Title: The Legend of the Scorpion King, Part 1 – Ways of Evil
Author: Tegan

Fandom: The Mummy Returns, The Scorpion King
Rating: R
Category: Adventure, Fight, Auferstehung
Characters, Pairing: The Scorpion King / Jennifer aka Nefertiri (eig.
Charakter)

Summary: Jennifer Croft, eine ehrgeizige Wissenschaftlerin aus England, ist seit ihrer Kindheit von den Geschichten über den Scorpion King fasziniert. Sie begibt sich auf seine Spuren um den Weg nach Am Shere, des Scorpion Kings Oase und Grabstätte, zu finden. Etwas scheint sie zu seiner Auferstehung zu ziehen. Und als der mächtige Krieger erwacht, enthüllt er ihr das Geheimnis ihrer wahren Identität ...

Disclaimer: Die Charaktere von The Mummy Returns und The Scorpion King gehören nicht mir, sondern Universal Studios, Stephen Sommers und der WWE - World Wrestling Entertainment - und anderen. Diese Story ist FanFiction mit der weder Geld verdient, noch Rechte verletzt werden sollen. Ich schreibe sie nur zu meinen Vergnügen.

Note: Mit dieser Story ehre ich die fabelhafte Darstellung von „The Rock“ Dwayne Johnson in den Filmen The Mummy Returns und The Scorpion King. Diese Story trägt denselben Titel wie ein Musikstück auf dem gleichnamigen Soundtrack. Aber das habe ich nicht gewußt, da ich mir den Soundtrack erst gekauft habe, nachdem diese Story entstanden ist. Diese Gleichheit ist purer Zufall.
Sein Auftritt bei The Mummy Returns war zwar nicht allzu lang, aber dafür hat mir dieser Auftritt die Idee für diese Story gegeben. Ich werde dazu auch eine Fortsetzung schreiben, wann die aber fertig ist, steht in den Sternen. Auch an einer Vorgeschichte, allein basierend auf den Film The Scorpion King, ist in Planung.
Diese FanFiction widme ich den Millionen von Millionen von The Rocks Fans, denen es hoffentlich genauso gut wie mir gefällt, das The Rock nun auch auf der großen Leinwand zu bewundern ist. Ich hätte niemals geglaubt, das The Rock mit langen Haaren wirklich gut ausschaut, aber seine Filmauftritte mit eben diesen haben mich vom Gegenteil überzeugt.
Als großer The Rock-Fan war es natürlich meine Pflicht, mir seine ersten beiden Filmprojekte im Kino anzusehen. Aber auch, wenn The Rock nicht den Scorpion King verkörpert hätte, hätte ich mir den Film angesehen. Denn der Scorpion King ist wirklich eine interessante Person. Aber seien wir mal ehrlich: Gibt es einen besseren Scorpion King als The Rock? Die Antwortet ist ein klares Nein.
So, nun überlasse ich euch der Story und hoffe, ihr habt beim Lesen genau soviel Vergnügen, wie ich es beim schreiben gehabt habe. Was soll man noch dazu sagen? Aus The Rock könnte ein ganz großer Kinoheld werden, denn das er schon der große Wrestlingheld ist, hat er uns ja schon längst bewiesen. Vielleicht ist es an der Zeit, das er neue Ufer erobert. Wir, seine Fans wissen, das er das locker schaffen kann. Also, viel Spaß beim Lesen! Über Kommentare würde ich mich sehr freuen.


The Legend of the Scorpion King
written by Tegan
© 2001

~ 1. ~

London/England,
Jahr 1935

Jennifer Croft betrat das Ausstellungsmuseum ihrer Heimatstadt. Das Londoner Museum vertrat hohes Ansehen in der Welt der Wissenschaft und der reichen Gesellschaft. Der gute Ruf des Hauses eilte dem Museum voraus. Jennifers Schritte hallten auf dem Boden wider. Langsam glitt ihr Blick über die hohen Wände der großen Halle.  Sie waren voll mit Gemälden, die eine fremde Zeit darstellten; Gemälde von hoch angesehenen Malern. Gemälde, die in dieses düstere Haus paßten und einen wirklichen Wert hatten.

Die junge Frau ging an den Vitrinen, in denen die Kunstschätze des Museums ausgestellt wurden, vorbei und öffnete eine Tür. Hinter dieser Tür verbargen sich die Büros der Museumsangestellten. Hier wurde geforscht und recherchiert – hauptsächlich über die alten Legenden und Mythen über einer längst vergessenen Kultur aus Ägypten. Zu diesen Menschen gehörte auch Jennifer. Sie war eine angesehene Wissenschaftlerin, die sich auf die ägyptischen Legenden spezialisiert hatte.

„Mr. Weisz?“ Unbeantwortete hallte Jennifers Ruf durch die Korridore. Leicht zuckte sie die Schultern. Es war keine Seltenheit, daß Mr. Weisz – der Direktor des Museums – am Nachmittag nicht anwesend war. Und es war keine Seltenheit, daß sie um drei Uhr nachmittags allein war. Oft arbeitete ihr Chef nur vormittags – was Jennifer nicht ungelegen kam.

Denn dadurch konnte sie die Gelegenheit beim Schopf ergreifen und nach der Legende forschen, die sie am meisten faszinierte. Niemand sah gerne, daß sie dieser alten Legende Glauben schenkte und jeden Hinweis nachging. Es war eine Legende, die fast so alt war wie die Menschheit – die vor sechstausend Jahren geboren wurde. Es war die faszinierende Legende des wilden Kriegers Scorpion King.

Charles Weisz, der Museumsleiter, hielt es bloß für ein Märchen. Er tat es als das ab, was es war – eine Legende. Eine Geschichte, die von Generation zu Generation weiter erzählt wurde, die aber nicht existierte. Und er bemängelte Jennifers – in seinen Augen – unprofessionelles Verhalten, wenn sie weiter an dieser Geschichte festhielt und darüber Recherchen anstellte.

Seiner Meinung nach hatte der mächtige Scorpion King niemals existiert und er sah es nicht gerne, daß eine so kompetente Wissenschaftlerin wie Jennifer eisern daran glaubte und danach forschte. Sie wollte es beweisen. Sie wollte beweisen, daß es diesen großen Krieger gegeben hatte. Schon allein wegen ihrem Chef wollte sie seine Existenz beweisen. Jennifer wollte Charles zeigen, wie recht sie doch mit ihren Glauben gehabt hatte.

Ein leiser Seufzer entrang sich Jennifers Kehle. Sie legte ihre Tasche auf den Tisch und machte Licht. Schon als Kind hatte sie diese besagte Legende fasziniert und sie in ihren Bann gezogen. Jennifer war schon immer davon begeistert gewesen; nichts hatte sie je mehr interessiert als die Existenz dieses Kriegers. Genau aus diesem Grund war sie Archäologin geworden. Sie sollte nachweisen, daß es ihn gegeben hatte. Sie wollte es sich selbst beweisen.

Diese Legende hatte sie nie losgelassen. Jennifer war sich sicher: Es hatte ihn gegeben. Und wenn das so war ... ein leichter kalter Schauer rieselte ihren Rücken hinab. Sie wußte, was es bedeutete, wenn der Scorpion King wirklich existiert hatte. Er würde wieder auferstehen; würde wieder zum Leben erwachen. So sagte es jedenfalls die Legende voraus.

Jennifer setzte sich an ihren Schreibtisch und öffnete eine Lade, worin sie all ihre Unterlagen und Aufzeichnungen über den Scorpion King aufbewahrte. Diese holte sie nun hervor und breitete sie auf dem großen Tisch aus. Seit Jahren schrieb sie alles auf; hielt sie alles auf Papier fest. Alles, was mit dem wilden Krieger zu tun hatte. Denn jedes noch so kleine Detail konnte sie der Wahrheit einen Schritt näher bringen.

Sie machte sich eine heiße Tasse Tee und machte sich an die Arbeit. Wahrscheinlich würde sie wieder erst lange nach Mitternacht nach Hause kommen. Früher – als ihr Vater noch gelebt hatte – war er immer dagegen gewesen und es hatte einige hitzige Diskussionen zwischen ihnen deshalb gegeben. Doch irgendwann hatte er es aufgegeben sich in das Leben seiner eigensinnigen Tochter einzumischen, auch wenn er ihren Enthusiasmus nicht gerne gesehen hatte.

Jennifer hatte schon immer das getan, was sie wollte. Ihr Vater hätte es lieber gesehen, wenn sie den Weg ihrer beiden Schwestern gegangen wäre; wenn sie so wie die Beiden wäre ... brav und gehorsam ... doch er hatte akzeptiert, daß das niemals eintreffen würde. Jennifer hatte ihren eigenen Kopf und formte ihr Leben nach ihren eigenen Vorstellungen. Die reiche, feine Gesellschaft – aus der sie stammte – hatte sie nie interessiert. Die alte Welt ... der galt ihr ganzes Interesse. Der Scorpion King war ihre geheime Leidenschaft.

Nun war Eric Croft seit gut zwei Jahren gut. Er war an seiner Herzschwäche, an der er Jahre zuvor erkrankt war, gestorben. Eric hatte seinen drei Kindern ein großes Vermögen hinterlassen, das gerecht aufgeteilt worden war. Und er war mit der Gewißheit gestorben, daß seine jüngste Tochter nach ihren Vorstellungen lebte und sich nicht den Traditionen ihrer Zeit beugte. Doch er hatte auch gewußt, daß sie besser allein klarkam als ihre beiden Schwestern. Eric Croft hatte gewußt, daß Jennifer einen starken Willen hatte und bestens klarkam. Sie ging ihren Weg alleine und war glücklich dabei.

Genüßlich trank Jennifer einen Schluck ihres Kräutertees und stellte die Tasse zur Seite. Sie nahm die Aufzeichnungen zur Hand, die sie am Vortag nieder geschrieben hatte. Irgend etwas sagte ihr, daß sie der Wahrheit immer näher kam. Sie konnte nicht sagen, was es war. Es war einfach ein Gefühl. Jennifer spürte, daß etwas großes auf sie alle zukommen würde.

Stunden später

Tief in ihre Aufzeichnungen und die mitgebrachten Unterlagen vergraben, bemerkte Jennifer nicht die Schritte, die schnell hinter ihr näher kamen. Ein Schatten tauchte in den gedämpften Licht des Büros auf. Lautlos wurde die Tür geschlossen. Der Schatten näherte sich ihr, doch Jennifer bekam es nicht mit. Dann legte sich plötzlich eine Hand auf ihre Schulter. Erschreckt schrie sie auf und fuhr hoch.

Jennifer stöhnte und legte sich eine Hand auf die Stelle, wo ihr Herz heftig schlug. „Michael! Mußt du mich so erschrecken?“ tadelte sie ihren Bekannten atemlos. Der junge Mann mit dem blonden Haar lächelte entschuldigend. „Ich wollte dich nicht erschrecken, tut mir leid. Aber ich dachte, du hättest mich gehört“, sprach ihr Kollege zerknirscht. Ein leichtes Lächeln huschte über Jennifers Lippen.

Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Tut mir leid, ich hab dich nicht gehört. Ich war zu sehr in meiner Arbeit vergraben“, teilte sie ihm mit einen charmanten Lächeln mit. Hastig schob sie ihre Unterlagen zusammen. Doch Michael bemerkte ihre Absicht, die Unterlagen vor ihm verbergen zu wollen. Er seufzte leise; wußte er doch, woran sie arbeitete. „Der Scorpion King“, stellte er sachlich fest.

Jennifer lächelte und fühlte sich sichtlich ertappt. Er hatte sie mal wieder voll erwischt. Niemand im Museum sah ihre Nachforschungen über den Scorpion King gerne. Aber sie alle akzeptieren es. Die Einen, weil sie nicht daran glaubten, daß Jennifer wirklich etwas brauchbares und interessantes fand. Und die Andere, weil Jennifer eine reiche Erbin war und das Museum finanziell unterstützte.

„Ja, ich suche noch immer nach Informationen des Scorpion Kings. Hast du was dagegen?“ fragte sie herausfordernd. Ernst blickte Michael sie an. „Was glaubst du, was du damit erreichst? Das ist doch verschwendete Zeit, Jennifer. Damit könntest du wirklich was anderes, sinnvolleres machen“, sprach er. „Meine Arbeit ist sinnvoll“, widersprach Jennifer erbost.

„Du glaubst also nicht, daß ich etwas über den Scorpion King finde, daß mir seine Existenz beweist?“ sprach sie. Verneinend schüttelte Michael den Kopf. „Herzlichen Dank für dein Vertrauen. Es ist schön zu wissen wie sehr du an mich glaubst. Ich dachte, du hältst mich für fähig“, spottete Jennifer. Demonstrativ wandte sie ihrem Kollegen den Rücken zu.

„Jennifer“, sprach er seufzend. Michael setzte sich auf die Kante ihres Schreibtisches. „So ist das nicht. Du weißt, ich glaube an dich und deine Fähigkeiten. Ich schätze dich sehr. Habe ich doch immer getan, oder?“ Fragend blickte er sie an. Leicht nickte sie. „Siehst du? Jennifer, dein Unterfangen ist aussichtslos. Du kannst nichts finden ... weil der Scorpion King nämlich nie existiert hat.“ Michael wußte, daß er damit ihren Scharfsinn weckte. Doch nun war es auch schon zu spät. Nun war sie nicht mehr zu halten; nicht mehr davon abzubringen ihre Ausführungen zu erklären. Michael konnte das eben Gesagte nicht mehr zurücknehmen.

„Da wäre ich mir nicht so sicher, Michael. Ich bin da nämlich an einer Sache dran“, sprach Jennifer energisch. „An welcher Sache?“ hakte Michael nun neugierig nach. Jennifer lächelte wissend. Auch wenn er es nicht zugab, interessierte ihn ihre Recherchen über den Scorpion King ja doch. Sein Interesse war nicht geheuchelt, es war echt.

„Ein Anhänger des Scorpion Kings soll Schriftrollen über das Leben des Kriegers verfaßt haben. Wie du weißt, reichen die Geschichten des Kriegers ja weit in der Zeit zurück. Sie reichen in eine Zeit zurück wo man noch nicht einmal wußte, was die Schrift ist. Als sie jedoch erfunden wurde ... wurden die Geschichten nieder geschrieben – von einen Anhänger des Kriegers und einen Verehrer des Gottes Anubis.“ Nun war Jennifer in ihrem Element.

„Anubis war der Gott, zu dem der Scorpion King gebetet hatte. Er war Anhänger seines Glaubens. Anubis verlieh dem Krieger Unsterblichkeit; grenzenlose Unsterblichkeit und eine riesige, unbesiegbare Armee. Durch einen Pakt mit Anubis wurde der Scorpion King zum mächtigsten Untoten aller Zeiten.“ „Ich weiß“, erwiderte Michael. Er kannte diese Geschichte. Jennifer hatte sie ihm oft genug erzählt.

„Der Scorpion King und Anubis wurden jahrhundertelang verehrt und angebetet. Und ein Anhänger soll all die Geschichten nieder geschrieben haben. In diesen Schriftrollen sollen auch die Aufzeichnungen über Am Shere stehen“, erzählte Jennifer begeistert. „Am Shere?“ sprach Michael verwirrt. „Des Scorpion Kings Grab ... die Oase, Michael“, sprach Jennifer mit Nachdruck.

Fassungslos blickte Michael seine Kollegin an. Er hatte schon davon gehört. Es war Teil dieser Legende. Jennifer nickte eifrig und strich sich eine Strähne ihres langen, dunkelbraunen Haares zurück. „Ja, sein Grab. Der Scorpion King soll eine riesige Grabstätte haben. Eine wunderbare Oase mit dem Namen Am Shere. Die besagte Oase, die erschaffen wurde als er seine Seele an Anubis verkaufte.“ „Du meinst ...“, stammelte Michael irritiert.

„Ja, die Oase mit der goldenen Pyramide und dem Diamanten als Spitze. Die Oase, wo der Scorpion King begraben wurde. Viele große Herrscher haben nach ihr gesucht – Julius Cäsar, Napoleon und Ramses, der Vierte. Keine ausgesandte Armee kam je zurück. Niemand von diesen Expeditionen kam jemals lebend nach Hause zurück. Man hat sie alle nie wieder gesehen.“ „Und was sagt dir das?“ erkundigte sich Jennifers Kollege neugierig.

Sicher lächelte die junge Wissenschaftlerin. „Das es dort irgendwelche Wesen gibt, die das Grab des Kriegers beschützen. Niemand soll ihn finden und seine Ruhe stören. Und dafür wurde gesorgt. Die Oase Am Shere wird beschützt.“ „Von wem?“ Jennifer schüttelte leicht den Kopf. „Die Frage sollte besser lauten von was“, gab sie ihm schlicht zur Antwort. „Ich bin mir sicher, daß ich den Weg finden kann. Aber dafür brauche ich diese Schriftrollen. Diese Schriftrollen zeigen mir den Weg nach Am Shere zu seinen Grab.“ Michael seufzte schwermütig.

„Das klingt ja alles ganz toll. Du bist wirklich davon überzeugt“, stellte er fest. „Ja, daß bin ich. Michael, wir müssen diese Schriftrollen finden“, sprach sie engagiert. „Warum? Sag mir einen guten Grund, warum ich dir helfen sollte“, forderte er. Jennifer zögerte einen Moment, dann griff sie jedoch nach einen Blatt Papier und reichte es Michael. Bevor er etwas sagen konnte, nahm sie ihren Redeschwall wieder auf.

„Vor sechstausend Jahren hat der Scorpion King geherrscht. Er war böser als alle anderen. Er allein herrschte und alle fürchteten ihn. Doch es herrschten auch Kriege und irgendwann geschah das, was manchmal vorkommt. Eine Armee war stärker als die des Königs. Er wurde verbannt. Jedenfalls ... besagt die Legende über ihn, daß er wieder auferstehen wird.“ Michael lachte bitter auf.

„Glaubst du das wirklich?“ „Laß mich bitte weiter sprechen“, bat Jennifer bestimmend. Michael nickte fast unmerklich und blickte auf die Zahlen, die auf dem Blatt Papier standen. Dann richtete er seine Aufmerksamkeit wieder seiner Kollegin zu. „Nach seiner Verbannung schloß er den Pakt mit Anubis und wurde unsterblich. Doch es kam irgendwann zum Splitt mit Anubis und der Gott rächte sich“, erzählte Jennifer.

„Jetzt das wichtige für uns: Ich hab es ausgerechnet ... die Zeit, meine ich. Und das, was ich erfahren habe, gefällt mir nicht so ganz“, gestand sie zögernd. „Was hast du den heraus gefunden?“ hakte Michael nach. Jennifers grün-braune Augen blickten ihn todernst an. Für einen Moment verschwand die Begeisterung aus ihren Gesicht.

„Wenn es keine Erfindung ist ... und ich mich nicht verrechnet habe und vorausgesetzt, es hat ihn wirklich gegeben, dann ...“ Leise seufzte sie auf. „Dann werden wir ihm bald gegenüberstehen. Dann kommt bald eine große Bedrohung auf die Erde zu. Eine Bedrohung, die uns alle vernichten wird“, sprach sie trocken. „Wie meinst du das?“ fragte Michael, dem nun etwas unbehaglich zumute war.

„Wir haben jetzt das Jahr des Scorpion Kings“, teilte Jennifer ihm mit. Michael verstand augenblicklich. Er verstand die Bedeutung dieser Worte. „Du meinst ...“ „Er wird in diesem Jahr auferstehen. Und das schon sehr bald. Wir haben nicht mehr viel Zeit. In sechs Wochen ist seine Zeit gekommen. Dann wird er wieder erweckt und mit ihm die Armee des Anubis, die mächtigste Armee der Welt. Und was das bedeutet, brauche ich dir sicher nicht mehr sagen“, sprach Jennifer ernst.

Fassungslos blickte Michael seine Kollegin an. Er kannte die Erzählungen um den mächtigen Krieger, der mit dem Gott Anubis einen Pakt geschlossen hatte. Und wenn es ihn wirklich gab, woran Jennifer glaubten, dann war die Menschheit in großer Gefahr. Dies beunruhigte Michael nun doch sehr. Aber er würde es niemals wagen, Jennifer ihren eisernen Glauben zu nehmen.

„Ich verstehe“, murmelte er. Jennifer blickte ihn ernst an. „Wir müssen diese Schriftrollen finden. Dann haben wir auch den Weg zum Scorpion King gefunden. Wir müssen die Oase Am Shere finden, Michael.“ „Du hast recht. Ich werde ... ich werde ein wenig herum telefonieren. Vielleicht finde ich etwas raus“, stammelte er geschockt. „Danke.“ Jennifer schenkte ihm ein freundliches Lächeln.

Michael erhob sich und ging zur Tür. „Michael!“ Jennifers Ruf ließ ihn herumfahren. „Ja?“ Fragend sah er sie an. „Behalte das, was ich dir soeben erzählt haben, bitte für dich ... jedenfalls so lange bis wir mehr wissen. Mr. Weisz und die anderen werden es bloß als Aberglaube abtun. Gib es einfach als Teil einer Forschung aus.“ Er nickte und ließ sie allein.

Ein leichtes Lächeln huschte über Jennifers Gesicht und sie wandte sich wieder ihrer Arbeit zu. Mit Michaels Unterstützung würde sie Am Shere vielleicht schon bald gefunden haben. Wenn der Scorpion King wieder auferstand, wollte sie unbedingt dabei sein. Einmal in ihrem Leben wollte sie ihn sehen ... auch wenn das ihr Todesurteil war.

Und Jennifer war sie absolut sicher: Der Scorpion King, der mächtigste Krieger aller Zeiten, würde wieder zum Leben erwachen. Schon sehr bald – in naher Zukunft – würde der Scorpion King wieder leben. Und dann hatten alle ihren Beweis – vor allem Jennifers schärfste Kritiker. Sie würden den Beweis bekommen, daß der Scorpion King wirklich existierte und mehr als nur ein Märchen war.

~ 2. ~

Ägyptische Wüste

Trockenes Wetter ... die Sonne erhitzte den Sand. Sechs Zelte waren in regelmäßigen Abstand aufgestellt worden und bildeten einen Kreis. Einfache Menschen saßen vor den Zelten. Es waren Menschen, die alle zu einem bestimmten Stamm gehörten. Sie sahen nur harmlos aus. Doch das, was sie besprachen, war alles als harmlos. Es gab geheime, aber wichtige Dinge zu besprechen.

Im größten Zelt des kleinen Lagers saßen einige hoch angesehene Männer beisammen. Sie trugen fremdartige Kleidung mit seltsamen Zeichen darauf. Auf jeden Umhang prangte das Symbol eines Skorpions. „In sechs Wochen ist es also soweit?“ Die vier Männer blickten den Ältesten von ihnen an. Seine Gesichtszüge waren streng, aber voller Zuversicht. Er strahlte Wissen und sehr viel Weisheit aus.

Der Mann nickte langsam. Er trank einen Schluck seines Weins und richtete dann seine Augen auf seinen wichtigsten Arbeiter und Verbündete. „Ja“, sprach er endlich. „In sechs Wochen wird der Scorpion King auferstehen. Wir müssen bald aufbrechen. Wie siehst es mit den Schriftrollen aus? Habt ihr sie gefunden?“ fragte der ältere Mann bestimmend. Verneinend schüttelten die Männer den Kopf.

„Auch das magische Armband des Scorpion Kings ist unauffindbar. Aber unsere Leute arbeiten daran“, meinte der Sprecher der jüngeren Männer. „Ihr habt weder die Schriftrollen, noch das Armband gefunden?“ rief der ältere Mann barsch. Ein böser, unnachgiebiger Blick strafte die Männer. Beschämend senkten sie die Köpfe. Ihr Anführer gab ihnen das Gefühl, bei ihrer Aufgabe völlig versagt zu haben.

„Wir müssen ihn finden“, sprach der alte Mann ernst. „Wir sind seine Anhänger. Aber die Aufzeichnungen über Am Shere sind vor Jahrhunderten verloren gegangen. Nur diese Schriftrollen führen uns zu ihm. In diesen Schriftrollen ist der Weg zu seiner Oase aufgezeichnet. Wir müssen seine Auferstehung vorbereiten. Also, macht euch auf die Suche“, forderte er energisch.

Bejahend nickten die Männer und sie erhoben sich. Hastig verließen sie das Zelt und verteilten Befehle im Lager. Der alte Mann lehnte sich zurück. Schon bald ... ja, bald war ihr gefürchteter Gott wieder unten ihnen. Schon bald würde er die Welt wieder unterwerfen. Er würde erneut herrschen – so wie er es einst getan hatte. Der Scorpion King würde schon bald wieder zum Leben erwachen.

London, zur selben Zeit

Richard, der Butler von Jennifer, öffnete die Haustür und bat die Gäste seiner Herrin herein. Jennifer gab ein Essen und erwartete dazu ihre beiden Schwestern mit ihren Ehemännern. Die jüngste Schwester der Crofts hatte sich umgezogen. Statt ihrer Hose, die sie bei der Arbeit trug, trug sie nun einen langen Rock aus Wildleder und eine weiße Bluse mit langen Ärmeln dazu. Ihr langes Haar schien wie ein Schleier über ihre Schultern zu liegen.

Jennifer lächelte und empfing herzlich ihre Schwestern Maria und Rachel. Sie gingen alle in den Salon und nahmen vor dem Essen noch ein köstliches Glas Wein zu sich. „Nun, Jennifer, wann wirst du endlich heiraten? Hast du endlich einen Mann gefunden?“ fragte Rachel ihre jüngere Schwester. Jennifer schenkte ihrer Schwester ein liebevolles Lächeln.

„Vielleicht werde ich nie heiraten“, gab sie keck zur Antwort. Ihre Schwestern starrten sie fassungslos an. „Du kannst doch nicht ewig in den alten Grabstätten herum kriechen um etwas wertvolles zu finden“, protestierte Maria erbost. „Doch, ich kann. Es geht mir nicht darum etwas kostbares zu finden“, erwiderte Jennifer. „Nein?“ Verneinend schüttelte Jennifer den Kopf.

„Gewiß nicht. Es geht mir nur darum, etwas über oder vom Scorpion King zu finden.“ „Du hast es also noch immer nicht aufgegeben. Jennifer, wie lange willst du den noch nach diesen Krieger suchen? Er existiert doch gar nicht.“ „Ich bin mir sicher, daß es ihn gegeben hat. Und das werde ich euch allen schon noch beweisen“, sprach Jennifer energisch. Sie schwieg für einen Moment, setzte dann aber noch einen drauf.

„Ich bin eine Abenteuerin, daß müßt ihr akzeptieren. Ich bin für Haus und Hof nicht geschaffen. Vielleicht mögt ihr mit dem, was ihr habt, glücklich sein. Ich könnte es nicht. Ein Mann, Kinder, ein Haus ... das ist mir nicht genug. Ich will mehr. Wenn ich nur das hätte ... wäre ich todunglücklich. Ich bin froh, daß ihr mit dem glücklich seit. Aber ich bin nicht wie ihr. Ich will die Welt sehen, Abenteuer erleben und nach meinen Vorstellungen mein Leben formen. Ich will einfach mehr als nur Haus und Kinder“, erklärte Jennifer.

„Aber, Jennifer ...“ Da mischte sich Brendan, der Ehemann von Rachel, ein. „Sie hat recht, Liebes. Jennifer ist eine freie Frau. Eine Frau, die sterben würde, wenn sie nur eine Familie hätte. Sie braucht ihre Arbeit. Wie sie selbst sagt ... sie ist eine Abenteuerin und das wird sie immer bleiben. Du kannst sie nicht ändern.“ „Danke, Brendan“, sprach Jennifer lächelnd zu ihrem Schwager.

„Gern geschehen. Sag mal, wie weit bist du bei deinem Krieger“, fragte er neugierig nach. „Nicht sehr weit. Doch ich spüre, daß ich bald mehr erfahre. Ich bin auf den richtigen Weg, ich fühle es. Ich muß einfach die nächsten Wochen abwarten. Übrigens, haben wir jetzt das Jahr des Scorpion Kings.“ „Tatsächlich?“ „Ja“, meinte Jennifer mit einem leichten Nicken.

„Entschuldigt mich bitte für einen Moment. Ich werde nach dem Essen sehen.“ Sie stellte ihr Glas ab und ging in die Küche. „Du brauchst sie nicht noch ermuntern“, beschwerte sich Rachel bei ihrem Mann. „Laß sie doch, Rachel. Sie ist alt genug. Mein Gott, Jennifer ist siebenundzwanzig. Sie wird schon wissen was sie tut. Laß sie doch ihr Leben so gestalten wie sie will. Dein Vater hat es auch getan“, sprach Brendan seufzend.

„Ja, aber auch nur, weil er es aufgegeben hat sie ändern zu wollen. Sie ist sowas von stur und eigensinnig. Ich meine, ist es wirklich so schlimm, sich nur um Mann und Kinder zu kümmern?“ „Nein, aber Jennifer würde dabei umkommen. Sie wäre nicht glücklich damit, Liebes. Sieh es ein: Du kannst sie nicht ändern. Niemand kann das. Sie ist glücklich, so wie sie lebt. Also, laß sie“, erwiderte Brendan. Rachel seufzte. Leider hatte ihr Mann wieder einmal recht.

Jennifer stieß die Tür zur Küche auf. „Ist das Essen bald fertig, Jeffrey?“ fragte sie den Koch, der schon für ihren Vater gearbeitet hatte. Jeffrey hob den Kopf und lächelte. Er mochte seine Chefin. Sie war eine gute Arbeitgeberin und bildete sich auf ihren Reichtum gar nichts ein. Sie bezahlte ihm sogar weitaus mehr für seine Arbeit als im Gesetz festgehalten war. „In zirka zehn Minuten ist alles fertig, Ms. Croft“, sprach er.

„Okay, du kennst ja deine Aufgaben, Jeffrey, und alles mit Ruhe. Du weißt, daß du nicht hetzen mußt.“ „Ich weiß, Ms. Croft“, antwortete der Koch. Jennifer schenkte ihm ein freundliches Lächeln und verließ die Küche. Es war besser, wenn sie zu ihren Gästen zurück ging, bevor ihre Schwestern noch mehr Zeit bekamen über den absurden Lebensstil ihrer jüngeren Schwester zu schimpfen. Sie ging gerade den Gang entlang, der zurück in den Salon führte, als plötzlich eigenartige Bilder in ihr hoch schossen ...

6000 Jahre zuvor

Zwei riesige, mächtige Armeen standen sich gegenüber. Sie standen in der Wüste des alten Ägyptens. Damals trug diese Stadt, die später Alexandria getauft wurde, noch keinen Namen. Eine Armee wurde von dem dortigen Stammesältesten angeführt. Und die andere von einen wilden Krieger – ihrem König ... sein Name: Scorpion King.

Schon seit langem war er hinter diesem großen Stück Land her. Er, der Herrscher und Anhänger des Gottes Anubis, wollte es besitzen. Dieses Land sollte ihm gehören. Nur er sollte es besitzen dürfen. Nur er sollte hier herrschen dürfen. Stolz stand er da – vor seiner Armee – in den Kleidern seines Glaubens gehüllt und den Schmuck seines Stammes. Er trug ein goldenes Armband an der rechten Hand. Es war in Form eines Skorpions gemacht worden. 

Seine Haut war sonnengebräunt. Sein pechschwarzes Haar reichte bis über seine muskulösen Schultern. Ein paar lange Strähnen waren in Zöpfen geflochten. Er trug ein mächtiges Schild in der linken Hand, in der anderen trug er sein Schwert. In seinen brauen Augen, die fast schwarz funkelten, stand Stolz und Feuer. Man las darin eine Entschlossenheit, wie man sie bei einem Krieger selten gesehen hatte. Er wollte siegen – um jeden Preis; er wollte diesen Krieg gewinnen. Er war entschlossen sein Ziel zu erreichen – egal auf welche Art und Weise.

Der Scorpion King ließ einen mächtigen Kriegsschrei los und stürmte mutig mit seiner Armee nach vorne. Die beiden Armeen prallten aufeinander. Die Männer verkeilten sich und töteten sich gegenseitig. Der Sand wurde von Blut getränkt und die Wüste wurde Zeuge dieser grausamen Schlacht. Der Krieger tötete einen nach dem anderen. Er brachte die meisten seiner Feinde um. Der Scorpion King war ein schneller und geschickter Kämpfer. Er schien seine Augen überall zu haben.

