Titel: Erzähl mir dein Geheimnis
Autor: Tegan
Mail:
teganspirit@gmail.com

Fandom: LOST
Rating:
P6
Category:
Gedanken
Characters:
John Locke

Summary: Als es auf der Insel regnet, geht John Locke hinaus in die Natur, um seine Gedankenwelt fließen zu lassen. Er denkt zurück an die vergangenen Wochen auf der räselhaften Insel. Folgt ihm und seinen Erinnerungen ...

Disclaimer: Die Charaktere von LOST gehören nicht mir, sondern J.J. Abrams, ABC und anderen. Diese Story ist FanFiktion, mit der weder Rechte verletzt, noch Geld verdient werden soll. Ich schreibe sie boß zu meinem Vergnügen.

Note: Diese Story ist ein Geburtstagsgeschenk für meine Freundin Lilly, die ich über Fanfiktion.de kennengelernt habe. Nachdem sie dort gepostet wurde, kommt sie natürlich auch auf meine Site. In der Welt von LOST sollte man sich ein wenig auskennen, um Lockes Gedanken an frühere Geschehnisse besser verstehen zu können.


Erzähl mir dein Geheimnis
written by Tegan
© 2006 / 2007

Seit Stunden schon prasselte ein heftiger Regenschauer vom Himmel herab. Die Überlebenden waren entweder in die Höhlen, ihren eigenen Zelten oder an einen anderen trockenen Ort geflüchtet. Einheitlich warteten sie an einem sicheren Platz, einem Platz, wo sie nicht nass wurden, das Ende des Regens ab. Nur einer nicht. Nur einer war draußen, im Dschungel, inmitten des Regens und genoss die Regentropfen sogar. John Locke hatten den Wald durchquert, bis er auf der Lichtung ankam, wo Jack und einige anderen regelmäßig Golf spielten, um sich von ihrem tragischen Schicksal als Gestrandete abzulenken.

Locke mochte den Regen. Er mochte es, draußen zu sein, wenn das Wasser vom Himmel kam. Er scheute die Nässe nicht, sah es als ganz besonderes Geschenk der Natur an, ein Geschenk, dem man sich als Mensch nicht verweigern durfte. Ein kleines Lächeln glitt über seine Lippen. Er war ganz alleine auf der Lichtung. Doch das überraschte ihn nicht. Die Inselbewohner saßen alle im Trockenen, vermieden es, durch den Regen nass zu werden, weil sie es einfach nicht leiden konnten. Ihm war das ganz Recht. So konnte er im Regen baden, mit ihm sprechen, zuhören, was er der Welt erzählen wollte. Er war alleine, ganz alleine mit der Natur, diesem wunderbaren Geschöpf, das der Erde und seinen Menschen soviel zu geben hatte, wenn diese nur bereit wären, sie auch anzunehmen.

Langsam wanderte sein Blick über die einsame Lichtung. Er nahm jedes noch so kleine Detail seiner Umgebung wahr. Schließlich blieb sein Blick am dichten Wald hängen. John beobachtete das Dickicht, ließ es nicht aus den Augen. Es war, als würde er jemanden oder etwas dort suchen. Ein leiser Seufzer entrang sich seiner Kehle. Er ging ein paar Schritte weiter, bis er am höchsten Punkt der Lichtung stand. Der Regen hatte ihn völlig für sich eingenommen. Es gab kein einzigen Millimeter an John und dessen Körper, der nicht nass war. Doch es störte ihn nicht. Er liebte es einfach, im Regen zu stehen und dessen Macht zu spüren, sich davon mitreißen zu lassen.

John ließ sich auf der Lichtung im Gras nieder. Sanft strichen seine Hände über die Grashalme. Er ließ sie zwischen seine Finger gleiten und nahm das Leben in sich auf. Leben, dachte er mit geschlossenen Augen und lauschte dem Klang des Windes, der über seinen Kopf hinweg peitschte. Es war so einzigartig, so individuell, und es hatte stets eine Überraschung auf Lager. Niemand konnte voraussagen, was das Leben für einen bereithielt. Jeden Tag wartete es mit einer neuen Wendung auf, die die Gewohnheit, die im eigenen Leben herrschte, für immer verändern konnte.

In den vergangenen Wochen war soviel geschehen. John konnte noch immer nicht fassen, welches Glück man ihm beschert hatte. Das Schicksal hatte die Bahnen seines Lebens endlich umgelenkt und ihm etwas einmaliges offenbart ... nämlich diese Insel, auf der sie festsaßen. Sie war voller Geheimnisse, voller Geschehnisse, die sich niemand erklären konnte, und dennoch gab sie an ihre Bewohner soviel zurück, was die anderen nicht sahen, was sie vielleicht gar nicht erkannten. Nein, die anderen waren blind für das Geschenk, das diese Insel ihnen jeden neuen Tag machte, in dem sie auf ihr leben durften.

