Mit geschlossenen
Augen stand Doktor Hannah Barnett an Deck ihres
Forschungsbootes Orcas
Heart und genoss die frische Brise des weiten Ozeans, die
der Wind zu ihr herüber brachte. Dieser wirbelte ihr langes,
goldblondes Haar wild durcheinander, etwas, was schon längst
kein nervendes Übel für sie war, etwas, das sie
stören könnte, sondern etwas, das für sie
eine Nichtigkeit darstellte. Langsam öffnete sie die Augen und
blickte auf das weite Meer hinaus, das sich vor ihr
weitflächig erstreckte. In den vergangenen Monate hatte die
Tierforscherin ihre Zeit in der europäischen
Atlantikküste rund um Island verbracht, um dort ihrer Arbeit
nachzugehen. Doch ihre eigentliche Heimat war hier.
Hier ...
Damit war der schönste Fleck auf Erden gemeint, das kleine
Fleckchen Gibraltar. Jedes Jahr um die selbe Zeit, Ende Juni, kam sie
hierher zurück, kehrte in ihr Apartment zurück, um
sich auf die kommenden und spannenden Monate vorzubereiten. Anfang Juli
kam eine große Gruppe Orca Wale, ebenfalls bekannt als
großer Schwertwal oder Killerwal, nach Gibraltar, um hier die
Sommermonate zu verbringen. Auf Wale spezialisiert zählte
Hannah, trotz ihrer jungen achtundzwanzig Jahren, zu den
führenden Experten auf diesem Gebiet. Schon als kleines Kind
war sie von den Meerestieren fasziniert gewesen. Ihr Leben lang hatte
sie nie etwas anderes tun wollen, als diese edlen Geschöpfe zu
beobachten, sie zu schützen, und alles zu tun, um ihren
Lebensraum und ihre Art zu erhalten. Für sie war dies nicht
nur eine Arbeit. Für Hannah war es ihre Bestimmung. Es war der
Grund ihrer Existenz. Sie liebte diese Wale über alles. Ihnen
gehörte ihr Herz. Denn sie waren die große Liebe
ihres Lebens.
So folgte sie den Orcas jedes Jahr über in die
Gewässer, in denen sie lebten. Doch in den Sommermonaten zog
es sie in das britische Überseegebiet, an der
Südspitze Spaniens, zurück. Nicht nur, weil sie hier
wohnte, sondern auch, weil viele Orca-Familien hier auftauchten und bis
Anfang September blieben, bevor sie weiter zogen. Und Gibraltar war
einfach ein einmaliger Ort. Die Grenze zu Spanien war nicht weit
entfernt, zog sich über eine Fläche von über
einen Kilometer entlang. Die Meeresfläche von Gibraltar war
wunderschön, ein schönes Fleckchen Erde, das ein
Geschenk an Lebensraum für die verschiedensten Meeresbewohner
war. Ja, sie konnte gut verstehen, das ihre Wale gerne im Sommer
hierher kamen.
Außerdem gab es hier ein bekanntes Naturschutzgebiet Upper Rock, das den
Einheimischen sehr wichtig und das gegründet worden war, um
den Lebensraum vieler Tiere aufrecht zu erhalten. Es umfasste auch das
Meer, jenes Gewässer, das die Orcas für sich
beanspruchten. Hier lebten die Menschen friedlich mit den Walen,
dachten nicht darüber nach, sie zu jagen und zu
töten. Hier wurden sie geschützt. Hier konnten sie in
Ruhe leben. Hannah war Angestellte der Organisation International Sealife Institute,
kurz ISLI,
deren Sitz im australischen Sydney befand, und die es sich zum Ziel
gesetzt hatte, den Ozean zu schützen, die Tiere, die darin
lebten, und auf diesen Lebensraum angewiesen waren. Und Hannah war
für die Abteilung für Orca Wale verantwortlich. Ihre
wissenschaftliche Arbeit war sehr wichtig, um mehr über die
Tiere zu erfahren, um Projekte ins Leben rufen zu können, die
auf die Orcas abgestimmt waren, um ihre Art zu schützen.
„Han?“ sprach eine Stimme sie an. Hannah wandte den
Kopf und blickte ihren Assistenten Daniel an. Der dunkelhaarige Mann
schenkte ihr ein freundliches Lächeln. „Es ist alles
vorbereitet. Und Marc ist auch schon unterwegs. Er hat unsere
Gäste, die uns ja heute begleiten, vom Hotel
abgeholt.“ Leicht verzog Hannah das Gesicht. Sie war nicht
sonderlich begeistert von dem neuen Umstand, der ihren Tag heute
begleitete. Vor einer Woche hatte sie einen Anruf ihres Chefs bekommen.
Harvey hatte ihr mitgeteilt, das sie einen Tag lang den
berühmten Schauspieler Orlando Bloom als Gast auf ihren Boot
zu begrüßen hatte. Er plante einen Kurzurlaub mit
seiner Schwester Samantha in Gibraltar und hatte von ihrem
Forschungsprojekt erfahren. Augenscheinlich hatte er großes
Interesse daran bekundet. Deshalb hatte er sich auch mit Professor
Harvey Patterson in Verbindung gesetzt, um sich zu erkundigen, ob es
möglich war, die Forscher für einen Tag zu begleiten.
Er wollte gerne die Orcas sehen. Harvey hatte natürlich
eingewilligt. Einerseits, weil dies gute Publicity für sie
bedeutete, einen berühmten Fürsprecher in der
Öffentlichkeit konnten sie immer gebrauchen, und andererseits,
weil er einer großzügigen Spende nie abgeneigt war.
Hannah konnte sich etwas besseres vorstellen, als einen
erfolgsverwöhnten und reichen Schauspieler den ganzen Tag auf
ihren Boot ertragen zu müssen. Er war sicher
fürchterlich arrogant. Das er wirklich Verständnis
für ihre Arbeit, für ihre Lebensaufgabe, empfand,
konnte sie sich nur sehr schwer vorstellen. Und ausgerechnet sie hatte
das Glück, mit einem Schauspieler hinausfahren zu
müssen und ihm ihre Orcas zu zeigen. War er tierliebend? Oder
ging es ihm hier nur um seinen guten Ruf? Ein Ruf, der zweifellos
aufpoliert werden würde, wenn er sich für eine gute
Sache einsetzte? War dieser Einsatz ehrlich gemeint? Oder nur gespielt?
Hannah hegte starke Zweifel an Orlando Bloom und seinem ehrlichen
Interesse an ihren Walen. Sie ging eher davon aus, das er nur eine
große Show veranstaltete, um die Presse bei Laune zu halten,
und der Welt zu zeigen, das ihm Wohltätigkeit wichtig war.
Diese falschen
Nettigkeiten verabscheute Hannah. Die Stars glaubten, mit
einem hübschen Foto, einer kleinen finanziellen
Unterstützung, und ein paar netten Worte war der Einsatz
für die gute Sache erledigt. Dabei war das nicht einmal der
Anfang. Wie viel harte Arbeit, wie viel Einsatz, wie viel Verzweiflung
und auch Tränen nötig waren, um diesen Kampf
für die Tiere gegen den Menschen zu führen, ahnten
die Meisten von denen doch nicht einmal im Entferntesten. Und nun
musste sie sich mit einen von ihnen herumschlagen. Wieso hatte sie in
diese Idee eingewilligt? Leicht schüttelte Hannah den Kopf.
Gut, sie hatte gar keine andere Wahl gehabt. Harvey war
festentschlossen gewesen, den Wunsch des Schauspielers zu
erfüllen. Für die junge Wissenschaftlerin bedeutete
dies, das die Verantwortung für die Sicherheit von Bloom bei
ihr lag, das sie auf ihn aufpassen musste, das sie ihm alles
erklären und zeigen musste, anstatt sich intensiv um die Daten
zu kümmern, die sie an einen solchen Arbeitstag aufzeichneten.
Ja, eigentlich hatte sie besseres zu tun, doch stattdessen durfte sie
ihn mit einer Berühmtheit
verbringen.
„Wir erledigen unsere Arbeit wie jeden Tag. Es ist ein ganz
normaler Tag“, erklärte sie knapp. „Ein
wenig ungewöhnlich wird dieser schon. Immerhin begleitet uns
heute Orlando Bloom. Mann, ich bin richtig aufgeregt. Wir haben in
wenigen Minuten eine Berühmtheit an Bord.“
„Daniel, die Wale sind wichtiger! Es gibt nichts wichtigeres
als sie.
Also, komm wieder runter“, befahl Hannah scharf. Ein leiser
Seufzer entrang sich seiner Kehle. Das sah ihr ähnlich. Sie
empfand den Schauspieler bloß als Störenfried. Nach
wie vor zählten für sie nur die Tiere. Es waren die
Wale, die ihre Nummer eins waren. Es waren die Wale, die ihr gesamtes
Leben einnahmen. Das war eine gute Sache. Doch es würde ihn
auch freuen, wenn sie mal wieder ein Date hätte. Ihr letztes
war Jahre her. Und ihre letzte Beziehung war an ihrer Liebe zu ihren
Walen gescheitert. Ryan, ihr Verlobter, hatte sie vor die Wahl gestellt
... die Orcas oder er. Hannah hatte sich für die Orcas
entschieden. Nichts, absolut nichts, stellte sie über ihre
Tiere.
Er verstand ihre Entscheidung. Von einem Forscher zu verlangen, sein
Tun aufzugeben, war geradezu ein Verbrechen. Sie hingen alle an den
Tieren, die sie zu schützen versuchten. Besonders grausam war
eine solche Handlung bei Hannah. Mit Herz und Seele gehörte
sie den Orcas. Sie gehörte zu ihnen. Diese Tiere zu beobachten
war jedes Mal aufs neue ein einzigartiges Erlebnis. Und das
Glänzen in Hannahs Augen erzählte jeden Menschen, der
die Gelegenheit besaß, sie dabei zu betrachten, das ihre
Liebe zu diesen Tieren in jeden einzelnen Augenblick, den sie mit ihnen
verbringen durfte, neu entfachte. Die Orcas in Gibraltar, die nun schon
seit Jahren hierher kamen, und die sie nun schon über einen
langen Zeitraum hinweg begleiteten, waren an die Forscher schon
gewöhnt. Es faszinierte Daniel völlig, miterleben zu
dürfen, wie Hannah mit ihnen tauchte, wie sie sie
vertrauensvoll in ihre Nähe ließen. Einfach aus dem
Grund, weil die Tiere genau spürten, das Hannah ihnen niemals
etwas antun würde. Neugierig kamen sie zu ihr,
ließen sich von ihr berühren, weil sie Vertrauen zu
der jungen Frau hatten. Daniel hoffte sehnlichst, das Orlando Bloom
heute Zeuge dieser Einmaligkeit
wurde. Sie hatten nicht jeden Tag das Glück, das die Orcas bei
ihrem Boot blieben, wenn sie die Gruppe gefunden hatten. Es
würde ihn begeistern und dafür sorgen, das er ihr
Programm unterstützte. Das war ganz im Sinne des Instituts.
Ihre Botschaft würde durch einen Schauspieler wie ihn leichter
Gehör finden.
„Schon gut! Ich werde mich professionell benehmen. Aber
findest du es nicht ein klein wenig aufregend?“
„Nein“, sprach sie mit einem entschiedenen
Kopfschütteln. Ihre Aufmerksamkeit wurde auf einen schwarzen
Jeep gelenkt, der am Hafengebäude, das von ihrem Boot aus gut
zu sehen war, auf dem für das Forschungsteam reservierten
Parkplatz hielt. „Sie sind da“, stieß
Daniel freudig aus. „Auf in den Kampf“, murmelte
Hannah und wandte ihre Aufmerksamkeit auf die drei Personen, die aus
dem Wagen ausstiegen, und den Steg herunter kamen. Ihre Augen lagen auf
Orlando Bloom. Sie interessierte sich nicht sehr für
Schauspieler, hatte sie doch nicht einmal die Zeit, ins Kino zu gehen.
Gut, er war gutaussehend. Doch alleine ein gutaussehender Mann reichte
nicht aus, um sie versöhnlich zu stimmen, das er ihr Boot
betrat und sie nichts dagegen tun konnte. Harvey hatte entschieden und
dem musste sie sich fügen. Für den Rest des Tages war
der Brite ihr
Problem.
Orlando blickte sich
neugierig um, als er den Jeep verließ. Marc, ein Mitarbeiter
des Forschungsteams, hatte sie vom Hotel abgeholt, so wie der Direktor
des Instituts es ihm am Telefon versprochen hatte. Er warf einen Blick
auf seine Armbanduhr. Die Zeiger schlugen kurz vor sieben Uhr morgens.
Dass das Team so früh zu den Walen rausfuhr ... damit hatte er
nicht gerechnet, aber er kam gut mit diesem Umstand zurecht. Immerhin
sollte er heute das erste Mal in seinem Leben freilebende Orca Wale
sehen dürfen. Da war es ihm wert, seinen Schlaf dafür
zu opfern. Ja, Orlando freute sich wahnsinnig auf diesen Tag. Und wenn
der Rest des Teams so war wie Marc, dieser redete ohne richtig Luft
dabei zu holen, würde es ein sehr entspannter und aufregender
Tag werden.