Im einen Moment hatte er sich noch mit einen Feind geschlagen, im nächsten war der Feind tot. Dann drehte er sich um die eigene Achse und tötete den nächsten, der auf ihn zu stürmte. Er schien nicht angreifbar zu sein; schien nicht zu verwunden zu sein. Nicht einen einzigen Kratzer trug der Scorpion King von diesen Kampf davon.

Sie schlugen sich tapfer und führten ihren Krieg. Sie kämpften mit der Hoffnung, daß sie siegen würden. Jede Armee hoffte, über den Feind zu siegen. Doch der Scorpion King war der schlimmste Feind, den die Stämme hatten. Diesen Kampf gewann er. Doch es gab noch viele Kämpfe zu bestreiten. Der Krieg war noch nicht vorbei ...

Gegenwart

Jennifer erwachte aus ihrer Erstarrung und stieß heftig atmend die Luft aus. Sie lehnte an der Wand im Korridor und blickte sich um; stellte sicher, daß sie noch in ihrem Haus war. Erleichtert stellte sie fest, daß sie sich noch in ihrem beschützenden Haus befand. Sie hatte eine Vision erlebt. Noch nie hatte sie eine Vision gehabt. Und schon gar nicht eine Vision dieser Art. Eine Vision des Kriegers, dessen Existenz sie beweisen wollte.

Leise seufzte sie. Zum ersten Mal in ihrem Leben hatte sie den Scorpion King gesehen. Sie wußte, daß es wirklich so geschehen war; das er wirklich so aussah. Und er war bei weitem attraktiver als sie es sich jemals vorgestellt hatte. Jennifer riß sich zusammen und ging den Gang entlang. Immerhin hatte sie noch Gäste im Haus um die sie sich kümmern mußte. Doch ihre Gedanken kreisten über das, was sie soeben gesehen hatte.

Konnte es sein, daß sie so etwas noch einmal sah? Das sie noch einmal etwas aus dem Leben des Scorpion Kings sehen würde? Wie konnte das überhaupt möglich sein? Verwirrt schüttelte Jennifer den Kopf. Er war wirklich ein guter Krieger gewesen. Aber sie wußte auch, wie dieser Krieg um das Stück Land ausgegangen war. Die Legende hatte es ihr erzählt.

Nach sieben Jahren des Krieges wurde der Herrscher Scorpion King und dessen Armee geschlagen. Sie hatten den Krieg verloren. Ihre Feinde hatten sie in die Tiefe der Wüste getrieben, wo es keine Nahrung und noch weniger Wasser gegeben hatte. So war der Krieg ausgegangen. Der Scorpion King hatte eine schreckliche Niederlage über sich ergehen lassen müssen und hatte den Pakt mit Anubis geschlossen um unsterblich zu werden.

Jennifer setzte ein Lächeln auf und betrat den Salon. „Wo warst du den solange?“ fragte Maria. „Ich war in der Küche – wie du weißt“, erwiderte Jennifer mit leicht zitternder Stimme. Sie versuchte ruhig zu bleiben und ihren Gästen nicht zu zeigen wie aufgewühlt sie war. „Ist alles in Ordnung?“ hakte Maria nach, die bemerkte, daß ihre Schwester etwas durch den Wind war. Skeptisch blickte auch Rachel ihre Schwester an.

„Ja, sicher ist alles in Ordnung“, beteuerte Jennifer stolz. Sie wollte nicht, daß irgend jemand etwas merkte. „Es ist alles okay. Wir sollten langsam in den Speisesaal gehen. Das Essen ist gleich fertig.“ Die kleine Gruppe verließ den Salon und nahm im Speisesaal Platz. Bald darauf wurde auch schon das Essen serviert.

Ihre Schwestern amüsierten sich prächtig und genossen den Abend. Es herrschte eine hitzige Diskussion am Tisch. Jennifer jedoch nahm an dem Gespräch nicht teil. Sie dachte über das soeben Geschehene nach. Warum sah sie plötzlich Dinge aus dem Leben des Scorpion Kings? Dafür mußte es eine Erklärung geben und sie würde diese finden.

~ 3. ~

„Ms. Croft!“ Der befehlende Ruf hallte durch das ganze Museum. Charles Weisz kam auf Jennifer zu, die von einen Boten gerade ein paar Bücher entgegen nahm. An der Haltung ihres Vorgesetzten konnte sie erkennen, daß er äußerst wütend war. „Danke“, sprach sie an den Boten und blickte Mr. Weisz entgegen. „Guten Tag, Mr. Weisz! Ich dachte, Sie kommen heute Nachmittag nicht mehr hier vorbei. Gibt es ein Problem?“ fragte sie ruhig.

„Allerdings“, bestätigte er ihr wütend und baute sich vor ihr auf. Charles Weisz war ein Mann von Ende vierzig. Er hatte schon etwas graues Haar. Charles Weisz war noch immer ein Mann gewesen, der Bedrohung ausstrahlte; was wohl an seiner strengen Autorität lag. Böse funkelten seine Augen seine Mitarbeiterin an.

Jedoch zählte Jennifer nicht zu den Menschen, die Angst vor ihm seiner Autorität hatte. Energisch bot sie ihm die Stirn, wenn er ihr Vorschriften machen wollte. Und sie ließ sich nichts von ihm sagen. Jennifer sprach offen aus was sie dachte und sie war bereit, blind gegen die Wand zu laufen um ihren Willen durchzusetzen. Was auch oft dazu führte, daß sie sich mit ihren Chef stritt. Dies artete meist in einen lautstarken Krach aus.

„Wie Sie sehen ... bin ich hier. Ms. Croft, habe ich Ihnen nicht ausdrücklich untersagt, Nachforschungen über den Scorpion King anzustrengen?“ Jennifer reckte das Kinn vor und blickte ihren Chef herausfordernd an. „Mehr als einmal“, erwiderte sie ungerührt. „Und warum machen Sie trotzdem weiter?“ „Weil es meine Sache ist, Mr. Weisz. Sie selbst sagen doch immer, daß wir alle unseren eigenen Weg gehen müssen. Und das wir weiter forschen sollen, wenn wir an eine Sache glauben. Ich glaube daran. Also, mache ich weiter. Und wenn Sie etwas dagegen haben ... feuern Sie mich“, sprach sie mit funkelten Augen.

Charles Weisz seufzte schwermütig. Jennifer ließ ihn einfach stehen und ging zurück in ihr Büro. Ihr Vorgesetzter schüttelte leicht den Kopf; wußte er doch, daß er gegen ihre Sturheit nicht ankam. Wenn Jennifer sich etwas in den Kopf gesetzt hatte, hatte er oder eine anderer keine Chance, sie umzustimmen. „Hoffentlich geht das gut“, flüsterte Charles und er machte kehrt.

Jennifer hatte es sich in ihrem Büro gemütlich gemacht und schlug eines der neuen Bücher auf. Es handelte natürlich über Geschichten des Scorpion Kings. Es gab unzählige davon – einige waren wahr, andere wiederum nicht. Doch diesmal war sie auf der Suche nach etwas bestimmten. Sie war auf der Suche nach der Geschichte, die das beschrieb, was sie in ihrer Vision gesehen hatte. Jennifer wußte, die Suche würde lange dauern. Es würde eine lange Nacht werden.

Stunden später

Es war schon spät nachts und Jennifer war die Einzige, die sich noch im Museum aufhielt. Endlich hatte sie gefunden, wonach sie gesucht hatte. Jennifer war inzwischen beim letzten Buch angekommen. Und dort stand geschrieben, was sie brennend interessierte. Sie las sich die Geschichte durch und erkannte das es genau das war, was sie in ihrer Vision gesehen hatte.

„Es ist wirklich genau so geschehen“, flüsterte sie und schlug ein Buch mit leeren Seiten auf. Es war doch eine gute Idee gewesen solche Bücher aufzubewahren. Auf der ersten Seite hatte sie ihre Vision nieder geschrieben. Nun machte sie dazu einen Vermerk, daß es tatsächlich passiert war. So konnte sie alle Informationen zusammentragen und nachschlagen, wenn sie diese benötigte. Außerdem vergaß sie so kein noch so kleines Detail, daß sie der Wahrheit vielleicht näher brachte.

Da Jennifer ahnte, daß sie noch einige Visionen bekommen würde, hatte sie sich vorgenommen sich alles genau aufzuschreiben. Sie würde alles niederschreiben was sie sah und erfuhr. Das Buch beinhaltete alle Informationen über den Scorpion King, die sie schon heraus gefunden hatte; alles was wichtig war. Vielleicht half es ihr den Weg zu der Oase Am Shere zu finden; den Weg zu dem Grab des Scorpion Kings ausfindig zu machen.

Auf einmal zerriß das schrille Geräusch des Telefons die unheimliche Stille in Jennifers Büro. Das plötzliche Geräusch erschreckte Jennifer im ersten Moment und sie zuckte zusammen. Sofort verflog ihre Müdigkeit. Sie war wieder hellwach. Schnell hatte sich Jennifer gefangen und atmete einmal tief durch. Auf diesen Lärm war sie einfach nicht vorbereitet gewesen. Jennifer griff nach dem Hörer und nahm ihn von der Gabel. „Jennifer Croft“, meldete sie sich.

„Ms. Croft, hier spricht Harvey Collon. Michael hat mich angerufen weil sie die Schriftrollen des Scorpion Kings suchen“, sprach der Anrufer am anderen Ende der Leitung. Seine Worte verursachten, daß Jennifer sofort Feuer und Flamme war. „Wissen Sie, wo ich die Schriftrollen finde?“ fragte sie hoffnungsvoll. Anscheinend hatte Michael mit seinen Telefonaten wirklich etwas erreicht. Jedenfalls schien er jemanden gefunden zu haben, der mehr über die Schriftrollen wußte.

„Ja, ich weiß, wo sich die Schriftrollen des schrecklichen Untoten befinden“, gestand der Mann widerwillig. Jennifer wurde hellhörig. Ihr Herz klopfte augenblicklich schneller und ein aufregendes Gefühl breitete sich in ihren Körper aus. Dieses Gefühl erinnerte sie augenblicklich an Weihnachten als sie noch ein Kind gewesen war und sich auf die Geschenke gefreut hatte. Damals war sie genauso aufgeregt gewesen wie jetzt.

„Ms. Croft, wissen Sie, was Sie da tun? Der Scorpion King ist eine große Gefahr. Wissen Sie, worauf Sie sich einlassen?“ fragte Harvey Collon skeptisch. „Ja, daß weiß ich. Machen Sie sich keine Sorgen um mich. Ich kann ganz gut auf mich selbst aufpassen“, erwiderte Jennifer. „Wo sind die Schriftrollen?“ fragte sie energisch und sie überhörte den Kommentar ihres Gesprächspartners einfach.

„Die Schriftrollen, die Sie suchen, befinden sich in einer Pyramide in Kairo, Ägypten“, erwiderte Harvey zögernd. Jennifer merkte, daß er nicht so sehr von der Sache begeistert war. Aber anscheinend hatte Michael ihn bezahlt, damit er ihnen half und Jennifer mitteilte, wo sich die Schriftrollen aufhielten. Michael hatte ihr gar nichts davon erzählt, aber es mußte so gewesen sein. Anders konnte sich Jennifer nicht erklären, warum der Mann – trotz seiner Abneigung ihren Plan gegenüber – mit ihr sprach.

„In Ägypten“, murmelte Jennifer ehrfurchtsvoll. „Ich danke Ihnen.“ „Ich hoffe, Sie wissen was Sie tun“, sprach Harvey am anderen Ende der Leitung. Seine Stimme klang äußerst ernst. Er war sich nicht so sicher, daß der Enthusiasmus der Wissenschaftlerin wirklich so eine gute Idee war. Sie spielte ein gefährliches Spiel mit dem Feuer. Und sie konnte sich sehr leicht verbrennen. „Das tue ich. Verlassen Sie sich darauf. Ich weiß, was ich tue.“ Jennifer legte den Hörer auf die Gabel zurück.

Zufrieden sank Jennifer in ihren Sessel zurück und seufzte glücklich auf. Sie wußte nun, wo die Schriftrollen waren. Jetzt brauchte sie die Schriftrollen nur noch holen. Jennifer legte den Kopf in den Nacken und schloß für einen Moment die Augen. Sie spürte, sie war auf den richtigen Weg. Sie fühlte es einfach. Jennifer kam der goldenen Pyramide des Scorpion Kings immer näher. Schon bald hatte sie seine Grabstätte gefunden, dessen war sie sich sicher.

Jennifer packte ihre Sachen zusammen und fuhr nach Hause. „Richard“, rief sie als sie zu Hause ankam. Ihr Butler kam sofort herbei geeilt. Fragend sah er sie an. „Besorge mir die beste Ausrüstung, die man für eine Ausgrabung braucht. Egal, was es kostet, bezahl es. Außerdem alles andere für weitere Leute.“ „Darf ich fragen wieso? Nehmen Sie an einer Ausgrabung teil?“ erkundigte er sich. Jennifer lächelte leicht.

„Ich hole mir die Schriftrollen des Scorpion Kings. Ich weiß jetzt, wo sie sind. Zulange habe ich darauf gewartet. Endlich weiß ich, wo ich nach diesen wertvollen Schriftrollen suchen muß. Übrigens wird Michael bald hier sein. Führe ihn bitte in mein Arbeitszimmer.“ „Sehr wohl.“ Jennifer ging sofort in ihr Arbeitszimmer und bereitete ihre Reise vor.

Eine halbe Stunde später führte Richard den Arbeitskollegen seiner Herrin in ihr Arbeitszimmer und schloß die Tür hinter sich. Jennifer lächelte Michael freundlich zu und deutete auf die Sofagarnitur, die in einer Ecke stand. „Dein Freund hat mich heute angerufen“, begann sie. „Mein Freund?“ fragte Michael verwirrt. Er wußte nicht, worauf Jennifer hinaus wollte.

„Harvey Collon“, half Jennifer ihm auf die Sprünge. „Oh ... der. Hat er etwas heraus gefunden?“ fragte Michael neugierig nach. „Das hat er. Die Schriftrollen sind in Kairo ... in einer alten Pyramide.“ Fassungslos blickte Michael sie an. Er konnte nicht glauben, was sie da sprach. „Er hat sie tatsächlich gefunden?“ Jennifer nickte bejahend. „Wow! Das hätte ich nicht gedacht. Und ... was willst du jetzt machen?“ erkundigte sich ihr Kollege.

„Wir gehen auf die Reise. Ich werde die Schriftrollen holen. Bist du interessiert?“ fragte sie ihn. „Ich soll dich begleiten?“ sprach Michael zweifelnd. „Ja, daß habe ich mir jedenfalls gedacht. Ich könnte deine Hilfe gebrauchen.“ Michael seufzte. Jennifer merkte, daß etwas nicht stimmte. „Was ist los?“ fragte sie scharfsinnig. „Hör mal, Jennifer: Ich finde es schön, daß du mich dabei haben willst. Aber ich bin kein Abenteurer. Ich bin nicht wie du. Ich arbeite gern im Museum, da ist es wesentlich ungefährlicher. Ich meine ... nach diesen Schriftrollen suchen ist eine Sache, aber sie tatsächlich zu holen eine ganz andere. Ich kann das nicht“, gestand er ihr.

„Ach komm, Michael! Sei kein Feigling! So gefährlich ist das gar nicht. Wir reisen nach Ägypten, holen uns die Schriftrollen und sehen dann weiter. Niemand wird uns deswegen erschießen“, sprach sie neckend. „Bist du dir da so sicher? Ich meine ... was ist, wenn noch Anhänger des Scorpion Kings leben? Sie werden uns doch aufhalten wollten.“ „Wieso?“ fragte Jennifer bloß.

„Wieso?“ wiederholte Michael perplex. „Wieso sollten Sie uns aufhalten? Wir wollen doch beide das Grab des Scorpion Kings finden. Also, dürfte das kein Problem sein. Wir würden uns nur gegenseitig behindern, wenn wir uns bekriegen. Außerdem ... ein wenig Nervenkitzel schadet uns nicht“, meinte Jennifer locker. Sie sah die ganze Sache nicht so ernst. „Aber sie werden ihn erwecken wollen“, protestierte Michael.

„Michael“, begann Jennifer sanft. „Das können sie gar nicht. Wir haben das Jahr des Scorpion King. Er wird völlig von allein aufwachen. Mit einen Ritual macht man es ihm nur ein wenig leichter, du verstehst? In sechs ... nein ...fünf Wochen ist es soweit. Das geschieht von allein, wenn die Legende über ihn stimmt. Da braucht man nicht besonders viel nachhelfen. Also, kommst du mit um raus zu finden, ob die Legende wirklich stimmt? Oder bleibst du hier?“ fragte Jennifer geradeheraus.

Ein leiser Seufzer entrang sich Michaels Kehle. Er konnte ihr einfach nichts abschlagen. Schon lange hatte er eine Schwäche für seine hübsche, engagierte Kollegin, doch die hatte nur Augen für den Scorpion King. Sie hatte ihn auf ein so hohes Podest gestellt, daß niemand eine Chance gegen ihre fixe Idee hatte. „Ja, ich komme mit“, meinte er. „Damit habe ich gerechnet“, erwiderte Jennifer lächelnd.

„Ich weiß“, sprach Michael. „Wie planst du das alles?“ „Richard besorgt die Ausrüstung. Er kümmert sich um alles. Wir beide werden mit dem Flugzeug nach Ägypten fliegen. Ein guter Freund von mir wird uns fliegen. Ich habe zwar noch nicht mit ihm gesprochen, aber für Geld tut er einfach alles. Richard wird außerdem dafür sorgen, daß uns in Kairo ein Team von Beduinen zur Verfügung steht. Mit denen machen wir uns dann auf zu der Pyramide und beginnen mit der Arbeit“, erklärte Jennifer.

„Weiß du überhaupt, in welcher Pyramide sich die Schriftrollen befinden?“ „Noch nicht. Ich werde morgen noch einmal mit deinen Freund sprechen. Du gibst mir doch die Nummer, oder?“ Bejahend nickte Michael. „Er soll es herausfinden und mir Bescheid sagen.“ „Und wann fliegen wir?“ „In drei Tagen“, sprach Jennifer entschlossen. Sie kam ihrem lang ersehnten Ziel immer näher. Nichts und niemand würde sie aufhalten können. Sie würde die Oase des Scorpion Kings finden.

~ 4. ~

Drei Tage später waren Jennifer und Michael nach Ägypten unterwegs. Richard hatte ihnen alles besorgt, was sie für eine solche Reise benötigten. Jennifers Freund James hatte sich auch bereit erklärt sie zu fliegen ... gegen eine gehörige Summe, daß verstand sich von selbst. Als sie in Kairo ankamen, war es später Nachmittag und die Abendsonne stand hoch am Horizont.

Ein dunkelhäutiger Mann mit schwarzen Haar kam auf sie zu. Freundlich lächelte er. „Ms. Croft?“ fragte er mit tiefer Stimme, die seinen ägyptischen Akzent verriet. Jennifer strich sich eine Haarsträhne aus der Stirn und blickte ihm in die Augen. „Ja?“ „Mein Name ist Achmed Majesit. Ich gehöre zu den Männern, die mit Ihnen arbeiten werden. Ich bin Ihr Führer“, stellte er sich vor. Jennifer reichte ihm zur Begrüßung die Hand.

„Lassen Sie dieses förmliche Ms. Croft. Nennen Sie mich Jennifer“, bat sie. „Oh ... das kann ich nicht tun. Sie sind meine Chefin und ...“, widersprach Achmed. „Ich bestehe darauf, daß Sie mich Jennifer nennen. Das tun alle.“ „Nun ...gut“, willigte er zögernd ein. Jennifer stellte ihren Begleiter vor. „Folgen Sie mir“, bat Achmed und er führte sie zu einem Auto. Sie luden ihre Ausrüstung in den Wagen und stiegen ein. Wenig später fuhren sie eine holprige Straße entlang – Richtung Wüste.

„Das Lager ist schon aufgebaut worden – vor der Pyramide. Sie ist sehr alt“, bemerkte Achmed. „Waren Sie schon drinnen?“ „Nein, die Beduinen hier in der Gegend sind sehr abergläubisch. Sie glauben, wenn jemand die Ruhe der Toten stört, wird er verflucht.“ „Tatsächlich?“ fragte Jennifer amüsiert. Wenn es nach den Einheimischen ging, war jede einzelne Pyramide, die jemals erbaut worden war, verflucht.

„Ja, für sie ist das Betreten einer Grabstätte – und etwas anderes ist eine Pyramide nicht – Ruhestörung der Toten. Aber ich denke, wenn Sie ihnen Befehle geben, werden diese Männer sie auch durchführen“, sprach Achmed an Jennifer gewandt. Der Weg wurde immer holpriger und unebener. Die Straße hatte schon vor einiger Zeit aufgehört. Vor ihnen lag die weite Wüste und die Pyramiden streckten sich hoch dem Himmel entgegen.

„Das hoffe ich doch.“ „Warum wollen Sie diese Schriftrollen finden?“ erkundigte sich Achmed neugierig. „Ich will die Grabstätte des Scorpion Kings finden“, erwiderte Jennifer schlicht. Überrascht warf Achmed ihr einen eindeutigen Blick zu. „Wieso? Er ist gefährlich, ein schrecklicher Untoter. Er ist verdammt und verflucht. Man sagt, er wäre der mächtigste Krieger der Welt und Anubis gab ihm seine Unsterblichkeit. Warum wollen Sie ihn finden? Wir haben das Jahr des Skorpions. Es heißt, er wird bald wieder auferstehen“, sprach Achmed ernst.

„Das weiß ich“, gab Jennifer Achmed zu verstehen. „Ich weiß es. Und ich will beweisen, daß die Legende über ihn stimmt. Seine Geschichte hat mich schon immer fasziniert. Und mit Hilfe der Schriftrollen finde ich hoffentlich den Weg nach Am Shere.“ „Wissen Sie, Jennifer, was Sie da tun?“ „Diskutieren Sie mit Jennifer nicht darüber. Sie läßt sich nicht von ihrem Weg abbringen – nicht, wenn es um den Scorpion King geht“, mischte sich Michael in das Gespräch ein.

Achmed nickte verständnisvoll. Dann tauchten Zelte vor ihnen auf, die sich um ein riesiges Lagerfeuer tummelten. Und ein paar Schritte von den Zelten entfernst stand eine mächtige Pyramide. „Wir sind da. Das ist unser Lager“, sprach Achmed, obwohl diese Worte überflüssig waren. Er hielt den Wagen etwas abseits von den Zelten.

„Vielleicht sollen Sie ein wenig schlafen. Die Pyramide läuft Ihnen nicht davon“, schlug Achmed vor, der erkannte, das Jennifer etwas müde war. Man sah ihr die Erschöpfung der langen Reise an. „Eine gute Idee“, stimmte Jennifer ihm zu. „Achmed, wecken Sie mich bei Sonnenaufgang. Dann beginnen wir mit der Arbeit. Ich werde Fackeln brauchen um in der Pyramide etwas sehen zu können.“ „Ich werde dafür sorgen“, versprach Achmed ihr.

Der Beduine zeigte Jennifer das Zelt, das für sie aufgebaut worden war. Dann zog Achmed den Vorhang hinter sich zu und ließ die reiche Erbin, die ihn bezahlte, allein. Jennifer blickte sich um. Es war ihr nicht fremd. Schließlich war es nicht das erste Mal, das sie in einem Zelt schlief. Es war spärlich eingerichtet, aber das Schlaflager sah verlockend aus.

Es war aus lauter Kissen und Decken und sah unglaublich bequem aus. Jennifer löste ihren Haarknoten, von dem sich schon ein paar Strähnen lösten. Dann zog sie sich um und wusch sich das Gesicht und die Hände. Die lange Reise hatte sie müde gemacht und für ihre Nachforschungen mußte sie wachsam sein. Schon morgen würde sie wieder topfit sein und mit ihrer Suche beginnen.

Erleichtert legte sich Jennifer auf das Schlaflager und zog die Decke über sich. Der Innenraums des Zeltes war abgedunkelt, obwohl die Abendsonne ein wenig hereinschien. Schon bald fielen Jennifer die übermüdeten Augen zu. Sie fiel in einen tiefen, unruhigen Schlaf mit einen erneuten Traum, dessen Bedeutung sie erst finden mußte ...

6000 Jahre zuvor

Er wanderte durch die Wüste. Der Scorpion King stöhnte leise und hob angestrengt den Kopf. Sein Blick war schwer. Seine Augenlider fühlten sich matt und schwer an. Nur mit Mühe konnte er noch die Augen offen halten. Die segnende, unnachgiebige Hitze der Wüste prallte auf ihn herab und schwächte ihn. Vor ihm tat sich noch mehr Sand auf. Wo er auch hinsah ... überall war Sand.

Hinter ihm lagen die Leichen seiner Armee. Einer nach dem anderen war gestorben – qualvoll gestorben durch Verdursten. Nach ihrer Niederlage hatte man sie tief in die Wüste vertrieben um zu verhindern, daß sie jemals wieder kamen. Man wollte, daß sie alle einen qualvollen, sinnlosen Tod starben. Das Schild, daß der Scorpion King trug, glitt ihm aus der Hand, genauso wie sein Schwert. Die beiden Dinge waren mit der Zeit in der Wüste zu schwer für ihn geworden. Beides landete im Sand. Er konnte sie nicht mehr halten. Er konnte nicht mehr. Er fühlte sich schwach und an der Schwelle des Todes.

Sein Körper wollte – konnte – der Hitze und dem Wasserentzug nicht mehr Stand halten. Doch der Scorpion King wollte nicht sterben – noch nicht. Seine Zeit war noch nicht gekommen. Erst wollte er Rache nehmen ... Rache für diese schreckliche Niederlage. So leicht würde er nicht aufgeben. Er schleppte sich mühsam weiter. Sein Blick fiel auf das Armband an seiner Hand – sein magisches Armband aus Gold. Und plötzlich wußte er, was er zu tun hatte. Es war seine einzige Chance zu überleben. Er hatte keine andere Wahl.

Der Scorpion King fiel auf die Knie und schrie gepeinigt auf. Er hob seine rechte Hand mit dem Armband in die Höhe und blickte zum Himmel hoch. „Anubis!“ schrie er. „Ich biete dir einen Handel an. Nimm dir von mir, was du willst. Aber laß mich am Leben. Laß mich meine Rache bekommen. Gib mir deine Armee. Ich tue, was du von mir verlangst. Doch laß mich am Leben!“ Einen Moment lang war alles still. Eine gespenstische Stille legte sich über die weite Wüste. Nicht einmal der Wind war zu hören.

Und dann ... dann wehte eine unglaubliche, übernatürliche Kraft den Sand auf. Der Wind peitschte durch die Luft und über den Scorpion King hinweg. Das Aufwirbeln des Sandes ähnelte einen Sandsturm, doch der entthronte König beachtete es nicht. Ein grelles Licht tauchte am Himmel auf und ein verzerrtes Gesicht war darin zu erkennen. „Ich will deine Seele“, flüsterte Anubis.

Leicht nickte der Scorpion King. „Dann nimm sie dir. Doch laß mich nicht sterben. Ich werde dir dienen. Ich bin ein Anhänger deines Glaubens. Laß mich nicht in Stich.“ „Das werde ich nicht, Scorpion King. Ich verleihe dir die Macht der Unsterblichkeit. Ab dem Moment, an dem deine Seele mir gehört, bist du unsterblich. Du bekommst meine Armee und wirst mir bis in alle Ewigkeiten dienen. So soll es geschehen“, entschied Anubis.

„Ich danke dir“, flüsterte der Scorpion King erleichtert. Im nächsten Augenblick fuhr ein helles Feuer durch seinen Körper und schüttelte ihn stark durch. Er schrie vor Schmerzen auf; schien innerlich zu verbrennen. Und dann war es auch schon vorbei. Der Krieger sah wie etwas helles von ihm getrogen wurde. Es wurde zum Himmel getragen und tauchte in der Ferne der Wolken unter. Das Licht verschwand hinter dem Horizont. Er wußte, es war seine Seele. Er hatte sie verloren. Und dafür war er nun unsterblich.

Sein Blick hob sich langsam. Ein eiskaltes Lächeln glitt über seine Lippen. Seine Augen waren kalt und schwarz wie die Nacht. Es war die Kälte, die nun sein Innerstes beherrschte. Der Scorpion King fühlte die Macht, die seinen Körper durchströmte. Es war eine unsterbliche Macht, die ihn jetzt noch stärker als zuvor machte. Er stand auf und sah vor sich die ihm versprochene Armee ... die Armee von Anubis.

Sie sahen wie schwarze Hunde mit glühenden Augen aus, die aufrecht standen. Sie trugen den Schmuck ihres Gottes Anubis und trugen Waffen; schwere Waffen. Ehrfurchtsvoll verbeugten sie sich vor dem Scorpion King, ihrem neuen Gebieter. Sie erwarteten seine Befehle. Der Scorpion King lachte laut. Nun würde seine Feinde staunen. Mit dieser Armee würde er sie alle zerstören ...

Gegenwart

Jennifer erwachte aus ihrem Traum. Sie seufzte leise und stand auf. So war es also geschehen. Sie verstand einfach nicht, was diese Träume von ihr wollten. Warum sie diese Träume – ja, Visionen – hatte. Und warum geschah es ausgerechnet jetzt? Die junge Engländerin trank einen Schluck Wasser und kehrte ins Bett zurück.

Doch Jennifer dachte über ihren Traum nach; konnte nicht sofort wieder einschlafen. So war also sein Deal mit Anubis entstanden. So war er zu der mächtigen Armee von Anubis gekommen. Jetzt, wo sie in Ägypten war, kamen die Bilder immer stärker und immer öfter. „Ich muß herausfinden, was das zu bedeuten hat“, flüsterte Jennifer und sie sank schwach in die Kissen zurück.

~ 5. ~

Hoch am Horizont ging die Sonne auf. Achmed zögerte einen Moment. Es gehörte nicht zu den Traditionen seines Landes, das Zelt einer unverheirateten, alleinstehenden Frau zu betreten. Und es gefiel ihm nicht. Doch Jennifer hatte ihm gesagt, er solle sie bei Sonnenaufgang wecken. Es war Jennifers ausdrücklicher Wunsch. Achmed seufzte und fügte sich dem Wunsch seiner Chefin. „Ms. Croft?“ fragte er vor ihrem Zelt.

Leicht schien die Sonne durch den Spalt in das Zelt. Jennifer blinzelte und hob eine Hand, um ihre Augen vor der plötzlichen Lichteinwirkung zu schützen. „Ja?“ murmelte sie schläfrig. „Die Sonne ist aufgegangen“, teilte Achmed ihr mit. „Danke, Achmed.“ „Wollen Sie Frühstück?“ „Sehr gern.“ Er nickte und der Vorhang fiel wieder zu, den er ein Stück zur Seite geschoben hatte.

Eine Frau, die für die Arbeiter kochte, brachte Jennifer einen großen Krug von frischen Wasser ins Zelt. Jennifer bedankte sich und war froh, Wasser zu haben. Sie wusch ihr Haar und bürstete es ausgiebig durch. Dann band sie es geschickt zu einem Knoten im Nacken zusammen und zog sich an.

Jennifer entschied sich für eine Hose und eine braune, kurzärmlige Weste aus Wildleder. Sie hatte sowieso nur Kleidung dabei, die für die Wüste und ihre Arbeit mit Staub und Sand geeignet war. Dazu zog sie ihre kniehohen, schwarzen Stiefel an. Jennifer trat aus dem Zelt und in die inzwischen schon grelle Sonne. Auch Michael saß schon am Lager und genoß das Frühstück.

„Guten Morgen“, sprach Jennifer gutgelaunt. „Guten Morgen, Jennifer“, erwiderte Michael als sie zu neben ihn setzte. Achmed reichte ihr eine Schüssel. „Spiegelei mit Speck“, meinte Michael. „Schmeckt gut, ehrlich.“ „Genau das Richtige, bevor man anfängt, eine Pyramide zu erforschen“, sprach Jennifer und sie ließ sich das Frühstück schmecken.