Ein leiser Seufzer entrang sich Johns Kehle. Er dachte zurück an sein altes Leben. Soviel hatte er verloren. Er hatte ein alltägliches, beinahe langweiliges Leben geführt. Dann war sein Vater in sein Leben getreten, eine Begegnung, mit der er niemals gerechnet hatte. John hatte sich gefreut, endlich das nachholen zu können, was ihm solange verwehrt geblieben war. Doch man hatte ihn ausgetrickst. Sein Vater hatte es nur auf das rettende Organ abgesehen, das nötig gewesen war, um sein eigenes Leben zu verlängern. John hatte sich benutzt und hintergangen gefühlt.

Doch auch in dieser dunklen Zeit hatte das Schicksal ihm einen Lichtblick geschickt. Er hatte die Liebe kennenlernen dürfen. Sie hatte ihm alles gegeben, aber er hatte es vermasselt. Das dringende Bedürfnis, von seinem Vater geliebt zu werden, hatte ihn ständig zu diesem gezogen. Er war regelrecht besessen von diesem Gedanken gewesen, hatte sich einfach nicht von ihm lösen können. Sie hatte ihn verlassen und auch sein Vater, der ihn wieder einmal nur für seine eigenen Zwecke missbraucht hatte, hatte ihn erneut fallen gelassen. Er war wieder das gewesen, was er zuvor gewesen war ... alleine.

Sein Leben hatte eine geradezu dramatische Wendung genommen, als er im Rollstuhl gelandet war. Alles hatte sich dadurch verändert. Nur schwer hatte er sich mit diesen neuen Tatsachen zurecht gefunden. John war in die Einsamkeit hinab gerutscht. Seine Arbeitskollegen hatten ihn nicht ernst genommen, hatten sich ständig über ihn und seine Träume lustig gemacht. Er hatte es ihnen allen zeigen wollen, hatte ihnen, aber vor allem auch sich selbst, beweisen wollen, dass er trotz der Einschränkung eines Rollstuhles noch immer alles machen konnte, was er sich vornahm. Sein Körper war zwar schwach, doch sein Wille war stets stark gewesen.

Doch wieder, so wie einst bei seinem Vater, war er am Unverständnis der Menschen gescheitert. Die Abenteuer-Safari, die er in Australien hatte machen wollen, war ihm verweigert worden, weil er ihm Rollstuhl saß. Obwohl er dafür bezahlt hatte, war den Veranstaltern das Risiko mit seiner Person zu groß gewesen. Sie hatten ihn einfach nach Hause geschickt, hatten ihm einfach seine eigene Entscheidungsgewalt abgenommen und über ihn bestimmt. Er war so wütend, so frustriert, gewesen, als er seinen Platz im Flugzeug eingenommen hatte. Die Stewardessen hatten sich um ihm gekümmert, so wie es ihr Job war. Dennoch war er völlig unbeachtet an Bord gewesen.

Und dann war der Knall gekommen, jener Knall, der sein Leben in eine neue Richtung gelenkt hatte. Das hatte einfach alles für immer verändert. Nun befand er sich auf einen Pfad, von dem es keine Rückkehr mehr gab. Der Absturz war die glücklichste Fügung gewesen, mit der das Schicksal ihn hatte beschenken können. Direkt nach dem schrecklichen Absturz war er aufgewacht, im Sand, und hatte seine Beine wieder bewegen können. Er war aufgestanden, hatte Jack bei den Überlebenden geholfen, hatte nicht glauben können, was hier mit ihm geschah. Die Insel hatte ihm seine Beine zurück gegeben. Das Geschenk des Laufens hatte er von ihr zurück erhalten, etwas, womit er sich längst abgefunden hatte, verloren zu haben, etwas, was er nie wieder erleben durfte.

Er hatte sich getäuscht. Er durfte es wieder erleben, jeden einzelnen Tag, stand er auf seinen eigenen Beinen, lief herum, und badete in diesem wundervollen Gefühl. Soviel war geschehen. Sie waren alle mit ihnen vollkommen fremden Menschen auf einer Insel mit Geheimnissen gelandet. Boone war gestorben, hatte sein Leben durch seinen, Johns, Fehler verloren. Der Bunker hatte ihn genauso besessen gemacht wie einst die Sache mit seinem Vater. Durch seine Besessenheit hatte er Boones Leben in Gefahr gebracht. Als sie das Flugzeug gefunden hatte, war dies Boones Untergang gewesen, genauso wie die Sache mit Sayid, als er mutwillig dessen Funkgerät zerstört hatte, um sie alle weiterhin auf der Insel zu halten.