„Dann gehen wir mal! Der Tag heute wird toll. Wir haben
wunderschönes Wetter, dazu eine ruhige See! Das wird
klasse“, erhob Marc wie auf Kommando auch schon wieder das
Wort. Ein strahlendes Grinsen zeichnete sich auf seinem Gesicht ab. Ja,
das Wetter war in der Tat traumhaft. Schon zu dieser frühen
Stunde stand die Sonne hoch am Horizont und warf ihre warmen Strahlen
herab. Keine einzige Wolke hatte sich in dem blauen Himmel verirrt.
Orlando griff nach seiner Sonnenbrille und schob sie sich ins Gesicht,
um seine Augen vor der Sonneneinstrahlung zu schützen. Er
schenkte seiner Schwester, die ihn auf diesen Trip begleitete, einen
geschwisterlichen Blick, dem ein kurzes Lächeln folgte. Sie
würden nur eine Woche in Gibraltar bleiben. Sam hatte sich
sehr gefreut, als er sie gefragt hatte, ob sie mitkommen wollte.
Natürlich hatte sie sofort zugesagt. Etwas anderes
hätte Orlando auch sehr überrascht.
Schließlich kannte er seine Schwester in- und auswendig.
Zur Zeit war es ruhig um seine Person geworden. Und das war ihm nur
ganz Recht. Die Presse ließ ihn ziemlich in Ruhe, einfach
auch aus dem Grund, weil es nichts großartiges über
ihn zu berichten gab. Er genoss seine Auszeit, die Tatsache, das er
momentan überhaupt nichts tat, er war Single, es gab keinerlei
Gerüchte über eine neue Liebelei, und das war
für die Medien nicht sonderlich interessant. Ja, er war im
Urlaub. Noch verspürte er kein großes Verlangen
wieder einen Film zu drehen. Auch wenn es schöner
wäre, seine Freizeit mit einer neuen Liebe verbringen zu
können, so tat es ihm trotzdem ganz gut, einmal alleine zu
sein. An Angeboten mangelte es ihm nicht, dessen war sich Orlando
bewusst. Doch er wollte sich gerne wieder richtig verlieben, nicht
etwas kurzfristig haben, das nur in einer Affäre endete. Diese
Art von Beziehung wollte er nicht mehr. Er wollte eine Frau, in die er
sich Hals über Kopf verlieben konnte, mit der er eine Familie
gründen konnte. Bis er diese gefunden hatte, musste er seinen
Urlaub eben mit Sam verbringen.
„Bist du nervös?“ erkundigte sich Sam, als
sie an der Seite ihres Bruders auftauchte. Gemeinsam folgten sie Marc
den Steg hinunter, der auf ein großes Boot zusteuerte.
„Ich bin aufgeregt, ja, und ich freue mich wahnsinnig auf
das, was wir heute erleben werden.“ „Freust du dich
wie zu Weihnachten auf die Geschenke?“ Lachend legte Orlando
ihr einen Arm um die Schulter und drückte sie leicht an sich.
„Das trifft es ziemlich. Immerhin werden wir Orcas in freier
Wildbahn beobachten können.“ „Hattest du
dieses Glück in der Antarktis nicht?“ Verneinend
schüttelte Orlando den Kopf. Er hatte ihren Cousin Sebastian
Copeland auf dessen Reise in die Antarktis begleitet. Von all den
einmaligen Eindrücken, all dem, was sie gesehen hatten, war es
ihm nicht vergönnt gewesen, auch nur einen einzigen Orca zu
Gesicht zu bekommen. Die Wale hatten sich äußerst
rar gemacht. Und dabei hatte er sich so sehr gewünscht, diese
auf der Reise zu sehen.
„Nein, leider nicht. Aber heute ... heute ist dieser Tag
endlich gekommen“, jubelte Orlando grinsend. „Eines
sollten Sie noch wissen, bevor Sie an Bord gehen“,
erklärte Marc und blieb ruckartig stehen. Er drehte sich zu
den Beiden um. „Und was?“ hakte Samantha irritiert
nach. „Es betrifft unsere Chefin, Doktor Barnett. Hannah ist
nicht sehr glücklich über Ihre Anwesenheit. Harvey
hat ihr diese Entscheidung aufgedrängt.“
„Wieso ist sie dagegen?“ Orlando blickte zu dem
Boot, die Orcas
Heart, hinüber. An Deck stand eine schlanke
Blondine und beobachtete sie skeptisch. Nein, einen
glücklichen Eindruck machte sie in der Tat nicht. Für
einen langen Augenblick vergaß er sowohl Marc, wie auch seine
Schwester, sondern sah einfach nur die hübsche
Wissenschaftlerin an. So jung hatte er sie sich nicht vorgestellt. Und
auch nicht so hinreißend.
Gefährliche
Kombination, warnte seine innere Stimme ihn. Eine Frau,
die attraktiv und klug zugleich war, war wahrlich eine Mischung, auf
die er in der Regel ansprang. Dabei war er doch hier, um die Wale zu
sehen, nicht, um eine Frau kennenzulernen. Das war nicht der richtige
Zeitpunkt dafür. „Hannah lebt für diese
Wale. Sie hat ihnen ihr Leben verschrieben. Und sie glaubt nicht, das
Ihr Interesse ehrlich gemeint ist, Orlando. Sie hält Sie
für ziemlich arrogant ... für einen ... wie nannte
sie es Überheblichen
und egozentrischen Star.“ „Sie kennt
mich doch gar nicht. Wie kann sie so eine schlechte Meinung von mir
haben?“ „Nehmen Sie das nicht persönlich,
aber sie versucht nur, ihre Wale zu beschützen. In dieser
Hinsicht ist sie sehr ... besessen. Sie mag keine Stars.“
„Ich bin auch keiner. Ich drehe bloß
Filme“, korrigierte Orlando seinem Gegenüber.
„Das müssen Sie ihr klar machen, nicht mir. Hannah
ist kein Teufel, sondern nur jemand, der alles tut, um die Wale, die
sie liebt, vor jeglicher Gefahr zu beschützen, wenn
nötig, sogar unter Einsatz ihres Lebens.“
„Diese Tiere bedeuten ihr sehr viel, nicht wahr?“
erkundigte sich Orlando beeindruckt, als sich die kleine Gruppe wieder
in Bewegung setzte. „Ja, sie sind der Mittelpunkt in ihrem
Leben, das absolute Wichtigste darin, einfach ihre große
Liebe.“ „Mein Bruder wird ihr Herz schon erobern.
Die Frauen liegen ihm schließlich zu
Füßen.“ „Sam“, zischte
Orlando. „Was denn? Es ist doch wahr! Dein gutes Aussehen,
dein Charme, deine zuvorkommende Art ... darauf stehen Frauen nun
einmal“, verteidigte sie sich. „Ich bin nur wegen
den Walen hier.“ „Das wird Hannah sehr freuen. Denn
um nichts anderes soll es Ihnen gehen“, mischte sich Marc
ein. „Sie werden sich schon anfreunden. Solange Sie nicht
ihre Arbeit stören, wird sie Sie schon nicht über
Bord werfen.“ Ein lautes Lachen entrang sich Marcs Kehle.
Auch Sam und Orlando stimmten darin ein. Alleine die Vorstellung, wie
diese zierliche Frau Orlando über Bord warf, war geradezu
köstlich.
„Ich werde mich benehmen“, versprach der
Schauspieler kichernd. „Dann kann ja gar nichts schief gehen.
Willkommen auf der Orcas
Heart“, erklärte Marc und machte eine
ausholende Handbewegung. „Warum ausgerechnet dieser Name
für das Boot?“ Fragend sah Orlando den blonden Mann
an. Dieser grinste erneut breit. „Fragen Sie das
Hannah.“ Marc bestieg das Boot und reichte Sam die Hand, um
ihr den Einstieg zu erleichtern. Nach ihr kam Orlando auf das
Forschungsboot. Sein Blick wurde sofort von Hannah angezogen. Ja, aus
der Nähe sah sie noch bezaubernder aus als aus der Ferne. Sie
trug einen Taucheranzug, der ihre Rundungen an genau den richtigen
Stellen betonte. In ihren braunen Augen konnte er erkennen, das sie die
Entscheidung ihres Vorgesetzten nur widerwillig akzeptierte. Doch er
sah in ihren Augen auch noch etwas anderes, nämlich ihre tiefe
und bedingungslose Liebe zu den Orcas.
„Guten Morgen! Ich bin Doktor Hannah Barnett“,
stellte sie sich vor und kam auf ihren Besuch zu. Auch wenn sie ihre
Anwesenheit als Störung empfand, schenkte sie den Beiden
dennoch ein Lächeln. Selbst wenn es nicht sehr echt aussah.
„Samantha“, erwiderte Orlandos Schwester und
reichte der blonden Frau die Hand zur Begrüßung.
„Willkommen auf meinen Boot, Mister Bloom“, sprach
Hannah und hielt ihm ihre Hand entgegen, eine Geste, die Orlando gerne
annahm. In diesen Moment, in dem sie sich berührten, egal wie
harmlos es gemeint war, schien die Welt stillzustehen. Orlando
hörte das Rauschen des Meeres, spürte die sanften
Wellen, die gegen das Boot schlugen, und er fühlte den
elektrischen Schlag, der ihn durchfuhr. Unwillkürlich begann
sein Puls zu rasen, das Herz schlug heftiger gegen seine Brust, und
sein ganzer Körper schien zu vibrieren. Er war nahe daran,
sich in Hannahs warmen Augen zu verlieren.
Auch Hannah entging nicht das ihr fremde Gefühl, das wie eine
Welle über sie hereinbrach, als seine Finger die ihren
umschlangen. Sie konnte nichts anderes tun als in seine Augen zu sehen.
Noch nie war sie einem Mann begegnet, der in ihre Seele zu blicken
schien, mit einem einzigen Blick, den er ihr schenkte. Aber genau so
fühlte sie sich. Es war, als würde er ihr mitteilen,
das er sie verstand, das er ihren Kampf für ihre Wale
verstand, und das er sie darum bat, ihm ihre Welt zu zeigen
... die Welt
der Orcas. Nur langsam zog sie ihre Hand zurück,
versuchte, das Zittern zu unterdrücken, das sich ihrer Finger
bemächtigte. Schwer musste sie schlucken. Er ist nur ein Mann. Nur ein
Schauspieler, redete sie auf sich selbst ein, um wieder
zur Ruhe zu finden. Die Berührung hatte sie völlig
durcheinander gebracht. Das war noch nie einem anderen Menschen
gelungen.
„Orlando. Mein Name ist Orlando. Dieses Mister Bloom ist
nicht nötig“, erklärte er
lächelnd. Und was für ein Lächeln das war!
Es war das wohl charmanteste Lächeln, das er zu bieten hatte.
„Nennen Sie mich Hannah. Sie haben die Fahrt mit Marc gut
überstanden?“ „Ich habe mich zusammen
gerissen“, meldete sich der Forscher sofort lautstark zu
Wort, hörte den Unterton in ihrer Stimme, und wusste genau,
was dieser zu bedeuten hatte. Marc war als Raser bekannt, als jemand,
der die Geschwindigkeit liebte, und auch schon gerne einmal mit
geradezu irrsinnigen Tempo über die Straßen von
Gibraltar hetzte, mit der Polizei hinter sich. Er war schon des
öfteren aufgehalten worden, hatte sogar schon einmal seinen
Führerschein abgeben müssen. All das hinderte ihn
jedoch nicht daran, weiterhin seiner Liebe zur Geschwindigkeit
nachzugehen.
„Ja, wir haben es überlebt.“
„Gut. Dann können wir ablegen“, sprach
Hannah. Ihre Mitarbeiter verstanden und widmeten sich sofort ihrer
Arbeit. Daniel hatte das Steuer übernommen und wenig
später bewegte sich das Boot auf das weite Meer hinaus.
„Nehmen Sie Platz, wenn Sie wollen. Wollen Sie etwas
trinken?“ Während Samantha sich auf eine Bank
setzte, sich lieber im Hintergrund hielt, immerhin ging es hier
vorrangig um den Wunsch ihres Bruders, blieb Orlando an Hannahs Seite
und sah ihr neugierig über die Schulter, als sie die
hochmodernen und technischen Geräte einschaltete, die das
Institut gesponsert hatte. „Danke, nein. Wie lange werden wir
brauchen, um die Orcas zu finden?“ erkundigte sich Orlando.
„Das ist schwer zu sagen. Manchmal stoßen wir schon
nach zehn Minuten auf sie, ein anderes Mal dauert es drei Stunden, bis
wir einer Gruppe begegnen. Es ist eine Geduldsfrage.“
„Was sind das für Geräte?“
„Orca Wale kommunizieren auf einer hohen Tonlage miteinander.