Eine halbe Stunde später

Achmed und zwei weitere ägyptische Arbeiter begleiteten Jennifer und Michael in das Innere der Pyramide. Die Arbeiter trugen Fackeln und die Ausrüstung bei sich. Achmed ging mit einer Fackel voran um Jennifer den Weg zu ebnen und notfalls sofort Alarm zu schlagen, wenn Gefahren in der Finsternis der Pyramide lauerten.

Jennifer ließ ihren Blick in der Pyramide herum gleiten. Die Fackeln warfen Lichtscheine auf die bemalten Wände. Auf den Wänden waren alte Zeichnungen zu sehen. Es waren faszinierende Zeichnungen, die sich Jennifer näher anschauen wollte. „Wartet!“ Ihr Ruf hielt die kleine Gruppe auf. Alle sahen sie verwundert an. „Ich brauche eine Fackel“, sprach sie bloß. Achmed kam näher und seine Fackel spendete Jennifer genügend Licht um sich die Wandmalerei anzusehen.

Eine bestimmte Zeichnung hatte ihre ganze Aufmerksamkeit auf sich gezogen. Sie näherte sich ihr. „Jennifer?“ Fragend blickte Michael sie an. Er sah das Glänzen in ihren Augen. Es war offensichtlich, daß sie etwas entdeckt hatte. Es mußte etwas sein, was von Bedeutung sein könnte. Jennifer reagierte nicht auf Michaels Stimme. Ihre Finger fuhren zart über die Wandmalerei, so als hätte sie Angst, eine Berührung würde die Zeichnung zerstören. Die Zeichnung bestand aus der Armee von Anubis und davor stand stolz der Scorpion King.

Jennifer erstarrte regelrecht. Der Atem wurde ihr für eine lange Minute geraubt. Und dann ... dann schlug ihr Herz um das tausendfache schneller. Ihr Puls fing an zu rasen. Die Zeichnung des Scorpion Kings ... sie war so identisch mit dem Mann aus ihrem Traum, aus ihrer Vision. Er hatte wirklich so ausgesehen. Jennifer konnte es kaum glauben. „Das ist er“, flüsterte sie voller Respekt.

Sie sprach so leise, das man sie fast nicht verstand. Michael kam näher. „Das ist wer?“ fragte er neugierig. „Der Scorpion King“, offenbarte ihm Jennifer. Fasziniert starrte sie auf die Zeichnung des wilden Kriegers. Wer immer dies gezeichnet hatte ... er schien zu wissen, was er da erzählte. Diese Zeichnung erzählte die Wahrheit. Jennifers Blick glitt nach oben.

„Treten Sie einen Schritt zurück, Achmed“, bat sie. Verwundert folgte der Beduine ihrer Aufforderung und hielt die Fackel hoch. Das Licht erhellte die Wand und sie war voll mit Malereien über den Scorpion King. „Mein Gott“, flüsterte Jennifer. Ihre Augen glitten über die Wand. Jede einzelne Zeichnung war Teil einer Geschichte. Es war eine Geschichte aus dem Leben des mächtigsten Kriegers, der vor langer Zeit verbannt worden war.

„Sie haben sich wirklich Mühe gegeben“, flüsterte Michael verblüfft. Er konnte es kaum fassen. Er erkannte die Wandmalerei; wußte wie jeder andere, was sie zu bedeuten hatte. Der Scorpion King schien eine große Anhängerschaft gehabt zu haben. „Unglaublich“, sprach Achmed das aus, was alle sich dachten. Jennifer blickte bis zum Ende der Wände hoch. Es war von ganz besonderem Wert, daß wußte sie. Diese Wandmalereien waren äußerst kostbar. Jennifer atmete tief ein um ihren Atem ein wenig zu beruhigen.

„Hat ... hat irgend jemand diese Zeichnungen schon einmal gesehen?“ fragte sie und richtete ihre Aufmerksamkeit auf Achmed, der neben ihr stand. Mit düsterer Miene erwiderte er ihren fragenden Blick. Verneinend schüttelte Achmed den Kopf. „Seit Jahrhunderten hat niemand mehr diese Pyramide betreten.“ Er schwieg für einen Moment. Jennifer spürte, daß Achmed ihr etwas verheimlichte – etwas wichtiges.

„Was ist los, Achmed? Der Grund dafür liegt sicher nicht nur daran, daß die Einheimischen hier der Meinung ist, das Betreten einer Pyramide stört die Totenruhe, oder?“ Herausfordernd sah sie ihn an. Er zögerte und wich ihrem scharfen Blick aus, doch Jennifer fing seinen Blick wieder auf. Ihr trotziger und stolzer Blick zwang Achmed ihr die Wahrheit zu offenbaren.

„Man erzählt sich, daß diese Pyramide verflucht ist?“ „Verflucht?“ sprach Jennifer locker. Achmed nickte leicht. Ein zartes Lächeln glitt über Jennifers Lippen. Michael schien jedoch beunruhigt zu sein. Und sie bemerkte es. Jennifer drehte sich zu ihrem Arbeitskollegen um. „Glaub es nicht, Michael! Jede Pyramide ist den Einheimischen nach verflucht. Auf jeder Pyramide liegt angeblich ein Fluch. Aber es stimmt nicht. Also, glaub dieses Ammenmärchen nicht.“ Doch Michael schien nicht sehr davon überzeugt zu sein. Jennifer ging weiter und die Gruppe folgte ihr. Achmed führte die Gruppe an und brachte sie sicher durch die alten, verwirrten Gänge der Pyramide.

Ägyptische Wüste

„Wir haben sie gefunden“, rief ein Mann und er verbeugte sich vor dem Stammesältesten. „Wir haben die Schriftrollen des Scorpion Kings gefunden.“ Sein Gegenüber blickte ich aufmerksam am. „Habt ihr sie?“ Nun zögerte der Mann. „Es gibt da ein Problem“, begann er vorsichtig. Er wartete die Reaktion seines Gesprächspartners ab, die sogleich erfolgen würde. Der ältere Mann verzog grimmig das Gesicht. Komplikationen konnten sie sich nicht leisten.

„Welches Problem?“ fragte er schließlich. „Es ist schon jemand an diesen Ort“, gestand der jüngere Mann. Die Augen des Älteren funkelten wütend. „Wer?“ erkundigte er sich scharf. „Eine junge Archäologin aus England mit einem kleinen Team. Sie ist bereits bei der Pyramide und sucht wie wir nach den Schriftrollen. Und ich bin mir sicher, daß sie die Schriftrollen bald gefunden hat.“ Der ältere Mann überlegte einen Moment.

„Findet raus, was sie mit den Schriftrollen will“, forderte er. „Sollen wir sie nicht aufhalten?“ Der Mann schüttelte verneinend den Kopf und blickte den Jüngeren finster an. Doch das hatte bei ihm nichts zu bedeuten, da er immer einen finsteren Ausdruck im Gesicht hatte. „Noch nicht. Wenn sie die Oase des Scorpion Kings aufspürt, wird sie uns zu seiner Grabstätte führen. Das kann uns nur helfen. Wir werden abwarten.“ Der Jüngere nickte. Wie immer würde er den Befehlen des Stammesältesten gehorchen und seine Befehle nicht in Frage stellen. Er wußte am Besten, was zu tun war.

Kairo, die Pyramide

Michael und die Arbeiter hatten die Pyramide verlassen. Jennifer und Achmed waren noch in den mit großen Zeichnungen bemalten Raum, der wie eine Halle aussah. Alte Kunstschätze standen in den Ecken und der Boden war verdreckt. Doch das störte Jennifer nicht. Sie war die dreckigen Verhältnisse ihrer Arbeit gewohnt.

Jennifer untersuchte die Zeichnungen und versuchte die Worte, die darunter standen, zu entschlüsseln. Sie konzentrierte sich völlig auf ihre Arbeit und schien fast vergessen zu haben, wo sie war. Achmed beobachtete sie bei ihrer Arbeit, während Jennifer die Worte niederschrieb um sie besser entschlüsseln zu können.

„Warum tun Sie das?“ fragte er plötzlich in die Stille hinein. Jennifer wandte ihm das Gesicht zu und lächelte leicht. Dann richtete sie ihre Aufmerksamkeit wieder auf die Zeichnungen. „Ich weiß es nicht. Ich kann nicht sagen warum. Schon immer hat der Scorpion King eine gewisse Faszination auf mich ausgeübt. Ich wollte sein Leben erforschen; wollte beweisen, daß es ihn wirklich gegeben hat. Es wurde ... ja ... es wurde fast schon zu einer Art Besessenheit.“ Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Sie spielen mit dem Feuer, Jennifer. Wissen Sie das?“ Sie nickte bejahend. „Ich weiß, ja. Aber ich bin bereit die Konsequenzen für meine Handlungen zu tragen. Ich will nur beweisen, daß es ihn gegeben hat. Mehr will ich nicht. Sollte es ihn wirklich gegeben haben, wacht er sowieso von selbst auf. Sie wissen ja, Achmed, wir haben das Jahr des Skorpions. Niemand kann seine Auferstehung verhindern.“ Der Beduine nickte leicht.

„Ich weiß. Und ich bin deswegen etwas beunruhigt. Wir alle sind deshalb nervös. Wenn er wieder zum Leben erwacht, bedroht er die Menschheit. Haben Sie so weit schon gedacht? Was passiert, wenn er wieder aufwacht?“ Neugierig blickte er die junge Frau an. „Nein“, gab sie schlicht zu. Jennifer klappte ihr Buch zu. „Jedenfalls nicht intensiv. Ich werde darüber nachdenken, wenn es soweit ist.“ „Dann könnte es schon zu spät sein“, warf Achmed ein.

„Möglich, aber ...“ Jennifer fuhr zusammen als weiter hinten in der Pyramide ein seltsames Geräusch erklang. Es war nicht sehr weit von ihnen entfernt. Es hatte sehr nah geklungen. So ein Geräusch hatte sie noch nie zuvor gehört. Es klang grausam und doch war es nicht zu identifizieren. Jennifer konnte nicht sagen, wonach es geklungen hatte. Dieses Geräusch war ihr fremd. Sie blickte Achmed an, der sofort nach seinem Gewehr griff, das schußbereit neben ihm lag.

„Was war das?“ flüsterte Jennifer und sie begegnete dem Blick von Achmed. „Ich weiß es nicht. Aber ich halte es für besser, wenn wir die Pyramide verlassen. Ich bin nicht scharf darauf es heraus zu finden. Ich sagte doch, die Leute erzählen sich, daß die Pyramide verflucht sei.“ Jennifer sammelte ihre Sachen zusammen und stopfte sie in ihren Rucksack, den sie immer bei sich trug. „Das ist Blödsinn, Achmed“, widersprach sie, als sie den Raum verließen. Glühende Augen sahen ihnen nach.

~ 6. ~

„Kann ich reinkommen, Jennifer?“ fragte Michael und er blieb ruhig vor dem Zelt der Engländerin stehen. Die Abenddämmerung war herein gebrochen und im Zelt hatte Jennifer Licht gemacht. Seit sie sich die Worte der Wandmalereien aufgeschrieben hatte, hatte sie sich in ihr Zelt verkrochen. „Natürlich, komm nur rein“, rief sie. Michael betrat das Zelt. Jennifer hatte ihr Haar hochgesteckt und saß auf ihrem Schlaflager und studierte die Wörter.

„Hast du schon etwas übersetzt?“ fragte er neugierig und kam näher. „Nicht viel“, seufzte Jennifer. „Es ist in alt-ägyptisch geschrieben. Ich hab es studiert und mich in diesen Bereich auch weiter gebildet, aber ... viele dieser Wörter kenne ich nicht. Es ist eine weiträumige Sprache, wo noch nicht alle Wörter entdeckt wurden. Man arbeitet noch an der Vervollständigung.“ „Verstehe“, murmelte Michael.

„Aber ...“, begann Jennifer und sie griff nach einem Blatt Papier. „Das hier habe ich schon übersetzt.“ Sie reichte Michael das Papier. Ihr Kollege las es sich interessiert durch. „Er wird kommen. Dann, wenn du es nicht erwartest. Du wirst sein Sklave sein, so wie vor Tausenden von Jahren“, las Michael laut. Verwirrt blickte er Jennifer an. „Lies weiter“, forderte sie ihn auf.

„Seine Macht wird unendlich sein. Sein Ziel ... die Unterwerfung der Welt. Die Welt wird ihm gehören. Der Fluch über ihn wird bei seiner Auferstehung nicht mehr existieren.“ Überrascht sah Michael auf. „Welcher Fluch?“ fragte er irritiert. Das schien das Stichwort zu sein auf das Jennifer gewartet hatte.

„Genau das ist es. In den Legenden über den Scorpion King steht kein Wort davon, daß er verflucht wurde. Jetzt ergibt für mich alles einen Sinn“, sprach Jennifer begeistert. „Dann teile mir deine Gedanken mit“, bat Michael. „Wie du weißt, wurde der Scorpion King von Anubis selbst getötet.“ „Ja.“ „Hast du dich noch nie gefragt warum?“ Eindringlich sah sie Michael an. „Doch schon, so sehr aber auch wieder nicht. Ich bin mir sicher, du weißt es. Also frage ich dich ... Warum?“ Jennifer schenkte ihm ein leichtes Lächeln.

„Ich sag es dir: Der Scorpion King wurde machtgierig. So sehr, daß er Anubis hinterging und verriet. Er schaffte es Anubis‘ Armee zu unterwerfen, so das sie sich seinem einzigen Willen beugten. Das bedeutet, daß Anubis‘ Armee sich von ihrem Gott abwandten und ihr Leben dem Scorpion King opferten. Dafür mußte er sterben. Und Anubis sprach einen Fluch über ihn. Einen Fluch, der erst Jahrtausende danach aufgehoben werden konnte. Diese Zeit ist nun gekommen. Wenn er zum Leben erwacht, ist er mächtiger als jemals zuvor. Denn dann ist er nicht mehr verbannt“, teilte Jennifer ihrem Freund ihr Wissen mit.

„Verstehe“, murmelte Michael. „Du hast recht. Das ergibt sogar einen Sinn.“ „Nicht wahr?“ „Du denkst also, dieser Fluch wird aufgehobeen und danach ist er stärker als jemals zuvor?“ Entschlossen nickte Jennifer. „Ich denke es nicht nur ... ich bin mir ziemlich sicher, daß es so ist, Michael.“ „Hoffentlich täuscht du dich“, sprach Michael besorgt.

„Wieso?“ fragte Jennifer verwirrt. „Wie willst du ihn aufhalten, wenn er wieder erwacht?“ Diese Fragte brachte Jennifer für einen Moment tatsächlich aus ihrem Konzept. Verblüfft starrte sie ihren Kollegen an. Anscheinend konnte sie nicht glauben, was er da gerade gesagt hatte. „Wie bitte?“ fragte sie kopfschüttelnd.

„Du hast mich schon verstanden, Jennifer“, gab Michael ihr zu verstehen. „Wie willst du diesen Scorpion King stoppen, wenn er tatsächlich erwacht? Ich meine, irgendwie werden wir ihn doch aufhalten, damit er die Welt nicht zerstört, oder?“ brachte Michael die Sache auf den Punkt, obwohl ihm unwohl dabei war. Einen kurzen Moment dachte Jennifer über seine Worte nach.

Sie war so versessen darauf den Scorpion King und seine Oase Am Shere zu finden, daß sie weiter gar nicht gedacht hatte. Doch was würde wirklich geschehen, wenn er wieder zum Leben erwachte? Was sollte sie tun? Würde sie überhaupt etwas tun? Jennifer zweifelte daran, daß sie den Krieger, dem sie ihr ganzes Leben gewidmet hatte, wirklich vernichten oder aufhalten konnte.

„Wir werden gar nichts unternehmen“, sprach sie zu ihrer eigenen Überraschung. Es schien, als hätte sie plötzlich keine Kontrolle mehr über ihren Körper, über ihre Stimme und ihre Handlungen. Es war, als wäre sie auf einmal in einen fremden Körper. Irritiert schüttelte Jennifer den Kopf um diese Gedanken zu vertreiben. Sie war niemand anderer. Sie war Jennifer Croft.

„Was soll das heißen? Wir werden nichts unternehmen? Ich mag kein Abenteurer sein, aber ich weiß, daß wir ihn aufhalten müssen, bevor er diese Welt vernichtet. Wir können ihn doch nicht einfach tun lassen, was er will“, protestierte Michael heftig. „Wir werden gar keine andere Wahl haben. Nach seiner Auferstehung ist er mächtiger als jemals zuvor. Nichts und niemand kann ihn stoppen, glaube mir. Er wird unbesiegbar sein. Immerhin steht die Armee von Anubis hinter ihm. Einfache Menschen – Forscher – werden ihn nicht stoppen können.“ „Ich dachte, die Armee von Anubis wäre für immer vernichtet?“ warf Michael verwirrt ein. Verneinend schüttelte Jennifer den Kopf.

„Mit ihm wurde die Armee von Anubis verbannt. Wenn der Scorpion King wieder aufersteht, wird auch die Armee von Anubis wieder auferstehen. So steht es jedenfalls geschrieben. Und ich bin davon überzeugt, daß es so sein wird. Wir werden ihn nicht aufhalten können, wenn es soweit ist. Seine Auferstehung wird geschehen und niemand wird das zu verhindern wissen.“ Michael nickte schockiert. Er schien erst jetzt begriffen zu haben, worauf er sich da eingelassen hatte. Für einen Rückzug war es schon längst zu spät. Michael stand auf und ließ Jennifer allein. Sie hielt ihn nicht auf; wußte sie doch, daß er jetzt Zeit zum nachdenken brauchte.

Spät nachts war Jennifer über ihren Nachforschungen eingeschlafen. Die Müdigkeit hatte sie einfach überfallen. Und als es völlig still im Lager war, huschten dunkle, geheimnisvolle Gestalten herum. Nur ein schwaches Feuer war in der Mitte des Lagers errichtet worden. In den Zelten war es dunkel. Die Gestalten waren nicht genau zu erkennen als sie durch das Lager schlichen. Man konnte nicht sagen, ob es Menschen oder längst vergessene Kreaturen waren.

Sie waren lautlos; machten kein einziges Geräusch. Die Menschen dieses Lagers sollten sie nicht bei ihrem Vorhaben erwischen. Zwei der Kreaturen schoben den Vorhang zu Jennifers Zelt zurück. Sie traten ein und blickten sich mit glühenden Augen um. Ihre Augen schienen Feuer zu spucken. Langsam kamen sie näher. Eine Hand mit langen Krallen griff nach dem Geschriebenen von Jennifer.

In alt-ägyptisch sprach die Kreatur mit seinen Begleiter. Die andere Kreatur sah sich in Jennifers Zelt um kam an das Schlaflager, wo sein Begleiter stand. Er las sich Jennifers Geschriebenes ebenfalls durch. Erstaunt hob er den Kopf und blickte auf seinen Begleiter. Dieser nickte leicht. Die erste Kreatur bestätigte den Gedanken der Zweiten.

Sie sprachen in ihrer Sprache, die längst vergessen war, weiter. Sie flüsterten um die fremde Frau nicht aufzuwecken. Es wäre nicht gut, wenn man sie entdeckte. Und das die Frau schreien würde, wenn sie die Kreaturen an ihrem Bett sah, war klar. Also senkten sie ihre Stimmen um miteinander zu kommunizieren. Die Kreaturen schlichen leise wieder zum Eingang des Zeltes. Während die Eine verschwand, blickte die Andere zurück. Ihre glühenden Augen erfaßten die junge Archäologin und fixierten sie. Der glühende Blick schien sich in Jennifer zu bohren, die friedlich schlief und nichts von den heimlichen Besuchern mitbekam.

In diesem Moment drehte sich Jennifer im Schlaf herum. Fahles Licht fiel auf ihr zartes Gesicht. Die Kreatur erschrak. Sie erkannte das Gesicht. Ein anderes, ihr so bekanntes Gesicht, spiegelte sich über dem von Jennifer. Die Ähnlichkeit war auf den ersten Blick schon äußerst verblüffend, aber die Kreatur sah ihr wahres Gesicht, das tief in ihr schlummerte. Doch das war nicht möglich. Oder etwa doch? Die Kreatur rief etwas zu seinen Begleitern, die sofort angerannt kamen und sich am Eingang versammelten.

Mit erstaunten Gesichtern und weit aufgerissenen Augen starrten sie auf Jennifer. Sie konnten nicht glauben, was sie sahen. Verwirrt blickten sie sich an. Niemand hatte dafür eine Erklärung. Aber es war so, daran bestand kein Zweifel. Dieses Gesicht ... sie alle kannten es. Und in diesem Moment wurde ihnen klar, daß sie Jennifers Arbeit nicht behindern durften, so wie sie es eigentlich vorgesehen hatten.

Der Scorpion King würde sie mit dem Tod bestrafen, wenn sie die junge Engländerin daran hinderten, den Weg zu ihm zu finden. Das wußten sie. Es war sogar ihre Pflicht, dafür zu sorgen, das Jennifer sicher bei ihm ankam. Es war ihre heilige Pflicht, Jennifer zu helfen und sie zur goldenen Pyramide des Scorpion King zu führen. Und es mußte unbemerkt geschehen. Jennifer durfte nicht merken, daß sie aus dem Hintergrund Hilfe bekam um den Weg nach Am Shere ausfindig zu machen und dort sicher anzukommen. 

Der Anführer der Kreaturen gab den Befehl zum Rückzug. Sie hatten hier nichts mehr verloren. Außerdem würde bald die Sonne aufgehen und die Menschen durften nichts von ihrer Existenz erfahren. Deshalb verschwanden die Kreaturen schnell und lautlos in den tiefen Gängen der Pyramide, wo die Schriftrollen ihres Gottes aufbewahrt waren.

Jedoch blieb der Anführer noch für einen Moment. Er trat in das Zelt und bückte sich nach Jennifers Block. Dann schrieb er ein Zeichen darauf. Sie mußte beim Scorpion King sein, wenn es soweit war. Und deshalb mußte er ihr helfen die Schriftrollen zu finden. Dieses Zeichen würde ihr helfen, das Versteck der Schriftrollen ausfindig zu machen. Die Kreatur zog sich zurück. Doch bevor sie verschwand, sah sie zu Jennifer und sprach geheimnisvoll einen Namen. „Nefertiri ...“

~ 7. ~

Am nächsten Morgen hatte Jennifer ein seltsames Gefühl im Bauch als sie aufstand und sich für einen weiteren Tag fertig machte. Sie konnte es sich nicht erklären, aber ihre Instinkte sagten ihr, daß jemand in ihren Zelt gewesen war. Jennifer spürte einfach, das eine fremde Gestalt da gewesen war. Sie warf noch einen Blick auf ihre Notizen, bevor sie das Zelt verließ. Zuerst las sie sich das Geschriebene nicht sehr aufmerksam durch, doch dann ... ein Zeichen weckte ihre Aufmerksamkeit. Verwundert setzte sie sich hin um es genauer zu studieren.

„Aber ... das habe ich doch gar nicht geschrieben“, flüsterte sie irritiert. Das war nicht einmal ihre Handschrift. Schlagartig wurde es ihr klar: Jemand war letzte Nacht hier gewesen. Jemand hatte ihre Aufzeichnungen gelesen und dieses Zeichen auf ihren Block geschrieben. Jennifer wußte nicht, ob sie vor Angst schreien oder es einfach vergessen sollte. Hatte es überhaupt eine nähere Bedeutung, das jemand in ihren Zelt gewesen war?

Sie beschloß, Achmed davon zu berichten. Der Beduine sollte es wissen. Doch zuerst würde sie dieses Zeichen entziffern. „Ich habe das schon mal wo gesehen“, flüsterte Jennifer und sie dachte nach. Und dann wurde es ihr klar. Dieses Zeichen hatte sie in der Pyramide gesehen. Es prangte an einer der vielen Wände der Pyramide.

Mit hastigen Schritten verließ Jennifer ihr Zelt und ging auf die Pyramide zu. Jennifer ignorierte die Männer, die schon auf waren. „Guten Morgen, Jennifer“, rief Michael laut, doch sie reagierte nicht einmal darauf. Verwundert sahen sich Michael und Achmed an. Sie spürten, daß etwas nicht stimmte und sprangen auf um Jennifer hinterher zu eilen.

Jennifer griff entschlossen nach einer Fackel, die Achmed ihr aus der Hand nahm. „Guten Morgen“, sprach er. „Jemand war letzte Nacht in meinen Zelt“, teilte Jennifer ihm mit ohne auf seine Worte zu achten. Mit festen Schritten ging sie den Gang entlang, den sie am Vortag entdeckt hatte. „Jemand war in deinem Zelt?“ mischte sich Michael beunruhigend ein.

„Ja, ich weiß zwar nicht, wer und was dieser jemand gesucht hat. Aber er hat mir das hinterlassen“, sprach sie und drückte Achmed ihren Block in die Hand. „Das habe ich nicht geschrieben. Es stand heute Morgen einfach auf dem Block als ich aufgewacht bin.“ Sie bog ab und ging auf den großen Raum zu, den sie am Vortag abgesucht hatte.

„Ich habe dieses Zeichen schon mal gesehen. Und ich weiß auch wo. Ich kenne es. Aber ich muß es vor Augen haben, um genau zu wissen, was es bedeutet“, sprach sie. Achmed und Michael konnten kaum mit ihr Schritt halten. „Sie sagten, jemand war in Ihrem Zelt“, bemerkte Achmed besorgt. Ihm gefiel das alles nicht. Skeptisch blickte er sich um. Achmed wurde das Gefühl nicht los, daß sie beobachtet wurden. Er konnte es nicht mit Sicherheit sagen, aber sein Gefühl trog ihn nie. Sie wurden beobachtet. Diese Pyramide ist wirklich verflucht, dachte er beunruhigt.

„Hören Sie, Jennifer: Wenn jemand in Ihrem Zelt war, ist es besser, wenn wir die Sachen packen und von hier verschwinden.“ „Der Mann hat recht“, mischte sich Michael ein. „Ich denke ja nicht dran. Wir bleiben“, beschloß Jennifer. „Es wird zu gefährlich. Wir sind hier in Gefahr, verstehen Sie das nicht?“ Abrupt blieb Jennifer stehen und sie drehte sich zu ihren beiden Begleitern um.

„Nein, Sie verstehen nicht! Ich spüre, daß ich den Schriftrollen ganz nahe bin, Achmed. Ich kann jetzt nicht aufgeben. Ich muß sie haben. Wenn ich nicht die Oase des Scorpion King finde, werde ich nie richtig glücklich sein. Außerdem ... was immer in meinen Zelt war, es wollte mich nicht töten. Dazu hatte dieser jemand immerhin die Gelegenheit. Aber ich lebe noch. Man wollte mich nicht töten.“ „Dann seien Sie froh darüber. Fordern Sie das Schicksal nicht heraus“, warnte Achmed sie. Jennifer ging einfach weiter.

„Warum nicht, Achmed? Sehen wir doch einmal was das Schicksal für mich bereit hält“, sprach Jennifer entschlossen und sie schob mit Michaels und Achmeds Hilfe eine Tür zur Seite. Achmed steckte die Fackel in eine Halterung und zündete auch die Fackeln an, die schon im Raum waren. So wurde genügend Licht gespendet, damit Jennifer nach diesem bestimmten Zeichen suchen konnte.

Jennifer sah sich aufmerksam um; suchte jeden Winkel, jede Ecke mit den Augen um. Und dann fand sie es. Sie zog ihren Block hervor und verglich die Zeichen. Es war identisch. „Ich habe es gefunden“, rief sie. Achmed und Michael traten näher. Vorsichtig strich Jennifer über das Zeichen. Sie blickte weiter nach vorne und las sich die ganze Zeile durch. „Natürlich“, flüsterte sie leise als sie den Satz entschlüsselt hatte. Jennifer ging zu der Fackel, die in der Ecke in einer Halterung befestigt war und entfernte sie. Sie reichte sie an Achmed weiter.

„Und? Was steht da?“ fragte Michael neugierig. Doch Jennifer erwiderte darauf nichts. Ihre Finger schlossen sich um den unteren Teil der Halterung. Dann zog sie daran und schob die Halterung wie ein Hebel hinunter. Überraschung spiegelte sich in Achmeds und Michaels Gesicht wieder. Woher hatte sie das bloß gewußt?

„Jennifer“, begann Michael, doch sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. „Genau das steht auf der Wand. Das Zeichen, das auf meinen Block steht, ist nur der Schlüssel gewesen. In der Halterung ist ein Hebel eingebaut worden und der öffnet diese Wand. Es ist eine Geheimwand, ein geheimer Raum“, erklärte sie. Jennifer nahm Achmed die Fackel ab und trat in den dunklen Raum ohne Angst zu haben.

„Wow“, sprach Achmed und Michael gleichzeitig. Sie sahen sich an und dachten das Gleiche. Doch sie hatten keine Zeit weiter darüber nachzudenken. Die Beiden folgten Jennifer in den leeren Raum. An den Wänden waren Skorpione zu sehen. Zwischen den Skorpionen wurden durch alte Zeichnungen erzählt, wie der Scorpion King an seine Unsterblichkeit und Anubis‘ Armee gekommen war. Ein Podest stand in der Mitte des Raumes. Und darauf stand eine alte, geheimnisvolle Truhe.

Entschlossen und wie hypnotisiert schritt Jennifer darauf zu. Etwas schien sie zu der Truhe zu ziehen. Jennifer hatte nicht das Gefühl, das sie ging. Sie hatte eher das Gefühl, das sie schwebte. „Sei vorsichtig, Jennifer“, warnte Michael sie. Doch darauf hörte sie nicht. Jennifers Hand glitt selbstsicher über die Truhe. Sie wußte instinktiv, wenn hier Fallen eingebaut waren ... sie würde nicht verletzt werden. Sie konnte nicht sagen, woher sie es wußte. Sie wußte es nur.

Jennifer entdeckte einen Riegel und schob ihn zurück. Vorsichtig öffnete sie den Deckel der Truhe. Es kam ihr seltsam vor, daß keine Vorkehrungen getroffen worden waren. Doch sie schüttelte den Gedanken sofort wieder ab und vergaß ihn. Wie gebannt starrte sie auf den Inhalt. Die lange Reise, die Strapazen, die Kosten ... alles hatte sich gelohnt. Die lang ersehnte Belohnung lag vor Jennifer auf dunkelroten Samt: Die Schriftrollen des Scorpion Kings.

Endlich hatte sie die Schriftrollen gefunden. All die Zeit ... die Arbeit ... die endlosen Diskussionen mit ihren Freunden und Bekannten ... die vielen Überstunden im Museum ... es hatte sich alles gelohnt. Es hatte sich wirklich ausgezahlt, so lange zu glauben und zu hoffen. Der erste Schritt war getan. Sie hatte es wirklich geschafft und hatte die Schriftrollen, nach denen sie so lange gesucht hatte, gefunden.

Mit Hilfe dieser überaus wertvollen Schriftrollen würde sie die Oase Am Shere finden und somit die Grabstätte des Kriegers, der sie schon so lange faszinierte und in seinen Bann zog. Nichts und niemand würde sie jetzt noch aufhalten. Sie würde dorthin reisen und die Oase des Scorpion Kings betreten. Die Schriftrollen würden ihr den Weg zeigen. Den Weg zu der geheimnisvollen Oase ... schon bald würde Jennifer ihn gefunden haben.

~ 8. ~

Sie waren wieder in Europa. Michael und Jennifer fuhren mit dem Zug nach London. Jennifer saß über den Schriftrollen und versuchte sie zu entziffern. Das war gar nicht so einfach. Sie waren wieder zu Hause. Michael war nach ihrer Ankunft in seine Wohnung gefahren und Jennifer war von einem Hausangestellten am Bahnhof abgeholt worden. Nach einen schönen, heißen Bad lag sie nun auf ihrem Bett und arbeitete weiter an der Entzifferung der alten Schriftrollen.

Jennifer faßte sie mit großer Vorsicht an, da sie nicht wollte, daß das alte Papier brach. Und bei den vielen Jahren, die die Schriftrollen auf den Buckel hatten, konnte das schnell passieren. Deshalb war sie extrem vorsichtig. Diese Schriftrollen waren unersetzbar. Sie waren von unbegrenzten Wert. Noch von der langen Reise ermüdet, konnte Jennifer bald nicht mehr die Augen offenhalten. Die Anstrengungen waren einfach zu groß gewesen. Jennifer fiel in einen tiefen Schlaf ...

