bis jetzt war die Prüfung für ihn ganz gut verlaufen. Er war noch am Leben; hatte alle Aufgaben bis jetzt gemeistert. Eine Aufgabe stand ihm noch bevor und dann war Natassja endlich frei. Dann bekam sie endlich ihren lang ersehnten Frieden. Instinktiv wußte Angel aber, daß die letzte Aufgabe mit Bestimmtheit die Schwerste der gesamten Prüfung sein würde.

Angel war endlich am Ende des Gangs angekommen. Eine schwere Tür aus Eiche baute sich vor ihm auf. Angel blieb für einen Moment davor stehen. Ein komisches Gefühl machte sich in seinen Körper breit. Es war wie eine böse Vorahnung. In ihm wehrte sich etwas dagegen diese Tür zu öffnen. Doch Angel ignorierte seinen inneren Widerstand und umfaßte den Griff der Tür. Er stieß sie auf und trat ein.

Mit einen lauten Knall schloß sich die Tür hinter ihm. Angel wurde das seltsame Gefühl, das ihn erfaßte, nicht mehr los. Etwas stimmt hier nicht, dachte er. „Schön, daß du endlich da bist. Ich warte schon eine ganze Weile auf dich“, sprach auf einmal eine Stimme aus der Dunkelheit. Angel erstarrte und ein unwohler Schauer lief über seinen Rücken. Er kannte diese Stimme; kannte sie viel zu gut. Angel schüttelte den Kopf. Das konnte einfach nicht wahr sein. Nein, daß war unmöglich.

Angel hörte Schritte, die sich ihm näherten. Er hob den Kopf und wartete. Leicht erzitterte er. Diese kalte Stimme, die er gerade gehört hatte ... er wußte, zu wem sie gehörte. Angel erkannte eine Silhouette in der Dunkelheit. Die Gestalt näherte sich ihm und trat in das schummrige Licht der Fackeln, die an den Wänden befestigt waren. Ungläubig starrte Angel auf seinen letzten Gegner. Er war es wirklich. Da stand Angelus – Angels böses Ich – der ihn höhnisch angrinste.

~ 10. ~

Das kann einfach nicht sein, dachte Angel schockiert. Er hatte mit allem gerechnet; nur nicht mit ihm. Ausgerechnet sein böses Ich – er selbst – war sein letzter Gegner. Angel richtete seine Augen wieder auf seinen Gegenüber. Es bestand kein Zweifel. Es war wirklich Angelus. Er trug sein Haar länger und er trug Kleider aus dem achtzehnten Jahrhundert – so wie er es zu seinen schlimmsten Zeiten getragen hatte. „Schicke Klamotten, Kumpel“, sprach Angelus. „Trägt man das jetzt in deiner Zeit?“ „Das ... kann nicht sein“, flüsterte Angel und er reagierte gar nicht auf die spöttische Frage seines Gegners.

„Du bist wirklich überrascht mich zu sehen“, stellte Angelus fest. „Junge, es ist möglich. Weißt du warum ausgerechnet ich hier bin?“ Angel schüttelte langsam den Kopf. „Ich verrate es dir. Die letzte Aufgabe dieser Prüfung ist die Schwerste. Du bekommst den Gegner, der dein schlimmster Feind ist. Und du selbst – ich, wohlgemerkt – bin dein schlimmster Feind, Angel“, sprach Angelus kalt.

„Oh mein Gott“, flüsterte Angel. „Gott hat uns Verdammte noch nie erhört. Also, du bist hier weil du um die Seele deiner kleiner Freundin kämpfst? Wie nobel von dir.“ „Auch du wirst mich nicht aufhalten“, sprach Angel entschlossen, nachdem er sich wieder gefangen hatte. Es spielte keine Rolle ob Angelus sein letzter Gegner war oder nicht. Angel stand kurz vor seinem Ziel und auch sein altes Ich würde ihn nicht daran hindern können sein Versprechen – das er Natassja gab – zu brechen.

„Du stehst kurz vor deinem Ziel. Ehrlich, Mann, ich hätte nicht gedacht das du soviel drauf hast. Noch nie ist jemand soweit gekommen wie du.“ „Ich komme noch weiter“, sprach Angel. Angelus trat vor und er blickte Angel kalt an. „Dein Weg endet hier. Weiter wirst du nicht kommen. Du fürchtest dich so sehr davor wieder so zu werden wie einst; so zu werden wie ich. Warum?“ „Weil ich nie mehr ein Killer sein will.“ „Junge, daß bist du doch schon längst. Anstatt dein Vampirdasein auszuleben wie jeder andere unserer Art ... tust du Buße. Ich kann es nicht glauben! Du kämpfst für das Gute; gegen deine eigene Art. Du solltest dich schämen, Angel“, sprach Angelus.