Dieses Gerät hier empfängt diese, wenn sie sich in
einem Umkreis von fünfzig Metern aufhalten. Wir
können dem dann folgen und sie aufspüren. Doch oft
ist es gar nicht nötig. Denn sobald wir die Meldung erhalten,
tauchen sie wenig später auch schon auf, weil sie unser Boot
sehen.“ „Verbinden Sie es mit Futter?“
„Nein. Wir geben ihnen nichts. Sie sind Jäger. Sie
müssen ihr Futter selbst jagen. Denn sie würden sich
zu schnell daran gewöhnen, das sie ihre Beute von uns
bekommen. Das will ich nicht. Aber sie sind neugierig. Inzwischen
kennen Sie unser Boot. Orcas sind verspielte Tiere. Sie sind keine
sogenannten Killerwale. Im Gegenteil ... so sind sie sehr friedlich,
neugierig natürlich, und in keinster Weise aggressiv. Wissen
Sie über die Tiere Bescheid?“ „Nicht
besonders gut“, musste Orlando einräumen.
„Ein Orca ist auch als Großer Schwertwal
bekannt. Was die Größe betrifft ... so werden die
Männchen bis zu acht Meter lang. Die Weibchen hingegen
<nur> bis zu sechs Meter. Die Rückenflosse nennt
man Finne, die bis über einen Meter lang wird. As Flipper
bezeichnet man die Brustflossen, während die Rücken-
und Schwanzflosse Fluke genannt werden. Die Lebensdauer ist bei
Männchen und Weibchen unterschiedlich. Das männliche
Tier wird ungefähr dreißig Jahre alt. Es kann
allerdings auch vorkommen, das sie über fünfzig Jahre
alt werden. Das sind jedoch Ausnahmen. Die Weibchen hingegen werden
fünfzig Jahre alt, können aber auch eine Lebensdauer
von achtzig Jahren vorweisen. Orcas leben in Gruppen, sogenannten
Schulen, das von einem Weibchen angeführt wird. Die Jungtiere
bleiben ihr ganzes Leben über in ihrer Familie. Sie trennen
sich niemals. Orcas sind keine Einzelgänger. Sie brauchen die
Gesellschaft ihrer Artgenossen. Sie brauchen ihre Familie.“
„Wie wir Menschen“, sprach Orlando. „Ja.
Genau wie wir.“ Wieder drohte Hannah ihre Umgebung zu
vergessen, nur weil sie ihm in die Augen sah. Sie konnte die
Wärme seines Körpers spüren, die
Nähe, die er ausstrahlte. Leicht schüttelte sie den
Kopf und trat einen Schritt zurück. Er verwirrte sie, ja, das
tat er wirklich. „Es tut mir sehr leid“,
entschuldigte er sich im nächsten Moment. „Was tut
Ihnen leid?“ „Das Sie nicht gefragt wurden, ob
Ihnen unsere Anwesenheit recht ist. Ihr Boss hätte Sie das
fragen sollen. Ich will mich sicher nicht
aufdrängen.“ „Es ist nicht so, das ich Sie
nicht hier haben will ...“ „Nein?“ Hannah
schenkte ihm ein entspanntes Lächeln. „Erwischt.
Gut, ich will Sie nicht hier haben. Es ist meine Arbeit. Es ist mehr
als das.“ „Sie wollen nur Ihre Tiere
schützen. Dafür habe ich Verständnis.
Glauben Sie mir, ich würde nie etwas tun, das ihnen schaden
würde. Oder Ihrer Arbeit. Vielleicht hätte ich zuerst
Sie fragen sollen, ob ich mit Ihnen hinaus fahren darf. Ihr Boss hat
Sie wohl vor vollendete Tatsachen gestellt.“ „Das
hat er allerdings“, pflichtete sie ihm bei.
„Dann tut es mir sehr leid. Ich hoffe jedoch, das Sie Ihr
Bild über mich ändern.“ „Mein
Bild?“ „Vorurteile sind eine schreckliche
Eigenschaft. Ich bin nicht arrogant, sondern ein ganz normaler
Kerl.“ „Wer hat Ihnen das gesagt?“
„Marc“, informierte Orlando sie. Hannah blickte
sofort zu ihrem Kollegen hinüber. Dieser hatte es
plötzlich verdammt eilig, unter Deck etwas zu holen. Denn
sobald ihre Augen ihn trafen , war er auch schon verschwunden, um nicht
ins Kreuzfeuer zu geraten. Ja, manchmal redete er echt zuviel.
Für ihn selbst wäre es des Öfteren besser,
wenn er seinen Mund halten würde. Aber das war leichter gesagt
als getan. Er redete viel und gerne. Das konnte man nicht einfach so
abstellen. Deswegen geriet er auch schon mal in Schwierigkeiten.
„Marc ist ein Klatschmaul, aber ja, es stimmt. Ich halte Sie
dafür.“ „Noch immer?“
„Das kann ich nicht genau sagen. Das wird der heutige Tag
zeigen. Warum wollen Sie ausgerechnet Orcas sehen?“
„Auf meiner Reise in die Antarktis hatte ich diese
Gelegenheit leider nicht.“ „Sie waren in der
Antarktis?“ hakte Hannah überrascht nach. Damit
hatte sie nun nicht gerechnet. Was verschlug einen Schauspieler in
diese wilde und abgelegene Stück Paradies? Orlando konnte sich
ein Grinsen nicht verkneifen. Sie war an seiner Karriere wohl nicht
sonderlich interessiert. Das fand ganz seine Zustimmung. Wenn sie ihn
mochte, würde sie ihn seinetwegen mögen, und nicht
wegen seinem Berufsstand als Schauspieler, nicht wegen seinem
öffentlichen Leben.
Verdammt, was dachte er denn da? Wieso machte er sich Gedanken
darüber, ob sie ihn gut leiden konnte oder nicht? Warum wollte
er überhaupt, das sie ihn mochte? <Weil du sie
interessant findest>, meldete sich erneut seine innere Stimme.
Diese Tatsache konnte er nicht bestreiten. Er wusste doch so gut wie
gar nichts über sie, kannte sie gerade einmal eine halbe
Stunde. Wahrscheinlich hatte sie sogar einen Freund. Eine Frau wie sie
konnte unmöglich alleine leben. Das würde dich doch
freuen. Frustriert stöhnte Orlando auf. Seine
innere Stimme fing an ihn zu nerven. Gut, sie hatte nicht ganz Unrecht.
Er würde sie gerne kennenlernen. Doch er bezweifelte das sie
das auch wollte. Immerhin waren ihr nur ihre Wale wichtig. Das konnte
man ihr deutlich ansehen. Und sie hatte keine hohe Meinung
über ihm. Das konnte man allerdings ändern.
„Ich habe meinen Cousin Sebastian auf seiner Reise
begleitet“, erwiderte er, da Hannah noch immer auf eine
Antwort von ihm wartete. „Ich benötigte eine Auszeit
und das war genau das Richtige für mich, um den Medien zu
entkommen. Und so sehr wir auch Ausschau hielten, die Wale haben mir
meinen Wunsch nicht erfüllt. Ich habe sie eines nachts
gehört, habe mir meinen Anorak geschnappt, und bin nach oben
gelaufen. Doch da waren die Orcas schon wieder fort.“
„Sie sind eigenwillige Tiere. Man braucht viel Geduld, um sie
zu Gesicht bekommen zu können. Warum ist Ihnen das so wichtig,
Orlando?“ „Es sind sehr majestätische
Tiere. Sie haben mich schon immer fasziniert. Ich kann es selbst nicht
genau erklären, aber ich will sie einfach einmal im freien
Meer sehen. Sie sind ... so edel.“ „Das sind sie in
der Tat. Es sind die schönsten Tiere weltweit. Ich verspreche
Ihnen, heute werden Sie einen Orca sehen.“
„Versprechen Sie mir nichts, was Sie nicht halten
können“, erwiderte er mit einem Augenzwinkern.
„Sie haben mein Wort, Orlando.“ „Dann bin
ich hier willkommen?“ Tief blickte er ihr in die Augen,
brachte sie damit wieder aus der Fassung. Nur unter
größter Anstrengung gelang es ihr, die Kontrolle
über sich zu behalten. Seine Augen waren wirklich umwerfend.
„Ich ... ich will Sie jedenfalls nicht mehr über
Bord werfen. Als Sie im Hafen erschienen, war das mein
größter Wunsch.“ „Das ist doch
schon ein Fortschritt“, amüsierte sich Orlando.
„Entschuldigen Sie mich bitte“, murmelte Hannah,
die glaubte, gleich selbst über Bord zu gehen. Hastig stieg
sie die Leiter hinauf, die sie zu Daniel führte. Deutlich
spürte sie Orlandos Blick in ihrem Rücken. Seine
Augen brannten regelrecht auf ihrer Haut, bohrten sich durch den
Taucheranzug, und berührten erneut die Tiefen ihrer Seele.
Gott sei Dank musste sie nur einen einzigen Tag mit ihm auf dem Boot
verbringen. Würde dies eine Woche so gehen, würde sie
durchdrehen. Wieso übte er diese starke Wirkung auf sie aus?
Lag es daran, das sie schon lange kein Date mehr gehabt hatte? Das sie
schon lange Single war? Oder war er, er allein, der
Grund? Egal, was auch immer es war, es war eindeutig besser
für sie, wenn sie sich von ihm fernhielt. Ein wenig Distanz
war dringend erforderlich.
Daniel erwartete sie
schon mit einem breiten Grinsen, während er das Forschungsboot
geschickt durch die Wellen steuerte. „Was ist?“
hakte Hannah nach, als sein Blick neugierig auf ihr lag.
„Nichts“, winkte er lachend ab. „Und
wieso siehst du mich dann so an?“ „Anscheinend hast
du deine Abneigung unserem Gast gegenüber verloren.“
„Wie meinst du das?“ „Du scheinst ihn
sehr nett zu finden. Jedenfalls schließe ich das aus eurem
kleinen Gespräch. Von hier oben sah es so aus, als
hättest du dich sehr gut mit ihm unterhalten.“
„Er ist nicht übel“, wich Hannah geschickt
aus, wohlwissend, das dieser Versuch bei Daniel nicht funktionierte. Er
kannte sie von ihrem Team einfach am Besten. Sie waren nicht nur
Arbeitskollegen, sondern auch beste Freunde, kannten sich seit ihrer
Schulzeit. Auch hatten sie gemeinsam studiert. Daniel war ihre erste
Wahl gewesen, als Harvey ihr angeboten hatte, ihr eigenes Team zusammen
zu stellen. Oft wusste sie nicht, was sie ohne ihn machen sollte. Er
hatte ihr stets hilfreich zur Seite gestanden ... als Freund und als
Assistent.
„Er ist
nicht
übel?“ wiederholte Daniel
amüsiert. „Das sah aber klein wenig anders
aus.“ „Spionierst du mir schon wieder
nach?“ „Das tue ich doch dauernd ... weil ich es
bei dir muss. Du kommst ja nicht in die Gänge.“
„Sind wir schon wieder beim alten Thema?“
„Du brauchst einen Mann, Süße, und zwar
dringend.“ „Ich bin sehr glücklich mit
meinem Leben. Meine Wale füllen mich vollkommen
aus.“ „Du musst dich verlieben.“
„Die Orcas sind meine große Liebe.“
„Aber du brauchst auch eine große Liebe auf zwei
Beinen.“ „Das sehe ich
nicht
so“, widersprach sie kopfschüttelnd. „Ich
aber“, beharrte Daniel auf seiner Meinung. „Wie
lange bist du jetzt schon alleine? Zwei Jahre?“
„Drei“, korrigierte Hannah ihn mit ernster Miene.
„Süße, ich bin mir im klaren
darüber, das dich die Sache mit Ryan ziemlich
geschädigt hat.“ „Herzlichen Dank! Ich
wusste nicht, das ich einen Schaden habe“, fiel sie ihm
bissig ins Wort.
„So war das nicht gemeint und das weißt du auch.
Das Ende mit Ryan hat dich sehr verletzt. Er hat sich absolut daneben
benommen. Ich kann verstehen, das du deswegen vorsichtig geworden bist,
doch du meidest jegliche Annäherung ... aus Angst.“
„Aus Angst?“ „Ja. Du willst nicht wieder
so enttäuscht werden, willst nicht noch einmal erleben, wie
dich jemand vor diese Entscheidung stellt.“ „Es ist
ja nicht so, als wäre es das erste Mal gewesen, Daniel. Ryan
war nicht der Erste, der mich aufforderte, mich zu entscheiden, was mir
wichtiger ist ... meine Beziehung oder meine Wale. Männer
handeln irgendwann einfach so. Weil sie kein Verständnis
dafür aufbringen, das ich mehr Zeit den Orcas widme als meiner
Beziehung. Ich bin für meine Arbeit viel unterwegs, bin kaum
zu Hause, und ich springe sofort, wenn es um einen Orca geht. Da
vernachlässige ich sehr eine Beziehung. Meine Wale haben
oberste Priorität bei mir. Erst danach kommt die Liebe. Nach
einer gewissen Zeit akzeptiert das kein Mann mehr.“
Schwach zuckte sie mit den Schultern. Daniel kam es so vor, als
hätte sie sich längst damit abgefunden, das in ihrem
Leben kein Platz für einen Mann war. Und sie tat ihm furchtbar
leid, das sie auf diese Art und Weise darüber dachte. Hannah
hatte es verdient geliebt zu werden. Sie hatte es verdient, eine
Beziehung ihr eigen zu nennen, in der sie ihre Tätigkeit mit
ihrer ganzen Leidenschaft ausführen konnte, ohne das ihr
deswegen Vorwürfe gemacht wurden. Verdammt, sie hatte es
verdient, einen Mann an ihrer Seite zu haben, der respektierte,
wofür sie sich einsetzte, der sie aufrichtig liebte, und ihre
Liebe zu den Walen teilte. Ja, sie brauchte jemanden, der sie mit ihren
Walen nahm, für den es kein Problem darstellte, das sie den
Tieren das ganze Jahr über folgte.