Sie wollten alle fort von der Insel, wollten alle in ihre gewohnten Leben zurück, aber John spürte kein Verlangen danach. Zu Hause wartete nichts, absolut nichts, auf ihn. Die Insel war sein zu Hause, das zu Hause, nach dem er sich über einen solch langen Zeitraum hinweg gesehnt hatte. Sie empfanden die Insel als Bedrohung. Dies war durch die vielen, nicht zu erklärenden Geschehnisse entstanden, die stattgefunden hatten. Inzwischen wussten sie, dass sie nicht alleine auf der Insel waren. Sie teilten sich diese mit den sogenannten Anderen, eine Gruppe von Menschen, die ihre Anwesenheit auf der Insel nicht duldeten. Immer wieder gerieten sie mit den Anderen zusammen. Und immer wieder waren es nicht sehr erfreuliche, eher gewalttätige, Auseinandersetzungen.

Was hatte es mit den Anderen nur auf sich? Wie waren sie hierher gekommen? Warum duldeten sie keine anderen Bewohner auf der Insel? Und welche Ziele verfolgten sie? Schon seit der ersten unheimlichen Begegnung mit den Anderen machte sich John seine Gedanken um sie. Er fand einfach keine Antworten. Sie waren ihm ein Rätsel. Ihr Verhalten war es. Es war so absolut nicht menschlich. Warum nur hatten sie Walt entführt? Was taten sie mit dem Jungen? Nicht nur Michael, Walts Vater, machte sich Sorgen. Auch er tat es. Immerhin hatte er viel Zeit mit Walt verbracht, hatte versucht, Vater und Sohn einander anzunähern. Und dann hatten sie Walt einfach mitgenommen. Er befand sich bei den Anderen. Niemand wusste, ob es ihm gut ging, ob er überhaupt noch am Leben war.

Energisch schüttelte Locke den Kopf. Nein, solche Gedanken durfte er nicht zulassen. Sie mussten einfach daran glauben, dass Walt noch am Leben war. Die Hoffnung war eng verbunden mit dem Schicksal und sie hielt die Menschen aufrecht. Ohne Hoffnung gab es kein Leben. Sie sorgte dafür, dass man kämpfte, um sein Recht und das der anderen. Walt würde zurück kommen. Sie würden ihn finden und ihn aus den Fängen der Anderen befreien. Nein, sie würden ihnen Walt nicht überlassen. Früher oder später würde die Insel sie zu ihm führen. Die Insel würde ihnen helfen, Walt zu ihnen zurück zu bringen. Und die Insel würde ihn beschützen, würde dafür sorgen, das die Anderen ihm kein Leid antaten.

Über den Anderen lag derselbe Nebel der Ungereimtheit wie über dem Bunker. Wie war dieser hierher gekommen? Wer hatte den Bunker gebaut? Und zu welchen Zwecken genau? Dieses Rätsel war noch immer nicht aufgeklärt. Wieso errichtete jemand einen Schutzbunker unter der Erde auf einer einsamen Insel? Eine Insel, von der niemand wirklich wusste? Die in keiner Karte verzeichnet war, wie es schien? Das Geheimnis um den Bunker wurde vielleicht niemals gelöst, auch nicht, was es den mit dem Computer auf sich hatte. Was würde geschehen, wenn sie die Zahlenkombination des Alarms einmal nicht mehr eingaben? Würde die ganze Insel dann tatsächlich zerstört werden? Würde gar nichts passieren? Oder etwas völlig anderes, worüber sie nicht nachdachten?

Der Bunker warf so viele Fragen auf, doch John fand einfach keine Antworten, keine Erklärungen, die ihn zufrieden stellten. Seine Neugierde wurde einfach nicht befriedigt, in keinster Form, denn es gab so vieles, was ihn an der Existenz des Bunkers interessierte. Jedoch war niemand da, der ihm weiterhelfen konnte. Die Antworten musste er ganz alleine finden. Auch auf die Suche nach den Antworten, jene Antworten, die die Insel betrafen, musste er sich alleine machen. Niemanden interessierte das Schicksal der Insel, ihr Herz und ihre Seele. Für sie alle war nur die Frage, wie sie hier wieder herunter kamen, wie sie wieder nach Hause kamen, von Bedeutung.