„Du hast recht. Ich habe Angst davor so zu werden wie du. Und es ist ein ständiger Kampf gegen mich selbst. Aber ich werde gewinnen. Ich werde nicht zulassen das du mich besiegt und wieder die Menschen verletzt, die mir etwas bedeuten.“ „Verstehe! Glaubst du wirklich, du kannst mich besiegen? Das ist unmöglich. Ich bin stärker wie du.“ Angel schüttelte den Kopf. „Nein, daß bist du nicht. Meine Stärke kommt von meiner Menschlichkeit. Meine Seele macht mich stark.“ „Nein, sie schwächt dich. Gib auf, Angel! Gib auf und laß mich frei!“ Angel schüttelte verneinend den Kopf.

„Niemals. Du wirst niemals über mich siegen, du Monster!“ Angelus lachte eiskalt. Angel lief es kalt dem Rücken hinab. „Bist du dir da so sicher, Angel?“ „Ja, daß bin ich.“ „Wie du meinst“, sprach Angelus als wäre ihm Angels Meinung völlig egal. „Wir haben jetzt genug über uns geredet. Du bist hier um eine gequälte Seele zu retten. Irgendwie ist das auch deine Geschichte, oder?“ amüsierte sich Angelus über die Seele seines Gegenüber.

„Ich werde Natassja retten“, sprach Angel. „Okay, wenn du sie retten willst ... mußt du mich töten“, sprach Angelus und er verwandelte sich. Angel blickte in das Antlitz des Dämons, der tief in ihm schlummerte. Er schluckte schwer und straffte die Schultern. Er würde sie davon nicht beeinflussen lassen. „Wie du willst ... wenn ich dich töten muß um Natassja zu befreien, dann ... werde ich es tun“, sprach Angel. In der nächsten Sekunde lieferte sich Angel mit seinen alten Ich einen heißen Schlagabtausch.

Angelus packte Angel bei den Schultern und schleuderte ihn gegen die Wand. Angel prallte hart dagegen und sank zu Boden. Bevor er sich erheben konnte war Angelus schon bei ihm und zerrte ihn auf die Beine. „Du wirst mich niemals besiegen können“, sprach Angelus und er verpaßte Angel harte Schläge. Wieder ging Angel zu Boden. Angelus griff in Angels kurzes Haar und hämmerte seinen Schädel gegen die Wand.

„Du wirst niemals gewinnen. Gib auf, Angel! Natassja ist verloren.“ Das hätte Angelus besser nicht sagen sollen. Angel fing Angelus‘ Faust ab und stand auf. „Natassja wird ihren Frieden bekommen. Niemand kann mich daran hindern ihr zu helfen – vor allem nicht du“, knurrte Angel wütend und ein Hagel von Schlägen prasselte auf Angelus nieder. Angelus hob die Hände um die Schläge abzufangen, doch Angel ließ ihn gar keine Möglichkeit sich zu verteidigen.

Er packte Angelus und schleuderte ihn herum. Angelus prallte gegen die Wand; war jedoch sofort wieder auf den Beinen. Er griff Angel wütend an und die Beiden stürzten zu Boden, wo sie weiter miteinander rangen. Angel bekam die Oberhand und schlug Angelus hart ins Gesicht. Jeder Schlag wurde härter. „Du kommst hier niemals lebend raus“, sprach Angels böses Ich. Angelus lachte kalt und schleuderte Angel von sich. Angel prallte an der Wand ab und sank erneut zu Boden.

Angelus stand auf und näherte sich Angel. Angel blickte an der Wand hoch. Er sah die Fackel. Und er hatte eine rettende Idee. Angel sprang auf, griff nach der Fackel und drehte sich zu Angelus um. „Du wirst brennen wenn du nicht aufgibst“, sprach Angel gefährlich. „Los, tue es“, forderte Angelus schulterzuckend. Er blieb ruhig stehen und wartete was Angel als nächstes tun würde.