Vielleicht steht er ja da unten ... dieser
Jemand, überlegte Daniel und warf einen Blick zu
Orlando Bloom, der das Meer aufmerksam beobachtete. Hannah konnte es
abstreiten, soviel sie wollte, zwischen den Beiden hatte es gefunkt.
Von der ersten Sekunde an, ein Blick hatte ausgereicht, damit sich da
etwas entwickelt hatte. Selbst er hatte die Funken gespürt,
die Orlando und Hannah gleichermaßen gefangen hielten.
„Sei nicht traurig, Süße. Du wirst den
richtigen Mann schon noch finden ... obwohl ...“, sprach
Daniel und ließ den letzten Teil seiner Aussage
verhängnisvoll in der Luft hängen. „Obwohl
was?“ hakte sie nach, betrachtete ihren besten Freund
neugierig. „Ich glaube, du musst nicht mehr nach ihm suchen.
Ich glaube,
er hat dich schon gefunden.“
Dabei riskierte er einen vielsagenden Blick auf den Schauspieler, der
den weiten Ozean nicht aus den Augen ließ, in der Hoffnung,
endlich einen Orca zu Gesicht zu bekommen.
Hannah folgte seinem Blick und schüttelte ihn der
nächsten Sekunde entschieden den Kopf. Ungläubig
starrte sie Daniel an. „Hast du den Verstand verloren? Das
glaubst du doch selbst nicht“, stieß sie
verärgert aus. „Wieso nicht? Was hast du daran
auszusetzen? Er ist gutaussehend, reich und tierliebend. Er
interessiert sich sehr für deine Arbeit und er ist von Orcas
fasziniert. Ansonsten wäre er nicht hier. Und zwischen euch
beiden funkt es gewaltig.“ „Da funkt
überhaupt
nichts“, wehrte sie
energisch ab. „Ich habe ein Gespür für so
etwas, einen ganz besonderen Instinkt für die Liebe. Zwischen
euch knistert es, seit er auf das Boot gekommen ist. Oder warum sonst
versteckst du dich hier oben bei mir?“ „Ich
verstecke mich nicht. Ich wollte dir Gesellschaft leisten“,
behauptete Hannah knapp. Bezeichnend verdrehte Daniel die Augen.
„Ja, klar“, erwiderte er in demselben trockenen
Tonfall. „Du bist nie hier oben, wenn wir rausfahren. Du
sitzt normalerweise vor deinen Geräten und wartest auf das
erste Signal. Nein, Süße, du bist hier oben, weil du
versuchst, vor der Wirkung, die unser Gast auf dich ausübt,
davon zu laufen. Dein Plan hat nur einen entscheidenden
Fehler.“ „Und welchen?“ „Wir
sind hier auf einen Boot. Du kannst Orlando für den Rest des
Tages nicht ausweichen. Du musst dich mit ihm abgeben. Denn du hast gar
keine andere Wahl. Und du solltest deine Zeit auch mit ihm
verbringen.“ „Ach ja,
Doktor Freud,
und warum sollte ich das tun?“ spottete sie mit blitzenden
Augen. Die Wut darin konnte Daniel deutlich erkennen, ignorierte es
jedoch geflissentlich. Schließlich war er mit seinem Vortrag
noch lange nicht fertig.
„Damit du ihm zeigen kannst, wie deine Welt aussieht. Ich bin
mir sicher, das er das gerne erfahren will. Außerdem gibst du
ihm dadurch Gelegenheit dich kennenzulernen. Du solltest mit ihm
ausgehen.“ „Ich soll was? Jetzt bist du wohl
völlig verrückt geworden? Ich habe keine Zeit
für Dates.“ „Dieses Mal solltest du sie
dir aber nehmen. Geh mit ihm essen ... habe Spaß mit
ihm.“ „Er ist doch nur für eine Woche in
Gibraltar. Schon bald fliegt er wieder nach Hause.“
„Dann hast du eine gute Woche um dich mit ihm zu
vergnügen.“ Daniel brach in lautes
Gelächter aus, als er Hannahs entsetzten Gesichtsausdruck
wahrnahm. „Langsam glaube ich, du hast getrunken.“
„Ich trinke keinen Alkohol, wie du weißt. Ich bin
die Stimme der Vernunft. Irgend jemand in unserem Team muss diesen Job
ja machen. Ohne mich wärt ihr alle schlichtweg
verloren“, grinste er breit.
„Ich will keine Affäre haben.“
„Du willst nicht einmal eine Beziehung haben“,
stichelte er in Hannahs Richtung. Erneut erhielt er einen abgrundtief
bösen Blick. „In Ordnung ... erstens, lieber Daniel,
habe ich keine Zeit für irgendeine Liebelei. Zweitens,
gehört meine Liebe den Orcas. Die sind mir das Wichtigste. Und
drittens, habe ich nicht das kleinste Interesse an Bloom.“
„Ja, ja, rede dir das nur weiter ein. Dann glaubst du es bis
zum Ende des Tages vielleicht sogar. Aber Tatsache ist,
Süße, zwischen euch fliegen die Funken. Du
fühlst dich zu ihm hingezogen, weil er nicht nur
wahnsinnig
gut aussieht, sondern auch noch wahnsinnig nett ist.“
„Das reicht! Ich verschwinde wieder! Du gehst mir auf die
Nerven“, kommentierte Hannah und ließ ihn alleine,
auch wenn dies bedeutete, sich auf sehr dünnen Eis bewegen zu
müssen. Denn im unteren Bereich des Bootes wartete ein Orlando
Bloom, dessen Lächeln Gefahr für sie bedeutete. Doch
sie riskierte lieber, sich den ganzen Tag seinem Charme ausgesetzt zu
sehen, als weiterhin von ihrem besten Freund analysiert zu werden, eine
Analyse, die einfach nur falsch war. Daniel irrte sich. Zwischen
Orlando und ihr existierten keinerlei Funken.
Oder etwa doch?
Orlando hatte sich mit den Armen auf das Geländer
abgestützt und betrachtete das Meer, als er hinter sich ein
Geräusch wahrnahm. Leicht neigte er den Kopf und beobachtete
Hannah, wie sie die Leiter herunter kam. Automatisch schlug sein Herz
schneller. Litt er seit neuestem unter Herzproblemen? Oder lag das
allein an
ihr? Samantha hatte sich inzwischen eines
der Getränke, eine Flasche Mineralwasser, genommen, die in
einer Kühlbox aufbewahrt wurden. Schweigend, aber mit einem
eindeutigen Lächeln, verfolgte sie den Flirt zwischen ihrem
Bruder und der Forscherin. Und zweifellos handelte es sich hierbei um
einen. Selbst ein Blinder würde das erkennen. Auch wenn sie
hier waren, weil Orlando freilebende Wale beobachten wollte, so stieg
sein Interesse an Doktor Barnett von Minute zu Minute. Und einem Flirt
war er ja bekanntlich nie abgeneigt.
„Warum heißt ihr Boot
Orcas Heart?“
erkundigte sich Orlando, als Hannah mit einem Fernglas neben ihm
auftauchte und einen Blick hindurch warf. „Weil mein Herz den
Orcas gehört“, erwiderte sie ruhig. „Nur
den Orcas?“ Hinter ihm hörte er, wie seine Schwester
leise kicherte. Sie wusste genau, das seine Frage nicht so unschuldig
gemeint war, wie er sie stellte. Er wollte gerne herausfinden, ob es
einen Mann im Leben von Hannah gab. Die Wissenschaftlerin, die sich
ihrer Suche nach einer Gruppe Wale widmete, schien dies nicht zu
durchschauen. „Ja, ausschließlich ihnen.“
Und da sie noch immer durch das Fernglas schaute, entging ihr auch das
zufriedene kleine Grinsen, das sich auf Orlandos Gesicht abzeichnete.
Das war genau die Antwort, die er hatte hören wollen.
Aufmerksam ließ Orlando seine Augen über Hannah
gleiten. Sie besaß ein sehr hübsches Seitenprofil.
Seine Betrachtung fiel ihr nicht einmal auf, weil sie sich nach wie vor
auf das Meer konzentrierte. Also konnte er ruhig einen
längeren Blick riskieren. Nein, sie entsprach so gar nicht dem
Bild, das er sich von einer Wissenschaftlerin gemacht hatte. Doch
dieses Bild gefiel ihm außerordentlich. Sie war nicht nur
sehr bezaubernd, ihr Lächeln war wirklich umwerfend, sondern
besaß auch noch ein sehr gutes Herz. Dieses hatte sie
zweifellos. Immerhin trug sie ihre tiefe Liebe zu den Orcas offen mit
sich herum. Sie setzte sich so intensiv für diese Tiere ein,
das daneben nichts anderes mehr eine Bedeutung hatte. Für
Hannah war nur wichtig, das es den Walen gut ging, das sie in
Sicherheit waren, und friedlich ihr Leben leben konnten. Ihren
unermüdlichen Einsatz schätzte Orlando sehr. Er
bewunderte sie sogar dafür. Es gab nicht viele Menschen wie
sie, die sich schlichtweg aufopferten für die Sache, an die
sie glaubten, für das, was sie so bedingungslos liebten. An
ihr konnten sich so viele Menschen ein Beispiel nehmen. Hannah stellte
das Wohl der Wale über ihr eigenes. Das beeindruckte Orlando.
Den größten Respekt ließ er ihr deswegen
zukommen. Und ja, es machte sie in seinen Augen unwiderstehlich.
Orlando konnte den Blick nicht mehr von ihr nehmen. Lächelnd
beobachtete er, wie der Wind durch ihr Haar streichelte. Der Wunsch,
ihr die blonden Strähnen aus dem Gesicht zu streichen, wurde
immer stärker. Zu gerne würde er herausfinden, wie
weich ihre Haut war, wie warm sich ihr Körper wohl in seinen
Armen anfühlen mochte. Es war gut, das er eine Sonnenbrille
trug, die seine Augen bedeckte, ansonsten würde man ihm seine
nicht sehr anständigen Gedanken ansehen. Und gerade jetzt, wo
Hannah begann, seine Anwesenheit zu akzeptieren, würde sie das
sicher nur verärgern. Das wollte er schließlich
nicht. So wollte er sich lieber mit ihr anfreunden. Vielleicht sollte
er sie nach diesem Tag einladen. Er würde gerne mit ihr zu
Abend essen. Ob sie sich darauf einlassen würde? Immerhin
hielt sie nicht besonders viel von Schauspielern. Andererseits
würde er gerne mehr Zeit mit ihr verbringen.
Leicht schüttelte Orlando den Kopf. Er sollte sich auf den
heutigen Tag konzentrieren, auf seinen Wunsch, die Wale zu sehen.
Stattdessen dachte er ernsthaft darüber nach, Doktor Barnett
zu einem romantischen Date einzuladen. Wie hatte er auch damit rechnen
können, das ihm keine Mittvierzigerin gegenüberstand,
sondern eine heiße und clevere Blondine, die
äußerst engagiert an ihre Arbeit heran ging? Das
warf ihn völlig um. Instinktiv wusste er, das sie ein
besonderer Mensch war, bei dem er sich glücklich
schätzen konnte, sie kennen zu dürfen.
Sidi
würde sie bestimmt mögen,
überlegte er im Stillen. Gut, jetzt hatte er ein echtes
Problem. Wenn er schon darüber nachdachte, wie sie sich mit
seinem kleinen Liebling verstehen würde, war es ein
eindeutiges Zeichen für ihn, das er auf sehr dünnen
Eis wandelte, das sie eindeutig sein Interesse geweckt hatte.
Bevor er diese Gedanken weiter verfolgen konnte, gab eines ihrer
technischen Geräte ein Piepsen von sich. Ein warmes
Lächeln glitt über ihr Gesicht. „Sind Orcas
in der Nähe?“ hakte Orlando neugierig nach und
blickte auf das Meer hinaus. „Ja, wir haben sie
gefunden“, erklärte sie und reichte ihm ihr
Fernglas. „Schauen Sie nach rechts, Orlando.“ Er
folgte ihrem Rat und tatsächlich ... in der Ferne konnte er
die mächtigen Körper erkennen, die sich durch das
Wasser schoben. „Wow“, flüsterte er
sichtlich fasziniert. Er spürte eine Bewegung neben sich.