6000 Jahre zuvor

In der eroberten, ägyptischen Wüste war eine unglaubliche Stadt aufgebaut worden. Es gab einen großen Palast, den der Scorpion King bewohnte. Er hatte bekommen was er wollte. Der Scorpion King saß auf seinen Thron und beobachtete das Showspiel, das für ihn veranstaltet wurde. Ein kleines Lächeln glitt über seine Lippen. Mit zwei langen Dolchen kämpften zwei Frauen miteinander um ihn zu erfreuen. Sie kämpften hart und verbissen. Man konnte nicht sagen, ob es ein echter Kampf oder ob alles nur gespielt war.

Die beiden Frauen trugen Masken. Man sollte ihre Gesichter nicht sehen. Das war ja das Reizvolle an den beiden Kämpferinnen. Die Masken waren aus Gold und mit ägyptischen Mustern verziert. Ihre Aktionen wurden immer kühner und schneller ... bis die Eine ihre Gegnerin entwaffnete und zu Fall brachte. Die Beobachter dieses Kampfes hielten den Atem an. Was würde jetzt geschehen?

In diesen Moment klatschte der Scorpion King in die Hände und die Stille zerbrach. „Das genügt“, rief er. Die beiden Frauen drehten sich zu ihm und verbeugten sich voller Respekt. Der Scorpion King erhob sich und stieg die Stufen seines Thrones hinunter. Er blieb vor einer der beiden Frauen stehen und nahm ihre Hand zärtlich in seine. Mit einer einzigen Bewegung entzog er ihr die beiden Dolche und reichte ihn an einen Anhänger weiter. Mit der anderen Hand deutete er der zweiten Frau an zu verschwinden. Ehrfürchtig verbeugte sie sich noch einmal und verließ den Raum.

Der Scorpion King nahm der Siegerin des Kampfes langsam die Maske auf. Langes, schwarzes Haar fiel wie ein Schleier ihre Schultern hinab. Ein leichtes Lächeln glitt über seine Lippen. „Du wirst immer besser“, sprach er. Sie nickte leicht um ihm ihren Respekt zu zollen. Der Krieger legte zwei Finger unter ihr Kinn und streichelte zärtlich die Kontur. Sein Blick verriet ihr seine Zuneigung, die er für sie empfand. „Du hast gelernt“, stellte er sachlich fest. „Alles, was ich weiß, habe ich von dir gelernt“, sprach die junge Frau.

Er blickte ihr in die Augen und las darin ihre tiefe Zuneigung für ihn. Dann zog er sie an sich und küßte sie zärtlich. Bereitwillig schlang sie ihre Arme um seinen Nacken. Ein Lächeln lag auf den Lippen des ansonsten so harten und sturen Scorpion Kings. Sie war der einzige Mensch auf dieser Welt, die aus den harten Krieger einen sanften, liebenden Mann machte. Seine Hand streichelte leicht über ihren Rücken. Das noch andere Menschen anwesend waren, interessierte ihn nicht. Er blickte der jungen Kämpferin in die Augen. „Du weißt, du bist meine Königin.“ „Ja, das weiß ich“, erwiderte sie. „Vergiß es niemals, Nefertiri ...“

Gegenwart

Schläfrig wachte Jennifer auf. Sie wunderte sich nicht über ihren Traum. Sie wunderte sich bloß über diese Art von Traum. Es war nie bekannt geworden, daß der Scorpion King eine Geliebte gehabt hatte. Jennifer zog sich an und nahm nur ein kleines Frühstück zu sich. Gleich danach machte sie sich wieder an die Arbeit. Ihre Gedanken wanderten jedoch immer wieder zu ihrem eigenartigen Traum zurück.

Der Scorpion King hatte diese Frau tief geliebt. Woher Jennifer das wußte, konnte sie nicht sagen. Nur ... sie wußte es. Jennifer hatte es in ihrem Traum gesehen. Sie hatte die Zuneigung gesehen, die der Krieger der jungen Frau ganz offen entgegen gebracht hatte. Sie hatte die Frau nur von hinten gesehen. Ihr Gesicht war nicht sichtbar gewesen. Wer war sie? Wer war Nefertiri gewesen? Was für eine Frau war sie gewesen? War sie mehr gewesen als nur die Geliebte des Scorpion Kings?

„Tja, wenn ich die Oase und somit seine Grabstätte finde, finde ich vielleicht etwas mehr über diese geheimnisvolle Frau heraus“, murmelte Jennifer. Die Schriftrollen lagen ausgebreitet auf ihrem Schreibtisch. Tag und Nacht arbeitete sie daran; gönnte sie kaum eine Ruhepause. Langsam, aber sicher, fand sie immer mehr über den Text der Schriftrollen heraus.

Fünf Tage später

Jennifer hatte hart an der Übersetzung gearbeitet. Nun hatte sie es endlich geschafft. Fasziniert starrte die junge Engländerin auf die mehr als sechs Seiten Übersetzung. Ausgebreitet lagen die Blätter auf ihren Bett. Jennifer konnte es kaum glauben; konnte es nicht fassen. Sie hatte es wirklich geschafft. Es war ihr wirklich gelungen.

Sie hatte den mysteriösen Aufenthaltsort der Grabstätte tatsächlich gefunden. Sie hatte das Geheimnis gelüftet. Jennifer hatte es gewußt. Diese Schriftrollen würden ihr den Weg nach Am Shere zeigen. Sie würden ihr den Weg offenbaren. Die ganze langjährige Arbeit hatte sich nun wirklich gelohnt. Der Fund würde unbeschreiblich sein.

Jennifer griff nach dem Telefonhörer und rief Michael an. Bevor er überhaupt etwas sagen konnte, plapperte sie auch schon darauf los. Michael merkte an ihrer Stimme, das sie total aufgeregt war. „Ich habe sie entschlüsselt.“ Augenblicklich wußte Michael, wovon sie sprach. Sie konnte nur von den Schriftrollen sprechen. Ein anderes Thema hatte Jennifer ja nicht mehr.

„Stell dir vor, ich habe die Zeichen der Schriftrollen endlich entziffert. Es war gar nicht so einfach, da die Sprache sehr alt ist. Und viele der Zeichen habe ich noch nie zuvor gesehen. Deshalb mußte ich etwas recherchieren und das hat einiges an Zeit beansprucht. Aber ich bin mir sicher. Ich habe es heraus gefunden. Ich kenne nun den Weg zu der goldenen Pyramide“, sprach Jennifer aufgeregt.

Sie atmete tief durch. So aufgeregt war sie selten gewesen. Sie wußte, was dieser Erfolg bedeutete. Und Michael war sich dessen auch bewußt. Nur konnte er noch nicht sagen, ob er sich darüber wirklich freuen sollte. Vier Wochen noch, dachte er frustriert. Wenn Jennifers Berechnung und auch die Legende stimmte, würde es in vier Wochen soweit sein. Dann würde der Scorpion King auferstehen.

Michael war nicht scharf darauf dabei zu sein, wenn der schrecklichste Untote der Welt aus seinem Grab entsteigen würde. Und er wollte auch nicht, das Jennifer dabei war, wenn es soweit war. Doch inzwischen kannte der Engländer seine Kollegin gut genug, um zu wissen, was sie tun würde. Sie würde sich davon nicht einschüchtern lassen und auf jeden Fall vor Ort dabei sein wollen. Michael wußte, was kommen würde. Er konnte es vorhersehen.

„Okay, ich schätze einmal, du willst wieder auf Reisen gehen“, sprach er seufzend. In seiner Stimme war ein leichtes Zögern heraus zu hören, doch Jennifer sah geflissentlich darüber hinweg. Sie lachte leise; hörte sie seine Zweifel ja äußerst deutlich und konnte sie sich auch seinen Gesichtsausdruck nur zu gut vorstellen. Diese Vorstellung war köstlich und amüsierte sie innerlich.

„Ja, wir gehen wieder auf Reisen“, erwiderte sie aufgeregt. Ihr Blick glitt zu den wertvollen Schriftrollen des Scorpion Kings. Ihr Blickt fiel auf ihre Hand. Ihre Finger zitterten leicht, so aufgeregt war sie. „Sagst du mir auch, wohin unsere Reise diesmal geht?“ erkundigte sich Michael nun. Er klang etwas neugierig. Jennifer nickte leicht, obwohl sie wußte, das er es nicht sehen konnte. Es war gut, wenn er neugierig war. Einen kurzen Moment schwieg sie. Dann ergriff sie wieder das Wort. „Es geht zurück nach Ägypten.“

~ 9. ~

Mit einen größeren Team als bei ihrer letzten Reise waren sie wieder in Ägypten unterwegs. Jennifer hatte Achmed wieder als Führer engagiert. Zuerst hatte er nicht gewollt, aber Jennifer hatte ihm eine riesige Summe bezahlt, damit er sie doch begleitete. Letztendlich hatte Achmed zugesagt, obwohl er nach wie vor von dieser Reise nicht sehr begeistert war.

Ihr Weg führte sie durch die heiße Wüste von Kairo. Mit Kamelen traten sie ihre anstrengende Reise durch die Wüste an. Jennifer hatte ein Tuch um ihr Haar gebunden, damit sie keinen Sonnenstich bekam. Die Reisenden kamen gut voran. Doch der Weg durch die Wüste war die schwerste Hürde, das war Jennifer klar.

Achmed ritt mit Michael an der Spitze der Gruppe. „Glauben Sie ihr?“ fragte Achmed mit einen fragenden Blick. Leicht zuckte Michael mit den Schultern. „Ich weiß es nicht. All das, was sie mir bis jetzt erzählt hat, klingt sehr glaubwürdig. Ich denke schon, das sie die Wahrheit spricht. Immerhin kennt niemand die Legende über den Scorpion King besser als sie. Jennifer hat ihm ihr ganzes Leben gewidmet. Nur ...“ Michael verstummte. Auffordernd blickte Achmed den Engländer an.

„Ich habe Angst, das Jennifer in eine Katastrophe stolpert, die sie nicht kontrollieren kann“, gestand Michael dem Beduine. Achmed nickte verständlich. „Sie unterschätzt die Gefahr in der wir uns befinden. So ungefährlich ist die ganze Sache nicht. Vom Scorpion King geht eine größere Gefahr aus als sie es wahrhaben will.“ Zustimmend nickte Michael. Wenigstens der Beduine verstand seine Sorge und wischte sie nicht einfach so beiseite wie Jennifer es tat.

„Wenn Sie so denken ... warum sind Sie dann mitgekommen, Achmed?“ „Aus demselben Grund wie Sie, Michael. Ich will Jennifer beschützen“, sprach er wahrheitsgemäß. „Ich verstehe. Sie denken also, das Jennifer nicht nur sich, sondern womöglich auch uns mit ihren sturen Willen in Gefahr bringt?“ griff Michael das eigentliche Thema wieder auf. Achmed nickte bloß. „Ja, genau das denke. Ich bin mir sogar ziemlich sicher, das die Gefahr, die von der Oase ausgeht, auch uns überrollen wird.“ Die Gruppe bewegte sich langsam vorwärts.

Bei Einbruch der Dunkelheit hatten sie in der Wüste schon längst ihr Nachtlager aufgeschlagen. Lange nach Mitternacht – alle schliefen schon tief und fest – hörte man das leise Trippeln von Füßen, die sie sich vorwärts bewegten. Die Kreaturen, die schon einmal durch das Lager von Jennifer geschlichen waren, waren wieder da. Es war, als hätten sie die Gruppe seit ihrem Fund in der Pyramide nicht aus den Augen gelassen.

Sie waren leise und verhielten sich, als wären sie gar nicht da. Der Anführer der Kreaturen die schwarz wie die Nacht waren, schlich sich erneut lautlos in Jennifers Zelt. Lange blickte er die schlafende Frau an. Sie sah tatsächlich aus wie ... Er schüttelte den Kopf. Die Kreatur holte etwas aus seiner Gürteltasche. Es war ein langer, goldener Dolch. Er mußte dafür sorgen, das sie erkannte, wer sie war; das sie ihre Erinnerung an ihr früheres Leben zurück bekam – wenigstens zum Teil. Den Rest würde dann sein Herr und Gott erledigen.

Die Kreatur war dafür verantwortlich, das Jennifer unbeschadet und von den Wächtern der goldenen Pyramide verschont, bei der Grabstätte des Scorpion Kings ankam. Der Scorpion King würde sie alle töten, wenn seinen kostbarsten Schatz etwas geschah. Das wußte die Kreatur. Also durfte ihr nichts passieren. Und aus diesem Grund bestand seine Aufgabe darin, Jennifer zu schützen und ihr – ohne das sie es merkte – den Weg zu der Oase zu zeigen.

Bei Sonnenaufgang stand Jennifer auf und zog sich an. Erst nach dem Frühstück, als das Lager abgebaut wurde, bemerkte sie den Dolch aus einer längst vergessenen Zeit. Er lag so in ihrem Zelt, das sie ihn auf jeden Fall sehen mußte. Und sie erkannte ihn sofort. Das war einer der Dolche mit dem die Frau aus ihrem Traum gekämpft hatte. Die Frau, die der Scorpion King geküßt hatte, hatte einen solchen Dolch getragen.

„Was hast das zu bedeuten?“ flüsterte sie. „Jennifer, kommst du?“ rief Michael von draußen. „Ja, ich bin gleich da“, erwiderte Jennifer hastig und sie versteckte den Dolch in ihrem Rucksack. Jemand war in der letzten Nacht in ihrem Zelt gewesen. Instinktiv fühlte sie, das es dieselbe Kreatur gewesen war, die bei ihrer ersten Reise schon in ihrem Zelt gewesen war. Dieser Dolch ... vielleicht wollte irgend jemand ihr einen Hinweis geben. Aber wer? Und was wollte dieser jemand ihr bloß mit seinen Taten sagen?

Sie setzten ihre Reise fort. Jennifer trieb ihr Kamel neben Achmed. „Sie kennen die Legende des Scorpion Kings doch auch, Achmed. Darf ich Sie etwas fragen?“ „Natürlich“, sprach er lächelnd. „Hatte der Scorpion King eine Geliebte?“ Einen langen Augenblick war Achmed von dieser Frage überrascht. Dann schüttelte er verneinend den Kopf. „Nicht das ich wüßte. Es ist jedenfalls nichts bekannt. Warum fragen Sie, Jennifer?“ Sie zuckte gleichgültig mit den Schultern.

„Ich bin nur neugierig. Das ist etwas, was mich beschäftigt. Ich kann mir einfach nicht vorstellen, das er eine solche Macht besaß und es keine Frau an seiner Seite gab“, sprach sie zweifelnd. Verneinend schüttelte Achmed leicht den Kopf. „Es ist aber so, jedenfalls denke ich das. Es ist mir jedenfalls nicht bekannt, das es eine Frau in seinen Leben als Herrscher gab.“ Jennifer nickte leicht, um ihn zu signalisieren, das seine Meinung bei ihr angekommen war.

Gegen den Nachmittag, sie waren schon den ganzen Tag unterwegs, hielt die Gruppe an. Jennifer öffnete die Schriftrollen und studierte ihre Übersetzungen. Zweifelnd blickte sie sich um. Rund um sie herum war nichts als die Wüste zu sehen. „Und? Wo müssen wir lang?“ fragte Michael seine Kollegin. Jennifer blickte Michael mit einen zerknirschten Gesichtsausdruck an. „Nun ... um ehrlich zu sein ... ich weiß es nicht“, gestand sie leise.“ „Das ist doch ein Witz, oder?“ meinte Michael entsetzt. Jennifer lächelte entschuldigend.

„Tut mir leid, Leute, aber ich weiß nicht, wo es weitergeht. Es kann sein, das ... nun ... das wir uns verwirrt haben.“ Achmed ergriff das Wort, bevor Michael sich noch mehr aufregte. „Beruhigen Sie sich, Jennifer. Denken Sie nach. Ich weiß, die Wüste ist groß. Denken Sie über Ihre Übersetzung der Schriftrollen nach“, riet er ihr. „Wir machen eine kleine Pause“, rief Achmed in die Runde.

Die Arbeiter stiegen von ihren Kamelen und griffen nach ihren Wasserflaschen um einen kleinen Schluck zu trinken. Jennifer stieg ebenfalls von ihren Kamel und vertrat sich ein wenig die Beine. Ihre Muskeln fühlten sich durch das Reiten schon total verspannt an. „Gehen Sie nicht zu weit weg, Jennifer. Wir wollen Sie in dieser großen Wüste nicht verlieren“, rief Achmed ihr nach. Sie reagierte jedoch nicht auf seine Worte.

Mit langsamen Schritten ging Jennifer davon. Sie nahm ihr Kopftuch ab und atmete die Luft ein. Die Hitze in der Wüste war fast unerträglich. Doch langsam gewöhnte sie sich daran. Jennifer fuhr sich mit den Fingern durch das Haar. Der Wind wehte in der Wüste nur sehr wenig. Die meiste Zeit war es eine trockene Hitze, die herrschte. Wie geht es bloß weiter? fragte sie sich. Sie fand den Weg nicht mehr. Sie hatte den Weg nach Am Shere aus den Augen verloren. Jennifer setzte sich in den Sand.

Für einen Moment schloß sie die Augen. Jennifer wollte für einen kurzen Augenblick abschalten; einfach entspannen. Für einen kurzen Moment wollte sie alles vergessen. Doch eine Stimme in ihren Kopf wurde immer lauter. Die Stimme sprach in einer fremden Sprache, aber Jennifer verstand, was sie ihr sagen wollte. Irritiert schlug sie die Augen auf und blickte sich suchend um.

Doch sie war allein. Niemand war bei ihr. Aber da war jemand, der zu ihr sprach. Wieder schloß Jennifer die Augen und konzentrierte sich auf das, was man ihr sagen wollte. „Folge deinem Instinkt“, sprach die Stimme leise. „Tief in dir kennst du den Weg nach Am Shere. Du brauchst keine Schriftrollen dafür. Du kennst den Weg. Folge deinem Herzen. Es wird dich zu dem Ort führen, wo du hin willst.“ Und dann verstummte die Stimme wieder und alles war ruhig.

Entschlossen stand Jennifer auf und band sich das Tuch wieder um die Haare. Das alles wurde immer mysteriöser. Die mystischen Gestalten, die nachts durch das Lager schlichen und ihr geheimnisvolle Hinweise im Zelt hinterließen ... die Visionen aus dem Leben des Scorpion Kings ... und jetzt das ... diese Stimme, die ihr den Weg zu der Oase zeigte. Was hatte das alles zu bedeuten? Was Jennifer aber am meisten überraschte, war die Tatsache, das diese Stimme Recht hatte. Sie brauchte nur in sich horchen ... ihr Herz sagte ihr, wohin sie gehen mußte.

Jennifer stieß wieder zu ihrer Gruppe. „Steigt auf! Wir reiten weiter!“ befahl sie energisch. „Wie bitte?“ Michael war von ihrer sekundenschnellen Wandlung vollkommen überrascht. „Ich weißt jetzt, wie es weitergeht. Ich kenne nun den Weg. Ich weiß, wie wir nach Am Shere kommen.“ Jennifer griff nach den Zügeln ihres Kamels. „Na los, worauf wartet ihr? Wir reiten weiter!“ Das Kamel von Jennifer erhob sich. Erwartungsvoll blickte sie ihre Begleiter an, die sofort auf ihre Kamele stiegen.

Die junge Engländerin ritt voraus. Sie konnte sich die ganze Sache nicht erklären, aber die Stimme – die sie gehört hatte – hatte Recht. Tief in ihrem Herzen kannte sie den Weg zu der geheimnisvollen Oase mit der goldenen Pyramide, die die Grabstätte des Scorpion Kings darstellte. Sie mußte dieses Geheimnis in sich nur noch ausgraben ...

~ 10. ~

Ein paar Tage später

Ihr Weg führte sie noch immer durch die Wüste. Michael traute der Selbstsicherheit seiner Kollegin nicht mehr so richtig. Er war sich sicher: Sie hatten sich verirrt. Achmed jedoch glaubte an Jennifers Eingebung. Der Beduine glaubte daran, das die junge Engländerin den Weg zu der Oase kannte. Er konnte nicht sagen, warum er sich dessen so sicher war, aber ... da war auf einmal etwas an Jennifer, was ihm dieses Gefühl vermittelte.

Sie hatten ihr Nachtlager aufgeschlagen. Jennifer saß vor ihrem Zelt und blickte die funkelnden Sterne am Himmel an. Es schien ihr, das die Sterne in der Wüste heller leuchteten als in der Stadt. Für einen Moment trugen sie Jennifer in eine fremde Welt; ließen sie alle Strapazen ihrer Arbeit und ihrer Reise vergessen. Da hörte Jennifer Schritte. Sie blickte auf und sah Achmed, der lächelnd näher kam. Jennifer rückte ein Stück zur Seite, damit er sich zu ihr setzen konnte. Achmed ließ sich neben ihr nieder.

„Wunderschön, nicht wahr?“ flüsterte Jennifer und sie deutete zum Sternenhimmel. „Allerdings. Darum liebe ich die Wüste so sehr. Ich bin kein Mensch, der in der Stadt leben kann. Ich brauche meine rauhe Heimat.“ „Mir ist noch nie aufgefallen wie hell die Sterne hier draußen leuchten. In der Stadt ist das anders.“ Achmed lächelte leicht. „Das kann ich mir gut vorstellen.“  Jennifer lachte und warf ihr Haar zurück.

„Aber Sie suchen mich bestimmt nicht auf um mit mir über die Wüste oder die Sterne zu sprechen. Was wollen Sie, Achmed?“ fragte sie. „Wissen Sie, Jennifer, ich denke über ihr auffallendes, fast schon besessenes Interesse am Scorpion King nach. Es läßt mir keine Ruhe. Warum interessiert er Sie so?“ Neugierig blickte der Beduine sie an. Leicht zuckte Jennifer mit den Schultern.

„Ich habe Ihnen ja schon einmal erzählt, daß er mich schon immer interessiert hat. Ja, ich bin besessen von ihm. Aber ich kann nicht sagen, woher das kommt. Ich weiß es nicht. Diese Besessenheit ... sie war schon immer da. Schon als Kind war ich von ihm fasziniert und habe alles gelesen, wo etwas über ihn geschrieben stand.“ Wieder folgte ein leichtes Zucken der Schultern.

„Warum interessiert es Sie, Achmed, wie ich darüber denke? Warum ich das tue?“ Fragend zog Jennifer eine Augenbraue hoch. Achmed seufzte leise. „Ich bin nur aus einem einzigen Grund noch einmal mit gekommen“, erklärte er ihr. „Nämlich?“ fragte Jennifer herausfordernd. „Um Sie zu beschützen, Jennifer“, gestand er aufrichtig.

Überrascht, aber auch etwas fassungslos blickte Jennifer ihn an. „Sie wollen mich beschützen? Wovor?“ fragte sie zögernd. Sie konnte nicht verstehen, warum dies sein einziger Grund war, erneut mit ihr zu kommen und sich an ihrer Suche zu beteiligen. Jennifer glaubte nicht daran in Gefahr zu sein. Wie kam Achmed bloß auf diese Idee? Außerdem kannte er sie noch nicht so lange. Und er wollte sie beschützen?

„Es ist absurd, das ich in Gefahr bin“, blockte Jennifer kopfschüttelnd ab. „Jennifer, Sie wissen nicht in welcher Gefahr wir alle schweben“, sprach Achmed eindringlich. „Wieso? Glauben Sie ernsthaft ... wir sind in Gefahr, Achmed?“ „Ich kenne die Geschichten über den Scorpion King. Wenn er tatsächlich wieder aufersteht ist die Welt in Gefahr. Und alle, die bei seiner Auferstehung dabei sind, werden geopfert.“ „Das weiß ich“, seufzte Jennifer.

„Aber ... warum wollen Sie dann die Pyramide finden? Wenn wir sie tatsächlich finden, werden wir bei seiner Auferstehung dabei sein. Jennifer, ist Ihnen nicht die Gefahr bewußt, in der wir alle uns befinden?“ Jennifer blickte Achmed an und zuckte leicht mit den Schultern. „Ehrlich gesagt, denke ich nicht darüber nach. Natürlich kann es sein, daß ich die Gefahr unterschätze, aber ...“ Erneut zuckte sie mit den Schultern. „Ich denke einfach nicht zuviel darüber nach.“ „Das sollten Sie aber“, riet Achmed ihr.

Langsam erhob sich Jennifer. „Ich schätze Ihre Meinung, Achmed. Und ich schätze es auch, das Sie mich beschützen wollen. Aber das ... wird nicht nötig sein.“ Achmed erhob sich ebenfalls und blickte Jennifer ernst in die Augen. „Wie meinen Sie das? Warum wird das nicht nötig sein?“ hakte er energisch nach.

Jennifer zögerte einen Moment. Sollte sie ihm wirklich ihr Gefühl offenbaren? War es wirklich eine gute Idee es mit jemanden zu teilen? Immerhin wußte sie ja selbst nicht, woher dieses bestimmte Gefühl kam. Sie wußte nur, das es da war. Doch Jennifer entschloß sich dazu, es ihm zu sagen. „Weil ich nicht in Gefahr bin“, sprach sie schlicht. Jennifer drehte sich um und ging in ihr Zelt.

Ihre Antwort überraschte Achmed. Wie konnte sie sich dessen so sicher sein? Sie waren alle in Gefahr. Je näher sie dem Scorpion King kamen, desto mehr war ihre Sicherheit in Gefahr. Achmed konnte das nicht einfach so hinnehmen. Er wollte Antworten. Und er wollte sie jetzt erfahren. Entschlossen folgte der Beduine Jennifer in das Zelt.

„Was meinen Sie damit?“ fragte er scharf. Jennifer drehte sich zu ihm um. „Was soll ich wie meinen?“ erwiderte sie unschuldig. „Warum sind Sie nicht in Gefahr?“ „Ich weiß es, ehrlich gesagt, nicht. Ich fühle es einfach. Dieses Gefühl, das ich nicht in Gefahr bin, ist einfach da.“ Gleichgültig zuckte Jennifer mit den Schultern. „Jennifer, wir sind alle in Gefahr, verstehen sie das?“ sprach Achmed entschlossen auf die junge Frau ein.

Langsam nickte sie. „Ja, ich verstehe das, Achmed“, sprach Jennifer mit einen leichten Lächeln. „Aber Sie brauchen sich keine Sorgen machen. Ich kenne die Gefahr. Glauben sie mir ... das alles ist es am Ende wert. Sie sind doch ein Abenteurer, oder?“ hakte Jennifer nach. Bejahend nickte Achmed. „Das hier ist das Abenteuer Ihres Lebens. Lassen Sie es nicht an sich vorbeiziehen. Sie werden es nicht bereuen. Sie müssen mir einfach vertrauen.“ „Ich hoffe wirklich, Sie wissen was Sie tun, Jennifer“, murmelte Achmed ergebend. „Gute Nacht, Achmed.“ „Gute Nacht.“ Der Beduine ließ sie allein.

Als sie am nächsten Morgen aufbrachen, brannte die Sonne schon heiß vom Himmel herab. So war das nun einmal in der Wüste. Tagsüber war es brennend heiß, das man die Hitze kaum ertragen konnte und wenn die Nacht herein brach, kühlte die Temperatur rapide ab. Langsam kam die Gruppe voran. „Du siehst müde aus“, bemerkte Michael als er Jennifer genauer betrachtete.

Die junge Engländerin lächelte gezwungen. „Es ist schon okay. Ich ... hab bloß wenig geschlafen, das ist alles. Es ist die Aufregung auf das was wir finden. Es läßt mich kaum richtig zur Ruhe kommen. Ich spüre, daß wir bald da sind. Die Oase ... wir haben sie bald gefunden.“ „Woher weißt du das?“ fragte Michael unbehaglich. „Ich spüre es einfach“, murmelte Jennifer und sie trieb ihr Kamel weiter vorwärts.

Unterwegs machten sie immer wieder eine Pause. Die Tiere waren genau wie ihre Reiter müde. Die Sonne brannte herunter und machten ihnen allen zu schaffen. Vor allem aber Jennifer litt darunter. Sie war eine solche Hitze einfach nicht gewohnt. Aber sie beklagte sich nicht. Jennifer lehnte sich gegen den Hals ihres Kamels und schloß die Augen. Und plötzlich tauchten mächtige Bilder vor ihr auf. Ein Weg durch die Wüste und dann ... Am Shere, die Oase.

Schlagartig war die Hitze vergessen. Jennifer war hellwach und schlug die Augen auf. Der Weg ... die Oase war direkt vor ihnen. Ihr Herz hatte sie wirklich nach Am Shere geführt. Sie waren näher an ihrem Ziel dran als sie es für möglich gehalten hatte. So weit war die Oase nicht mehr entfernt, daß spürte sie instinktiv.

„Achmed!“ Ihr Ruf brachte den Beduine sofort an ihre Seite. „Ja?“ „Wir sind nahe dran. Die Oase ist direkt vor uns“, erzählte sie aufgeregt, während sich Jennifer in den Sattel schwang. „Woher wollen Sie das wissen?“ fragte Achmed und blickte zu der Frau auf dem Kamel hoch. „Ich habe Sie gebeten mir einfach zu vertrauen. Tun Sie es. Wir sind bald da“, sprach Jennifer und sie ritt voraus. Ihre Begleiter stiegen hastig auf ihre Kamele und folgten ihr.

Plötzlich zog Jennifer hastig an den Zügeln und brachte ihr Kamel zum stehen. Ungläubig starrte sie auf einen Ort vor ihr. Achmed und Michael blieben neben ihr stehen. Jennifer konnte nicht fassen, was für ein Bild sich vor ihr auftat. Es war tatsächlich wahr. Ihre Arbeit – ihr Glaube – war nicht umsonst gewesen. Die geheimnisvolle Oase existierte wirklich. Sie hatte Am Shere – die Grabstätte des Scorpion Kings – endlich gefunden ...

~ 11. ~

Ungläubig starrte die Gruppe Reisender auf die dicht bewachsene Oase. Am Shere – sie hatten sie wirklich gefunden. Sie konnten es nicht glauben. Vor ihnen tat sich ein großes Tal auf. Ein Tal aus dichten Bäumen und Gebüschen im saftigsten grün, das sie jemals gesehen hatten. Nebenbei gab es noch einen großen Wasserfall und Flüsse, mit absolut klaren und frischem Wasser. Die Sonne spiegelte sich darin wieder.

In der Mitte der Oase erhob sich die mächtige, goldene Pyramide. Die Spitze der Pyramide war tatsächlich ein glitzernder Diamant. Die Pyramide stach aus dem grünen Dschungel, der sie umgab, heraus. Sie war nicht zu übersehen, wenn man die Oase erst einmal gefunden hatte. Jennifer konnte es nicht glauben. Sie war am Ende ihrer Träume angekommen. Die Legende stimmte wirklich. Und wenn es die Oase mit der goldenen Pyramide gab, dann ... Ein heißkalter Schauer rieselte über Jennifers Rücken. Dann gab es auch den Scorpion King.

Augenblicklich rechnete sie die Zeit nach bis seine Auferstehung kommen würde. In genau einer Woche würde der wilde Krieger erwachen. Jennifer blickte auf das Tal hinab. Sie würden zwei, drei Tage brauchen bis sie bei der Pyramide des Scorpion Kings waren. Der Weg war nicht ohne, das erkannte Jennifer. Der Dschungel war schwer zu durchdringen. Zu Fuß würden sie auf jeden Fall einige Tage brauchen

Und dann ... Sie wollte nicht einmal darüber nachdenken. Dann würde sie einfach alles auf sich zukommen lassen und sehen, was geschehen würde. Wie in Trance gab Jennifer ihrem Kamel den Befehl, sich hinzulegen, damit sie absteigen konnten. Es war, als hätte sie keine Kontrolle mehr über ihren Körper. Sie konnte nicht mehr denken, nicht mehr fühlen.

Deutlich fühlte Jennifer die Anwesenheit des Scorpion Kings. Und dieses Gefühl erschreckte sie nicht einmal. Sie war nahe an ihrem Ziel dran. Und sie konnte es nicht erwarten die Pyramide zu betreten. „Wir lassen die Kamele mit zwei Betreuern hier“, befahl Achmed. „Die anderen kommen mit uns. Wir werden einige Tage brauchen um uns durch den Dschungel zu haben. Immerhin wird diese Fußmarsch nicht einfach werden“, erklärte der Beduine mit ernster Stimme.