Die Insel ... Ja, sie war ein Ort voller Geheimnisse, ein Ort, wie John niemals gedacht hatte, das er auf dieser Welt noch existierte, das er tatsächlich real war. Doch er entsprach voll und ganz der Wirklichkeit. Diese Insel, auch die Geschehnisse, die sie bis jetzt erlebt hatten, waren keine Einbildung. Die Insel war ein Geschenk, zu Wundern fähig. Er war der beste Beweis dafür. Dank der Insel konnte er wieder laufen. Er war nicht länger auf einen Rollstuhl angewiesen. Diese Insel, so unheimlich sie auch war, hatte ihm soviel gegeben. Das Mindeste, was er ihr schuldete, war wenigstens der Versuch, es ihr zurück zu geben, ihr zu danken, und die Insel und ihre Gepflogenheiten einfach zu respektieren.

Manchmal war das Schicksal wirklich lustig. Er fand seine Heimat, den Ort, wo er sich wirklich zu Hause fühlte, auf einer rätselhaften Insel, von der niemand zuvor gewusst hatte. Nein, er wollte hier nicht mehr fort. Die Insel gab ihm alles, was er zum Leben benötigte. Alle anderen Überlebenden sahen das natürlich nicht so wie er. Sie hatten auch Angst, Angst davor, dass sie für immer hier festsaßen, dass sie für immer ihr altes Leben verloren, und Angst davor, dass das Monster, das sich auf der Insel herumtrieb, sie holen kam. Kopfschüttelnd konnte Locke nur darüber lachen. Das Monster war nichts, was man fürchten musste. Es beschützte nur seine Insel. Und wenn man diese respektierte, bekam man auch den Respekt der Insel zurück. Dann sah das Monster keine Notwendigkeit darin, anzugreifen und seinen Ort zu verteidigen.

Als Einziger von ihnen hatte er das Monster gesehen. Von Angesicht zu Angesicht hatte er dem Monster gegenüber gestanden. Er hatte sein Versteck gesehen, war vom Monster unter die Erde gezogen worden, damit er erkannte, was wirklich hinter seinen Schatten hervor kam. John hatte die Wahrheit gesehen. Und diese hatte er nur sehen dürfen, weil die Insel es ihm erlaubt hatte. Weder sie, noch ihr Beschützer waren bösartig. Die Einzigen, die hier bösartig waren, waren die Anderen, die eindeutig nicht auf diese Insel gehörten. Sie hatten sich mit Gewalt von der Insel genommen, was sie hatten haben wollen. Darunter hatte dieser Ort gelitten. Doch eines Tages würde das Blatt des Schicksals sich wenden und mit aller Macht zurückschlagen.

Die Insel war ein guter Ort. Sie war ein Ort voller Geheimnisse, dass wusste John, aber sie hatte nichts Böses im Sinn. Vielleicht würde der Rest der Überlebenden ihres Flugzeugabsturzes das auch noch begreifen. John wünschte ihnen diese Erkenntnis. Denn nur über diesen Weg erfuhren sie, wie der Geist der Insel wirklich aussah. Ja, er hatte seine ganze Liebe für die Insel entdeckt und er würde ihr Geschenk verteidigen, bis zum Letzten, wenn es sein musste. Niemand würde diesen herrlichen Ort zerstören. Dafür würde er sorgen. Das hatte die Insel nicht verdient. In ihrer Not hatte die Insel sie alle aufgenommen, hatte ihnen gestattet, sich hier niederzulassen, um auf die erhoffte Rettung, die vielleicht niemals kommen würde, zu warten. Sie hatte ihnen ein zu Hause vermittelt, in verzweifelten Stunden, wo niemand gewusst hatte, wie es mit ihnen allen weitergehen sollte.

Langsam öffnete John die Augen, musterte den dichten Dschungel, der sich vor seinen Augen auftat. Der Wind streichelte durch die Äste der hohen Bäume. Ein leiser Seufzer entrang sich Johns Kehle. Obwohl die Gefahr durch die Anderen ständig gegeben war, fühlte er sich sicher. Die Insel würde ihm keinen Schaden zufügen, hatte ihn akzeptiert, erkannt, dass er ein Freund war. Und auch ihre Geheimnisse, von denen es noch unzählige zu lüften gab, würde sie ihm früher oder später präsentieren. „Eines Tages wirst du mir all deine Geheimnisse erzählen“, sprach er leise, während seine Augen noch immer den Wald beobachteten. „Und ich werde dann aufmerksam zuhören. Bis es jedoch soweit ist, werde ich warten. Ich kann auf deine Geheimnisse warten.“ Ein leichtes Lächeln zeichnete sich auf Johns Gesicht ab. Wieder schloss er die Augen, legte den Kopf in den Nacken, und blieb im Regen sitzen, genoss die einzelnen Regentropfen auf seiner Haut, solange, bis das Gewitter vorüber war ...

~ Ende ~


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