Samantha war an seine Seite gekommen und wortlos überreichte
er ihr das Fernglas. „Sieh dir das an, Sam! Das ist ...
unglaublich!“ Ja, er war sehr von den Tieren angetan. Sein
Wunsch, der sich in der Antarktis leider nicht erfüllt hatte,
wurde nun Realität. Hannah hielt ihr Versprechen, das sie ihm
zuvor gegeben hatte. Sie zeigte ihm die Tiere in ihrem
natürlichen Lebensraum. Sie brachte ihn zu den Orcas ... zu
ihren
Orcas.
„Daniel“, rief Hannah zu ihrem Assistenten hoch.
„Drossle das Tempo ein wenig. Nähere dich ihnen
langsam.“ „Ich weiß! Ich mache das nicht
erst seit gestern“, ertönte seine Antwort. Das Boot
wurde augenblicklich langsamer. Je näher sie den Orcas kamen,
desto heftiger schlug Orlandos Herz. Ja, er war aufgeregt. Das konnte
er nun wirklich nicht leugnen. Endlich war es soweit. Er konnte die
Orcas beobachten, freier Wildbahn, konnte sehen, wie sie lebten, wie
sie sich untereinander verhielten. Es war etwas gänzlich
anderes, als zu
Sea World zu fahren, und sich dort
eine Show mit den Walen anzuschauen, etwas, was für ihn
sowieso Tierquälerei war. Die Showtiere lebten in
Gefangenschaft, in einem viel zu kleinen Becken, und mussten
Kunststücke vorführen, die nicht ihrem
natürlichen Verhalten entsprachen. Er war ein absoluter Gegner
dieser Shows. Und er empfand die dortigen Lebensumstände
für die Tiere nur als äußerst traurig.
Fasziniert beobachtete Orlando die Gruppe. Seine Augen fingen geradezu
Feuer. Oh ja, er hatte gewusst, warum er diesen Tag unbedingt hatte
erleben wollen. Es war einzigartig. „Ich zähle neun
Tiere“, sprach er lächelnd. „Es sind
zwölf. Die anderen drei dürften noch unter Wasser
sein“, erwiderte Hannah. Wie auf Kommando brachen drei
weitere Tiere durch die glitzernde Oberfläche und gaben ihre,
für Hannah, wohlbekannten Laute von sich. „Freuen
Sie sich, Orlando, sie singen für Sie.“ Das Grinsen
des Schauspielers wurde um noch eine Spur breiter. Der
Gesang
war absolut einmalig. Noch nie hatte er etwas so schönes
gehört. Es mit eigenen Ohren hören zu
dürfen, live und vor Ort, war noch wunderbarer, als wenn er
dies in einer Dokumentation auf dem
Discovery Channel
sah. Ja, sie sangen tatsächlich.
In diesen Augenblick näherten sich die ersten Wale dem Boot,
das sie offensichtlich erkannt hatten. Ruckartig hielt das
Forschungsboot an und Daniel schaltete den Motor aus. Neugierig kamen
die Tiere heran. Ebenso neugierig beugte sich Orlando über das
Geländer. Er konnte es nicht glauben. Es war unfassbar, wie
nahe er ihnen plötzlich war. Augenblicklich schlug sein Herz
schneller. Ja, irgendwie war es ein Gefühl, als wäre
er frisch verliebt. Und irgendwie war er das auch, während er
beobachtete, wie die Wale ihre Kreise um das Boot zogen, ihre
Köpfe nach oben regten, und einen Laut von sich gaben. Oh ja,
er hatte sich soeben verliebt. Jetzt, in diesen Moment, verstand er
absolut, warum Hannah so sehr an diesen Tieren hing, warum sie
für sie das Wichtigste in ihrem Leben darstellten. Diese Tiere
waren einfach nur zum verlieben.
„Sam, hast du die Kamera?“ erkundigte sich Orlando.
„Ja, natürlich.“ „Haben Sie
etwas dagegen, wenn wir ein paar Fotos machen?“ wandte sich
der Schauspieler im nächsten Moment an Hannah. Leicht
schüttelte sie den Kopf. „Das ist völlig in
Ordnung. Sie sind es gewohnt. Ich habe sie oft genug selbst
fotografiert.“ „Danke.“ Ein warmes
Lächeln glitt über sein Gesicht. Er brauchte von
diesem Erlebnis unbedingt ein paar Erinnerungen. Er war froh, das
Hannah ihm dies erlaubte. Samantha machte die ersten Fotos. Sie war
sehr erleichtert, das Orlando sie gebeten hatte, sie auf diesen Trip zu
begleiten. Das, was er für diesen Tag organisiert hatte, war
zwar ungewöhnlich, aber letztendlich war es eine
außerordentlich gute Idee gewesen. Dieses Abenteuer
würde sie so schnell nicht vergessen. Wann hatte man schon
einmal die Möglichkeit, freilebenden Orca Walen so nahe zu
kommen, wie es jetzt gerade der Fall war?
„Sie sind wunderschön“, sprach Sam
begeistert. „Das sind sie in der Tat“, erwiderte
Hannah mit strahlenden Augen. „Hallo meine
Süßen! Hattet ihr eine angenehme Reise? Seit ihr gut
angekommen?“ richtete sie ihre Aufmerksamkeit auf die Wale
und streckte ihre Hand aus. Einer der Orcas reagierte sofort darauf und
schob sich nach oben. Leicht berührte er sie mit seinem
mächtigen Kopf. Fasziniert beobachtete Orlando das kleine
Spiel zwischen dem Orca und der Wissenschaftlerin. Es war unglaublich,
wie bereitwillig sich das Tier von ihr anfassen ließ. Und er
konnte nicht abstreiten, das es ihm ebenfalls in den Fingern juckte.
Gerne würde er ihrem Beispiel folgen. Offenbar sah man ihm
seinen Wunsch deutlich an, denn ein breites Grinsen zeichnete sich auf
Hannahs Lippen ab.
„Strecken Sie einfach Ihre Hand aus, Orlando. Halten Sie sie
ganz ruhig.“ „Darf ich wirklich?“ In
seinen Augen trat ein wildes Funkeln. Sie erlaubte es ihm? Er hatte
gehofft, einmal in seinem Leben einen Orca berühren zu
dürfen, doch das sie ihm dies wirklich gestattete, konnte er
im ersten Moment gar nicht so recht glauben. Umso dankbarer war er ihr,
das sie ihm in dieser Hinsicht entgegen kam. Zu Beginn des Tages
hätte er das nicht für möglich gehalten.
Immerhin hatte sie seine Anwesenheit als ein Übel betrachtet,
das sie zu akzeptieren hatte. Das sie ihn trotzdem so nahe an ihre Wale
ließ, war ein Zeugnis, das sie ihn doch irgendwie mochte.
Diese Tatsache freute ihn noch mehr. „Ja, trauen Sie sich!
Orcas sind sehr neugierig.“ Orlando folgte ihrer Aufforderung
und streckte vorsichtig seine Hand über das Geländer.
In der nächsten Sekunde berührte einer der Orcas
seine Hand. Die Haut des Orcas fühlte sich in keinster Weise
glitschig an, so wie er sich das irgendwie vorgestellt hatte.
„Das ist unglaublich“, flüsterte er
überwältigt. Er bemerkte nicht einmal, das Sam diesen
Augenblick auf einen Foto festhielt. Zu sehr war er in der Faszination
gefangen, die diese Wale auf ihn ausübten. Auch fiel ihm nicht
auf, das Hannahs Blick interessiert auf ihm lag. Sie sah seine
funkelnden Augen, sah das Lächeln, das sein Gesicht
schmückte. Seine ganze Haltung erzählte ihr, das
dieser Moment ihn glücklich machte. Hatte sie zuvor vielleicht
noch an ihm gezweifelt, so waren diese Zweifel nun vollständig
verschwunden. Ja, er war ehrlich an den Walen interessiert. Und
anscheinend hatte er sich soeben verliebt. Sie konnte nicht anders, als
dies mit einem warmen Lächeln zu kommentieren. Wenn er so
herzlich auf ihre Orcas reagierte, konnte er wahrlich kein schlechter
Mensch sein. Dann musste er ein gutes Herz besitzen.
Das ist verdammt gefährlich für dich, Han,
sprach sie mit sich selbst. Gut, als Mann war er interessant. Doch sie
hatte keine Zeit für so etwas. Sie brauchte weder eine kurze
Affäre, noch eine ernsthafte Beziehung. Für sie
zählte nur ihre Arbeit. In ihrem Leben war für Liebe
einfach kein Platz. Vielleicht gab es da wirklich ein paar Funken
zwischen Orlando und ihr. Dennoch änderte das nichts an der
Tatsache, das er nur eine Woche in Gibraltar bleiben würde.
Sie selbst war das ganze Jahr über unterwegs, folgte den Orcas
auf ihrer Wanderschaft. Ein Mensch konnte ihr Herz niemals auf diese
Art und Weise erobern wie das den Walen vor langer Zeit gelungen war.
Ihre Liebe gehörte ausschließlich ihnen. Daran
würde auch ein berühmter Schauspieler nichts
ändern können.
Orlando schien zu bemerken, das Hannah ihn beobachtete, den ruckartig
hob er den Kopf und blickte ihr direkt in die Augen. Für eine
lange Sekunde, die ihr unendlich vorkam, verschwamm die Welt um sie
herum. Sie versank regelrecht in seinen warmen, braunen Augen. Selbst
die Laute ihrer Orcas gerieten in die Ferne. Sie sahen sich einfach nur
an. Er schien ihren Blick gefangen zu halten. Sie sollte damit
aufhören! Sofort! Das, was sie hier tat, war keine gute Idee.
Gut, die Wirkung, die er auf sie hatte, war vielleicht doch
stärker, als sie gedacht hatte. Denn wenn es ihm gelang, das
sie für einen kurzen Moment sogar ihre Orcas vergaß,
war er überaus gefährlich für sie. So etwas
konnte sie sich nicht leisten. Ein Mann war das Letzte, das sie in
ihrem Leben brauchte, das sie überhaupt haben wollte.
Hastig wandte sich Hannah ab, um seinen Bann zu entkommen, den er, ganz
offensichtlich, auf sie ausübte.
Reiß dich
zusammen, verfluchte sie sich im Stillen selbst. Gut, das war
der Beweis gewesen, das es zwischen Orlando und ihr
tatsächlich knisterte. Vielleicht hätte sie Daniel
doch glauben sollen. Schließlich hatte dieser, wie er nie
müde wurde zu betonen, eine Antenne für die Liebe.
Hannah ging zu ihrer Tasche hinüber, um ihre
Ausrüstung zu holen. Das gab ihr auch Gelegenheit ein paar Mal
tief durchzuatmen, damit sie wieder Kontrolle über ihren
eigenen Körper hatte. Ein angenehmes Zittern rieselte
über ihre Haut. Es prickelte geradezu, ein Umstand,
für den Orlando verantwortlich war. Er brachte sie
völlig durcheinander. Sie war ein Profi. Von der Anwesenheit
eines Mannes ließ sie sich doch sonst auch nicht so sehr aus
dem Konzept bringen. Herr Gott, er war bloß ein Schauspieler.
Bloß ein einziger Mann. Es war absolut
nichts
besonderes an ihm.
Mit einem Schnorchel und einer Taucherbrille ging Hannah zum
Geländer zurück, sehr darauf achtend, ein wenig
Abstand zu Orlando zu halten. Seine Nähe machte sie auf
unerklärliche Art und Weise nervös. Etwas, das sie
noch nie zuvor so dermaßen intensiv empfunden hatte. Hatte
sie überhaupt jemals so empfunden? Oder war er der Erste, der
diese starken Gefühle in ihr auslöste? Leicht
schüttelte Hannah den Kopf, um diese Gedanken zu vertreiben.
Sie waren einfach fehl am Platz. Sie passten nicht zu ihr.
„Haben Sie das vor, was ich glaube, was Sie
vorhaben?“ grinste Orlando, dem dies natürlich nicht
entging, das sie versuchte, eine gewisse Distanz zu ihm aufzubauen.
Anscheinend brachte er sie durcheinander.
Das ist gut,
meldete sich erneut seine innere Stimme lautstark zu Wort. Ja, es war
gut, denn es bedeutete, das es ihm gelang sie nervös zu
machen. Dies war eine Tatsache, die ihm deutlich zeigte, das er ihr
nicht so gleichgültig war, wie sie vorgab. Ja, sie mochte ihn
wirklich, und wenn es nur ein klein wenig war, ansonsten würde
sie nicht
so auf ihn reagieren.