„Laß mich brennen! Tue es, Angel!“ Angel hob den Kopf und blickte seinen Gegner stirnrunzelnd an. „Hier stimmt etwas nicht“, murmelte Angel. „Was soll hier nicht stimmen? Du mußt mich nur töten ... dann ist deine kleine Freundin frei.“ „Genau das ist es“, sprach Angel und er tat die Fackel zurück in die Halterung. „Nein, ich werde dich nicht töten. Wenn ich das tue ... komme ich hier nicht lebend raus. Wenn ich dich töte ... töte ich mich“, sprach Angel ruhig.

Er hatte es gerade noch rechtzeitig erkannt. Wenn er Angelus tötete ... war Natassja verloren weil er dadurch auch sterben würde. Angelus – das Böse – war ein Teil von ihm. Und er durfte ihn nicht töten. Dadurch würde auch er sterben. Angel blickte Angelus entschlossen in die Augen. „Ich werde das nicht tun. Du bist ein Teil von mir. Das Böse gehört zu meinem Leben. Es liegt ganz allein an mir zu entscheiden wie ich leben will. Ich habe mich gegen das Böse entschieden, doch ich weiß, es ist noch da. Es ist in mir. Und es liegt ganz allein an mir es zu bekämpfen. Du bist ein Teil von mir, Angelus. Und das wird immer so bleiben.“ Angel drehte sich um und ging zur Tür.

„Glaubst du wirklich, so bestehst du deine Prüfung?“ rief Angelus ihm nach. Angel drehte sich zu ihm um. „Ja, genau so überlebe ich. Das Böse gehört zu mir. Das habe ich nun endlich akzeptiert.“ Angel umfaßte den Türgriff und hoffte, daß die Tür aufging. Das er mit seiner Vermutung recht hatte und diese Aufgabe nur so gelöst werden konnte. Angel stieß die Tür auf und sie schwang auch tatsächlich auf. „Irgendwann wirst du gegen mich verlieren“, rief Angelus ihm nach. Angel warf keinen Blick mehr zurück und trat in den dunklen Gang hinaus.

Vor ihm tat sich eine Klappe auf und Angel erkannte eine Treppe, die nach oben führte. Ein kurzes Lächeln glitt über seine Lippen. Instinktiv wußte Angel: Er hatte es geschafft. Er hatte auch die letzte Aufgabe seiner Prüfung hinter sich gebracht und bestanden. Der Weg führte aus dem Gang hinaus. Angel hatte es wirklich geschafft. Die Prüfung war vorbei und er lebte noch. Angel stieg die Stufen hinauf.

„Da“, sprach Cordelia plötzlich und sie sprang auf. Sie deutete auf das Loch, das sich im Boden auftat. Gunn und Wesley erhoben sich und warteten neben Cordelia gespannt was nun passieren würde. „Was glaubt ihr?“ fragte Cordelia mit zitternder Stimme. „Wir werden gleich sehen was passiert“, erwiderte Wesley. Die Drei atmeten erleichtert auf als sie Angel erkannten.

Angel stieg die letzten Stufen hinauf und befand sich wieder im großen Tanzsaal des alten Zarenpalastes. Seine Freunde blickten ihn erleichtert an. Hinter Angel schloß sich die Klappe. Die Drei sahen wie fertig Angel aussah. Er hatte da unten einiges erlebt. „Angel, du lebst“, rief Cordelia erleichtert. „Wie ihr seht ... ja“, kommentierte Angel. Er ließ seinen Blick umher schweifen. „Wo ist Natassja?“ fragte er. „Wir haben sie nicht gesehen. Du hast die Prüfung bestanden“, stellte Gunn fest. Angel nickte bejahend.

„Angel, ich bin hier“, sprach eine Stimme hinter ihm. Angel drehte sich um. Da stand Natassja. „Du hast es wirklich geschafft“, flüsterte sie. Angel nickte. „Ja. Du bist jetzt frei.“ „Angel ...“ Auf einmal ertönte lauter Donner. „Oh nein, nicht schon wieder“, flüsterte Cordelia genervt. „Natassja, du bleibst hier. Diesmal verschwindest du nicht“, befahl Angel. „Ich darf nicht hier sein.“ „Du gehörst denen nicht mehr.“ In diesem Augenblick erschien das Wesen, das Angel diese Prüfung auferlegt hatte.