„Packt alles zusammen was wir brauchen. Denkt daran, wir begeben uns in einen dichten Dschungel, von dem wir nichts wissen. Also, genügend Trinkwasser, Vorräte, Zelte und so weiter“, sprach Achmed, dann schwieg er für einen Moment. Er blickte ins Tal hinunter und beobachtete den Dschungel. Und auf einmal hatte er ein ungutes Gefühl bei der Sache. „Und nehmt die Gewehre mit“, befahl er augenblicklich. „Warum?“ mischte Jennifer sich ein. Unverständlich sah sie Achmed an.

„Ich will kein Risiko eingehen“, erklärte er ihr. Er blickte kurz zu den Arbeitern, die alles zusammen packten, was sie benötigten. „Hören Sie, Jennifer: Ich hab ein ungutes Gefühl bei der Sache. Ich kann mir nicht vorstellen, das da unten nichts ist, was die Pyramide beschützt. Ich will nur auf Nummer sicher gehen. Ich will vorbereitet sein, wenn wir angegriffen werden“, sprach er.

Jennifer blickte das Tal hinunter. Er hatte recht. In diesen dichten Dschungel konnte sich etwas gefährliches verbergen. Die Legende besagte, daß die Oase beschützt wurde. Von was ... das hatte man nie heraus gefunden. Julius Cäsar hatte Truppen ausgesandt um die Oase zu finden. Sie waren nie nach Rom zurück gekehrt. Napoleon hatte eine Gruppe Soldaten ausgesandt um die Oase ausfindig zu machen. Auch diese Männer waren nicht zurück gekommen. Sie waren alle nie wieder gesehen worden.

Sie verbannte ihre schlechten Gedanken. Jennifer saß im Sand und studierte die Schriftrollen. Ab hier war der Weg nicht weiter aufgezeichnet. Das bedeutete, sie mußten den Weg durch den Dschungel selbst ergründen. Und auch, was genau sich im Dschungel verbarg, um die Pyramide zu schützen, stand nicht da. Seufzend rollte sie die wertvollen Schriftstücke wieder zusammen. „Schade“, flüsterte Jennifer. Sie packte sie in ihren Rucksack und blickte zu Achmed hoch. „Also, wir können gehen! Wir haben alles eingepackt was wir benötigen. Sind Sie bereit, Jennifer?“ Die Engländerin stand auf und nickte entschlossen. 

„Ja, ich bin bereit. Wir können gehen.“ Achmed nickte und seufzte leise. Er schien es schon zu bereuen, daß er sie begleitet hatte. Nun war es jedoch zu spät. Er mußte mit ihr kommen. Er hatte es versprochen. Sie machten sich auf den Weg. Die Gruppe ging den Hügel hinunter und tauchte in das grüne Tal ein. Die Bäume erhoben sich hoch über ihren Köpfen. Von weitem hörten sie das Plätschern der Flüsse und des Wasserfalls. Sie hatten den dichten Dschungel betreten. Nun gab es kein zurück mehr.

Man hörte die Geräusche der Insekten und andere Geräusche, die der dichte Dschungel von sich preis gab. „Seit vorsichtig“, warnte Achmed sie als sie durch den Dschungel gingen. Alle waren wachsam und hielten ihre Gewehre bereit. Bei jedem Rascheln im Gebüsch fuhren sie herum. „Beruhigt euch! Ihr müßt doch nicht so schreckhaft sein“, meinte Jennifer und schüttelte den Kopf. Sie lachte leise. Bei jedem Geräusch fuhren diese Männer zusammen als wäre der Teufel persönlich hinter ihnen her. Und das sollten tapfere Männer und Abenteurer sein?

Nach Stunden des Fußmarsches blieb Achmed stehen. Er blickte sich um. „Wir werden hier unser Nachtlager aufschlagen. Und wir stellen Wachen auf. Ich traue dieser Ruhe nicht“, meinte Achmed und teilte die Männer ein. Nach Mitternacht standen die Zelte im Kreis um ein großes Lagerfeuer. Zweistündig wurden die Wachen gewechselt. Jennifer schlief schlecht in dieser Nacht. Obwohl sie total erschöpft war, wachte sie immer wieder auf. Sie wälzte sich immer wieder unruhig hin und her.

Gegen zwei Uhr früh gab sie auf und erhob sich. Sie konnte sowieso nicht schlafen. Also beschloß sie, ein wenig spazieren zu gehen; sich aber nicht zu weit vom Lager zu entfernen. Jennifer wollte nicht entdeckt von den Männern, die Wache hielten, entdeckt werden. Lautlos schlich sie an ihnen vorbei und blieb unerkannt. Die beiden Wachmänner merkten nicht, das sie ihr Zelt verließ.

Ihre Beine trugen sie vom Lager weg. Als sie ein paar Schritte gegangen war, hörte sie ein plätschern. Sie mußte in der Nähe von Wasser sein. Von ihrer Neugierig angetrieben, folge Jennifer dem Geräusch. Sie schob einige Blätter und Äste zur Seite und entdeckte einen großen Fluss, der vom Wasser des mächtigen Wasserfalls versorgt wurde.

Ein leichtes Lächeln huschte über ihre Lippen. Jennifer setzte sich ans Ufer und genoß das Geplätscher. Sie schloß die Augen und ließ sich fallen. Auf einmal hörte sie ein Rascheln hinter sich. Glühende Augen beobachten sie. Wieder raschelte das Gebüsch. Jennifer riß die Augen auf und blickte sich aufmerksam um. Doch so sehr sie sich auch anstrengte, entdeckte sie nichts. Wahrscheinlich habe ich mich getäuscht, dachte Jennifer. Gerade als sie sich wieder umdrehte, raschelte es erneut.

„Hallo?“ fragte sie mit zitternder Stimme. Nun wurde ihr das doch unheimlich. Da war jemand. Oder etwas, schoß es ihr durch den Kopf. Sie zog die Decke, die sie mitgenommen hatte, enger um ihren Körper – so als könnte sie das vor der drohenden Gefahr im Gebüsch bewahren. Und dann sprang auf einmal eine Kreatur aus dem Gebüsch. Jennifer schrie entsetzt auf. Sie trat einen Schritt zurück und stolperte über eine Baumwurzel. Sie verlor das Gleichgewicht und stürzte zu Boden.

Als sie näher hinsah, erkannte sie die Kreatur. Sie kannte sie aus den Erzählungen und aus ihren Büchern. Schon ein paar Mal hatte sie eine Zeichnung einer solchen Kreatur gesehen. Jennifer schluckte schwer. Die Kreatur war Anhänger des Gottes Anubis. Die Pyramide wurde also beschützt und das von mächtigen, übernatürlichen Kreaturen. Sie schloß mit ihren Leben ab.

Langsam näherte sich ihr die Kreatur. Jennifer zitterte am ganzen Körper vor Angst. Dad hatte recht. Meine Neugier wird mich irgendwann noch umbringen. Tja, diese Zeit ist jetzt gekommen, wie es scheint, dachte sie sarkastisch. Sie schrie laut auf als die Kreatur stolz vor ihr stehen blieb. Sie war eine imposante Gestalt und fixierte sie mit glühenden Augen.

Minutenlang rührte die geheimnisvolle Kreatur sich nicht, sondern starrte Jennifer bloß an. Sie konnte sich nicht bewegen; konnte nicht schreien und nichts tun. Sie hatte ihren Körper nicht mehr unter Kontrolle. Er schien ihr nicht mehr zu gehorchen. Dann plötzlich verbeugte sich die Kreatur vor ihr – mit respektvollen Blick und absolut ehrfurchtsvoll.

„Meine Königin“, sprach die Kreatur mit tiefer Stimme und in alt-ägyptisch. Jennifer kannte die Sprache; hatte sie studiert, deshalb konnte sie dieses Wesen auch perfekt verstehen. Fassungslos blickte sie auf die Kreatur. Meine Königin? dachte sie verwirrt. Was hatte das zu bedeuten? Warum reagierte diese Kreatur so voller Respekt? Warum griff diese Kreatur sie nicht an und tötete sie? Tausend verwirrende Gedanken schossen Jennifer durch den Kopf.

„Er wird sich freuen Euch wiederzusehen, meine Königin. Ich garantiere Euch ... niemand wird Eure Reise behindern. Ihr werdet unbeschadet zu ihm gelangen“, sprach die Kreatur. Dann war sie auch schon verschwunden. Das Zittern ihres Körpers ließ nicht nach. Fassungslos und schockiert starrte Jennifer auf die Stelle, wo die Kreatur vor wenigen Sekunden noch gestanden hatte. Warum hatte diese Kreatur ihr nichts getan? Warum hatte sie Jennifer als meine Königin angesprochen? Und was meinte die Kreatur damit, daß er sich freuen würde sie wiederzusehen?

Das alles ergab für Jennifer keinen Sinn. Ihre Reise würde nicht behindert werden? Das hieß doch, daß sie unverletzt bei der Pyramide ankommen würden, oder? Mit wackligen Knien erhob sich Jennifer und ging zum Lager zurück. Das Rätsel wurde immer größer. Was ging hier vor? Jennifer wußte, es gab nur einen Weg es herauszufinden. Sie mußte zur Pyramide - und zwar so schnell wie möglich. Dort würde sie alle Antworten finden, die sie suchte. Eine Frage ließ sie nicht mehr los; bannte sich in ihr Gedächtnis. Was verband sie wirklich mit dem Scorpion King?

~ 12. ~

Jennifer behielt diese seltsame Begegnung, die sie nachts mit der Kreatur gehabt hatte, für sich. Sie erzählte niemanden davon. Noch immer hallte in ihrem Kopf, wie die Kreatur sie angesprochen hatte. Ein sicheres Gefühl schlich sich in ihren Körper ein. Die Kreatur hatte ihr garantiert, das ihr nichts geschehen würde; das sie sicher zur Pyramide gelangen würde. Und Jennifer glaubte diesem Wesen. Ihnen würde nichts geschehen. Doch was würde passieren, wenn sie bei der Pyramide waren?

Während sie ihren Fußmarsch durch den dichten, gefährlichen Dschungel fortsetzten, kreisten Jennifers Gedanken immer wieder über dieses Wesen und über das, was diese Kreatur zu ihr gesagt hatte. Sie konnte es einfach nicht glauben. Warum hatte die Kreatur sich ihr gezeigt? Was hatte sie ihr mit ihren Worten sagen wollen? Und was hatte das alles eigentlich zu bedeuten?

„Jennifer?“ Augenblicklich fuhr sie schreckhaft zusammen. Sie hatte nicht damit gerechnet angesprochen zu werden. Unbemerkt war Michael an ihre Seite gekommen. „Was ist den?“ fragte sie schärfer als beabsichtigt. „Was ist los mit dir?“ erkundigte sich Michael mit einer Sorgenfalte in der Stirn. „Ich mache mir Sorgen um dich. Seit wir die Oase betreten haben ... bist du so still. Du hast dich zurück gezogen. Das ist nicht deine Art. Stimmt etwas nicht?“ Jennifer schüttelte leicht den Kopf.

„Es ist alles in Ordnung“, winkte Jennifer ab. Sie wollte nicht, das Michael erfuhr, was sie so sehr beschäftigte. „Sicher?“ hakte er nach. Jennifer warf ihr Haar zurück und lächelte ungezwungen. „Natürlich. Ich bin nur ... ich kann es selbst nicht definieren. Diese Oase ... sie schenkt mir ein Gefühl, das auf irgendeine Art und Weise beruhigend ist. Ich bin einfach glücklich, das ich mit allem recht hatte; das es die Oase wirklich gibt. Es ...“ Jennifer brach ab als Achmed die Gruppe anhielt.

Verwirrt blickte Jennifer sich um. Wieso hielten sie an? „Stimmt etwas nicht, Achmed?“ erkundigte sie sich als er auf sie zukam. Seine Miene war äußerst ernst und düster. „Eigentlich will ich Ihnen das nicht zeigen, Jennifer. Es ist nichts für Ihre Augen, aber ... es ist Ihre Reise. Kommen Sie mit!“ Irritiert folgte Jennifer dem Beduine. Er schien etwas entdeckt zu haben, was ihm nicht sonderlich gefiel. Und einige Sekunden später sah Jennifer auch, was diese bestimmte Sache war.

An den Bäumen, die sich hoch über ihre Köpfe erhoben, hingen menschliche Skelette. Sie trugen die Uniformen der französischen Armee. Instinktiv wußte Jennifer, das dies Männer der Armee von Napoleon gewesen waren. Sie waren weit gekommen, aber nicht weit genug. „Oh mein Gott“, stöhnte Jennifer auf. Dieser Anblick war zuviel für sie. Ihr wurde schwarz vor Augen, dann sackte sie in sich zusammen. Achmed fing sie gerade noch auf und konnte sie von einen bösen Sturz bewahren.

Er befahl einen Arbeiter eine der Decken auf dem Boden auszubreiten, was dieser auch sofort tat. Vorsichtig ließ Achmed Jennifer darauf nieder und fühlte ihren Puls. Michael kam angerannt und kniete sich mit besorgter Miene neben seine Kollegin. Er griff nach ihrer Hand und drückte sie leicht. „Was ist passiert?“ fragte er hektisch. Seine Sorge um Jennifer hörte man aus seiner Stimme heraus.

Ernst blickte Achmed den Engländer an. „Der Anblick war wohl zuviel für sie“, sprach er und deutete auf die Überreste von Napoleons Armee. Michael schluckte schwer und richtete seinen Blick wieder auf Jennifer. „Die Strapazen der Reise machen sich bemerkbar. Sie ist seit Wochen unterwegs und kommt nicht mehr zur Ruhe; gönnt sich diese dringende Ruhe einfach nicht. Tag und Nacht arbeitet sie unerbittlich an den Geschichten über den Scorpion King. Sie übertreibt langsam, aber sie läßt sich auch nichts sagen“, flüsterte Michael. Verständlich nickte Achmed.

„Was denken Sie, Achmed?“ fragte Michael als er das nachdenkliche Gesicht des Beduine studierte. Achmed seufzte leise, blickte von den Skeletten auf und sah Michael an. „Wir sind hier in großer Gefahr. Diese Männer starben keines natürlichen Todes. Hier draußen ist etwas. Etwas, was mich beunruhigt. Ich bin mir sicher, wir werden seit dem Betreten der Oase beobachtet“, murmelte Achmed.

„Wenn dem wirklich so ist, Achmed, sollten wir schauen so schnell wie möglich von hier zu verschwinden“, bemerkte Michael, dem immer unwohler wurde, je länger er sich inmitten der Oase aufhielt. „Da haben Sie recht, Michael. Aber die Pyramide ist näher und wir sind alle müde. Wir brauchen ein paar Stunden Schlaf. Jedoch wage ich es nicht, das Lager noch einmal im Dschungel aufzubauen.“ „Und was machen wir jetzt?“ fragte Michael.

„Es gefällt mir zwar nicht, aber ... diese verdammte Pyramide ist näher. Wenn wir unseren Weg zurück gehen, dauert das noch länger. Wir sollten uns vorläufig in der Pyramide aufhalten.“ Dies schockierte Michael nun doch sehr. „Der Scorpion King ...“, stammelte er leise. „Wir haben keine andere Wahl, Michael. Wir müssen zur Pyramide. Für diese Nacht wird sie uns Schutz bieten und wir können uns erholen. Und am nächsten Morgen packen wir unsere Sachen und verschwinden“, beschloß Achmed.

„Wir sollten diese Oase – so bald es uns möglich ist – verlassen. Wenn Jennifer wieder zu Kräften gekommen ist und wir sie von dieser unsinnigen Idee – bei der Auferstehung des Scorpion Kings anwesend zu sein – abgebracht haben, gehen wir zurück und vergessen, das wir diese Oase jemals gefunden haben. Ich will nicht dabei sein, wenn dieser Krieger aufwacht.“ „Ich auch nicht“, flüsterte Michael.

Ein lautes Rascheln hallte auf einmal durch das Tal und man sah im Gebüsch eine schnelle Bewegung. Achmed lud sein Gewehr durch und fixierte das Gebüsch. Das es tat sich nichts mehr. „Was war das?“ murmelte Michael. „Ich weiß es nicht, aber ich bleibe nicht hier um es raus zufinden. Schauen wir, das wir so schnell wie möglich zur Pyramide kommen. Wie erholen uns dort von der Reise und verschwinden dann so schnell wie irgendwie möglich wieder. Ich will nicht hier sein, wenn die Hölle aufbricht. Wir gehen weiter“, befahl Achmed laut.

Jennifer fühlte etwas nasses, kühles auf ihrer Stirn. Stöhnend schlug sie die Augen auf und blickte Michael ins Gesicht. Er hatte ihr einen nassen Lappen auf die Stirn gelegt, den er nun herunter kam. Jennifer setzte sich auf. „Ist alles okay?“ erkundigte sich Michael besorgt. „Ja, sicher. Es ...“ Jennifer schluckte schwer als sie die Skelette der französischen Armee sah. Sie wandte den Blick ab. Sie wollte das nicht sehen. Langsam erhob sie sich.

„Es geht schon wieder, Michael“, sprach sie und klopfte sich den Dreck von der Hose. Jennifer griff nach ihrem Rucksack und lächelte tapfer. So leicht würde sie sich nicht unterkriegen lassen. Sie hatte ein Ziel und das würde sie auch erreichen – um jeden Preis. „Sind Sie okay, Jennifer?“ erkundigte sich Achmed. „Natürlich. Das war nur ... Vergessen Sie es einfach, es ist nicht wichtig! Können wir weitergehen?“ „Genau das hatte ich vor. Je schneller wir bei der Pyramide sind, desto besser.“ „Warum auf einmal diese Eile, Achmed?“ fragte Jennifer verwundert als sie ihren Weg fortsetzten.

„Die Pyramide bietet uns Schutz“, erwiderte Achmed bloß und er ging voraus. Jennifer wußte, das er etwas ahnte. Er wußte, das da draußen im Dschungel etwas lauerte das jeden tötete, der der Pyramide zu nahe kam. Nur sie würden überleben. Das Wesen hatte es gesagt und Jennifer glaubte daran. Es mußte einen Grund haben, warum Jennifer und ihre Leute so weit gekommen waren ohne das ihnen ein Leid zugestoßen war. Und nur bei der Pyramide würde Jennifer den Grund erfahren. Deshalb mußte sie dorthin. Nur dort konnten all ihre Fragen beantwortet werden.

Sie bannten sich ihren Weg durch den dichten Dschungel. Die Männer waren wachsam und hielten stets ihre Gewehre bereit. Sie wollten nichts dem Zufall überlassen. Wenn man sie angreifen würde, wollten sie sich verteidigen können. Achmed trieb seine Leute zur Eile an. Er wollte so schnell wie möglich den Dschungel, der ihnen keinen Schutz bot, hinter sich lassen. Achmed gönnte ihnen über Stunden hinweg keine Pause mehr. Und dann ... standen sie vor ihrem Ziel.

„Mein Gott ... wir sind wirklich da“, flüsterte Jennifer fasziniert und blickte auf die goldene Pyramide. Erstarrt blickte sie an der Pyramide hoch. Ganz oben glitzerte der Diamant in der Abendsonne. Sie konnte es nicht glauben. Sie hatte ihr Ziel endlich erreicht. Jennifer atmete tief durch. Nun stand sie vor der sagenumwobenen Pyramide. Sie stand vor den Toren der Grabstätte des Scorpion Kings ...

~ 13. ~

„Wow!“ Michael sprach das aus, was allen durch den Kopf ging. Sie standen tatsächlich vor der goldenen Pyramide, von der man geglaubt hatte, sie existiere nur in der Legende. Die Pyramide war von Sand umgeben. Auf beiden Seiten standen große Statuen. Sie wirkten bedrohlich und ihre Augen schienen jeden einzelnen Schritt zu beobachten.

Vorsichtig setzte Jennifer einen Schritt in den Sand. Sie wartete einen Moment, doch nichts geschah um sie zu hindern, der Pyramide noch näher zu kommen. Die junge Engländerin wurde mutiger und ging voraus. Nichts schien sie mehr zu halten. Sie wollte hinein. Sie wollte seine Grabstätte sehen und sein magisches Armband finden. Es war, als würde etwas magisches sie zu der Pyramide ziehen.

Doch da hielt Achmed sie am Arm fest. Fragend blickte Jennifer zu ihm hoch. „Wir wissen nicht, was da drinnen ist“, bemerkte er ernst. Ein Lächeln huschte über Jennifers Lippen. „Das kann ich Ihnen sagen, Achmed. Hinter diesen Mauern befindet sich die Grabstätte des Scorpion Kings.“ Sie seufzte leicht. „Außerdem war es Ihre Idee, so schnell wie möglich zur Pyramide zu kommen. Warum zögern Sie jetzt?“ „Sie haben recht. Es ist besser, wenn wir drinnen sind. In der Pyramide sind wir wenigstens geschützt. Gehen wir, aber seit vorsichtig“, rief er seinen Männern zu. „Es können Fallen eingebaut worden sein“, sprach er besorgt.

Langsam näherte sich die Gruppe der Pyramide. Fasziniert blickte Jennifer sich um. All die schlechten Gedanken, all die Fragen, all ihre Frustration an manchen Tagen ... nichts von dem existierte nun mehr. Sie waren wie in Luft aufgelöst. Das Einzige, das für sie noch zählte, war die Legende, die in dieser Pyramide begraben war und schon bald auferstehen würde.

Nichts geschah um sie aufzuhalten. Die Gruppe hielt vor dem großen, mächtigen Tor. Ein Spruch in alt-ägyptisch stand auf den Toren geschrieben. Achmed und Michael betrachteten Jennifer, die den Spruch leise las. „Was steht da, Jennifer?“ fragte Michael schließlich. Sie wandte nicht einmal den Kopf. Jennifer war tief in Gedanken versunken. Dann – ruckartig – blickte sie auf.

„Wer durch diese Tore tritt, wird nie mehr ins Leben zurückkehren“, sprach Jennifer. „Der Fluch tötet Diejenigen, die des Scorpion Kings Ruhe stören.“ Erdrückendes Schweigen trat durch die Runde. Alle blickten benommen zu Boden. Es war ihnen nicht geheuer. Doch Jennifer lachte auf. „Ach, kommt schon! Ihr seit doch Abenteurer! So ein Spruch wird euch doch nicht einschüchtern!“, sprach sie amüsiert.

„Das sorgt doch für den passenden Nervenkitzel, findet ihr nicht?“ Jennifer war in keinster Weise besorgt – wegen diesen Spruch. Achmed und Michael teilten ihre Meinung jedoch nicht, sagten aber nichts. Sie waren beunruhigt. Warum stand eine solche Warnung auf den Toren, wenn es nicht so war? Die Warnung war ernstzunehmen, dessen waren sie sich sicher.

Jennifer trat nahe an das Tor heran um es sich näher anzusehen. Es war verschlossen. Irgendwie muß dieses Tor doch zu öffnen sein, überlegte sie. Sie wollte es nicht aufsprengen lassen. Damit würde sie die Grabstätte des Scorpion Kings entweihen. Leicht – hauchzart – fuhren ihre Hände über die Zeichnungen, die auf dem Tor zu sehen waren. Und wie von Geisterhand schwang das Tor zu zwei Flügeln auseinander und gewährte ihnen Einlaß. Jennifer trat instinktiv zurück – überrascht davon, das die Flügeln wie von selbst aufschwangen.

„Was hast du gemacht, Jennifer?“ fragte Michael irritiert. „Ich?“ Verneinend schüttelte sie den Kopf. „Ich hab gar nichts gemacht. Ich habe das Tor nur berührt, mehr nicht. Aber egal, gehen wir hinein“, sprach sie mit einen Schulterzucken. Hier an diesen Ort spürte sie eine deutliche Verbindung zu dem wilden Krieger. Sie konnte es sich einfach nicht erklären. Aber ... Jennifer wurde das Gefühl nicht los, das man ihr die Einladung einzutreten gewährte, weil sie hier schon einmal war; weil man sie kannte.

Verwirrt schüttelte Jennifer den Kopf und vertrieb diese Theorien. Sie wollte nicht länger darüber nachdenken. Sie war noch nie hier gewesen. Daran würde sie sich bestimmt erinnern. Aber es schien als wäre sie in der Pyramide willkommen – aus welchem Grund auch immer. „Kommt schon, wagen wir das Abenteuer“, forderte sie die Männer entschlossen auf, doch diese zögerten.

Darüber machte sich Jennifer keine Gedanken. Sie würde auch ohne die Männer hineingehen. Sie kannte keine Furcht – nicht, wenn es um den Scorpion King ging. Sie griff nach der ersten Fackelhalter, entzündete diese und hielt sie hoch. Die Wände waren bemalt. Eine langer Gang führte ins Innere der Pyramide. „Die anderen errichten das Lager. Wollen Sie das wirklich hineingehen?“ erkundigte er sich besorgt.

Jennifer schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Genau aus diesem Grund bin ich doch hier, Achmed“, erwiderte sie entschlossen und ging mutig den Gang hinunter. Seufzend folgte der Beduine sie. Er wollte sie nicht allein in die Tiefen der Pyramide gehen lassen, wo niemand wußte, was hier herumschlich. Sie sollte nicht allein in der Höhle des Löwen eintauchen. Achmed nahm ihr die Fackel aus der Hand und begleitete sie.

Der Gang führte zu einer großen Halle. Achmed und Jennifer staunten nicht schlecht. Fackeln waren angezündet, Schilder und Waffen hingen an den alten, historischen Wänden. Statuen standen an den Wänden. Es gab zwei Tore. Ein Tor, wozu man eine Art Schlüssel brauchte, wie Jennifer feststellte und das andere ... Sie seufzte zufrieden auf. Hinter dem dicht verschlossenen Tor war die Grabstätte des Scorpion Kings. In vier Tagen war es soweit. Vier Tage noch ... dann würde er auferstehen.

„Folgen Sie mir bitte, Achmed“, sprach Jennifer und sie ging auf die andere Tür zu. Sie hielt es für besser, das Tor zum Grab des Scorpion Kings bis zu seiner Auferstehung in Ruhe zu lassen. „Halten Sie das für eine gute Idee?“ fragte der Beduine besorgt. „Ja, natürlich. Es wird schon nichts passieren. Seien Sie kein Angsthase“, lachte Jennifer. Sie ging auf das Tor zu. Inmitten des Tores war ein Sonnenzeichen tief eingeritzt. Augenblicklich wußte Jennifer, um diese Tür zu öffnen, brauchte man einen Schlüssel in der Form eines Sonnenzeichens.

Schwach lehnte sich Jennifer gegen die mächtige Wand des Tores. Das darf doch einfach nicht wahr sein, dachte sie entmutigt. Hinter dieser Tür verbarg sich das magische Armband des Scorpion Kings. Und sie war bloß einen Schritt davon entfernt. Doch sie kam nicht ran weil ihr der Schlüssel. Sie besaß nicht den Schlüssel um dieses Tor zu öffnen.

„Das kann doch einfach nicht wahr sein“, flüsterte sie; spürte, wie Wut in ihr hochkochte. Wut, die sie gegen sich selbst richtete. „Ihnen fehlt der Schlüssel“, bemerkte Achmed trocken. Jennifer nickte ohne ihn anzusehen. „Sie sagen es, Achmed. Ich habe wirklich an alles gedacht. Nur nicht daran, das man einen Schlüssel braucht, um an das Armband des Kriegers zu kommen. Warum habe ich nur so ein Pech?“ Bitter lachte Achmed auf.

„Pech?“ fragte er kopfschüttelnd. „Sie sind bis zur goldenen Pyramide des Scorpion Kings gekommen. Wohl bemerkt, ohne ihr Leben dabei zu verlieren. Das können Sie nicht unbedingt als Pech bezeichnen, Jennifer.“ Sie lächelte schwach und nickte um ihn zuzustimmen. „Sie haben ja recht. Ich hatte bis jetzt wirklich viel Glück. Immerhin habe ich die geheimnisvolle Oase, von der niemand glaubte, das sie existierte, gefunden. Und wir sind unversehrt hier angekommen“, meinte sie mit hocherhobenen Kinn.

„Wenn es Ihnen soviel bedeutet dieses Armband zu bekommen, dann ... können wir ja die Tür aufsprengen“, schlug er vor. „Nein!“ rief Jennifer entsetzt. Achmed war ihr Entsetzen unverständlich. Sie wollte doch da rein. Also konnten sie die Tür auch aufsprengen. „Warum nicht?“ fragte er ruhig. Ein schwaches Lächeln glitt über Jennifers Lippen. „Wenn wir die Tür sprengen, stören wir des Scorpion Kings Totenruhe. Das würde ihn verärgern, wenn er erwacht. Außerdem entweihen wir damit seine Grabstätte. Das darf nicht sein. Alles muß so sein wie er es kennt, wenn er aufersteht. Nichts darf sich verändern. Ich werde nicht zulassen das sein Tempel entweiht wird – auf keinen Fall“, erklärte Jennifer energisch.

Schwermütig seufzte Achmed. Es war Zeit, ihr seinen Plan genauer zu erläutern. „Jennifer, ich würde gerne mit Ihnen sprechen“, begann er ernst. „Worüber?“ fragte sie unwissend. „Über den Scorpion King. Jennifer, wir werden von hier verschwinden und zwar schon morgen. Wir verschwinden so schnell wie möglich von hier. Ich will nicht dabeisein, wenn er aufersteht. Ich habe keine Lust geopfert zu werden. Und, Jennifer, wir werden gehen.“ Trotzig blickte die Engländerin den Beduine an und lächelte entschlossen.

 „Sie können gerne gehen, Achmed. Aber ich bleibe hier“, erklärte sie ihm ruhig. „Nein, Jennifer! Er wird Sie töten.“ Jennifer schüttelte verneinend den Kopf. „Nein, das wird er nicht tun“, flüsterte sie so leise, das Achmed sie nicht verstand. „Jennifer“, seufzte er schon etwas ungeduldig. Es war wirklich schwer sie umzustimmen. „Ich ...“, sprach der Beduine, doch er beendete seinen Satz nicht.

Von draußen drangen laute Stimmen zu ihnen in die Pyramide. Jennifer und Achmed wechselten einen verwunderten Blick miteinander. Dann vernahmen sie schwach Michaels Stimme. Und es waren noch andere Stimmen, die sie nicht kannte. Wieder blickte sie Achmed an. Er schien den gleichen Gedanken wie sie zu haben. Jennifer und Achmed rannten aus der Pyramide.

Schlitternd kamen sie vor der Pyramide im Sand zum stehen. Das Lager war errichtet worden. Mitten drinnen stand Michael mit den Arbeitern. Ihnen gegenüber standen eigenartig gekleidete Männer. Sie bedrohten Michael und die Männer mit Waffen. Genauso verhielt es sich auch umgekehrt. „Was ist hier los?“ mischte Jennifer sich mutig ein. Die Männer fuhren herum als ihre Stimme ertönte.

Mit einen stolzen, unerschrockenen Blick kam Jennifer näher. Die fremden Männer hielten schützend ihre Hände gegen die Sonne, die auf sie herabschien. Und dann stand Jennifer vor ihnen. Der Älteste von ihnen blickte sie geschockt an. Ihm entgleisten die Gesichtszüge. Er schluckte schwer. Dann war diese unbestätigte Legende wirklich wahr. Sie war es tatsächlich. Jennifer bemerkte, das er sie zu kennen schien. Aber wie war das möglich? Sie hatte diesen Mann noch nie zuvor gesehen.

„Nehmt eure Waffen runter“, befahl er augenblicklich seinen Männern. „Aber ...“ „Los, die Waffen runter! Wenn diese Forscher so weit kommen konnten, will man, das sie leben. Also, runter mit den Waffen“, sprach der Älteste der Wüstenmänner energisch. Seine Männer folgten seinen Befehlen. Er verbeugte sich ehrfurchtsvoll vor Jennifer und reichte ihr die Hand. Jennifer erwiderte den Händedruck.