„Wenn Sie davon ausgehen, das ich mit den Orcas schwimmen
werde ... ja, dann haben Sie Recht, Orlando“, erwiderte sie,
versuchte das charmante Lächeln zu ignorieren, das er ihr
schenkte. War dies nur für sie bestimmt? Oder schenkte er es
jeder Frau? In ihr breitete sich das Gefühl aus, das dieses
Lächeln ganz alleine ihr galt. Sie wollte es gerne glauben.
„Sooo ... du kannst meinetwegen von Bord gehen. Ich habe die
Kamera. Ich bin bereit alles zu filmen“, durchbrach Marcs
fröhliche Stimme die aufgeladene Atmosphäre zwischen
Orlando und Hannah, die drohte, sich erneut in den Augen des
Schauspielers zu verlieren. Oft hatte Marc ein wirklich
ungünstiges Timing. Sie hatte ihn oft genug deswegen
verflucht, vor allem, wenn er sie wieder einmal bei der Auswertung
ihrer Beobachtungen gestört hatte. Doch dieses eine Mal war
sie ihm wirklich dankbar dafür. Unabsichtlich rettete er sie
vor den starken Funken, die Orlando und sie miteinander teilten.
„Nehmen Sie jede Begegnung mit den Orcas auf?“
hakte Orlando neugierig nach. Bejahend nickte Hannah. „Ja,
jeder meiner
Tauchgänge wird gefilmt. Die
Auswertungen dieser Zusammentreffen sind sehr wichtig für
meine Arbeit.“ „Und für mich bedeutet das,
das ich mit ihr ins Wasser muss“, erklärte Marc
wenig begeistert. Das lange Gesicht, das er machte, sprach
Bände. Nein, er sah nicht so aus, als freute er sich auf das
Wasser. „Sie machen das nicht gerne?“ „Er
ist keine Wasserratte, so wie ich. Er filmt lieber vom Boot aus, doch
wir müssen sehr nahe an den Orcas dran sein, und das bedeutet,
das er sie auch
unter Wasser filmen
muss“, lachte Hannah. „Wenn Sie das Wasser so wenig
mögen, warum sind Sie dann Unterwasserkameramann
geworden?“ Fragend blickte Orlando seinem Gegenüber
an. „Ich wollte Tiere schon immer filmen. Es ist meine
Leidenschaft. Ich habe früher Elefanten und Löwen
gefilmt. Aufgrund einer kleinen Unstimmigkeit mit meinem
früheren Boss, war ich gezwungen, mir ein anderes Aufgabenfeld
zu suchen. Hannah war bereit, mir eine Chance zu geben, und so wurde
ich zu ihrem Kameramann.“
Orlando hakte nicht weiter nach, weil er Marc deutlich ansah, wie
unangenehm dieses Thema ihm war. Offenbar war da mehr vorgefallen als
eine kleine Unstimmigkeit, wenn er sich einen anderen Job hatte suchen
müssen. Doch es ging ihm nichts an. Das waren Dinge, die ihn
nicht betrafen. „Ich werde es überleben. Das habe
ich immer. Ich bin nur froh, das Hannahs Liebe nicht den
weißen Haien gehört. Dann hätte ich echt
ein Problem“, lachte er trocken. „Ich vertraue
Hannah. Deshalb gehe ich mit ihr auch ins Wasser. Sie würde
mich niemals einer Gefahr aussetzen. Orcas haben zwar diesen Ruf, aber
sie sind keine Killerwale. Sie sind sehr friedlich.“
„Doch zu Haien würden sie nicht ins Wasser
gehen“, stellte Orlando amüsiert fest. „So
sehr vertraue ich Hannah dann auch wieder nicht“, lachte
Marc, setzte sich die Taucherbrille auf, und griff nach seinem
Schnorchel.
„Ich weiß“, stimmte die Blondine in sein
Lachen ein. Elegant schwang sie ein Bein über das
Geländer und betrat die kleine Leiter, die an der
Außenwand des Bootes angebracht war, und in das Wasser
führte. Neugierig beobachteten die Orcas ihr Tun. Sie schienen
zu ahnen, was Hannah vorhatte, denn aufgeregt stießen sie ein
paar Laute aus. Langsam stieg sie die Sprossen hinab und ließ
sich in das Wasser gleiten. Marc schnappte sich seine Kamera, die
ausschließlich für Unterwassereinsätze
gedacht war, und folgte ihr. „Gott, ist das kalt“,
rief er entsetzt, als er in das Wasser hinab tauchte. „Jetzt
stell dich nicht so an! Es hat genau die richtige Temperatur. Und es
ist eine schöne Abkühlung. Immerhin ist es auf dem
Boot schon ziemlich heiß“, schüttelte
Hannah den Kopf. Manchmal war er richtig empfindlich. Eine tiefere
Liebe für das Wasser würde Marc wohl niemals
entwickeln.
Die Orcas schwammen um die Beiden herum. Sie hatten nicht einmal mehr
Angst vor der Kamera. Am Anfang hatten sie sich Marc und seinem
Gerät sehr vorsichtig genähert. Inzwischen waren sie
es gewohnt, das er die Kamera auf sie hielt, genauso wie er es jetzt
tat. Hannah streckte ihre Hand nach den Tieren aus. Vertrauensvoll
ließ sich ein Orca von ihr berühren. Marc hielt sich
etwas zurück, ging es doch in erster Linie darum, die Wale zu
filmen, ihr Verhalten zu dokumentieren. Mit ein paar
Schwimmzügen entfernte sich Hannah vom Boot. Die Orcas blieben
dicht an ihrer Seite. Es war offensichtlich, das sie sie
längst als Spielkameradin akzeptiert hatten. Mit einer
geschmeidigen Bewegung tauchte Hannah ein Stück in die Tiefe
hinab, wohlwissend, das Marc ihr folgen und sie gleichzeitig
dafür verfluchen würde.
Unter Wasser fühlte sie sich frei. Ja, das war ihre Freiheit ...
sobald sie im Wasser war, sich in der Gesellschaft ihrer Orcas befand,
war sie glücklich. Dann konnte sie nichts mehr ärgern, nichts
konnte ihr die gute Laune ruinieren ... sie vergaß einfach die
Welt um sich herum. Für Hannah war es der glücklichste Ort
auf Erden ... das Meer ... die Nähe der Wale ...
Das
machte sie vollkommen. Unter der Wasseroberfläche spielt nichts
anderes mehr eine Rolle. Nur die Orcas waren wichtig. Nur sie beide,
die Orcas und sie selbst, zählten dann noch. Dass Marc sie durch
die Kamera hindurch beobachtete, jede ihrer Handlungen festhielt,
bemerkte sie nicht einmal. In der Welt der Orcas war nichts von all dem
bedeutend. In dieser Welt, in
ihrer Welt, hatte sie nur Augen für die Wale, für
ihre
Familie, wie sie die Tiere liebevoll nannte. Denn genau als das
betrachtete sie sie. Die Orcas waren ihre Familie, ihr Herz, ihre
Seele, einfach ihr Leben.
Und jeder einzelne von ihnen hatte längst einen Namen erhalten.
Hannah hatte ihnen allen Namen gegeben. So war es nun auch Bruce, ein
ungefähr sieben Meter langes Männchen, das sich ihr langsam
näherte. Hannah strich mit der Hand an seinen Rücken entlang.
Er umkreiste sie ein weiteres Mal, als wäre es eine Aufforderung.
In der nächsten Sekunde umschloss sie seine Rückenflosse und
ließ sich von ihm mitziehen. Die Kraft der Tiere, und
gleichzeitig ihre Anmut, die sie besaßen, faszinierte Hannah
jedes Mal aufs neue. Bruce schwamm nicht schnell davon, es war, als
wollte er Hannah nicht verletzen, sondern zog seine Kreise um seine
Gruppe. Ein paar seiner Artgenossen schlossen sich ihm an. Ja,
das
war eines dieser unglaublichen Geschehnissen, die Hannah mit den Orcas
erlebte, die ihr offenbarten, das sie ihr vertrauten. Würden sie
dies nicht tun, hätte sie keine Chance, auf ihnen reiten zu
dürfen.
Und es war ein Privileg, das die Tiere ihr dies erlaubten, das ihr
gestatteten, so nahe an sie heran kommen zu dürfen. Dessen war
sich Hannah jeden einzelnen Tag bewusst.
Nach ein paar Metern lockerte Hannah ihren Griff. Bruce machte erneut
eine Runde um sie herum und reckte ihr schließlich seinen
mächtigen Kopf entgegen. Sanft streichelte Hannah darüber,
hatte nicht einmal Angst, als er sein Maul öffnete, und ihr seine
scharfen Zähne präsentierte. Stattdessen schüttelte sie
nur amüsiert den Kopf und streichelte ihn weiter. Marc war
inzwischen völlig in Vergessenheit geraten, der einfach nur die
Kamera laufen ließ, und stets zutiefst beeindruckt davon war, wie
viel Vertrauen diese Orcas zu Hannah hatten. Genau das war, weshalb
Hannah so einen ausgezeichneten Ruf genoss. Sie sorgte für
einzigartige Bilder, für Aufnahmen, wie sie kein anderer Forscher
zustande brachte, weil
sie es war, denen die Tiere mit
Vertrauen begegneten. Weil sie sie dadurch in ihre Gruppe aufgenommen
hatten, als wäre sie ein Teil von ihnen. Und jedes Mal, wenn sie
den Orcas begegneten, konnte man deutlich sehen, das diese sich
wirklich freuten, Hannah zu sehen. Sie hatten die Wissenschaftlerin
gerne in ihrer Nähe. Dieser kleine Tauchgang bewies es wieder
einmal auf ganzer Linie.
Interessiert blickten Orlando und Sam den Treiben im Wasser zu. Das
Meer war sehr klar, deshalb konnten sie auch erkennen, was sich unter
der Oberfläche abspielte. Immerhin waren Hannah und Marc nicht
sehr tief getaucht. Die Orcas umrundeten Hannah, schienen viel
Spaß mit ihr zu haben. Es machte jedenfalls diesen Eindruck, denn
die Tiere wichen ihr nicht von der Seite. Umso beeindruckter war
Orlando auch, als er ihren
kleinen Ritt auf einen der Tiere
beobachtete. „Das ist ... einmalig. Mir fehlen echt die
Worte“, sprach er kopfschüttelnd. „Was oder wer
fasziniert dich eigentlich mehr? Ihr Spiel mit den Walen? Die Wale?
Oder Doktor Barnett?“ hakte Sam grinsend nach. „Ich
weiß nicht, was du meinst“, wich Orlando aus, wohlwissend,
das diese Antwort sie nicht zufrieden stellen würde. Sam
würde so lange nachbohren, bis er mit der Wahrheit
herausrückte.
„Stell dich nicht so dumm! Ich kenne dich, Bruderherz. Und ich
sehe dir an der Nasenspitze an, das du an der Wissenschaftlerin
interessiert bist. Wer kann es dir übel nehmen? Sie ist jung, sehr
attraktiv und sie setzt sich sehr für das Wohl der Wale ein. Sie
ist genau dein Typ.“ „So? Ist sie das?“ Ein kleines
Lächeln umspielte Orlandos Lippen. Bejahend nickte Sam. „Ich
beobachte euch jetzt schon die ganze Zeit über. Zwischen Hannah
und dir knistert es ziemlich. Das kannst du nun wirklich nicht
abstreiten. Also, was genau läuft da?“ „Ich streite
nicht ab, das es zwischen uns knistert.“ „Und?“
„Und was?“ hakte Orlando gedehnt nach, gab sich erneut
ahnungslos, doch auch dieses Mal war Samantha nicht bereit, ihren
Bruder aus ihrem Fragennetz entkommen zu lassen.
„Was hast du jetzt vor?“ „Wie meinst du das?“
Orlando wandte seine Augen kurz von dem Geschehnis im Wasser ab, um
seiner Schwester einen fragenden Blick zukommen zu lassen. Lachend
schüttelte Sam den Kopf. „Ich meine, ob ich nach Hause
fliegen soll, weil du deine Zeit gerne mit Hannah verbringen
würdest.“ „Ich würde dich niemals nach Hause
schicken, Sam.“ „Ich weiß. Es wäre ja auch meine
Entscheidung.“ „Ich weiß ja nicht einmal, ob sie
überhaupt
einen Abend mit mir verbringen würde. Sie
hat schließlich nur Augen für ihre Wale.“ „Aber
du bist ihr dennoch aufgefallen. Du machst sie ziemlich nervös.
Das ist doch ein gutes Zeichen. Hast du sie gerne?“
„Ja.“ „Würdest du sie gerne näher
kennenlernen?“ „Sehr gerne sogar.“ „Dann
solltest du auch etwas dafür tun.“ „Ich weiß.
Und das werde ich auch.“ „Wirst du sie für heute abend
einladen?“ „Das habe ich vor“, erklärte Orlando
entschlossen. Ja, er würde Hannah nach einem Date fragen. Zwischen
ihnen hatte sich etwas entwickelt. Und er wollte gerne herausfinden,
was da im Einzelnen möglich sein könnte. Aber wollte Hannah
das auch? Orlando jedenfalls hatte es irgendwie im Gefühl, das sie
sein Leben verändern könnte.