„Du lebst noch“, stellte das Wesen an Angel gewandt fest. „Wie du siehst ... ja. Ich habe die Prüfung bestanden. Natassja gehört euch nicht länger.“ Das Wesen nickte. „Du warst bereit für sie zu sterben. Du bist mutig. Wir hätten nicht geahnt das du es wirklich schaffst. Du bist der Erste, der diese Prüfung überlebt hat.“ „Ich will das ihr euer Wort haltet“, forderte Angel. Das Wesen nickte. „Wir werden unser Wort halten. Natassjas Seele ist frei“, sprach das Wesen und es verschwand.

In diesem Moment umhüllte ein goldener Schein Natassja. Sie fühlte, wie der Schmerz von ihr genommen wurde. Sie spürte den Frieden, der sie überkam. Natassja blickte Angel fassungslos an und konnte es einfach nicht glauben. „Ich bin frei?“ flüsterte sie. Angel trat nahe zu ihr und nickte. „Ja, du bist endlich frei. Natassja, ich hatte keine Ahnung. Ich wußte nicht, daß du von diesen Schattenwesen gequält worden bist. Ich wußte nicht, daß ihre Stimmen dir Zweifel am Leben einredeten.“ Natassja lächelte schwach.

„Es tut mir leid, Angel. Ich hätte mit dir darüber reden sollen.“ „Es ist okay. Ich habe mein Wort endlich gehalten. Ich habe dir versprochen, immer für dich da zu sein. Jetzt habe ich mein Versprechen endlich eingelöst. Natassja, ich weiß was diese Stimmen dir eingeredet haben. Ich möchte dir sagen ... du warst niemals allein. Es gab jemanden, dem du etwas bedeutet hast.“ „Ach ja? Wem?“ „Mir hast du etwas bedeutet“, gestand Angel.

Natassja blickte Angel verwundert an. „Wirklich?“ Angel nickte. „Ja, du hast mir sehr viel bedeutet. Ich wollte mich um dich kümmern. Ich wollte dein Freund sein. Ich liebte dich wie einst meine Schwester. Du warst niemals allein, Natassja.“ Natassja schenkte Angel ein zartes Lächeln. „Ich danke dir. Angel, ich danke dir für alles.“ „Du brauchst mir nicht dafür danken.“ „Angel, eines muß ich dir noch sagen ... bevor ich gehe.“ „Was?“ „Hör auf, dir die Schuld an meinen Tod zu geben. Ich habe diese Entscheidung getroffen. Und jetzt wo ich frei bin und endlich meinen Frieden bekomme ... kannst auch du deinen Frieden bekommen.“ Angel lächelte.

„Das werde ich. Es wird Zeit für dich, Natassja. Jetzt kannst du endlich ins Reich der Toten eintreten.“ Natassja lächelte. „Ich danke dir“, flüsterte sie und sie beugte sich vor. Ihre Lippen streiften seine Wange. „Leb wohl, Angel.“ „Leb wohl“, erwiderte Angel. Natassja drehte sich um und verschwand im hellen Nebel der Geisterstraßen. Angel wußte, sie würde sich über die Geisterstraßen ins Reich der Toten bewegen. Sie war endlich erlöst; sie war endlich frei. Nach all diesen Jahren hatte Natassja endlich ihren lang ersehnten Frieden bekommen.

„Und jetzt?“ fragte Cordelia. Angel drehte sich zu seinen Freunden um. „Ich bin müde. Ich will nur noch ins Bett und schlafen. Diese Prüfung hat mich wirklich geschafft.“ „Das denke ich mir. Es ist schön zu wissen das es dir gut geht“, sprach Cordelia. Cordelia und Wesley gingen voraus. Angel blieb noch einen Moment zurück. Prüfend sah Gunn seinen Freund an. „Fühlst du dich besser?“ fragte Gunn. Angel nickte. „Ja, ich fühle mich besser. Sie ist endlich frei. Wenn ich jetzt an Natassja zurückdenke, weiß ich, sie hat endlich ihren Frieden.“ Gunn nickte und verschwand.

Angel und seine Freunde verließen den alten Zarenpalast. Angel hatte Natassja von ihren Qualen befreit. Ihre Seele konnte endlich ruhen. Und er hoffte, daß auch er irgendwann seine lang ersehnte Erlösung bekommen würde – so wie Natassja. Ein letzes Mal blickte Angel zurück. „Leb wohl, Natassja“, sprach er noch einmal leise. Ein Lächeln huschte über sein Gesicht. Dann ließ er den Zarenpalast hinter sich und ging zu seinen Freunden. Gemeinsam traten sie die Rückreise nach Los Angeles an ...

The End


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