Thinking of a Friend
Am dunklen Himmel waren klar die Sterne zu erkennen, die die Nacht
schmückten. Der Vollmond lag über Los Angeles. Wie
jede Nacht hüllte der Glitzermantel, der die hellen Lichter
verursachte, die Stadt ein. In der Finsternis schlichen unheimliche
Gestalten durch die Wälder und Straßen. Mit jeder
neu angebrochenen Dunkelheit begann der Kreislauf des Jagens und des
gejagt Werdens von neuem. Wieder würden Menschen durch eine
übernatürliche Macht sterben, durch die kalten
Hände der Dämonen. Wieder würde diese Nacht
ihre Opfer einfordern. Es war eine Nacht wie immer. Doch für einen war es keine
gewöhnliche Nacht.
Lautlos ging Angel über den Friedhof, wandere an den
unzähligen Gräbern vorbei. Jedes einzelne Grab, das
er hinter sich ließ, erzählte ihm eine Geschichte
über das Leben, das jene verloren hatten, die hier lagen.
Angel war nicht an diesen Ort, weil er einen Dämon verfolgte,
dessen Vernichtung er um jeden Preis herbei führen wollte.
Dieses Mal war es nicht so. Dieses Mal war sein Grund ein anderer. Es
zog ihn hierher, weil es das Datum dieses einen Tages so wollte, das er von
düsteren Erinnerungen heimgesucht wurde. Es war der Tag, an
dem Allen Francis Doyle ums Leben gekommen war. Es war sein Todestag,
der dafür sorgte, das Angel sich einen Friedhof aussuchte, um
sich mit seiner Trauer zu beschäftigen.
Doyle war seit zwei Jahren tot. Und auch, wenn seitdem vieles geschehen
war, wenn sich vieles verändert hatte, war dieser eine Tag
etwas, der Angel dazu veranlasste, stärker als üblich
an seinen verstorbenen Freund zu denken. An diesen Tag suchte er
bewusst die Einsamkeit, wollte er doch alleine sein, um sich den
Schmerz hinzugeben, den Doyle bei ihm hinterlassen hatte, als er den
Tod gefunden hatte. Angel hatte Freunde in seinem Leben ... ja, die mit
ihm diesen Kampf gegen die dunklen Mächte führten,
ihm beistanden, doch niemand sollte sehen, wie sehr Doyles tragischer,
wenn auch selbstloser Tod ihn in den Tiefen seiner menschlichen Seele
verletzte ... und das noch heute.
Angel blieb an einem Grab stehen, das seine Aufmerksamkeit auf sich
zog. Das Datum auf dem Grabstein erzählte ihm, das der Mann,
der hier lag, in Doyles Alter gewesen war, als er sein Leben verloren
hatte. Ein leiser Seufzer entrang sich der Kehle des Vampirs. Wieso war
es für ihn nur so schwer, seinen Freund loszulassen und ihn in
Frieden ruhen zu lassen? Nachdem, was Doyle getan hatte, um eine Gruppe
Halbdämonen vor der selbstgefälligen und
völlig falschen Gerechtigkeit reinrassiger Dämonen zu
retten, hatte dieser es verdient, seinen Frieden zu bekommen.
Und trotzdem verging kein Tag, an
dem Angel nicht an ihn dachte, an
dem er nicht bereit war, Doyle gehen zu lassen, damit dieser aus seinem
Leben verschwand. Angel wusste, das es manchmal leichter für
ihn wäre, wenn er einfach vergessen könnte, das es
Doyle gegeben hatte. Das Problem an der Sache war nur, das Doyle ihm
wirklich wichtig gewesen war. Das seine Freundschaft es für
ihn gewesen war. Im Laufe seines langen und untoten Lebens hatte er
vielen Menschen beim Sterben zugesehen. Die Meisten von ihnen waren
durch seine eigene Hand gestorben. Doch bei keinem war es ihm je so
schwer gefallen, das Geschehene einfach zu vergessen. Der Grund
dafür war einfach erklärt. Doyle war nicht sein
Opfer, sondern sein Freund gewesen.