Hannah und Marc kehrten zum Boot zurück. Die Orcas begleiteten sie
nach wie vor. Marc war der Erste, der die Leiter bestieg, und sichtlich
froh war, wieder den festen Grund des Bootes unter seinen
Füßen zu spüren. Hannah nahm sich noch die Zeit, sich
ausgiebig von der Gruppe Wale zu verabschieden, besonders von Bruce,
der immer ein wenig extra Zuneigung benötigte. Aus irgendeinem
Grund, den sie sich selbst nicht erklären konnte, mochte Bruce sie
ganz besonders. Er war immer der Erste, der begrüßt werden
wollte, und auch der Erste, von dem sie sich zu verabschieden hatte. Er
war auch immer ganz vorne dabei, wenn es darum ging, von ihr
berührt werden zu wollen. Und Hannah erfüllte ihm seinen
Wunsch natürlich. So auch dieses Mal. Nachdem sie sich von Bruce
verabschiedet hatte, schwang sie sich auf die Leiter.
Oben war es Orlando, der ihr freundlich die Hand reichte, um ihr auf
das Boot zu helfen. Für einen langen Augenblick sahen sie einander
einfach nur an. Wieder hielt dieses starke Gefühl sie gefangen,
wieder war es ihr nicht möglich, sich seinem Blick, seinen
charmanten Lächeln, zu entziehen. Erneut übte er diese
einzigartige Wirkung auf sie aus. Ein Zittern rieselte über ihre
Haut, als sie ihre Hand in seine legte. Warm legten sich seine Finger
um ihre. Es kam einem elektrischen Schlag gleich, dennoch gelang es ihr
nicht, die Hand zurück zu ziehen. Ihr Körper gehorchte ihr
nicht. Langsam stieg sie die letzten beiden Sprossen hinauf. Noch immer
war sie nicht in der Lage irgend etwas zu sagen. Das Herz klopfte ihr
bis zum Hals, so heftig, das sie befürchtete, er könnte es
sogar hören.
Schweigend standen sie sich gegenüber, verloren sich völlig
in den Augen des anderen. Wie es sich wohl anfühlten mochte, von
ihm geküsst zu werden, von ihm umarmt zu werden? War ein Kuss von
ihm wirklich so sinnlich wie sein Mund es versprach?
Verdammt, Hannah Magdalena Barnett! Was soll das denn?
schimpfte sie im Stillen mit sich selbst. Was dachte sie denn da? Wie
konnte sie über solche Dinge ernsthaft nachdenken? Er war nur
einen verdammten Tag auf ihrem Boot! Danach würde sie ihn nie
wiedersehen. Wieso war es ihm möglich, sie so um den Verstand zu
bringen, das sie sich schon Gedanken darüber machte, ob er gut
küssen konnte. Das war doch irrsinnig! Wenn sie wieder im Hafen
waren, würde ihre Wege sich für immer trennen. Und Herr Gott,
in ihrem Leben war für die Liebe keinen Platz. Er würde
sowieso irgendwann gehen ... genau wie jeder andere vor ihm. Auch ein
Orlando Bloom würde nicht bei ihr bleiben, würde irgendwann
aufhören, Verständnis für ihre Arbeit zu haben. Auch er
würde sie eines Tages vor die Wahl stellen. An diesen Tatsachen
konnte sie nichts ändern. Niemand würde jemals auf Dauer
respektieren, das sie ihr Leben ihrer Aufgabe opferte. Das ihre Wale
Priorität hatten. Letztendlich würde auch er sie wegen ihren
Orcas verlassen.
Ruckartig entzog Hannah ihm ihre Hand, die er länger umschlungen
hielt, als nötig. Sie legte die Taucherbrille und den Schnorchel
neben ihren Geräten ab und griff nach einem Handtuch. „Das
war beeindruckend! Ich bin völlig hin und weg“,
erklärte Orlando lächelnd. Die Begeisterung stand ihm
regelrecht ins Gesicht geschrieben. „Was meinen Sie?“
Zögernd drehte sie sich zu ihm um, wusste sie doch, wie
gefährlich seine Nähe für sie war, wie sehr er sie schon
mit einem einzigen Blick durcheinander brachte. „Ihr Ritt mit dem
Orca. Die Tiere vertrauen Ihnen sehr.“ „Daran habe ich auch
lange gearbeitet.“ „Dieses Spiel mit den Walen ... es war
unglaublich. Ich bin Ihnen sehr dankbar, Hannah, das Sie mich daran
haben teilnehmen lassen. Das ich das sehen durfte.“ „Gern
geschehen“, sprach sie und erwiderte sein Lächeln. Auch wenn
dies keine besonders gute Idee war, so konnte sie nicht anders. Ein
innerer Drang zwang sie dazu. Denn dieses Lächeln, das er ihr
schenkte, war alleine für sie gedacht. Und er besaß ein
wirklich sehr ansehnliches und verführerisches Lächeln.
Du bist wirklich in Schwierigkeiten, schüttelte Hannah
über sich selbst den Kopf. Sie griff nach einem Handtuch und
rubbelte sich das nasse Haar trocken, vor allem tat sie dies, um ein
wenig Zeit zu gewinnen. Ja, es machte sie nervös, wie er sie
ansah, wie er sie anlächelte. Schon alleine die Wärme, die
sein Körper ausstrahlte, machte sie nervös. Das war doch echt
nicht normal. Sie hatte ihre Gefühle normalerweise im Griff,
besaß eine gute Kontrolle über sich und ihr
Gefühlsleben, aber Orlando machte all das zunichte, weckte in ihr
den Wunsch, sich in seine Arme zu werfen.
Gut, vielleicht hat Daniel Recht und ich bin schon zulange alleine, weil ich so empfindlich auf den Kerl reagiere.
Genau das war es wohl. Sie lebte vielleicht tatsächlich schon viel
zu lange alleine, das ein harmloser Flirt mit dem Briten sie
völlig aus dem Konzept brachte. Doch ihre innere Stimme machte ihr
gleich einen Strich durch die Rechnung, indem sie ihr zuflüsterte,
das es daran nicht lag, sondern alleine an Orlando. Das
er es
war, zu dem sie sich hingezogen fühlte. Ja, sie würde froh
sein, wenn er ihr Boot wieder verließ, wenn er aus ihrem Leben
verschwand, dann würde es nämlich wieder in Ordnung sein.
Für die Liebe hatte sie keine Zeit und sie wollte sich diese auch
nicht nehmen ... Funken hin oder her ... Das spielte keine Rolle.
Hannah ging zum Geländer hinüber und beobachtete ihre Orcas,
die sich noch immer in der Nähe des Bootes aufhielten. Erneut
stießen sie ihre Laute aus. „Wir sehen uns morgen wieder,
meine Süßen. Ich muss leider zurück und mich um den
Papierkram kümmern. Passt bis dahin gut auf euch auf“,
sprach sie und streckte ein letztes Mal ihre Hand aus. Bruce folgte der
Geste sofort und schob seinen Körper nach oben, um von ihr
berührt zu werden. „Wiedersehen, Bruce! Daniel, wir
können zum Hafen zurück fahren“, rief sie zu ihrem
Mitarbeiter hoch. Dieser startete in der nächsten Sekunde den
Motor und entfernte sich langsam von den Orcas, sehr darauf achtend,
keinen von ihnen zu verletzen. Die Wale blieben zurück und sangen
zum Abschied für Hannah. So jedenfalls kam es Orlando vor. Einige
von ihnen vollführten einen eleganten Sprung, bevor sich auch die
Wale zurück zogen und in die Tiefen des Meeres hinab tauchten.
Sein Blick fiel auf Hannah, die den Walen nach sah, solange, bis sie im
Wasser verschwunden waren, bis der Letzte abgetaucht war.
„Bruce?“ hakte er nach. „Ja. Ich habe jeden Wal einen
Namen gegeben. Ich kann sie gut voneinander unterscheiden.“
„Das glaube ich Ihnen aufs Wort. Sie haben eine sehr enge Bindung
zu diesen Tieren. Es war ein wundervolles Erlebnis“, sprach
Orlando, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Lächelnd
blickte sie ihn an. „Es freut mich sehr, das Sie Spaß
hatten, Orlando.“ „Es ist mehr als das. Sie haben mir einen
sehr großen Wunsch erfüllt. Diese Tiere sind wahrlich
einzigartig. Ich kann sehr gut verstehen, weshalb sie Ihnen so wichtig
sind.“ „Dann tun Sie etwas, um Ihren Lebensraum zu
erhalten.“ „Wollen Sie mir gerade eine Spende
abringen?“ grinste er breit. Verneinend schüttelte Hannah
den Kopf. „Das gehört nicht zu meiner Arbeit. Ich lass das
andere tun, die geschickter mit unseren Geldgebern umgehen können
als ich. Mir liegt das nicht. Ich kann mit Menschen nicht besonders
gut.“ „Davon merke ich allerdings nichts.“ Schwach
zuckte Hannah mit den Schultern. „Dann sind Sie aber einer der
Wenigen, der das so sieht. Orlando, ich möchte Sie nur um etwas
bitten. Sie haben die Möglichkeit, etwas zu unternehmen,
Organisationen wie das
ISLI zu unterstützen, alleine aus
dem Grund, weil Sie Millionen besitzen. Nutzen Sie das, um diesen
Tieren zu helfen. Machen Sie etwas sinnvolles mit Ihrem Geld. Oder
macht es Sie wirklich so glücklich, soviel davon zu
besitzen?“
Eindringlich sah sie ihn an, wartete geduldig auf seine Antwort. In
diesen Augenblick kam es ihm so vor, als würde sie in seine Seele
schauen, als würde sie erkennen, das ihm der Presserummel um seine
Person viel zuviel war, das es Tage gegeben hatte, an denen er sich
gewünscht hatte, niemals Schauspieler geworden zu sein, das es oft
äußerst anstrengend für ihn war, zu akzeptieren, das
die Medien so großes Interesse an ihm hatten, Tage, an denen er
sich nach einem ruhigen und normalen Leben, fernab von Hollywood und
den Medien, sehnte. Ja, es war, als würde sie auch seine
Einsamkeit sehen, unter der er litt, seit seiner Trennung von Kate. Sie
blickte ihm direkt ins Herz. Nichts, das er je erlebt hatte, hatte ihn
jemals so intensiv berührt wie dieser eine Moment.
„Nein, es macht mich nicht glücklich. Ich setze heute meine
Prioritäten anders als noch vor ein paar Jahren.“ „Das
heißt?“ „Inzwischen setze ich mich sehr für den
Klimaschutz ein. Ich versuche, mit meinem Geld zu helfen. Reichtum wird
überschätzt, Hannah.“ „Ich weiß. Doch wenn
Sie ihn haben, unterstützen Sie Projekte für den Artenschutz
oder den Klimaschutz.
Wir sind auf Spenden angewiesen. Wir
brauchen sie, um unsere Arbeit machen zu können, um diesen Tieren
effektiv helfen zu können. Diese einzigartigen Geschöpfe sind
auf unsere Hilfe angewiesen, Orlando. Setzen Sie sich für sie ein.
Das ist es, das einem vollkommen macht ... etwas Gutes tun, selbstlos
und ehrlich, ohne Hintergedanken ... Das ist es, worauf es im Leben
ankommt. Wissen Sie ... wenn Sie auch nur einem Orca das Leben retten,
retten Sie ein Stück weit die Welt“, erklärte Hannah
ernst.
Es war ihr deutlich anzusehen, das sie diese Überzeugung mit Leib
und Seele vertrat. Sie glaubte felsenfest daran. Und sie stand für
das ein, woran sie glaubte. Orlando wusste, sie hatte Recht. Wenn es
nicht die Menschen waren, die begannen, sich für eine bessere Welt
einzusetzen, wer sollte es sonst tun? Ja, ihr Kampf für die Orcas
war bewundernswert und er würde sie dabei unterstützen. Sie
sollte sich keine Sorgen mehr darum machen müssen, wie ihre
Projekte finanziert wurden. Sein Entschluss stand längst fest,
nicht nur, weil er sie mochte, sondern weil diese Tiere einzigartig
waren, weil er sie ins Herz geschlossen hatte. Ihr Lebensraum
gehörte dringend geschützt. Und er würde seinen Namen
und sein Geld dafür benutzen, Hannahs Kampf um die Orcas zu
begleiten.
Die Zeit war wie im Flug vergangen. Orlando hatte nicht das
Gefühl, das es schon halb ein Uhr mittags war, als das Boot im
Hafen ankam. Auch verspürte er keinerlei Hunger. Zu aufregend war
sein Tag gewesen, und ja, das lag vorrangig an Hannah. Die Wale zu
sehen, er hatte sogar einen von ihnen berührt, war unglaublich
gewesen. Und dabei auch noch eine Frau kennen gelernt zu haben, die
nichts auf seinen Status als Schauspieler gab, der der Rummel um seine
Person völlig egal war, war absolut erfrischend. Solchen Menschen
begegnete er nicht so oft. Sie war tatsächlich etwas ganz
besonderes ... ihre außerordentlich starke Liebe zu den Tieren,
ihr freundliches Wesen, ihre bezaubernden Augen, das warme Lächeln
... Sie hatte es ihm schwer angetan. Und er würde von dem Tag
liebend gerne mehr mitnehmen als nur die bloße Erinnerung daran.