„Mein Name ist Jennifer Croft, ich komme aus England. Ich bin Wissenschaftlerin, spezialisiert auf die Legenden über den Scorpion King“, stellte sie sich vor. Der alte Mann schenkte ihr ein freundliches, fast warmes Lächeln. „Mein Name ist Lock’Narh“, sprach er. Erst jetzt entdeckte Jennifer die Zeichen auf den Umhängen der Männer. Es waren Skorpione.

„Woher kommen Sie? Und was machen Sie hier?“ erkundigte sich Jennifer neugierig. „Wir sind aus demselben Grund wie Sie her, Ms. Croft. Sie haben die Schriftrollen vor uns gefunden. Eigentlich war es unsere Aufgabe diese Schriftrollen ausfindig zu machen. Genau wie Sie wollten wir hierher um die Grabstätte des Scorpion Kings zu finden. Wir sind Ihnen unbemerkt gefolgt“, erklärte der Mann ihnen so ruhig als wäre es das Normalste der Welt.

„Und warum wollen Sie hier sein? Was haben Sie hier zu suchen?“ Lock’Narh faßte Jennifers Neugier nicht falsch auf und lächelte sie freundlich an. „Wir sind Anhänger des Scorpion Kings. Wir verehren ihn. Unsere Aufgabe ist es, seine Auferstehung vorzubereiten und dafür zu sorgen, das sich nichts im Tempel verändert, wenn er aufwacht“, erklärte er stolz. Jennifer blickte ihn erstaunt an. Er gehörte den Anhänger des Scorpion Kings an? Ein Lächeln glitt über ihre Lippen. Vielleicht konnte dieser Mann ihr helfen ihre Träume zu verstehen ...

~ 14. ~

Sie waren zu einer Einigung gekommen. Lock’Narh und seine Männer blieben wie Jennifer und ihre Gruppe. Stumm beobachtete Jennifer wie Lock’Narhs Männer Rituale abhielten. In aller Ruhe bereiteten sie die Auferstehung des Scorpion Kings vor. Michael und Achmed waren diese Männer nicht geheuer. Sie verhielten sich äußerst mißtrauisch den fremden Männern gegenüber.

Jennifer jedoch schien sich bestens mit Lock’Narh zu verstehen. Er schien mehr über den Scorpion King zu wissen als er offenbaren wollte. Jennifer spürte, das er etwas in ihr sah. Sie bemerkte es an der Art, wie er sie stets anblickte. Da war etwas, was sie anscheinend nicht sehen konnte. Für einen Moment hatte sie das Gefühl gehabt, er würde sie auch mit ‘Meine Königin‘ ansprechen. Aber warum? Was sah er bloß in ihr? Er hatte sehr überrascht reagiert als er sie erblickt hatte. Jennifer konnte sich darauf keinen Reim machen.

Eines nachts suchte sie Lock’Narh auf. Einen Moment zögerte sie jedoch vor seinen Zelt. Sollte sie ihm wirklich offenbaren, was sie in ihren Träumen gesehen hatte? Sie zuckte leicht mit den Schultern. Vielleicht konnte er ihr wirklich Antworten geben. Sie mußte den Versuch wagen. „Lock’Narh, schlafen Sie schon?“ Eine lange Sekunde war es still. Dann schlug der Vorhang zurück und der Wüstenmann trat heraus. Er lächelte Jennifer warm an.

„Setzen wir uns“, schlug er vor freundlich vor und deutete auf das Lager vor seinem Zelt. Jennifer nickte leicht und nahm Platz. Lock’Narh reichte ihr einen Becher Wein. „Danke.“ „Sie wollen mit mir reden?“ Fragend sah er sie an. Jennifer nickte und nahm einen Schluck des köstlichen Weins. „Nun, ich höre Ihnen zu und werde Ihre Fragen beantworten, wenn ich kann“, sprach er.

Jennifer seufzte und griff hinter sich. Sie zog einen langen, goldenen Dolch aus ihrem Gürtel und legte ihn vor Lock’Narh hin. Verwundert zog er eine Augenbraue hoch. Wie war sie in Besitz dieses Dolches gekommen? Und wußte sie, was sie damit verband? Lock’Narh hatte eine Erklärung dafür. Doch darüber würde er schweigen. Es lag nicht in seiner Hand sie aufzuklären. Dann blickte er auf und sah Jennifer durchdringend in die Augen.

„Woher haben Sie den?“ fragte er. Jennifer zuckte leicht mit den Schultern und seufzte. „Ich hatte gehofft, Sie könnten mir das sagen. Lock’Narh, ich spüre, das Sie mir einige Antworten auf Dinge, die ich nicht verstehe, geben können. Sie wissen mehr als Sie von sich preisgeben. Dieser Dolch lag eines morgens einfach in meinen Zelt. Jemand hat ihn dorthin gelegt. Und ...“ Jennifer brach ab; war sie plötzlich nicht mehr so sicher, ob sie es wirklich erzählen sollte.

„Sprechen Sie weiter“, bat Lock’Narh sanft. Jennifer gab ihr Zögern auf und erzählte ihm von der seltsamen Begegnung mit der Kreatur, die hier in der Oase stattgefunden hatte. Sie erzählte ihm auch von ihren Träumen über das Leben des Scorpion Kings. Lock’Narh hörte ihr aufmerksam zu und nickte ab und zu. Er konnte sich das alles erklären. Doch noch war die Zeit dafür nicht reif.

„Jennifer, ich verstehe, das Sie Antworten wollen. Doch ich kann – ich darf – Ihnen diese Antworten nicht geben.“ „Ich verstehe nicht“, sprach sie verwirrt. „Ich weiß, aber haben Sie noch etwas Geduld. Bis jetzt haben Sie sehr viel Geduld bewiesen. Halten Sie durch. Es dauert nicht mehr lange. Doch die Antworten, die Sie suchen, darf ich Ihnen nicht geben. Diese Antworten kriegen Sie von jemand anderen.“ Jennifer nickte leicht. Mehr würde er ihr nicht sagen, das wußte sie. Er würde sein Schweigen nicht brechen. Sie erhob sich und ging. „Die Zeit ist bald gekommen“, sprach Lock’Narh hinter ihr.

Der alte Mann blickte ihr nachdenklich nicht. Sie weiß es nicht, dachte er. Sie erinnerte sich nicht an ihr altes Leben. Doch er hatte sie erkannt. Er wußte, wer sie einst gewesen war. Und es lang nicht bei ihm sie aufzuklären. Das war nicht seine Pflicht. Wenn der Scorpion King auferstanden war, würde er sie über die Wahrheit in Kenntnis setzen. Er würde ihr sagen, wer sie einst gewesen war und was sie mit ihm wirklich verband.

Am nächsten Morgen ging Jennifer bei Lock’Narhs Zelt vorbei. Etwas erregte ihre Aufmerksamkeit. Sie ging näher hin um sich den Gegenstand anzuschauen. Da lag ein Amulett. Neugierig nahm Jennifer es in ihre Hände. Ihr Gefühl sagte ihr, das sie dieses Amulett kannte. Sie hatte das Gefühl, dieses Amulett schon einmal in den Händen gehalten zu haben. Instinktiv wußte Jennifer, was sie zu tun hatte. Sie drehte die Oberfläche herum und das Amulett sprang zu einen Sonnenzeichen auf.

„Der Schlüssel“, flüsterte Jennifer. Dieses Amulett war der besagte Schlüssel zu der Kammer, die sich ohne nicht öffnen ließ. Lock’Narh hatte ihn also die ganze Zeit besessen. Jennifer blickte sich um, um festzustellen, ob ihr jemand Beachtung schenkte. Doch niemand beobachtete sie. Die Männer beider Lager waren mit ihrer Arbeit beschäftigt. Kurz entschlossen steckte sie das Amulett ein.

Sie ging auf die Pyramide zu und nahm eine Fackel an sich. Jennifer ging zu der Halle, wo die Kammer lag und hielt davor an. Sie atmete einmal tief ein und steckte das ausgebreitete Amulett in die Vertiefung der Tür. Langsam drehte sie den Schlüssel nach rechts. Jennifer konnte nicht sagen, woher sie wußte, das der Schlüssel in diese Richtung gedreht gehörte um die Kammer zu öffnen. Sie hatte dieses Wissen einfach.

Dann trat Jennifer einen Schritt zurück. Die Tür der Kammer schwang nach innen auf und offenbarte ihr den Weg. Jennifer hielt die Fackel hoch und trat mutig nach vorne. Sie blickte in den kleinen Raum hinein. Auf einem Podest lag auf einem roten Kissen das goldene und magische Armband des Scorpion Kings. Jennifer atmete schneller vor Aufregung. Ihr Blut pulsierte laut. Sie steckte die Fackel in eine Halterung und ging auf das Podest zu.

Vorsichtig berührte Jennifer das Armband. Sanft fuhr sie über dessen Konturen. Auf den breiten Armreifen war die Figur eines Skorpions befestigt. Es griff sich herrlich an. Irgendwie ging von diesem Armband noch immer die Macht aus, die im Moment schlummerte und geduldig wartete. Sie wußte, sie durfte es nicht anlegen. Wenn sie das Armband anlegte, würde es nie mehr abgehen. Und es gehörte dem Scorpion King.

Jennifer dachte keinen einzigen Moment länger darüber nach. Sie nahm das Armband einfach an sich. Es war so wunderschön. Sie konnte es hier unmöglich zurücklassen. Das Armband verschwand in ihrer Tasche. Niemand mußte wissen, das sie es in ihren Besitz hatte. Dann verließ sie die Kammer und verschloß sie wieder. Jennifer kehrte zu den anderen zurück, die nichts von ihrer geheimen Tat bemerkt hatten.

Die Nacht der Auferstehung

Endlich war es soweit. Achmed und Michael wünschten sich genauso wie alle anderen ihrer Gruppe in diesen Moment woanders zu sein, nur nicht in dieser verdammten Pyramide. Jennifer teilte diese Meinung jedoch nicht. Auf eine unheimliche Art und Weise freute sie sich auf das, was gleich geschehen würde. Aber ihr war trotz all der Freude etwas mulmig zumute, doch dieses Gefühl vertrieb sie wieder. Sie wollte dabei sein.

Die Anhänger des Scorpion Kings hatten sich im Inneren der Pyramide versammelt. Sie saßen auf den Knien vor den Toren seiner Grabstätte und sprachen lautstark – in alt-ägyptisch – ihre Gebete. Jennifer stand abseits und beobachtete das Treiben. In einem Rucksack trug sie das Armband bei sich. Wie sie hielten sich auch alle anderen im Hintergrund.

„Das ist ja richtig unheimlich“, murmelte Michael. Achmed stimmte ihm nickend zu. Sie waren sich einig. Sie würden sterben, sobald der Krieger erwacht war. Und das nur, weil Jennifer so starrsinnig war und unbedingt dabei sein wollte. Sie hatte sich von dieser verrückten Idee nicht abbringen lassen. Lock’Narh hatte die Sache noch schlimmer gemacht, in dem er Jennifer gebeten hatte, der Auferstehung beizuwohnen. Und nun waren sie dabei und warteten auf ihren sicheren Tod. 

Jennifer hingegen fühlte sich so sicher wie noch nie zuvor. Sie konnte sich das nicht erklären, aber sie fühlte sich sicher. Sie hatte es auch schon aufgegeben nach einer Erklärung zu suchen. Wenn die Zeit reif war, würde sie ihre Antworten bekommen und darauf mußte sie warten. Außerdem fühlte sie sich so vertraut mit dem was hier geschah. Niemals hätte sie das für möglich gehalten, aber sie war wirklich bei der Auferstehung des Scorpion Kings dabei.

Lock’Narh hob seine Hände in die Höhe und sprach lauter als die anderen. Dann sank er in sich zusammen und murmelte nur noch vor sich hin. Genau wie seine Kameraden fiel er in eine tiefe Trance. Auf einmal erbebte heftig die Erde. Der Boden unter ihren Füßen wackelte und das Bodenzittern wurde von Wort zu Wort der Anhänger immer stärker. Jennifer hielt sich haltsuchend an der Halterung einer Fackel fest.

Laut klirrten die Waffen als sie gegen die Wände schlugen. Hinter dem mächtigen Tor war ein lauter markerschütternder Schrei zu hören. Ein leichtes Zittern ging durch Jennifers Körper. Er war erwacht. Das wußte sie instinktiv. Auf einmal floß ihr Blut schneller durch ihre Adern. Ihr Herz raste und klopfte heftig und aufgeregt gegen den Brustkorb. Sie hatte das Gefühl zu explodieren. Die Aufregung wurde immer größer, ihr Puls immer schneller.

Irgend etwas geschah mit dem ganzen Tempel. Und auch draußen schien etwas zu passieren. Leben schien vor der Pyramide zu erwachen. Doch Jennifer war zu gefesselt von dem, was hier geschah, als das sie nachsehen konnte. Ihr Körper gehorchte ihr nicht mehr. Und dann geschah es. Ein lauter Knall war zu hören. Die Türen der Grabstätte wurden aus den Angeln gerissen und prallten hart gegen die Wand. Rauch schwatete auf; tauchte den ganzen Raum in geisterhaften Nebel ein.

Jennifer trat ein paar Schritte nach vorn. Sie schien von etwas angezogen zu werden. Lock’Narh und seine Männer hielten in ihren Gebeten inne. Ehrfurchtsvoll und triumphierend hoben sie den Blick und lächelten. Langsam verschwand der Nebel und die Sicht wurde besser. Nun konnten sie alle wieder die Hand vor den Augen sehen und so auch den Mann, dem diese Oase und die Pyramide gehörte.

Die junge Engländerin atmete tief ein. Sie konnte es nicht glauben. Unfaßbar starrte sie auf den Mann, der da im Türrahmen stand und mit geschlossenen Augen die Luft einsog. Jennifer hatte das Gefühl in einer anderen Welt zu sein. Sie hatte immer daran geglaubt ... doch das es ihn wirklich gab ... es war unbeschreiblich für sie. Am Ende hatte sie mit allem doch Recht gehabt.

Zufrieden breitete der Scorpion King die Hände aus und stieß einen lauten Schrei voller Macht aus, der die Anwesenden in Mark und Bein erschütterte. Jennifer hatte das Gefühl in Ohnmacht zu fallen ... den Boden unter den Füßen zu verlieren. Er war es wirklich. Der mächtigste Krieger aller Zeiten war auferstanden. Er lebte wieder. Der Scorpion King war erwacht ...

~ 15. ~

Stumm blickte der Scorpion King sich um. Alles war noch genau da, wo er es einst hinterlassen hatte. Lock’Narh und seine Männer verbeugten sich tief vor ihm. Langsam schritt der Krieger die Stufen hinab. Respektvoll fiel Lock’Narh vor ihm auf die Knie. Der Scorpion King senkte langsam den Kopf und blickte den Wüstenmann an. „Welches Jahr haben wir, alter Mann?“ fragte er neugierig.

Lock’Narh hob den Kopf. „1935, Herr. Wir sind in Ägypten, inmitten Eurer Oase. Es ist Euer Jahr. Das Jahr des Skorpions, des Scorpion Kings“, sprach er ehrfürchtig. „Wo ist mein Armband?“ Lock’Narh gefror das leichte Lächeln, das er auf den Lippen hatte. „Wir haben es noch nicht gefunden. Der Schlüssel ist weg. Wir kommen nicht in die Kammer ohne Eure Tempel zu entweihen“, sprach er entschuldigend.

Jennifer schluckte schwer als sie das wütende Aufblitzen in den Augen des Scorpion Kings sah. Sie fühlte sich auf einmal ziemlich unwohl in ihrer Haut. „Oh, oh“, flüsterte sie. „Was soll das heißen?“ fragte Michael leise. „Ich hab das Armband und den Schlüssel“, gestand Jennifer. Entgeistert starrte Michael seine Kollegin an. Sie zuckte leicht mit den Schultern. „Entschuldigung, ich konnte nicht widerstehen.“ „Du solltest es ihm geben. Er wird uns alle töten, wenn er es nicht bekommt. Sieh ihn dir doch an!“ „Das tue ich“, flüsterte sie und seufzte leise auf.

„Ihr habt den Schlüssel verloren? Wie könnt ihr es wagen mir mit dieser Unfähigkeit unter die Augen zu treten?“ schrie der Scorpion King zornig. „Es tut mir so leid, Herr“, entschuldigte sich Lock’Narh. „Wir werden den Schlüssel beschaffen. Ich verspreche es Euch.“ „Das will ich ...“ Der Scorpion King brach ab. Sein Blick war zu Jennifer geglitten. Er hatte sie entdeckt und ein warmes Lächeln huschte über sein Gesicht. Nun wurde Jennifer doch etwas mulmig zumute. Wieso sah er sie so an?

Der Scorpion King ließ Lock’Narh – den er am Kragen seines Umhanges gepackt hatte – los. Dieser wußte, was seinen Herrn so aus der Fassung gebracht hatte. Für die junge Engländerin war es nun an der Zeit die Wahrheit zu erkennen. Der Blick des Kriegers ruhte auf Jennifer. Und dieser wurde immer unwohler dabei. Langsam kam er auf sie zu. Unentwegt starrte er sie an. Seine Miene war eine Mischung aus Überraschung und Zufriedenheit. Eine Stimme tief in Jennifer sagte ihr, das er sie kannte; das sie viel mit ihm verband.

Auf einmal überkam Angst Jennifer. Vielleicht war es doch keine so gute Idee gewesen hierher zu kommen, überlegte sie. Super Jennifer, dafür ist es jetzt auch zu spät. Das hätte dir früher einfallen können, antwortete eine innere Stimme ihr sarkastisch. Jennifer machte ein paar Schritte zurück bis sie mit dem Rücken an der Wand anstieß und nicht mehr weiter kam.

Der Scorpion King blieb vor ihr stehen und betrachtete sie eingehend – mit einen liebevollen Blick, wie Jennifer überrascht feststellte. Sie schien nicht zu glauben, das sie die war, die er ganz offensichtlich in ihr sah. Für Jennifer ergab das alles keinen Sinn, aber sie spürte, das sie nun ihre Antworten, auf die sie schon so lange wartete, bekommen würde. Und das von keinem geringeren als vom Scorpion King persönlich.

Ein glückliches Lächeln huschte über seine Lippen. „Nefertiri“, sprach er zärtlich. Schlagartig erstarrte Jennifer. Nefertiri – sie kannte diesen Namen. So hatte er die Frau aus ihrer Vision genannt. Diese Frau, die für ihn gekämpft und die er geküßt hatte. Das konnte nicht sein. Niemals, sie war nicht diese Frau. Sie war Jennifer Croft, eine Wissenschaftlerin aus England. Sie war keine Reinkarnation einer Frau, die vor langer Zeit gelebt hatte.

„Ich bin nicht ...“, begann sie vorsichtig. Doch ihr versagte die Stimme als er sich vorbeugte und ihr einen leichten Kuss auf die Lippen hauchte. „Meine schöne Nefertiri, endlich habe ich dich wieder. Ich habe mich so sehr nach dir gesehnt“, sprach er. Seine zärtliche Geste hatte sie völlig durcheinander gebracht. Sie brachte kein Wort mehr über die Lippen; war nicht fähig etwas zu sagen. 

Dafür war der Scorpion King um so gesprächiger. „Ich wußte es. Nefertiri, ich wußte, du würdest weiterleben. Ich wußte, wenn ich wieder auferstehe, habe ich dich an meiner Seite. Doch es war trotzdem eine lange Zeit in der wir nicht vereint waren.“ „Tut mir leid, aber ... ich bin nicht Nefertiri. Mein Name ist Jennifer Croft.“ Ihre zögernde Antwort brachte den Krieger nicht aus der Ruhe. Er lächelte sie bloß warm an.

„Du erinnerst dich an dein früheres Leben nicht“, stellte er sachlich fest. „Das kann ich nicht, da ...“ Zart legte sich sein Finger auf ihre Lippen und er brachte sie damit zum schweigen. Leicht schüttelte er den Kopf. „Hab keine Angst, Liebste. Ich werde dir dein vergangenes Leben zeigen. Du wirst deine Erinnerungen zurück bekommen. Dafür werde ich sorgen. Bei mir bist du in den besten Händen“, versprach er ihr lächelnd.

Seine Stimme war sanft und beruhigend ... so wie der Flügelschlag eines Schmetterlings. Konnte ein solch gefährlicher Krieger wirklich so warm und einfühlsam sein? Für Jennifer war das alles sehr verwirrend. Widerstandslos ließ sie es zu, das er ihre Hand in seine nahm und sie von ihren Freunden wegführte. Als sich seine Finger um ihre schlossen, ging eine Wärme von seinen Körper aus, die Jennifer wohlig erschauern ließ. Sie war ihm noch nie begegnet und doch hatte er eine solch starke Wirkung auf sie. Wie konnte das sein?

„Jennifer!“ rief Michael entsetzt. Achmed und der Engländer schossen nach vorne; wollten ihr helfen. Doch da tauchten auf einmal die Wesen der Armee von Anubis auf und hielten sie brutal zurück. Jennifer drehte sich zu ihren Freunden um und schüttelte leicht den Kopf. „Keine Sorge, mir geschieht nichts“, sprach sie beruhigend – in der Hoffnung, das ihre Freunde keinen Fehler begangen, der ihnen leichtfertig das Leben kostete.

„Wo ist mein Armband?“ wandte sich der Scorpion King wieder gefährlich an Lock’Narh. „Ich ... weiß ... es nicht“, stammelte er leicht eingeschüchtert. Der weise Wüstenmann wußte nicht, wie er seinen Herrn diesen Fehlschlag erklären sollte. Dies war die einzige Panne, die während der Vorbereitung seiner Auferstehung geschehen war. Sie mußten das Armband beschaffen. Er brauchte es.

Wütend funkelte der Krieger seinen Untertan an. „Ähm ... ich glaube, ich weiß, wo es sich befindet“, meldete sich Jennifer leise. Der Scorpion King drehte ihr das Gesicht zu. Im ersten Moment fürchtete sie, das er sie anbrüllen würde, aber er schenkte ihr ein liebevolles Lächeln. Sie bekam den Verdacht, egal was sie auch tun würde, er würde sie nie bestrafen oder böse auf sie sein.

Jennifer wühlte in ihrem Rucksack herum und hielt ihm sein magisches Armband entgegen. Sein Lächeln wurde breiter. Es war, als hätte er das schon erwartet. „Nefertiri, ich hätte es wissen müssen, das du es an dich nimmst. Es hat schon immer seine Faszination auf dich ausgeübt. Du hast dich schon immer davon angezogen gefühlt. Es hat dir so sehr gefallen – weil es so schön glänzt. Manchmal bist du wirklich ein ungezogenes Mädchen, Liebste“, tadelte er sie sanft. Dann legte er das Armband um sein rechtes Handgelenk.

Die Verschlüsse schlossen sich darum und eine riesige Macht entlud sich, die sich im Körper des Scorpion Kings breit machte. Für einen Moment wurde der Raum in gleißendes Licht getaucht. Das Licht schoß aus dem Armband und verschwand darin auch wieder. Die ganze Macht des Scorpion Kings war in diesen Augenblick beinahe greifbar.

Die Macht durchströmte den Krieger, hielt ihn gefesselt und machte sich in ihm breit. Eine Macht, die nun stärker war als jemals zuvor – stärker als vor sechstausend Jahren. Nun war er wahrlich unbesiegbar, unverwundbar. Nun war seine Macht und seine Unsterblichkeit unermeßlich. Zufrieden lachte er. Er spürte die Macht, die von Anubis. Nun war sie wieder sein und er lebte wieder. Diesmal würde er die Welt unterwerfen – für immer. Denn das war seine Bestimmung. Nichts und niemand würde ihn jetzt noch stoppen können.

Der Scorpion King gab Lock’Narh und seinen Männern mit einer Handbewegung zu verstehen, das sie sich erheben durften. Sie hatten lange genug vor ihm gekniet. Langsam standen seine Anhänger auf. Wieder hörte Jennifer die seltsamen Geräusche vor den Toren der Pyramide. Sie drehte den Kopf in die Richtung aus der dieser Lärm kam.

Was ist da draußen nur los? fragte sich Jennifer verwundert. Am liebsten würde sie nachsehen, doch dazu hatte sie keine Gelegenheit. Der Scorpion King hielt fest ihre Hand mit seiner umschlungen und dachte nicht daran, sie nur für eine Sekunde loszulassen. Jennifer hatte keine Ahnung, was alles passieren würde, wenn der wilde Krieger Scorpion King erwacht war. Man sprach immer nur vom Ende der Welt. Was würde jetzt geschehen? Der Scorpion King hatte Jennifers Freunde erblickt.

Feindselig starrte er sie an. Dann wandte er sich an einen seiner Anhänger. „Tötet sie! Sie sind mir für nichts zu Nutze“, befahl er kurz angebunden. Dies überraschte Michael und Achmed nicht. Sie hatten es innerlich gewußt. Sein harscher Befehl brachte Jennifer an den Ort des Geschehens zurück. Nein, ihnen durfte nichts passieren. „Nein, bitte nicht!“ rief sie dazwischen. Der Scorpion King betrachtete Jennifer.

„Wieso soll ich sie nicht töten lassen?“ fragte er. „Sie sind meine Freunde“, erklärte Jennifer ihm scheu und blickte zu Boden. Der Scorpion King hob ihr Kinn an und blickte ihr tief in die Augen. „Deine Freunde?“ wiederholte er. „Ja, ohne sie ... wäre ich niemals hierher gekommen. Sie haben mir geholfen ... dein Grab zu finden. Ohne sie hätte ich nicht hergefunden.“ Das schien den Scorpion King zu versöhnen.

„Sperrt sie irgendwo ein. Ich denke später darüber nach und entscheide dann, was mit ihnen geschieht. Doch zuerst ...“ Er blickte Jennifer lächelnd an. „... Werde ich mich um dich kümmern, Nefertiri. Du hast meine alleinige Aufmerksamkeit mehr verdient als diese Menschen, die du als deine Freunde bezeichnest.“ Mit einer einzigen Handbewegung schickte er die Anwesenden fort. „Jennifer“, rief Michael und blickte sie besorgt an. Er hatte Angst um sie. Angst davor, das der Scorpion King ihr ein Leid antat.

Die Anhänger des Scorpion Kings verbeugten sich noch einmal und verließen den Raum. Die Wesen von Anubis führten Jennifers Freunde weg. Sie würden sie in den Kerker bringen, bis der Scorpion King sich ihrer annahm. Die Tür fiel hinter ihnen zu. Jennifer zuckte bei dem Geräusch – das so drohend klang – zusammen. Nun war sie mit dem Scorpion King allein. Und das beunruhigte sie doch ein wenig.

~ 16. ~

Nervös ließ Jennifer ihren Blick umherschweifen. Mit dem Scorpion King allein zu sein war etwas vollkommen anderes als über ihn zu lesen. Er hielt sie tatsächlich für Nefertiri. Aber sie war diese Frau nicht, die er ganz offensichtlich liebte. Wieder drangen diese seltsamen Geräusche von draußen zu ihr durch. Jennifer wandte den Kopf zu einen der hohen Fenster. Was verdammt noch einmal war das?

„Willst du wissen, was da draußen vor sich geht?“ fragte der Scorpion King sie plötzlich, der sie lächelnd beobachtete. Auch wenn sie sich dessen noch nicht bewußt war, hatte sie sich ihre Anmut erhalten. Ihre Bewegungen waren noch genau die, die er von Nefertiri kannte. Langsam nickte Jennifer. „Komm mit, meine Schöne“, sprach er und griff erneut nach ihrer Hand.

Dann führte er sie eine geschwungene Treppe hinauf. Eine Falte legte sich in Jennifers Stirn. Diese Treppe hatte sie noch nie bemerkt. Sie war vorher noch nicht dagewesen, dessen war sie sich sicher. Wäre sie dagewesen, hätte Jennifer – von ihrer Neugier angetrieben – nachgeschaut, wohin sie führte. Auf einmal wurde es ihr klar, was hier vor sich ging. Die ganze Pyramide hatte sich mit seiner Auferstehung verändert.

Die Treppe führte zu einer mächtigen Terrasse, die sich über die Oase erhob. Jennifer staunte; konnte nicht glauben, was sie sah. „Gott Gütiger“, sprach sie leise. Der dichte Dschungel der Oase war nicht mehr so in sich verschlungen wie zuvor. Die Pyramide hatte sich in einen Palast verwandelt. Durch den weichen Sand stampfte die große, unbesiegbare Armee von Anubis.

„Mein Gott“, entfuhr es ihr. Sie spürte, wie sich eine Hand leicht auf ihren Rücken legte. Doch die Berührung des Scorpion Kings war ihr nicht unangenehm. Im Gegenteil: Sie empfand es als sehr beruhigend. „Hast du diesen Anblick vergessen, Nefertiri?“ fragte er neben ihr. Jennifer blickte zu dem Krieger hoch. „Ich kann mich nicht daran erinnern weil ich nicht Nefertiri bin.“ Der Scorpion King lachte leise.

„Du warst schon immer eigensinnig, Liebste. Du hast schon immer das getan, was du wolltest. Und wenn du eine Meinung vertreten hast, bist du nicht davon runter gestiegen – egal wie falsch du auch damit lagst.“ Jennifer blickte ihn überrascht an. Er sprach als würde er sie wirklich kennen. Seine Beschreibung bezüglich ihres Charakters stimmte. Sie war so, aber ... das zeugte noch nicht davon, das er die Wahrheit sprach.

Der Scorpion King drehte sich zu ihr und nahm ihr Gesicht in seine Hände. „Hast du den wirklich alles vergessen? Alles, was zwischen uns war?“ fragte er energisch. „Tut mir leid, aber ich kann mich nicht an etwas erinnern, was ich nicht erlebt habe. Das ist sechstausend Jahre her. Ich kann damals nicht gelebt haben“, sprach sie kopfschüttelnd.

Eingehend betrachtete der Scorpion King sie. Zärtlich nahm er ihre Hand in seine und führte sie zu seinen Herzen. „Hast du das vergessen? Unsere Herzen ... unsere Seelen ... sind vereint, Nefertiri. Fühle diesen Herzschlag und dann sag mir, das dir noch immer nicht klar ist, wie verbunden wir miteinander sind“, sprach er. Jennifer blickte ihm in die Augen. Sie spürte, wie unter ihren Fingern sein Herz heftig schlug.

Bewirkte sie diesen Herzschlag? „Ja, das tust du, Liebste. Niemand brachte man Blut jemals so in Wallung wie du“, sprach er sanft – so als hätte er gewußt, was sie dachte. Er lächelte sie warm an. Der Scorpion King war froh sie wieder zu haben. Sein Leben war ohne sie nur die Hälfte wert. Wieviel sie ihm bedeutete ... war ihr nie wirklich klar gewesen. Doch er wußte auch, das er ihre Erinnerung zurückholen mußte.

„Sag mir, Liebste, was hat dich hergeführt? Hierher – zu dieser Oase?“ fragte er unvermittelt. „Die Schriftrollen ...“, stammelte Jennifer. „Nein, ich denke, du weißt, was ich meine“, unterbrach er sie ruhig. Jennifer seufzte leise. Sie wußte, was er meinte. Doch sie konnte sich das alles nicht erklären. Sie fühlte sich so unendlich vertraut mit ihm. „Mein Herz führte mich hierher“, gestand sie. Wissend lächelte der Scorpion King. „Deine Erinnerungen, Nefertiri“, sprach er. „Sind hier drinnen.“ Er legte seine Hand zart auf die Stelle, wo ihr Herz schlug.

„Ich werde es dir zeigen. Du wirst erfahren, was für ein Leben du einst geführt hast. Und ich schwöre, du wirst es wieder führen. Du wirst das Leben bekommen, das du verdienst.“ Gebannt blickte Jennifer ihn an. Konnte er tatsächlich die Wahrheit sprechen? Sie schüttelte leicht den Kopf. „Ich kann das nicht glauben“, flüsterte sie. Jennifer wandte sich ab und verließ die Terrasse. Der Scorpion King folgte ihr.

„Warum willst du es nicht glauben? Ich kenne dich. Ich erinnere mich an jeden Faser deines schönen Körpers“, sprach er ruhig. Jennifer schluckte und drehte sich zu ihm um. „Ich ... kann nicht. Natürlich arbeite ich an solchen Sachen, aber ... eine Reinkarnation wurde noch nie bewiesen.“ Der Krieger lächelte milde und kam näher. „Wofür brauchst du einen Beweis, Nefertiri? Du bist doch der Beweis.“ Jennifer seufzte. Der Scorpion King war fest davon überzeugt, das sie Nefertiri war. Aber sie war es nicht. Sie war es nie gewesen. Vielleicht sah sie Nefertiri ähnlich, aber sie war nicht diese Frau.