Doch vielleicht lag es auch ein wenig an den Umständen, durch
die der Halbdämon den Tod gefunden hatte. Doyle hatte sein
eigenes Leben geopfert, um andere zu retten. Er hatte seine, Angels,
Aufgabe übernommen. „Ich hätte an deiner
Stelle sein sollen“, murmelte Angel leise, ohne seinen Blick
von dem fremden Grabstein zu nehmen. Sie hatten nicht einmal die Chance
gehabt, ihren Freund ein würdevolles Grab zu schenken. Von der
mächtigen Explosion, die Doyle getötet hatte, war
nichts übrig geblieben. Vielleicht wären die
Tatsachen einfacher für ihn zu akzeptieren, wenn es ein Grab
geben würde, an dem Angel sich von Doyle verabschieden konnte.
Obwohl zwei Jahre vergangen waren, erinnerte sich Angel noch genau an
diesen schicksalhaften Tag, ein Tag, der alles verändert
hatte. Jedes noch so kleine Detail war ihm in seinem
Gedächtnis haften geblieben ... die
Entscheidung, die er hatte treffen wollen, um die Maschine abzustellen,
die die Halbdämonen töten sollte ... Doyles
Erkenntnis, wieso ausgerechnet er von den Orakeln auserwählt
worden war, gemeinsam mit Angel in diesen Krieg gegen die
Mächte der Finsternis zu ziehen ... Doyles fatale
Entscheidung, die er in diesen Moment gefällt hatte ... der
heftige Stoß, den Doyle ihm gegeben hatte, um Angel daran zu
hindern, die Maschine abzuschalten ... Sein Opfer, das der
Halbdämon gebracht hatte, um alle zu retten
... Nein, nichts davon hatte Angel vergessen und er
würde es auch nie, egal, wie er lange er noch lebte. Die
schmerzhafte Erinnerung daran war allgegenwärtig.
Nach Doyle waren andere Menschen gekommen, die in sein Leben getreten
waren ... Gunn und Wesley, der Dämonenjäger und der
ehemalige Wächter, Fred, die junge Frau, die sie aus Pylea
mitgenommen hatten. Und natürlich Lorne nicht zu vergessen,
den Besitzer der Bar Caritas. Doch
sie alle waren nicht dabei gewesen, als Doyle diese Entscheidung
getroffen hatte, die ihm letztendlich das Leben gekostet hatte. Nur
Cordelia war Zeuge gewesen. Angel erinnerte sich an das Versprechen,
das der Doyle damals gegeben hatte. Ja, er würde bis ans Ende
seiner Tage auf Cordelia aufpassen, ihr Leben beschützen.
Doyle hatte Cordelia das Wichtigste vermacht, das er zu bieten hatte.
Er hatte ihr seine Gabe, Visionen zu empfangen, geschenkt. Seine
Visionen ... mit denen er Angel geholfen hatte, den Unschuldigen
beizustehen. Mit seinem Tod hatte sich eine alte Tür
geschlossen und eine neue hatte sich geöffnet. So hatten sich
die Orakeln ausgedrückt, doch Angel wünschte sich,
das diese alte Tür niemals zugefallen wäre, das
dieses Vermächtnis nie nötig gewesen wäre.
Er brauchte Doyle an seiner Seite. Auch wenn er es ihm nie gesagt
hatte, hatte er dessen Freundschaft sehr geschätzt, auch wenn
Doyle ein wenig verrückt gewesen war, mit einer Vorliebe
für Glücksspiele und Alkohol, eine Kombination, die
ihn des öfteren in Schwierigkeiten gebracht hatte.
Der Halbdämon war so anders gewesen, als die Menschen, mit
denen Angel normalerweise Freundschaft schloss, wenn
überhaupt, da er eigentlich ziemlich kontaktscheu war, wenn es
die Menschen betraf. Und trotz allem war es die wertvollste aller
Freundschaften gewesen, die er je eingegangen war. Doyle hatte ihm
seine Freundschaft angeboten, ohne dafür etwas zu erwarten.
Erneut entrang sich ein Seufzen Angels Kehle. Mit der Hand strich er
noch einmal über den Grabstein und setzte sich dann wieder in
Bewegung. Mit langsamen Schritten verließ er den Friedhof und
bog zielsicher in einen Stadtpark ein, einen von vielen, da Los Angeles
unzählige dieser Anlagen zu bieten hatte.