„Wäre es sehr aufdringlich, wenn ich Sie fragen würde,
ob Sie sich mit mir fotografieren lassen?“ erkundigte sich
Orlando zurück haltend. Schon mehrmals an diesen Tag hatte sie
durchblicken lassen, das sie Tiere lieber mochte als die Menschen. Und
er wollte sich ihr wirklich nicht aufdrängen. Das war das Letzte,
das er bei ihr erreichen wollte. „Nein, das wäre es
nicht“, willigte sie in seine Bitte ein. Es überraschte
Hannah selbst, das sie so bereitwillig darauf einstieg, doch sie konnte
bei dem Blick, den er ihr zuwarf, einfach nicht nein sagen. „Sam,
wärst du so lieb?“ bat Orlando seine Schwester. Diese hatte
ja noch immer die Kamera bei sich. „Natürlich“,
erwiderte sie lächelnd. Irgendwie hatte sie damit gerechnet. Es
verblüffte sie also nicht wirklich, das Orlando die
Wissenschaftlerin um ein Foto bat. Für ihn war es eine gute
Möglichkeit, ihr etwas näher zu kommen. Und genau das lag ihm
ja im Sinn.
Orlando stellte sich neben Hannah und legte ihr sanft einen Arm um die
Schulter. Prüfend blickte er sie an. War ihr das unangenehm? Er
war sich sicher, würde es so sein, würde sie ihn
zurechtweisen. Doch nichts dergleichen geschah. Obwohl sie erst vor
kurzem im Wasser gewesen war, fühlte sich ihr Körper warm an.
Sein Herz raste. Ihre Nähe löste dies in ihm aus.
Außerdem duftete sie wunderbar. Es war eine Mischung aus
Meerwasser und Orchidee, ihr Parfüm, mutmaßte er. Jedenfalls
war es eine verführerische Kombination. Samantha machte ein Foto
von ihnen. Oh ja, da hatte es wirklich gefunkt. Durch die Kamera war
das noch deutlicher zu erkennen. Und sie hoffte sehnlichst, das es
Orlando auch gelang, Hannah näher kennenzulernen. Sie
wünschte es ihm vom ganzen Herzen.
„Ich möchte mich gerne bei Ihnen bedanken. Es war ein
wundervoller Tag“, sprach Sam zum Abschied und reichte Hannah die
Hand. „Das freut mich sehr“, erwiderte diese. Unbemerkt gab
Orlando seiner Schwester mit einem Kopfnicken zu verstehen, das Boot
schon einmal zu verlassen. Sie verstand den Wink und verließ mit
Marc, der sie zum Hotel zurück fahren würde, die
Orcas Heart.
Es war ein einmaliger Tag gewesen. Diesen würde sie nicht so
schnell vergessen. Und Orlando erst recht nicht. Er hatte sehr viel
dadurch gewonnen. War er zuvor von Orcas fasziniert gewesen, so hatte
er nun seine Liebe zu diesen Tieren entdeckt. Und nicht nur das ... So
war er auch hin und weg von Doktor Hannah Barnett. Es gelang ihr, ein
Lächeln auf sein Gesicht zu zaubern. Ja, er mochte sie, und Sam
freute sich für ihn, das er eine Frau gefunden hatte, die ihn
ernsthaft interessierte. Vielleicht konnte sie ihn wieder richtig
glücklich machen. Vielleicht waren die Beiden ja füreinander
bestimmt.
„Sie waren doch eine ganz gute Gesellschaft, Orlando“,
sprach Hannah. Eigentlich sollte sie einen Schritt zurück treten,
es wäre besser für sie, doch sie blieb dicht an seiner Seite,
als sie ihn ein Stück begleitete, um ihn zu verabschieden.
„Da bin ich sehr erleichtert. Es war der beste Tag meines Lebens,
Hannah. Danke, das wir Sie begleiten durften.“ „Es hat
Ihnen also gefallen“, stellte sie lächelnd fest. Bejahend
nickte Orlando. „Gefallen? Es war einzigartig. Ich werde diesen
Tag niemals vergessen.“ „Ich wünsche Ihnen noch einen
schönen Aufenthalt in Gibraltar. Wenn Sie unsere Organisation
wirklich unterstützen wollen, setzen Sie sich mit Harvey in
Verbindung. Er wird alles weitere mit Ihnen klären. Haben Sie noch
einen schönen Tag, Orlando“, sprach Hannah. Es klang nicht
nur nach einem Abschied, es war auch einer. Doch so einfach ließ
sich Orlando nicht abwimmeln. Für ihn war diese Sache noch nicht
beendet. Und er musste ihr einfach diese Frage stellen. Denn Hannah
hatte sich in sein Herz geschlichen. Nach diesem Tag, nachdem er erlebt
hatte, wie liebevoll sie mit ihren Orcas umging, hatte sie dort einen
Platz eingenommen.
Orlando blieb am Geländer stehen und blickte Hannah in die Augen.
Unter seinem eindringlichen Blick wurde sie unruhig. Sie hatte es im
Gefühl, das er noch etwas los werden wollte, etwas das ihm wichtig
war. „Hannah ... ich habe den Tag sehr genossen und ... ich
würde dich gerne zum essen einladen. Heute abend“, brachte
er die Sache auf den Punkt. Hoffnungsvoll lagen seine Augen auf ihr.
Ja, es würde ihn wahnsinnig freuen, wenn sie mit ihm ausgehen
würde. Er wollte gerne mehr von ihr erfahren. Herr Gott, er wollte
alles von ihr erfahren. Zwischen ihnen war irgend etwas und er wollte
gerne herausfinden, was da möglich wäre. Es knisterte einfach
viel zu stark zwischen Hannah und ihm, um das zu ignorieren. Er wollte
ihnen eine Chance geben und konnte nur hoffen, das sie das auch tat. In
welche Richtung es sie letztendlich brachte ... darüber wollte er
noch kein Urteil fällen.. Nur die Zeit konnte ihnen dies
offenbaren.
Perplex starrte Hannah ihn an. Hatte er sie gerade zu einem Date
eingeladen? Hatte er wirklich eine Einladung zu einem romantischen
Abendessen ausgesprochen? Für einen langen Moment war sie
schlichtweg sprachlos, wusste nicht, was sie darauf erwidern sollte.
Das war doch ... Ja, was war es eigentlich? Leicht schüttelte sie
den Kopf. Er löste etwas in ihr aus, das konnte sie nicht
bestreiten, doch auf der anderen Seite war da ihre Angst ... ihre
Angst, eine neue Liebe einzugehen, weil sie einfach wusste, das sie
wieder verlassen wurde. Auch er würde gehen. Zweifellos würde
er das irgendwann machen. Und ihr Herz verkraftete es kein weiteres
Mal, das man sie wegen ihren Walen verließ. Das es ihre Wale
waren, die den Mann an ihrer Seite Grund gaben, sie alleine zurück
zu lassen. Nein, noch einmal ein
solches Ende ... das wäre
viel zuviel für sie. Sie würde es nicht ertragen. Deshalb war
es das Beste, Orlando nie wieder zu sehen. Es war das Beste, sich von
ihm fern zu halten.
„Danke für das Angebot, aber ... ich muss ablehnen. Ich habe
wirklich keine Zeit. Ich muss noch einige Berichte verfassen, die
Aufnahmen auswerten, die Marc in den letzten Tagen gefilmt hat, und ...
Ich habe einfach keine Zeit“, lehnte sie seine Einladung ab.
„Nicht einmal für einen Abend?“ hakte er nach. Er
klang ziemlich enttäuscht. Und er war es. Das sah sie ihm deutlich
an. Er hatte sich auf einen Abend mit ihr gefreut. Es tat ihr auch
leid, das sie ihn enttäuschen musste. Doch wenn sie selbst eine
Enttäuschung von sich abwehren wollte, musste sie jetzt so
handeln. Orlando löste viel zu starke Gefühle in ihr aus. Es
wäre äußerst gefährlich für sie sich mit ihm
einzulassen.
„Nein, es geht wirklich nicht“, sprach sie mit einem
Kopfschütteln. Sie musste ihr Herz schützen. Dies war der
einzige Weg, wie sie dies tun konnte. „Wenn du ... deine Meinung
änderst, du findest mich im
Glory. Ich würde mich
sehr freuen, wenn du dich meldest. Wenn du an einen anderen Tag Zeit
hast, dann melde dich bitte. Ich bin noch eine Woche in
Gibraltar“, erklärte Orlando und verließ das Boot.
Deutlich spürte er Hannahs Augen in seinem Rücken. Gut, diese
Abfuhr hatte weh getan. Damit hatte er nicht gerechnet.
Schließlich war da etwas zwischen ihnen. Er hatte es
gespürt, verdammt, und trotzdem hatte sie abgelehnt. Das war eine
Abfuhr, an der er noch lange zu nagen hatte. So einfach würde er
Hannah nicht vergessen können. Zu sehr hatte sie schon sein Herz
erobert.
„Und? Was hat sie gesagt?“ erkundigte sich Samantha
neugierig, als sie am Ende des Stegs auf Orlando wartete. Er strahlte
nicht. Ja, sie ahnte, welche Antwort Orlando erfahren hatte. Es war
nicht gut gelaufen für ihn. „Sie hat nein gesagt. Sie will
nicht mit mir essen gehen“, erklärte er enttäuscht.
Orlando wandte sich zum Boot um, auf dem Hannah noch immer bewegungslos
stand, und ihm nachsah. Über die Entfernung hinweg tauschten sie
einen Blick miteinander aus. Es ärgerte ihn zutiefst. Verdammt,
wieso lehnte sie ab, wenn sie sich doch so offensichtlich zueinander
hingezogen fühlten? Niemand konnte das ignorieren. Es hatte sich
während dem Tag auf dem Meer etwas zwischen ihnen entwickelt.
Wieso handelte sie gegen ihre eigenen Gefühle? Warum tat sie so
etwas?
„Das tut mir leid“, sprach Sam mitfühlend und
drückte seine Hand. Normalerweise wäre das keine große
Sache für Orlando. Ging es hier nur um einen bedeutungslosen Flirt
würde ihr Nein ihn nicht so schwer treffen, wie es offensichtlich
der Fall war. In Samantha wuchs eine Ahnung. Es gab nur eine
Erklärung, warum diese Ablehnung von Hannah Orlando so
beschäftigte. Konnte es wirklich sein, das dieser halbe Tag
ausgereicht hatte, damit er völlig sein Herz verlor? Nicht an die
Orcas, sondern an der Wissenschaftlerin? Die Liebe kam oft
überraschend, das wusste sie. Hatte er etwa schon solch starke
Gefühle für Hannah entwickelt? Hatte es ihn wirklich schwer
erwischt?
„Hast du dich verliebt?“ hakte sie direkt nach. Ein kleines
Lächeln zeichnete sich auf Orlandos Gesicht ab. Noch immer
beobachtete er Hannah, so als wollte er sich ihre Erscheinung tief
einprägen. So einfach konnte er nicht aufgeben. Vielleicht
benötigte sie nur ein wenig Zeit, um sich an den Gedanken zu
gewöhnen, das sie das Interesse eines Schauspielers auf sich
gelenkt hatte. Schließlich hielt sie nicht besonders viel von
Schauspielern. Oder sie hatte einfach nur Angst, das er sie von ihrer
Arbeit ablenkte, die ihr so unglaublich wichtig war. Vielleicht sollte
er ihr einfach etwas Zeit einräumen und danach erneut Kontakt zu
ihr aufnehmen. Ihre Begegnung war Schicksal gewesen. Das Schicksal
hatte sie zusammen geführt. Hannah war eine absolute Bereicherung
für sein Leben. Er hatte dies einfach im Gefühl.
„Ja, ich habe mich verliebt“, antwortete Orlando
lächelnd und warf einen letzten warmen Blick auf Hannah. Erst dann
stieg er in den Wagen ein. Sam glitt neben ihm und wenig später
war der Wagen schon auf der Straße unterwegs, auf den Weg
zurück in das kleine Hotel, in dem die Beiden abgestiegen waren.
Orlando blickte während der Fahrt aus dem Fenster. Doch er sah
nicht die Landschaft, sondern Hannahs bezaubernde Gestalt. Mit einem
Blick hatte sie sein Herz für sich gewonnen. Ganz
überraschend, als er selbst es am wenigstens erwartet hatte, war
die Liebe in sein Leben zurück gekehrt. Jetzt galt es nur noch
diese Liebe auch zu halten, Hannah zu offenbaren, das sie beide eine
Chance hatten. Er würde diese wunderbare Frau nicht aufgeben. Sie
gehörte zu ihm.
Er würde Hannah erobern ...
The End (?)