„Beweise es mir“, sprach sie mit leicht zitternder Stimme. „Beweise mir, das du die Wahrheit sprichst. Das ich wirklich einst gelebt habe.“ In ihren Augen tauchte kurz Angst auf. Doch er Scorpion King reagierte bloß mit einen Lächeln. Er blieb dicht vor ihr stehen. „Du brauchst keine Angst vor mir haben. Ich würde dir nie ein Leid antun, Nefertiri“, sprach er besänftigend, da er die Angst in ihren Augen gesehen hatte.

„Es ist dein gutes Recht nach einen Beweis zu verlangen. Ich habe mich schon gefragt, wann das kommt.“ Zärtlich strich sein Finger über ihre Wange. Aufmerksam blickte er sie an. Jennifer zitterte, obwohl sie es nicht wollte. „Zeig ... mir diesen Beweis“, bat sie leise. Der Scorpion King lachte amüsiert und tat es. Doch sie rechnete nicht mit der Art wie er ihr den Beweis zeigen wollte.

Jennifer konnte nicht mehr reagieren als er sie in seine Arme zog und ihre Lippen zu einen leidenschaftlichen Kuss verschloß. Zuerst war sie wie gelähmt, weil sie es nicht fassen konnte. Doch dann entspannte sie sich und schmiegte sich unwillkürlich an ihn. Er schlang seine Arme noch enger um ihren Körper und Jennifer spürte, wie wohl und geborgen sie sich bei ihm fühlte. Sie erwiderte seinen Kuss mit einer Leidenschaft, die sie noch nie zuvor bei sich erlebt hatte. Eine Leidenschaft, von der sie nicht einmal gewußt hatte, das sie sie besaß.

Und plötzlich wurden ihre Sinne wach. Jennifer spürte, wie etwas aus ihrem tiefen Unterbewußtsein an die Oberfläche drängte. Es war ein Stück alte Erinnerung. Sie schloß die Augen und überließ der Erinnerung die Macht über ihren Körper. Was es auch immer sein mag ... sie wollte es sehen. Vielleicht gab es ihr die Antworten, die sie so dringend suchte. Was sie sah, überraschte sie. Jennifer konnte es kaum glauben. Aber es war ihre Erinnerung – ihre ganz allein. Doch es erschreckte sie auch zutiefst ...

6000 Jahre zuvor

Der Scorpion King stand auf der Terrasse seines Palastes. Er hörte die ihm so bekannten Schritte. Wenige Sekunden später erschien eine junge Frau im Türrahmen. „Du hast mich rufen lassen?“ sprach sie mit sanfter Stimme. Er nickte leicht. „Komm her, Nefertiri“, bat er mit sanfter Stimme. Er streckte seine Hand nach ihr aus und sie ergriff diese. Der Scorpion King zog sie an sich und vergrub sein Gesicht in ihrem langen, schwarzen Haar. Tief atmete er ihren Duft ein.

Regungslos blieb Nefertiri stehen und legte ihre Arme um seinen Nacken. Der Krieger zog sie noch näher an sich heran. Er war, als wollte er sie nie wieder loslassen. Erst nach Stunden, so schien es ihr, löste er sich von ihr und blickte ihr eindringlich in die Augen. „Schwere Zeiten kommen auf uns zu“, sprach er. „Ich weiß.“ „Bleibst du bei mir? Bist du bereit an meiner Seite zu bleiben – selbst, wenn ich vernichtet werde?“ Nefertiri nickte ohne zu zögern. „Ich bleibe bei dir. Egal, was auf uns zukommen mag. Ich werde dich nicht verlassen.“ Wieder schloß er sie in seine Arme.

Und dann drehte er ihr Gesicht zu sich. Er studierte ihr zartes Profil, so als wären es die letzten Momente, die er mit ihr hatte. So als würde er sie nie wiedersehen, wenn er sie losließ. „Ich liebe dich, Nefertiri“, sprach er schließlich. Die junge Frau blickte ihn ruhig an. Sie kannte diese Worte; hatte sie oft genug von ihm gehört. Und jedesmal gingen ihr diese Worte erneut unter die Haut.

„Ich liebe dich mehr als alles andere auf der Welt. Du bist meine Königin, mein kostbarster Schatz, mein Goldstück“, sprach er zärtlich. „Ich liebe dich auch“, erwiderte Nefertiri und sie legte ihre Arme um seinen Nacken. „Ich werde dich immer lieben. Auch wenn ich sterbe ... meine Liebe zu dir wird ewig währen.“ Der Scorpion King lächelte bei ihrem Geständnis. Es war genau das, was er von ihr hatte hören wollen. Er nahm ihre Hand und legte sie auf das Armband von Anubis. „Schließ deine Augen“, befahl er ihr. Nefertiri stellte keine Fragen. Sie tat einfach, was er sagte. Sie vertraute ihm. Nefertiri hörte, wie er leise einen Spruch aufsagte.

Und dann überschwemmte sie plötzlich eine unglaubliche Kraft. Ihr wurde der Boden unter den Füßen weggerissen und instinktiv hielt sich Nefertiri an ihren Geliebten fest. Immer und immer wieder sprach er dieselben Worte. Nefertiri hatte das Gefühl innerlich zu verbrennen. Eine unerträgliche Hitze machte sich in ihren Körper breit. Dann war alles vorbei. So schnell wie es gekommen war, war es auch wieder verschwunden.

Kraftlos sank sie in sich zusammen. Der Scorpion King hielt sie fest und verhinderte, das sie sich böse verletzte. Langsam sank er mit ihr zu Boden. Er nahm sie in seine Arme und strich ihr zärtlich eine Haarsträhne zur Seite. Nefertiri öffnete die Augen. „Was ist ... soeben mit mir geschehen?“ flüsterte sie. Sie wußte, das er ihre Frage beantworten konnte. Er hatte etwas mit ihr gemacht und er würde es ihr erklären, dessen war sie sich sicher.

„Ich habe dich mit einen Fluch belegt, Liebste“, erklärte er ihr ruhig. „Mit einen Fluch?“ „Ja, sollte Anubis mich vernichten und ich wieder auferstehen, so wirst du zu dieser Zeit wieder bei mir sein – als Reinkarnation. Und ich schwöre, ich werde dafür sorgen, das du dich an alles erinnerst. Anubis wird sich nicht an dir rächen, dafür habe ich gesorgt. Du bist in Sicherheit. Wir werden für immer zusammen sein.“ Nefertiri schenkte ihm ein warmes Lächeln. Sie glaubte ihm und an dieses Versprechen, das er ihr damit gab. „Für immer ...“

Gegenwart

Der Scorpion King löste seine Lippen von Jennifers. Damit brachte er sie zurück an den Ort des Geschehens. Sie blinzelte, dann öffnete sie die Augen. Fassungslos blickte sie den Krieger an. Jennifer konnte nicht glauben, was sie gesehen hatte. Diese Frau war sie gewesen. Es war ihr Gesicht gewesen. Entsetzt mußte sie sich der Wahrheit stellen.

Sie hatte wirklich damals gelebt. Sie war Nefertiri, die Reinkarnation der jungen Ägypterin. Sie war ... Ihr Blick fiel auf das wissende Lächeln des Kriegers. Sie war seine Geliebte. „Glaubst du mir nun, mein Goldstück?“ fragte er ruhig. Langsam nickte Jennifer. „Ja, aber ... ich kann mich an alles nicht mehr erinnern. Ich kann einfach nicht glauben, daß ich das gewesen bin.“ „Du wirst dich erinnern“, versprach er ihr.

„Glaube mir, du bist es gewesen. Ich weiß es. Ich kenne meine Nefertiri. Ich habe dich so viele Nächte in meinen Armen gehalten und geliebt.“ Langsam strichen seine Finger über ihren Arm. Ein wohliges Gefühl rieselte ihren Rücken hinab. „Wenn dich jemand kennt, Nefertiri, dann ich. Und ich sage dir, du bist diese Frau. Morgen hole ich deine Erinnerung zurück“, sprach er. Und Jennifer glaubte ihm. Er würde ihre Erinnerung zurückholen.

Ihr Blick begegnete dem ihren. Seine Augen war voller Zärtlichkeit, voller tiefer Liebe zu ihr. Der Gedanke schlich sich immer mehr in ihr Bewußtsein. Seit seiner Auferstehung hatte er sie wie eine Göttin behandelt. Sie ahnte, das es früher genauso gewesen war. „Ich bin Nefertiri“, sprach sie ernst und der Scorpion King lächelte stolz. Sie war sich ihrer wahren Identität endlich bewußt.

~ 17. ~

Jennifer hatte einige Stunden geschlafen. Der Scorpion King hatte gesehen, das sie müde war und sie in ihr Schlafgemach geführt. Er hatte ihr befohlen sich hinzulegen. Doch es schlichen zu viele Gedanken in ihren Kopf herum, als das sie lange hätte schlafen können. Noch immer konnte sie nicht so recht glauben, was in dieser Nacht alles geschehen war. Es war wirklich aufregend und turbulent für sie gewesen.

Die Sonne hatte sich schon über den Horizont erhoben. Die Armee von Anubis schritt im Sand umher und bewachte die Pyramide, die nun wieder der große Tempel und Palast des Scorpion Kings war. Ein leiser Seufzer entrang sich ihrer Kehle und sie erhob sich von ihren Platz. Sie wollte nach ihren Freunden sehen; wollte wissen, ob es ihnen gut ging. Leise stieg sie die Treppe hinunter. Lock’Narh erschien im Raum und zündete die niedergebrannten Fackeln neu an. Als er Jennifer sah verbeugte er sich respektvoll.

„Du hast es die ganze Zeit über gewußt, nicht wahr?“ sprach sie. „Ich verstehe nicht, meine Königin.“ „Du verstehst sehr gut. Du wußtest, als du mich sahst, das ich Nefertiri bin.“ Er lächelte leicht. „Ja, ich wußte es.“ „Aber warum hast du mir nichts gesagt? Ich konnte mir auf all diese Geschehnisse keinen Reim machen.“ „Das habe ich gesehen.“ „Aber warum hast du dem dann kein Ende gesetzt?“ Lock’Narh lächelte kurz.

„Es war nicht meine Pflicht Euch aufzuklären, meine Königin. Das war nicht meine Aufgabe. Ihr solltet Euch erinnern, jedoch in der Gegenwart des Scorpion Kings. Ich wußte, er würde sehr erfreut sein Euch wiederzusehen. Ihr gehört an seine Seite.“ Jennifer lächelte leicht. „Wo sind meine Freunde?“ wechselte sie das Thema. „Meine Königin ...“ Verwirrt blickte der Wüstenmann sie an.

„Ich will nach meinen Freunden sehen.“ „Sie sind im Kerker eingeschlossen“, gestand Lock’Narh. „Danke.“ Jennifer machte sich auf den Weg. „Meine Königin, Ihr solltet nicht alleine gehen“, warf er vorsichtig ein. Jennifer drehte sich zu ihm um. „Du brauchst mich nicht begleiten. Das ist nicht nötig. Ich kenne den Weg.“ Einen Moment stutzte Jennifer. „Ich muß mich wohl daran gewöhnen, das mir dieser Palast nicht fremd ist“, murmelte sie. Dann stieg sie zielsicher die Treppe hinunter.

Der Kerker war feucht und dunkel. Jennifer nahm eine Fackel und stieg die letzten paar Stufen hinab. Achmed und Michael sprangen sofort auf als sie sie erkannten. „Jennifer“, rief Michael und er klang sichtlich erleichtert. Sie waren alle in einer großen Zelle eingesperrt worden. Jennifer steckte die Fackel in eine Halterung und kam näher. „Wie geht es euch?“ fragte sie besorgt.

„Gut, wenn man bedenkt, das wir eingesperrt sind“, erwiderte Michael trocken. Ein kurzes Lächeln huschte über ihr Gesicht. „Was ist mit dir geschehen? Hat er dir etwas angetan?“ Verneinend schüttelte Jennifer den Kopf. „Nein, mir geht es gut. Achmed!“ Der Beduine kam sofort näher als sie ihn ansprach. „Ja?“ fragte er neugierig, da er sah, das sie etwas mit ihm zu besprechen hatte.

„Erinnern Sie sich noch an unser Gespräch, als ich Sie fragte, ob der Scorpion King eine Geliebte hatte?“ „Ja, ich erinnere mich. Wieso?“ „Sie lagen falsch. Er hatte eine Geliebte. Ihr Name war Nefertiri.“ „Woher wissen Sie das?“ fragte Achmed neugierig nach. Jennifer seufzte leise. Wie sollte sie ihnen das erklären. „Weil ich ... ich bin Nefertiri. Ich bin ihre Reinkarnation. Ich wurde wieder geboren.“ „Das kann nicht sein“, stieß Michael aus. „Es ist aber so“, erwiderte Jennifer gereizt.

„Ich bin Nefertiri“, sprach sie entschlossen. „Er hat es mir gezeigt. Ich hatte Visionen von ihr. Ich hatte in den letzten Wochen Visionen und Träume über den Scorpion King, über sein Leben. Lock’Narh hat so überrascht reagiert als er mich zum ersten Mal gesehen hat. Er hat etwas in mir gesehen, was ich nicht sah. Ich wußte, das wir unbeschadet zur Pyramide kommen würden. Ich kann nicht sagen woher, aber ich hatte es im Gefühl. Jetzt ergibt alles einen Sinn. Ich bin Nefertiri und er wird meine Erinnerungen an mein früheres Leben zurückholen“, sprach sie. Achmed nickte. Er schien ihr zu glauben.

„Sag mal, glaubst du das wirklich?“ fragte Michael fassungslos. „Ich weiß, es klingt absurd. Ich konnte es am Anfang ja auch nicht glauben, aber er hat es mir gezeigt. Er hat recht. Ich habe schon einmal gelebt. Ich bin Nefertiri“, sprach sie mit einer Spur Stolz in ihrer Stimme. „Du solltest deinen Einfluß auf den Scorpion King ausnutzen.“ „Wie meinst du das?“ Michael beugte sich vor. „Damit wir hier rauskommen und verschwinden können, Jennifer“, erklärte er ihr.

„Ich werde nicht mit euch kommen. Ihr könnt allein gehen. Ich komme nicht mit“, sprach sie entschlossen. „Bist du verrückt? Du bist hier in Gefahr“, widersprach Michael. Jennifer schüttelte den Kopf. „Nein, ich bin nicht in Gefahr. Er würde mir nie ein Leid antun. Außerdem ... ich gehöre hierher. Ich gehöre zu ihm.“ „Wie kannst du dir da so sicher sein?“ fragte Michael zweifelnd. „Ich weiß es eben“, sprach sie selbstsicher.

„Ich werde tun, was in meiner Macht steht, um euch hier rauszuholen. Ich verspreche, euch wird nichts geschehen.“ „Das kannst du uns nicht garantieren.“ „Doch das kann sie“, mischte sich Achmed ein. Michael blickte ihn entsetzt an. „Wie kannst du das behaupten?“ „Weil es wahr ist. Der Scorpion King liebt sie. Er vergöttert sie und legt ihr die Welt zu Füßen. Jeden Wunsch, den Nefertiri hat, wird von ihm erfüllt. Und wenn Nefertiri sich wünscht, daß wir gehen dürfen, dann wird es auch so geschehen. Er kann ihr keinen Wunsch abschlagen“, sprach Achmed fest davon überzeugt.

„Wenigstens Sie verstehen mich, Achmed“, meinte Jennifer lächelnd. „Ich werde ihn darum bitten. Euch wird nichts geschehen. Verhaltet euch einfach nur ruhig“, bat sie. „Das werden wir“, versprach Achmed ihr. Jennifer lächelte und ging. Michael wollte ihr nachrufen, doch Achmed legte seine Hand auf den Arm seines neugewonnenen Freundes. „Laß sie gehen. Sie wird uns hier rausholen.“ „Glaubst du wirklich, das der Krieger ihr nichts antut?“ fragte Michael zweifelnd. „Ja, das glaube ich. Jennifer ist in Sicherheit. Ich mache mir mehr Sorgen wegen uns. Also, vertrau ihr“, sprach Achmed ruhig.

Der Scorpion King kam Jennifer entgegen als sie wieder oben angekommen war. „Nefertiri, wo warst du?“ fragte er besorgt. Sie schenkte ihm ein leichtes Lächeln. „Ich habe meine Freunde besucht. Ich möchte dich um etwas bitten.“ „Alles, was du dir wünscht, wird schon erfüllt“, sprach er lächelnd und nahm sie leicht in den Arm. „Laß meine Freunde gehen, bitte! Sie haben mir geholfen dich zu finden. Sie zu töten wäre nicht gerecht. Schenke ihnen das Leben. Sie sind keine Gefahr für dich.“ „Du magst sie“, stellte er fest.

„Natürlich, sie sind meine Freunde.“ Der Scorpion King blickte sie an und gab nach. „In Ordnung, sie können gehen. Meine Wachen werden sie begleiten bis sie in der Nähe einer Stadt sind. Ich hoffe, sie stellen wirklich keine Bedrohung für mich dar.“ Er klang zweifelnd. Jennifer lachte. „Sie sind normale Menschen. Du bist unsterblich. Du besitzt große Macht. Wie sollen sie dir schaden können? Das ist doch unmöglich. Aber sie haben Familien und es ist nicht fair, sie von ihren Familien zu trennen indem du sie tötet. Bitte, laß sie gehen. Ohne sie wäre ich niemals hierher gekommen.“ „Dir kann ich doch keinen Wunsch abschlagen. Wenn du dir die Freiheit deiner Freunde wünscht, soll es so sein.“ Er rief nach einer Wache.

„Nefertiris Freunde können gehen. Eine Truppe Wache soll sie bis zur nächsten Stadt begleiten. Ihnen wird kein Haar gekrümmt, verstanden?“ „Sehr wohl, Herr.“ Die Kreatur verbeugte sich vor ihm und suchte das Gefängnis auf. Wenig später stand Jennifer an der Seite des Scorpion Kings auf der Terrasse und blickte hinunter. Sie beobachtete wie ihre Freunde sich vom Tempel entfernten. Sie war froh, das die Gruppe gehen durfte. Ihre Freunde waren in Sicherheit und deshalb huschte ein kleines Lächeln über ihre Lippen.

Ein letztes Mal blickte Achmed sich um. Er wußte, Jennifer war in Sicherheit. Der Krieger würde ihr kein Leid antun. So gefährlich er auch war ... sie würde er auf Händen tragen. Doch Achmed hoffte, das Jennifer wußte, worauf sie sich da einließ. „Wir können sie nicht zurücklassen“, flüsterte Michael. Achmed nickte zustimmend. „Zuerst müssen wir in die Stadt. Dort überlegen wir uns dann einen Plan. Wir müssen den Scorpion King aufhalten.“ Michael nickte leicht. Er wollte Jennifer nicht bei diesen Krieger allein zurücklassen. Doch solange der Scorpion King sie wirklich für Nefertiri hielt, würde Jennifer nichts geschehen.

~ 18. ~

Gemeinsam schritten sie über den Sand. Jennifer ging neben dem Scorpion King her, der mit ihr den Palast verlassen hatte. Bis jetzt hatte er kein Wort zu ihr gesagt, doch sie wußte, das er sie immer wieder ansah und dabei lächelte. „Wohin gehen wir?“ fragte Jennifer schließlich, die diese Stille nicht mehr aushielt. „Wir sind schon da, Liebste“, erwiderte der Krieger. Jennifer blickte auf. Sie standen vor einer Höhle. Davor plätscherte friedlich ein See vor sich hin. Das Wasser war türkisblau und die Sonne ließ die Oberfläche geheimnisvoll glitzern.

„Das hier ... es ist wunderschön“, flüsterte Jennifer und als sie den Scorpion King ansah, begegnete sie seinen Blick. „Komm, es wird Zeit, das du dich an alles erinnerst, was einst war“, sprach er und reichte ihr die Hand. Jennifer zögerte nicht eine Sekunde. Sie ergriff seine Hand und ließ sich in die Höhle führen. Sie vertraute ihm; wußte, er würde sie niemals unnötig in Gefahr bringen. In der Höhle war es kühl und naß.

Der Scorpion King führte sie durch einen Gang und hielt schließlich an. Vor ihnen tat sich ein kleiner Bach auf. Er ließ sich davor nieder und Jennifer tat es ihm gleich. Geduldig wartete sie. Der Scorpion King füllte eine Schlüssel mit dem klaren Wasser und reichte sie Jennifer. „Trink“, forderte er sie mit einen sanften Lächeln auf. Ohne zu zögern trank Jennifer von dem kalten Wasser.

„Schließ deine Augen, Nefertiri“, sprach er neben ihr. Seine Stimme klang beruhigend – so als wollte er ihr die Angst vor dem Unbekannten nehmen. Jennifer folgten seinen Befehl. Sie spürte, wie er ihre Hände nahm und sie auf sein Armband legte. „Konzentriere dich auf das helle Licht, das du gleich sehen wirst. Entspanne dich einfach. Dir wird kein Schaden zugefügt, das weißt du. Laß die Erinnerung, die tief in ihr schlummert, einfach frei“, flüsterte er.

Im nächsten Augenblick tauchte auch schon ein heller Lichtstrahl in ihr auf. Das Licht kam immer näher und tauchte Jennifer völlig in sich ein. Sie wurde von dem Licht erfaßt und ließ sich fallen. Bilder drängten sich in ihr auf. Die Erinnerung übernahm die Kontrolle ihres Körpers. Alles, was sie einst gewesen war, kam an die Oberfläche und breitete sich deutlich in ihr aus. Jennifer fand sich in einer alten Zeit wieder. Sie fand sich in der Zeit wieder, in der sie als Nefertiri gelebt hatte ...

6000 Jahre zuvor

Die Armee von Anubis – die ihrem Gott abgeschworen und dem Scorpion King Treue geschworen hatte – stand wie versteinert im Sand. Der Fluch von Anubis ließ nicht zu, das sie sich bewegten. Der Scorpion King war in der Halle seines Palastes. Der Wind heulte laut; schien ein klägliches Lied zu singen. Der Sand wirbelte auf. Ihm war klar, das Anubis seine Rache forderte. Anubis wollte, das der Krieger für seinen Verrat bezahlte.

Nefertiri stand unter einen Türrahmen und beobachtete mit angehaltenen Atem wie ein helles Feuer durch den Körper des Kriegers jagte. Der Scorpion King schrie gepeinigt auf. Schwach fiel er auf die Knie und litt tausend Qualen. Etwas wurde von ihm gerissen. Anubis nahm ihm die Unsterblichkeit und verurteilte ihn damit zum Tode. Doch er legte einen Fluch über den Scorpion King als er ihm das raubte, was er ihm einst geschenkt hatte.

„In sechstausend Jahren, mein Krieger, wirst du wieder erwachen und erneut über die Welt herrschen. Bis dahin hast du genug für deinen Verrat gebüßt“, sprach Anubis und nahm die Unsterblichkeit des Scorpion Kings mit sich. „Scorpio“, rief Nefertiri erschrocken als der Körper des Kriegers leblos am Boden liegen blieb. Scorpio, so nannte sie ihn immer zärtlich, und er hatte immer darauf reagiert. Doch diesmal hörte er es nicht mehr.

Als Nefertiri sich neben ihn kniete, fühlte sie keinen Puls. Er war tot. Stumm weinte sie ihre Tränen um diesen Mann, den sie so sehr liebte und der sie geliebt hatte. Doch sie erinnerte sich an den Fluch, den er über sie gesprochen hatte. „Wir werden gemeinsam wieder auferstehen. Wir werden uns wiedersehen“, flüsterte sie mit leiser, tränenerstickter Stimme. „Ich liebe dich.“ Ohne ihn wollte sie nicht länger leben. Sie konnte es nicht. Ihre Seele würde warten bis er wieder erwachte.

Nefertiri griff nach ihrem Dolch. Mit fester, aber doch zitternder Hand umfaßte sie ihn. „Ich werde warten bis wir uns wiedersehen. Meine Liebe zu dir wird ewig währen“, versprach sie ihm. Dann stieß sie sich den Dolch in den Magen. Nefertiri sank zusammen und lag leblos – in einer Blutlache – neben dem Scorpion King. Ihre Seele würde wandern – solange, bis er wieder erwacht war. Und dann ... waren sie wieder vereint. Doch solange würde ihre Seele auf ihn warten ...

Gegenwart

Ein Keuchen und Stöhnen drang über Jennifers Lippen. Die Erinnerung übermannte sie, fesselte sie und brannte sich tief in ihr Gedächtnis. Angst kam in ihr hoch. Jennifer glaubte, befangen zu sein. Sie war gefangen in ihrem eigenen Körper, gefangen in ihren einstigen Leben. Jennifer bekam ein beklemmendes Gefühl. Sie hatte das Gefühl gefangen zu sein. Gefangen in einen Leben, das sie einst geführt hatte. Ein Leben, an das die Erinnerung erst jetzt zurück gekommen war. Und dann ... war alles vorbei.

Sie öffnete die Augen und sah sich vorsichtig um. Sie mußte sich vergewissern noch am selben Ort – in der Höhle - zu sein. Es war, als würde sie dies alles zum ersten Mal sehen ... als würde sie nun alles mit anderen Augen zusehen. Sie nahm die Geräusche und die Gerüche ganz anders auf. Auf einmal hatte sich alles verändert und sie sah die Welt mit anderen – neuen – Augen.

Und dann fiel ihr Blick auf den Mann neben sich. Der stolze Krieger, der ihre Erinnerung zurück geholt hatte. Der Mann, den sie liebte und den sie abgöttisch verehrte. Für ihn hatte sie den Freitod gewählt. Er hatte sein Versprechen gehalten. Sie waren wieder zusammen und er liebte sie noch immer. „Ich erinnere mich“, sprach sie schließlich und schenkte ihm ein zartes Lächeln.

„An alles? Unser ganzes gemeinsames Leben?“ hakte der Scorpion King nach. Bejahend nickte Jennifer. „Ich weiß jetzt wieder wer ich wirklich bin. Jennifer Croft gibt es nicht mehr. Sie war bloß eine Illusion. Ich bin Nefertiri und ich war sie immer. Ich habe auf diesen Moment so lange gewartet, so unendlich lange“, sagte sie. Der Scorpion King lächelte und zog sie in seine Arme.

„Jetzt wird uns nichts mehr trennen, das schwöre ich dir. Und ich verspreche dir, du wirst alles wieder haben, was du einst besessen hast“, murmelte er an ihrem Ohr. „Ich brauche nicht mehr als dich, Scorpio. Es war eine lange Zeit ohne dich. Nun spüre ich diese Sehnsucht deutlicher als in den Jahren, wo ich Jennifer Croft war – ohne mein Wissen über unser Leben. Ich brauche nur dich um glücklich zu sein.“ Er lächelte sanft und küßte sie. Jennifer war to t. Nefertiri war neu geboren ...

~ 19. ~

Michael und Achmed waren in einer Stadt angekommen. Sie wußten, das sie Hilfe brauchten. Also hatte Achmed Männer zusammen gerufen. Alleine konnten sie den Scorpion King nicht aufhalten. Dazu benötigten sie die Hilfe so vieler, wie sie auftreiben konnten. Nun erzählte Achmed ihnen von der bevorstehenden Gefahr, die der Welt drohte. „Wir müssen den Scorpion King aufhalten“, sprach Achmed in die Runde.

Mit ernster Miene blickte der Beduine einen nach dem anderen gewissenhaft an. „Wir müssen uns dem Scorpion King stellen. Er darf nicht an diese Macht über die Welt kommen, die Anubis ihm versprochen hat.“ „Was ist mit Jennifer?“ mischte sich Michael ein. Er klang äußerst besorgt. Nach wie vor hielt Michael es für keine gute Idee, Jennifer so lange mit dem Krieger allein zu lassen.

„Wir werden Jennifer da raus holen“, versprach Achmed ihm. „Hör mal, Leute! Wenn wir nicht einen Weg finden den Scorpion King aufzuhalten, dann sieht es äußerst schlecht für diese Welt aus. Ich meine ...“ „Es gibt einen Weg“, unterbrach eine tiefe Stimme ihn. Die Männer drehten sich verwundert um. An der Tür zu dem Lokal, in dem die Männer bei Wein zusammensaßen, stand ein Mann. Es war ein älterer Mann mit entschlossener Miene aus einem kargen Gesicht.

Wer war dieser geheimnisvolle Mann? „Es gibt eine einzige Möglichkeit den Scorpion King aufzuhalten“, sprach der Mann und stieg leichtfüßig die Stufen hinab. Hinter ihm sah Achmed eine ganze Gruppe von Männern. Sie waren alle in seltsame Kleider gehüllt. „Wer sind Sie?“ fragte Achmed mißtrauisch. In der letzten Zeit war er zu sehr mit seltsamen Dingen konfrontiert worden, als das er diesen Fremden einfach so vertraute. Zu diesen Dingen, die ihm nicht gefielen, zählten auch die Leute von Lock’Narh. Und Lock’Narh hatte sich auch als Verrückter entpuppt.

Der Mann verbeugte sich leicht vor Achmed. Mit dieser Geste zollte er ihm seinen Respekt. „Mein Name ist Abdullah“, stellte er sich vor und richtete sich wieder zu seiner vollen Größe auf. „Du bist ein starker Krieger, Beduine. Und dein Mut ist bewundernswert, wenn man bedenkt, das du noch am Leben bist. Ihr seit dem Scorpion King gegenüber gestanden. Weshalb hat er euch am Leben gelassen?“ fragte Abdullah neugierig nach.

Achmed wußte, warum der Mann so überrascht reagierte. Sie waren bei der Auferstehung des Scorpion Kings anwesend gewesen und waren nicht geopfert worden. Das war seltsam, wenn man die Umstände nicht kannte. „Wegen Nefertiri“, sprach Achmed. Abdullah schien aber nicht überrascht zu sein. Das bedeutete, das dieser Mann alles über den Scorpion King und dessen Geliebte wußte. Und er schien auch zu wissen, was die Auferstehung des Kriegers für die Welt bedeutete.

„Nefertiri“, wiederholte Abdullah leise. „Ich nehme an, das diese Wissenschaftlerin, die euch begleitet hat, die Reinkarnation von Nefertiri ist.“ Dies war keine Frage, sondern eine schlichte Feststellung. „Abdullah, was wissen Sie über den Scorpion King?“ hakte Achmed nach. „Wir wissen alles über den Krieger und dessen Pakt mit Anubis. Leider konnten wir seine Auferstehung nicht verhindern.“ Nun mischte sich Michael ein.

„Jennifer ... sie sagte, das er so oder so auferstanden wäre. Sie meinte, man hätte es nicht verhindern können.“ Abdullah nickte leicht. „Da hatte sie recht. Der Scorpion King wäre auf jeden Fall auferstanden. Die Anwesenheit von Lock’Narh und dessen Leuten sowie eure Anwesenheit haben unsere Vorbereitungen gestört.“ Achmed nickte. Er verstand, worauf Abdullah hinauswollte.

„Gehören Sie einen bestimmen Orden an, Abdullah?“ fragte Achmed. Der Wüstenmann nickte. „Wir sind die Gegenspieler des Scorpion Kings. Unsere Vorfahren gehörten den Stamm an, die den Scorpion King vor sechstausend Jahren in die Wüste vertrieben hatte – kurz bevor er diesen besagten Pakt mit Anubis schloß. Es ist unsere Pflicht den Krieger erneut zu verbannen. Wir müssen ihn aufhalten, bevor er diese Welt zerstört“, sprach Abdullah eindringlich. Er setzte sich an den Tisch der Männer, die zu Achmeds Team gehörten. 

„Ihr seit ihm gegenüber gestanden. Ihr habt ihn gesehen und ihr könnt uns eine Hilfe sein“, sprach er entschlossen. Achmed blickte den Mann, der anscheinend soviel über den Scorpion King wußte, an. „Wie?“ stellte er seine Frage in den Raum. „Ihr habt den Tempel gesehen, wart bei seiner Auferstehung dabei und ihr habt diese Begegnung überlebt.“ „Dank Jennifer“, warf Michael ein. „Was wird mit ihr?“ „Wir können sie retten. Doch dieses Unterfangen wird äußerst schwierig werden“, sprach Abdullah weise.