Als er Doyle das erste Mal begegnet war, hatte er ihn für
absolut verrückt gehalten. Doch Doyle hatte ihm einen Weg ins
Licht offenbart. Er hatte seinem Vorhaben, den Menschen helfen zu
wollen, erst eine richtige Bedeutung gegeben, hatte Angel klar gemacht,
das er nicht einfach nur Dämonen vernichten konnte, sondern
das er sich auch um die Opfer kümmern musste. Doyle hatte ihm
sein Schicksal gezeigt. Ohne ihn hätte er diesen Weg, den er
eingeschlagen hatte, niemals gehen können, das wusste der
Vampir. Erst durch Doyle hatte er angefangen, an sich zu glauben, daran
zu glauben, das er in dieser dunklen Welt wirklich etwas bewirken
konnte.
Und nun war er nicht mehr da, tot, bevor Doyle die Chance besessen
hatte, richtig in Angels Kampf einzusteigen. Auch wenn Angel es nicht
zugeben wollte, hatte er manchmal das Gefühl, als
hätte Doyle ihn in Stich gelassen. Der Gedanke war
schrecklich, und Angel hasste sich selbst dafür, das er so
dachte, denn das hatte sein Freund nicht verdient. Aber Doyle war
einfach gesprungen, ohne sich wirklich im klaren darüber zu
sein, welche Konsequenzen sein Handeln mit sich zogen.
Natürlich hatte er gewusst, das er dabei sterben
würde. Was diese Tat jedoch für seine Freunde,
besonders für Angel, bedeutete, wie viel Schmerz sie
hinterließ, darüber hatte er wohl nicht nachgedacht.
Wäre Cordelia nicht gewesen, wäre an seiner
Einsamkeit nach Doyles Tod verzweifelt. Ohne Doyle war es einfach nicht
mehr dasselbe. Angel sah seine Freunde als seine Familie an und er
würde alles tun, um ihr Leben zu beschützen. Doch
Tatsache war, das es ihm nicht gelungen war, Doyle vor seiner eigenen
Entscheidung zu retten. Er hatte ihn nicht beschützen
können, sondern hatte hilflos dabei zusehen müssen,
wie sein bester Freund den Tod in Kauf genommen hatte, um nur einmal, ein einziges Mal, in seinem Leben
das Richtige zu tun.
Inzwischen hatte Angel einen Hügel erreicht und blickte auf
die glitzernde Stadt hinab, die sich in tausend bunter Farben vor ihm
erhob. Er hatte nicht alles über Doyle und dessen
Vergangenheit gewusst. Vieles hatte der Halbdämon ihm nicht
erzählt. Angel glaubte keine einzige Sekunde daran, das er
dies aus Mangel an Vertrauen nicht getan hatte. Nein, Angel wusste, er
hatte ihm dergleichen nie erzählt, weil es Doyle einfach viel
zu schwer gefallen war, in seine eigene Vergangenheit einzutauchen, sie
zu akzeptieren, die Dinge, die geschehen waren, die er mit aller Macht
versucht hatte, zu verdrängen.
Kopfschüttelnd wandte sich Angel ab und setzte seinen Weg
durch Los Angeles fort. Die Menschen, mit denen er sich heute umgab,
bereicherten sein Leben, doch sie füllten nicht die Leere, die
Doyle hinterlassen hatte. Dieses schwarze Loch war noch immer da und
Angel schaffte es einfach nicht, es los zu werden. Er sah keinen Sinn
im tragischen Tod seines Freundes, weigerte sich, diesen Sinn, wenn er
da sein mochte, zu akzeptieren. „Ich hätte sterben
sollen, nicht er“, sprach Angel mit leiser Stimme, wusste,
das diese Worte für niemanden außer ihm selbst
bestimmt waren. Nach wie hatte er dieses Gefühl, das er selbst
an diesen Tag hätte sterben sollen. Das es seine Aufgabe
gewesen wäre, sich zu opfern, nicht die von Doyle.
Doyle war tot, weil er nicht schnell
genug reagiert hatte, um ihn von seinem Vorhaben abzuhalten. Er hatte
Angel einfach überrumpelt. Noch nie in seinem Leben war sich
der Vampir so nutzlos vorgekommen als nach Doyles Tod. Nicht einmal als
er Sunnydale und somit auch Buffy verlassen hatte, hatte er sich so
schlecht, so voller schlechtem Gewissen, gefühlt. Doyle war
direkt vor seinen Augen gestorben, hatte eine Tat
durchgeführt, die in Angels Pflicht gefallen wäre. Er
hatte nichts tun können, um es zu verhindern. Und selbst
heute, zwei Jahre nach diesen dramatischen Ereignissen, fragte Angel
nach einem Grund für Doyles Handeln, einen Grund, der ihn auch
zufrieden stellte, den er akzeptieren konnte, mit dem er, verdammt noch
Mal, leben konnte.
Doch egal, welche Antworte es darauf auch gab, es reichte Angel nicht.
Sein Freund war tot. Das war die schreckliche Wahrheit. Und nichts und
niemand konnte ihn zurück bringen, konnte den Schmerz
auslöschen, den Angel für den Rest seines untoten
Daseins ertragen musste. Sein Leben würde weiter gehen. Aber
um welchen Preis? Alles hatte sich verändert, seit Doyle nicht
mehr da war. Außer ihm hatte es niemanden gegeben, der die
Fähigkeit besessen hatte, Angel zu bremsen, wenn es
nötig war. Er hatte ihm näher gestanden, als all die
anderen. Niemand hatte ihn besser verstanden als Doyle mit seinen
unkonventionellen Methoden, nicht einmal Buffy.
Wohin Angels Beine ihn trugen, bemerkte er erst, als er an seinem Ziel
angekommen war. Er stand vor dem abgebrannten Gebäude, das
einst sein Büro und seine Wohnung beherbergt hatte. Hier hatte
Doyle auf ihn gewartet, um ihn in sein Schicksal einzuweihen. Ihre
erste Begegnung hatte in Angels Wohnung stattgefunden, in der Doyle
einfach aufgetaucht und ihn voll gequatscht hatte. Es war der eine Moment gewesen, der Angel in
die Richtung geführt hatte, in die er sich heute bewegte.
Diese eindrucksvolle Begegnung mit Doyle hatte sein Leben zu dem Weg
gelenkt, den er heute beschritt. Hier hatte alles angefangen.
Schweigend blickte Angel auf die Trümmer. Die Stadt hatte das
Gebäude bis heute nicht wieder aufgebaut, vielleicht einfach
aus dem Grund, weil sie es als nicht so wichtig erachteten, ihr Geld
darin zu investieren. Das zerstörte Gebäude war ein
Zeichen für Angels Trauer, für das, was von Doyle
zurück geblieben war. Ja, er war stolz auf seinen Freund ...
wegen dem, was er getan hatte. Doch es hatte ein Leben eingefordert,
das niemals hätte beendet werden dürfen. Es war egal,
wie sehr sich Angel wünschte, Doyle hätte
überlebt, es würde dennoch nie eintreffen. Er hatte
die wichtige Stütze in seinem dunklen Leben verloren, gerade,
als er begonnen hatte, zu begreifen, wie wertvoll und wichtig Doyle
für ihn war.
Durch das, was geschehen war, war Angel die Möglichkeit
versagt geblieben, Doyle dies jemals zu sagen. Instinktiv
spürte der Vampir jedoch, das dies nicht nötig
gewesen wäre. Doyle hatte es gewusst. Die
Veränderung, die er durch Doyle erlebt hatte, hatte Angel
immer gewollt, und Doyle war sich im klaren darüber gewesen,
das seine Freundschaft sehr bedeutsam für den Vampir gewesen
war. Doyle war das Beste gewesen, was Angel seit langem passiert war,
was er in den Stunden, in denen er schon viel zulange alleine gewesen
war, gebraucht hatte ... Freundschaft,
Loyalität, die Gewissheit, das Doyle ihn akzeptiert hatte, wie
er war.
„Ich danke dir, mein Freund, für alles“,
sprach Angel leise und drehte sich um. Auch wenn Doyle
körperlich nicht mehr da war, begleitete er ihn dennoch. Die
Erinnerung an Doyle konnte ihm niemand nehmen. Und Angel würde
ihn in guter Erinnerung behalten, den Halbdämonen, der ihm den
richtigen Weg gezeigt hatte. Er würde immer eine Rolle in
Angels Leben spielen, in dem, was er tat, um den Schwächeren
zu helfen. Es war unmöglich, einen Menschen wie Allen Francis
Doyle zu vergessen. Diese Freundschaft würde auf ewig bestehen
und sie würde Angel dort Kraft und Mut spenden, wo er selbst
keine mehr empfand. Denn Doyle hätte niemals gewollt, das der
Vampir aufgab, weder sich selbst, noch andere. Alleine das reichte aus,
um weiter zu machen, auch wenn Doyle nicht mehr an seiner Seite war.
Und mit diesen Gedanken verschwand Angel in der Dunkelheit der Nacht ...
~ Ende ~