„Zuerst müßt ihr verstehen, was für ein Verhältnis zwischen dem Scorpion King und dieser Frau herrscht. Nefertiri liebt den wilden Krieger abgöttisch. Sie würde alles für ihn tun. Als Anubis ihm seine Unsterblichkeit nahm, tötete sie sich selbst weil sie ohne ihn nicht mehr leben wollte. Es wird schwer werden sie von ihren Gefühlen zu ihm zu trennen. Es wird schwer werden sie von ihm zu trennen. Doch wir haben eine Chance.“ „Sie sagten, es gäbe eine Möglichkeit den Scorpion King zu vernichten. Also, erzählen Sie“, forderte Achmed den Fremden auf.

„Es ist eine kleine Chance, aber es kann funktionieren. Wenn wir es schaffen, ihm das Armband von Anubis zu entfernen und es vernichten, wird er mit dem Armband sterben. Dies ist seine endgültige Vernichtung. Wenn das Armband zerstört wird, vernichten wir die unsterbliche Macht, die den Scorpion King am Leben erhält.“ „Können wir ihm das Armband überhaupt abnehmen?“ fragte Achmed skeptisch. Abdullah seufzte schwer.

„Nun ... leicht wird es gewiß nicht werden. Doch wir müssen es versuchen. Es ist die einzige Chance, die wir haben. Wir dürfen nicht aufgeben. Noch können wir kämpfen. Noch ist Zeit dafür sich zur Wehr zu setzen.“ „Ich bin dabei“, erklärte Achmed spontan. „Wir können einen mutigen Kämpfer wie dich sehr gut brauchen.“ „Wir sind auch dabei“, beschlossen die anderen gemeinsam mit Michael. Sie waren alle für diesen Kampf bereit. Es war die letzte Chance, die diese Welt hatte.

„Allerdings möchte ich, das euch allen eines klar ist: Dies wird kein leichter Kampf. Viele von uns werden diesen Kampf nicht überleben. Viele werden ihr Leben lassen“, sprach Abdullah ernst. Die anderen verstanden und nickten leicht. „Wie viele Männer werden mit uns kämpfen?“ fragte Achmed. Abdullah blickte zu der Gruppe Männer, die sich draußen um die Pferde kümmerten, wie er durch die offene Tür sehen konnte.

„Ich habe alle Beduinenstämme vereint. Einige von ihnen haben Streit miteinander, doch für diese wichtige Sache haben sie alle ihre Streitigkeiten beigelegt. Sie wissen, wie wichtig dieser Kampf ist. Ihnen ist klar was von diesen Kampf abhängt. Uns stehen gut zweitausend Mann zur Verfügung.“ „Das ist zuwenig. Mit so wenig Mann werden wir diesen Kampf nicht gewinnen“, murmelte Achmed kopfschüttelnd. „Wie meinen Sie das, Achmed?“ hakte Abdullah sofort nach.

Ernst blickte der Beduine den anderen Mann an. „Ich habe die Armee von Anubis gesehen. Um die zu bekämpfen sind zweitausend Mann einfach zuwenig. Die Armee von Anubis ist um einiges größer. Wir kriegen es mit vielleicht grob geschätzt zehntausend dieser Kreaturen zu tun.“ „Darauf bin ich vorbereitet und meine Männer auch. Ich sagte, fiele werden fallen. Ich weiß, das die Armee von Anubis groß ist“, erwiderte Abdullah ruhig.

„Doch wir haben keine andere Wahl. Wir müssen in den Kampf ziehen. Wir müssen es wenigstens versuchen. Wenn wir dies nicht tun, ist diese Welt verloren. Die unschuldigen Menschen dieser Welt braucht uns. Wenn ich untergehe, dann gehe ich kämpfend unter. Ich werde den Scorpion King diese Welt nicht kampflos überlassen.“ „Sie haben recht, Abdullah. Wir müssen kämpfen. Es gibt keine andere Möglichkeit.“ Abdullah nickte und blickte aus dem Fenster.

Seine Miene wurde noch grimmiger. „Und keine Zeit. Wir müssen uns beeilen“, sprach er. Achmed und die anderen Männer folgten seinen Blick. Abdullah hatte recht. Ihnen lief die Zeit davon. Der Himmel verdunkelte sich und starke, anhaltende Blitze jagten durch die dichten Wolken. Der Himmel färbte sich tiefschwarz. Sie alle wußten, es begann ... der Untergang der Welt. Der Scorpion King war dabei seine Macht freizusetzen und die Welt zu unterwerfen ...

~ 20. ~

Nefertiri beobachtete die schwarze Dunkelheit. Der Scorpion King hatte sie über den Himmel gelegt. Die Unterwerfung begann, das wußte sie. Schon bald würde die Welt ihm gehören. Schon bald würde alles wieder so sein wie einst. Auf einmal spürte sie dieses bestimmte Kribbeln in ihren Nacken. Sie wußte, er war da. Leicht drehte sie sich zu ihm als er die Terrasse betrat. Eine Sorgenfalte legte sich über seine Stirn. Doch aus welchem Grund? Er war unbesiegbar, unverwundbar. Niemand konnte ihn aufhalten. Was bereitete ihn also Sorgen?

„Scorpio?“ Fragend sah sie ihn an. „Noch haben wir nicht gewonnen“, verkündete er ihr. „Ein Kampf steht uns bevor. Ein Kampf gegen die Nachfahren des Wüstenstammes von einst.“ Er trat zu ihr. „Der Wüstenstamm, der dich in die Tiefe der Wüste vertrieben hat?“ erkundigte sich Nefertiri, obwohl es eine überflüssige Frage war. Bejahend nickte der Krieger. „Sie wollen gegen uns kämpfen.“ „Sie wollen nicht kampflos untergehen“, sprach Nefertiri. „Deine Freunde haben sich diesen Männern angeschlossen.“ Verwundert richtete sie den Blick auf seine Augen.

„Achmed und Michael?“ fragte sie. „Ja, ich dachte, sie sind keine Gefahr für mich?“ „Das sind sie auch nicht. Wie viele werden sie für diesen Kampf schon auftreiben können?“ „Zweitausend“, erwiderte der Krieger. „Du hast zehntausend Kreaturen von Anubis‘ Armee hinter dir. Wie können sie dir da schon schaden?“ „Sie wissen, das ich ohne mein Armband meine Macht verliere.“ Nefertiri sah ihn eindringlich an.

„Scorpio, um das zu bekommen, müssen sie dir so nahe kommen, das sie keine Gelegenheit mehr dazu haben werden, es dir abzunehmen. Wenn sie dir so nahe kommen, werden sie sterben. Du weißt doch, wer dir so nahe kommt, ist dem Tode geweiht – außer mir natürlich.“ Er nickte leicht und schenkte Nefertiri ein sanftes Lächeln. Bestimmt zog er sie in seine Arme und hauchte ihr einen Kuss auf die Stirn.

„Du hast recht, mein Goldstück, wie immer“, sprach er. „Wann haben wir sie zu erwarten?“ „In vier Stunden. Ich spüre, das sie immer näher kommen.“ „Dann sollten wir uns vorbereiten.“ „Ich will, das du dich von dem Kampf fern hältst, Nefertiri.“ Sie hob den Kopf und sah ihn unverständlich an. „Das kann ich nicht. Es ist dein Kampf. Also, ist es auch meiner. Außerdem ... hast du etwa vergessen, das ich gut kämpfen kann? Hast du vergessen, welch guten Unterricht ich einst bekommen habe?“ „Tja, von wem wohl?“, warf er mit einen schalkhaften Lächeln ein.

„Ich hatte den besten Lehrer, den es je gegeben hat.“ „Du hast es vielleicht verlernt. Bei Reinkarnationen wäre das nichts ungewöhnliches“, sprach der Scorpion King. Nefertiri schüttelte leicht den Kopf. „Wie könnte ich etwas vergessen, was du mir beigebracht hast? Wie könnte ich etwas verlernen, was du mich gelehrt hast?“ Sie machte eine kurze Pause und fügte schließlich hinzu: „Nein, ich könnte es niemals verlernen. Ich kann es noch. Ich weiß es. Ich werde an deiner Seite kämpfen. Und wir werden siegen, dessen bin ich mir sicher.“ Sie schenkte ihm ein triumphierendes Lächeln.

Schweigend blickten sie sich an. Und das Feuer ihrer alten Leidenschaft loderte in ihren beider Augen. Doch unter die Leidenschaft mischte sich noch ein anderes Feuer – das Feuer des Sieges. Sie waren bereit. Gemeinsam würden sie mit Anubis‘ Armee ihre Feinde in die Flucht schlagen. Gemeinsam würden sie siegen. Seite an Seite würden sie kämpfen und ihre Feinde grausam vernichten.

Nefertiri suchte Lock’Narh auf. Er war mit den Vorbereitungen für den Kampf beschäftigt. Lock’Narh teilte seine Leute – die Anhänger des Scorpion Kings – für den bevorstehenden letzten Kampf ein und sorgte dafür, das die Armee von Anubis ebenfalls bereit und an der richtigen Stelle war. Jeder mußte wissen, was zu tun war. Bei der Armee von Anubis machte er sich da jedoch keine Sorgen. Diese Kreaturen waren erschaffen worden um zu kämpfen und zu töten.

Als er Schritte hörte, die sich ihm näherten, hob er den Kopf. „Meine Königin“, sprach er verblüfft. Lock’Narh hatte nicht damit gerechnet, das Nefertiri ihn aufsuchte. Die letzten Stunden hatte sie nur in Gesellschaft des Scorpion Kings verbracht – allein. Sie lächelte und gab ihm ein Handzeichen, das er sich von seiner ehrfurchtsvollen Verbeugung erheben durfte.

„Was kann ich für Euch tun, meine Königin?“ fragte Lock’Narh. Nefertiri strich sich eine Haarsträhne aus dem Gesicht und blickte sich in aller Ruhe die Waffen an, die er an seine Leute verteilte. Dann blickte sie ihm direkt ins Gesicht. „Ich bin auf der Suche nach meinen alten Sachen ... meine Kampfsachen, um genau zu sein. Ich bin mir sicher, du kannst mir sagen, wo ich meine Waffen finde“, sprach sie. „Ich bin ... noch etwas orientierungslos, wenn es darum geht, mich zu erinnern, wo meine Besitztümer aufbewahrt werden.“ Lock’Narh nickte. Er wußte, wovon sie sprach.

„Wartet hier einen Moment, meine Königin“, bat er und verließ leichtfüßig den Raum. Er ging die Treppe zu einer Tür hinauf und verschwand dahinter. Nefertiri ließ ihren Blick über die alten Waffen gleiten, die an den Wänden hingen. Ihr war klar, das die Gegner des Scorpion Kings keine Chance hatten. Es war ihnen – gemeinsam mit Anubis‘ mächtiger Armee – bestimmt zu siegen.

Da erschien Lock’Narh wieder. In seinen Händen trug er eine alte Truhe, die schwer verschlossen war. Er stellte die Kiste auf den Boden ab und befahl seinen Leuten, sie allein zu lassen. Erst dann war er bereit die Truhe zu öffnen. Lock’Narh holte einen Schlüssel hervor und öffnete sie. Er legte das schwarze Seitentuch zur Seite, das über den Inhalt lag und ließ Nefertiri einen Blick hinein werfen.

„Das sind ... mein Gott, das sind meine Sachen“, stellte sie überrascht fest. In der Truhe befanden sich ihre ganzen Kampfsachen, die sie einst benutzt hatte, um ihren Liebsten mit einer Showeinlage zu erfreuen. „Die Anhänger des großen Kriegers haben für alles gesorgt“, sprach Lock’Narh. Mit glänzenden Augen blickte Nefertiri auf den Inhalt. Vorsichtig holte sie ihre Sachen aus der Truhe.

Sie zauberte ein goldenes Stirnband mit einer herabhängenden Perle hervor und ein altes, ägyptisches Kampfgewand für Frauen. Nefertiri wußte, sie hatte es früher oft getragen. Früher, als sie mit Sklavinnen für den Scorpion King gekämpft hatte. Das Gewand war gut erhalten und würde ihr noch passen. Es war weiß und an den Rändern mit goldenen Fäden durchzogen. Dazu existierten goldene Sandalen mit Bändern, die unterhalb des Knies zusammen geschnürt gehörten.

Als nächstes kramte Nefertiri aus der Truhe goldene Armschnallen, die an ihre Handgelenke gehörten. Aus der Truhe entnahm sie noch zwei lange Dolche, die ebenfalls aus Gold waren – ihre Dolche, mit denen sie perfekt umzugehen wußte. Sicher nahm Nefertiri die Waffen in ihre Hände. Instinktiv wußte sie, das sie diese Waffen noch beherrschte. Scorpio hatte ihr das Kämpfen beigebracht – damals.

Er war es gewesen, der die richtige Waffe für sie ausgewählt hatte. Der Scorpion King war der Meinung gewesen, das diese Dolche das Richtige für sie waren. Er hatte daran geglaubt, das sie damit am besten umgehen konnten. Und er hatte sich nicht getäuscht. Wie immer hatte er mit seinen Urteilsvermögen recht behalten. Die langen Dolche waren wie für Nefertiris Hände geschaffen.

Nefertiri erhob sich und nahm die Sachen an sich. „Danke, Lock’Narh“, sprach sie und ging in ihr Gemach um sich umzuziehen. Sie wollte sich mental auf den Kampf vorbereiten. Lange hatte sie nicht mehr gekämpft und sie mußte auch geistig stark sein, nicht nur körperlich. Die Regeln des Scorpion Kings hatte sie nicht vergessen. Seine Lehren hatten sich tief in ihre Seele gebrannt. Wenn der Kampf bevorstand, würde sie bereit sein und an der Seite ihres Geliebten kämpfen.

~ 21. ~

Stunden später

Mit einen erstaunten Gesichtsausdruck betrachtete der Scorpion King Nefertiri. Dann huschte ein kleines Lächeln über sein Gesicht. „Du siehst wunderbar aus“, erklärte er ihr. „Ich bin bereit.“ „Das sehe ich. Nefertiri, ich will, das du am Leben bleibst. Versprich es mir“, forderte er. „Ich verspreche dir, das ich am Leben bleibe. Du brauchst dir keine Sorgen machen.“ „Das tue ich aber. Ich will dich nicht noch einmal verlieren. Ich habe zulange auf den Moment gewartet dich wiederzusehen.“ Fest nahm er sie in seine Arme und küßte sie leidenschaftlich.

„Wenn das vorbei ist, wird sich uns niemand mehr in den Weg stellen“, sprach der Scorpion King. „Niemand wird es dann mehr wagen mir die Stirn zu bieten.“ „Danach kann dein Weltuntergang beginnen“, sprach Nefertiri aufgeregt. „Die Welt wird uns gehören, das verspreche ich dir. Wir allein werden die Welt unterwerfen“, sprach er stolz und entschlossen. Das Wiehern von Pferden unterbrach sie. Sie wußten, ihre Feinde waren da.

„Was ist mit deinen Freunden?“ erkundigte sich der Scorpion King. „Sie waren die Freunde von Jennifer Croft, nicht die von Nefertiri. Wenn sie sich mir in den Weg stellen werden sie sterben. Als Jennifer bat ich dich sie am Leben zu lassen. Doch Jennifer ist tot. Es existiert nur noch Nefertiri.“ Ein stolzer Lächeln huschte über die Lippen des Kriegers. Tief blickten sie sich lange in die Augen.

Wie einst waren sie wieder eine Einheit, regelrecht miteinander verschmolzen – mit ihren Gedanken, ihren Herzen und ihren Seelen. Sie wußten, was der andere dachte und fühlte. Wußten, das sie sich aufeinander verlassen konnten. Wenn dies vorbei war, würde die Welt ihnen gehören. Der Kampf konnte beginnen. Ihre Feinde hatten keine Chance sie zu stoppen.

Achmed und Abdullah wechselten einen Blick miteinander. Sie blickten die Wüste zum Palast hinunter. Einige Meter von ihnen entfernt stand die mächtige Armee von Anubis. Kreaturen, die hinterlistiger und stärker nicht sein konnten. Kreaturen, die aus dem einzigen Grund erschaffen worden waren, um zu kämpfen, zu töten und den Befehlen ihres Herrn zu folgen.

Die beiden Männer wußten, das es nicht gut für sie aussah. Die Überlebungschancen der zweitausend Männer standen schlecht. Ihre Aussicht auf Sieg war schlecht. Doch so leicht wollten sie sich nicht geschlagen geben. Jemand mußte dem Scorpion King die Stirn bieten. Abdullah nickte einem Stammesführer zu. Dieser ließ einen markerschütternden Schrei los und die vereinten Wüstenstämme trieben ihre Pferde an. Sie zückten ihre Waffen und galoppierten auf Anubis‘ Armee zu. Eine blutige Schlacht begann vor den Toren des Scorpion Kings Palastes.

Michael, Abdullah und Achmed lenkten ihre Pferde zum Eingang des Palastes. Sie würden sich drinnen um den Scorpion King kümmern. Niemand der kämpfenden Kreaturen schenkte ihnen Beachtung. Ungehindert konnten sie den Palast betreten. Michael und Achmed hofften, das sie Jennifer noch retten konnten; das es ihnen möglich war Nefertiri zu vertreiben. Doch es würde nicht leicht werden. Ein schwerer Kampf stand ihnen bevor.

Im Inneren begegnete ihnen Lock’Narh. Außer seinem Herrscher und dessen Geliebte war er der einzige Mensch, der sich im Palast aufhielt.  „Ihr werdet nicht weit kommen“, warnte er sie mit bedrohlicher Stimme. „Ihr werdet sterben – ihr alle. Niemand kann den Scorpion King aufhalten – absolut niemand.“ „Das wollen wir doch einmal sehen“, sprach Michael und in seinen Augen blitzte es wütend auf.

Er drehte sich zu den beiden Beduinen um. „Kümmert euch um diesen verdammten Krieger und Jennifer. Vertreibt ihn von hier und retten Jennifer. Den Typen hier übernehme ich“, sprach er entschlossen. Achmed wußte, das Michael kein Abenteurer – kein Kämpfer – war. Doch es ging hier um das Leben von Jennifer und um die Rettung der Welt. Aus diesen Gründen ging Michael dieses Risiko bereitwillig ein.

Deshalb erwiderte er nichts und machte sich mit Abdullah auf den Weg. Sie stiegen die Treppe hinauf und verschwanden hinter der Tür. Finster blickte Lock’Narh den Engländer an. „Du bist so gut wie tot, Junge“, sprach er und zückte ein Gewehr. Doch Michael war nicht unvorbereitet erschienen. Mit sicherer Hand zielte er mit einer Pistole auf den alten Mann. Da lösten sich aus beiden Waffen Schüsse und Rauch schwatete auf.

Bei den lauten Geräusch der Schüsse drehte sich Achmed um. Einen Moment überlegte er, ob es eine gute Idee gewesen war, Michael mit einen kampferprobten Beduine allein zu lassen. Abdullah blickte ihn an und erriet seine Gedanken. „Laß es bleiben, mein Freund! Es hat keinen Sinn. Du kannst ihm nicht mehr helfen. Ich schätze, es ist zu spät.“ Achmed wußte, das der Kämpfer neben sich recht hatte.

Michael mußte allein klarkommen. Er hatte gewußt, worauf er sich einließ, als er sich diesen entscheidenden Kampf angeschlossen hatte. Wenn Michael nicht überlebte, hatte der tapfere Engländer sein Leben für diese Welt gegeben. Um so mehr war es Achmed nun wichtig, Jennifer zu retten. Michael hatte es mehr gewollt als alles andere. Und Achmed würde versuchen Michaels letzten Wunsch zu erfüllen. Jennifer mußte gerettet werden. Er mußte daran glauben, das es noch möglich war.

Die beiden Männer standen vor dem großen Raum, wo die Auferstehung des Scorpion Kings vollzogen worden war. Achmed und Abdullah sahen sich an. Sie zückten ihre Waffen. „Bist du bereit?“ fragte Abdullah. „Kann man dafür überhaupt bereit sein?“ gab Achmed ironisch zurück. Ein kleines Lachen entrang sich aus Abdullahs Kehle. Es war das erste Lachen, das Achmed bei ihm sah, seit er ihn vor wenigen Stunden kennen gelernt hatte. Daran sah man das auch Abdullah äußerst angespannt und auch etwas unruhig war. Es war soweit. Der Kampf um das Schicksal der Welt konnte beginnen.

Achmed und Abdullah sahen sich ein letztes Mal entschlossen an, dann warfen sie sich mit all ihrer Kraft gegen das mächtige Tor, wo dahinter der große Raum verborgen lag. Das Tor schwang auf so plötzlich auf, das Achmed und Abdullah in den Raum stolperten. Doch sie fingen ihr Gleichgewicht und sahen sich dem Scorpion King und Nefertiri gegenüber, die schon auf sie warteten.

Ein qualvolles Stöhnen drang über Michaels Lippen und er sank zu Boden. Mit der Hand tastete er nach der Wunde an seinen Bauch. Blut rieselte auf den kalten Boden des Palastes. Er wußte, er würde es nicht schaffen. Doch er mußte in Erfahrung bringen, ob er seinen Gegner getroffen hatte. Schwer atmend hob Michael den Kopf. Langsam lichtete sich der Rauch und Michael konnte alles im Raum klar erkennen.

Ungefähr zwei Meter von ihm entfernt lag Lock’Narh am Boden. Der Mann atmete nicht mehr und seine Augen blickten starr an die Decke. Überrascht stellte der Engländer fest, das er sein Ziel perfekt getroffen hatte. Des Scorpion Kings Anhänger Lock’Narh war tot. Schwach sackte Michael zurück. Er hatte sein Ziel erreicht. Und er konnte nur noch hoffen, das man die Armee von Anubis stoppen konnte. Doch vor allem waren seine Gedanken bei Jennifer. Er hoffte, das man sie retten und den Scorpion King vernichten konnte.

Nebel legte sich über Michaels Augen. Ihm war klar, das seine letzte Stunde geschlagen hatte. Michael wehrte sich nicht gegen die Dunkelheit, die ihn befiel. Er ließ sich einfach darin fallen. „Jennifer ...“ Michael schloß die Augen – für immer. Genau wie Lock’Narh starb er an den Verletzungen des Schusses, der ihn getroffen hatte. Michael war einer der vielen Männer, die in diesen Kampf noch sterben würden. Der Engländer war einer der Ersten, der sein Leben in diesen Kampf verlor.

Ohne ein Wort stürzte sich Abdullah auf den Scorpion King. Vielleicht bekam er eine Chance ihm das Armband zu entwenden. Doch der Krieger verstand es geschickt dem Beduine die Pistole aus der Hand zu schlagen. „Los, kämpfen wir auf die traditionelle, alte Art. Die einzige Art, die ich kenne“, forderte der Scorpion King den Mann mit einen fiesen Grinsen heraus. Abdullah nickte und ließ sich auf dieses gefährliche Spiel ein.

Abdullah warf seine Waffen weg und zückte ein Schwert. Der Scorpion King drehte sich, holte mit einer zielsicheren Bewegung ein Schwert von der Wand und kam direkt vor Abdullah wieder zum stehen. Die beiden Männer starrten sich finster an. „Ich werde dich vernichten“, drohte der Beduine. „Du und deinesgleichen ... ihr könnt gar nichts gegen mich ausrichten. Ihr werdet alle sterben“, erwiderte der Scorpion King und griff an.

„Jennifer“, sprach Achmed ruhig als er die junge Frau entdeckte, die in alten ägyptischen Kleidern vor ihn trat. „Ich bin nicht Jennifer. Mein Name ist Nefertiri“, erwiderte sie kalt und zog ihre beiden langen Dolche aus ihrem Gürtel. Doch so leicht wollte Achmed nicht aufgeben. Ein Teil von Jennifer mußte noch in ihr sein. Er mußte einen Weg finden zu ihr durchzudringen. Sie mußte wieder anfangen, zu glauben, das sie Jennifer war. Nur dann hatte er eine Chance, das sie beide überlebten. Er wollte nicht gegen sie kämpfen.

„Du bist nicht Nefertiri. Erinnere dich, wer du wirklich bist. Du bist Jennifer Croft, eine Wissenschaftlerin aus England“, sprach er auf sie ein. Über ihre Lippen drang ein bitteres Lachen. „Wenn du glaubst, mich bekehren zu können, so laß dir gesagt sein, das du keine Chance hast, Beduine. Jennifer ist tot. Es existiert nur Nefertiri. Ich bin Nefertiri. Ich bin es immer gewesen. Nur brauchte ich etwas Zeit um mich an mein einstiges Leben an der Seite des Kriegers zu erinnern.“ Nefertiri kam gefährlich näher.

„Jennifer Croft ist tot. Du kannst sie nicht zurückholen. Dafür ist es schon längst zu spät“, erklärte Nefertiri ihm und ging zur Attacke über. Im letzten Moment gelang es Achmed, den gefährlichen und scharfen Klingen zu entkommen. Er wehrte eine Klinge mit seinen Schwert ab. Achmed hatte keine andere Wahl, er wußte es. Er mußte sich verteidigen und mußte erkennen, das Jennifer für immer verloren war – genau wie sie alle. Jetzt konnte er nur noch um sein Überleben kämpfen.

Recht bald erkannte Abdullah, das er keine Chance gegen den Scorpion King hatte, der ein überaus geübter Kämpfer war. Obwohl der wilde Krieger eine lange Zeit geschlafen hatte, hatte er nichts verlernt – von seiner Kampfkunst, seiner Hinterhältigkeit oder wie man einen Kampf gewann. Der Scorpion King kämpfte mit einer Entschlossenheit und einer Wut, die er noch nie zuvor bei einen Mann erlebt hatte. Es kam Abdullah so vor als hätte der Krieger diese sechstausend Jahre nie etwas anderes getan.

Mit brutaler Wut schlug der Scorpion King Abdullah das Schwert aus der Hand. Abdullah beobachtete, wie das Schwert in hohen Bogen zu Boden fiel und darüber schlitterte. Es blieb in einer Ecke liegen. In diesen Moment drückte sich die Klinge des Schwertes seines Gegners gegen seinen Hals. Der Scorpion King sprach kein Wort, sondern blickte Abdullah nur feindselig an.

Der Krieger sah die Angst seines Gegners in dessen Augen. Ein breites Grinsen legte sich auf seine Lippen. Diese Angst gefiel ihm. Abdullah wußte, das er sterben würde. Er war der Nächste, er spürte es. Fest rechnete der Beduine damit, das der Scorpion King ihm die Kehle durchtrennen würde, doch so war es nicht. Überrascht riß Abdullah die Augen auf als der Krieger das Schwert zurückzog.

Verwundert blickte Abdullah ihn an. Was hatte er vor? Im selben Augenblick – als sich Abdullah diese Frage stelle – umfaßte der Scorpion King seine Handgelenke und grinste teuflisch. Abdullah spürte nur noch diese segnende Hitze, die sich in ihm ausbreitete. Er spürte, wie die Macht des Scorpion Kings durch seinen Körper schoß und wußte, er war verloren. Nicht nur er war verloren, sondern Achmed und all die Männer, die draußen vor den Toren verzweifelt gegen Anubis‘ Armee kämpften. Sie alle waren verloren. Sie alle würden sterben.

Hitze überschwappte Abdullah und machte ihn willenlos. Er konnte nichts gegen das tun, was mit ihm geschah. Abdullah ging in Flammen auf. Die Flammen verbrannten seine Haut, bissen sich durch zu den Knochen. Abdullah erlitt tausend Qualen als er elend zu Grunde ging. Die schrecklichen, schmerzerfüllten Schreie von Abdullah ließen Achmed mitten im Kampf stoppen. Er drehte sich um und erkannte das grausame Szenario. Abdullah verbrannte bei lebendigen Leibe.

Erstarrt blickte er auf den Beduine, als dieser zu einen Häufchen Staub zerfiel. Dieser eine Moment der Unachtsamkeit genügte um selbst zum Opfer zu werden. Achmed spürte, wie der erste Dolch Nefertiris sich in seinen Brustkorb bohrte. Er blickte ihr in die Augen. Genau wie ihr Geliebter grinste sie teuflisch und abgrundtief böse. Achmed spürte, wie tief sich der Dolch in seinen Körper gebohrt hatte.

Der Beduine sackte in sich zusammen. Das Blut floß schnell aus seiner Wunde und verteilte sich auf seiner Kleidung. Da trieb ihm Nefertiri den zweiten Dolch in den Brustkorb und drehte ihn in seinen Fleisch herum. Achmed schrie vor Schmerz auf und fühlte sich schwach. Seine Beine gaben unter ihm nach und er fiel zu Boden. Er konnte Nefertiri nur noch anstarren und spürte, wie seine Augen immer schwerer wurden.

Ihr Kampf war umsonst gewesen, das wußte Achmed. Sie hatten verloren. Gegen den Scorpion King waren sie chancenlos gewesen. Es war vorbei. Die Welt war verloren. Denn nun würde sich niemand mehr den Scorpion King in den Weg stellen. Kämpfend waren sie untergegangen, doch es hatte nicht gereicht. Der Sieg blieb beim Scorpion King und Anubis‘ Armee. Und dann schlossen sich Achmeds Augen für immer und er hörte zu atmen auf.

Der Blick des mächtigen Scorpion Kings kreuzte sich mit dem seiner Geliebten. Wissend sah er Nefertiri an. Siegessicher schenkte der Scorpion King seiner Frau ein zufriedenes Lächeln. Er streckte seinen Arm nach ihr aus und Nefertiri ließ sich bereitwillig von ihm in die Arme nehmen. Fest umschlang er sie mit seinen starken Armen und preßte seine Lippen leidenschaftlich auf ihre.

Sie hatten gesiegt – genauso wie er es gewußt hatte. Wer sollte ihn auch stoppen können? Er war unbesiegbar, unsterblich. Es war vorbei. Die Welt war nun in Gefahr, den niemand würde mehr für sie kämpfen. Der Scorpion King trat mit Nefertiri auf die Terrasse hinaus. Ein blutiges Schlachtfeld tat sich vor ihnen auf – vor den Toren des Palastes. Doch dieses Blutbad freute ihn. Die Armee hatte gewonnen. Aber etwas anderes hatte er auch nicht erwartet. Von vorhinein war klar gewesen, das die Menschen keine Chance gehabt hatte. 

Der Scorpion King blickte Nefertiri an – lange und unvergessen. Wie schon so oft in all den Jahren mit ihm prägte er sich jede Kleinigkeit ihres wunderschönen Gesichtes ein. Von ihm hatte sie gelernt so gut zu kämpfen und zu sehen, das sie noch alles so beherrschte wie früher, machte ihn stolz. Ja, er liebte sie noch genauso wie vor sechstausend Jahren und er wußte, ihre Liebe war noch genauso stark wie früher. Von ihrer Leidenschaft war nichts verloren gegangen.

Und nun konnte er sich auf die Unterwerfung der Welt konzentrieren. Nun konnte er seine unsterbliche Macht freisetzen und die Welt beherrschen. Das Jahr des Scorpion Kings würde sich reichlich erfüllen. Er würde seinen Schicksal – die Welt zu beherrschen – folgen. Nichts und niemand würde ihn – den mächtigsten und unverwundbarsten Krieger aller Zeiten – jemals stoppen können. 

Der Scorpion King würde die Welt unterwerfen, das war keine Frage. Die Legende über seine Person würde sich erfüllen. Die Welt würde ihm gehören – so wie es vor sechstausend Jahren schon einmal gewesen war. Er würde dafür sorgen, das es wieder so sein würde. Mit seiner Macht war alles möglich. Und er wußte, diese Macht würde die Hölle auf Erden freisetzen.

Und mit Nefertiri an seiner Seite, hatte er alles, um wieder glücklich zu sein. Es würde wieder so werden wie einst. Schon bald würde das Grauen und das reine Böse über die Welt wandern und die Menschen in Angst und Schrecken versetzen. Die Welt würde sich ihm unterwerfen. Ihm – den legendären und unbesiegbaren Scorpion King ...

To Be Continued ...


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