Farblos im Frühling
Autor: Birgitt Schuknecht (magnifica@gmx.net)
A THING ABOUT YOU I pick up the phone, The reaping is done, I've got a thing about you I pick up the phone, I know what is right and this is so wrong I've got a thing about you I've got a thing about you Lately you've been painting my world blue I've got a thing about you I've got a thing about you I've got a thing about you… (fade out)
Sie gaben sich schreckliche Mühe, mich abzulenken. Mich beschäftigt zu halten. Anfangs hatte es auch noch funktioniert, als es wirklich noch etwas zu tun gab. Als es einen Unterschied gemacht hatte, jeden Tag im Büro zu erscheinen, an den Besprechungen teilzunehmen, Josiah und JD bei ihren Nachforschungen zu helfen... Diese Zeit war längst vorüber, jeder Tag zog sich endlos dahin, und über die Nächte nachzudenken fürchtete ich mich geradezu. Ich schlief schlecht - wovon sollte ich auch müde oder gar erschöpft sein? - und es gab genug Gedanken und vor allem Ahnungen, die mich wachhielten. Und ich tat absolut unsinnige Dinge. Schrieb Briefe, die nie abgeschickt werden würden, rief bei ihm zu Hause an, als könnte ein Zauber dafür sorgen, daß er abheben würde, und der Alptraum wäre vorbei, in dem Augenblick, wo ich seine Stimme hörte. Selbst wenn nur der Anrufbeantworter anspringen würde. Nach spätestens fünf Tönen legte ich auf, überlegte, ob ich auf dem besten Weg war, meinen Verstand zu verlieren. Solange ich mir diese Frage stellte, war ich wohl noch nicht verrückt. Sicher war ich allerdings nicht. Es war niemals einfach gewesen, wenn er undercover ging. Besonders beim letzten Mal war ich nicht nur wahnsinnig vor Sorge, sondern es gab mehr als einen Moment, wo wir alle davon überzeugt waren, ihn endgültig verloren zu haben. Doch diesmal kam es mir noch viel schlimmer vor. Seit fast drei Monaten hatte ich ihn nicht mehr gesehen, und der letzte Kontakt, der zudem nicht mir, sondern Chris vergönnt gewesen war, lag fast ebenso lange zurück. Es gab keinerlei Anzeichen dafür, daß irgend etwas schief gegangen war. Seine Identität war intakt, mehr als das, dies war das Beste, was er jemals auf diesem Gebiet zustande gebracht hatte. Was schon etwas hieß, wo er doch mit Abstand der Beste war. Ich blätterte in meinem Kalender, registrierte unterschwellig die paar Termine, die in den nächsten Tagen anstanden. Nichts Wichtiges, nichts Bedeutendes. Nichts, worauf es sich zu freuen lohnte. Nichts, was etwas daran ändern konnte, daß ich jede Sekunde damit verbrachte, auf seine Rückkehr zu warten. Zurück zum heutigen Tag. Frühlingsanfang. Im letzten Jahr war ich nicht allein gewesen, im Gegenteil. Wir hatten den Tag bei Chris draußen auf der Ranch verbracht. Josiah, JD, Buck, Vin, Chris. Ezra und ich. Ezra und ich. Es war so neu und frisch gewesen, das Gefühl noch ungewohnt und gleichzeitig so umfassend, daß ich mich gewundert hatte, so lange gebraucht zu haben, um es zu akzeptieren. Ezra war noch lange nicht über den Berg gewesen, und Josiah hatte ein waches Auge darauf gehabt, daß wir es nicht zu schnell vorantrieben. Er hätte sich nicht zu sorgen brauchen. Ich hatte jeden Schritt so sehr genossen, daß ich kein Interesse gehabt hatte, etwas zu übereilen. Und Ezra? Ezra hatte sich damit zufriedengegeben, mir die Kontrolle zu überlassen. Diese Tatsache allein war ein sicheres Zeichen gewesen, daß er noch lange brauchen würde, bis der Normalzustand erreicht war. Gemeinsam hatten wir es geschafft, mit Hilfe des Teams natürlich. Der Familie. Anders mochte ich meine Kollegen nicht bezeichnen. Wir waren durch die Hölle gegangen, aber hatten es fertig gebracht herauszukommen.. Keiner hatte den Fehler gemacht, zurückzublicken in das Inferno, und sich auf diese Weise verloren. Obwohl zumindest Ezra ein paar Mal ziemlich nah dran gewesen war. Der nächste Auftrag war für uns alle viel zu schnell gekommen, hatte abrupt die beste Zeit meines Lebens beendet. Tagsüber war es mir noch möglich, so rational an die Sache heranzugehen, daß ich Ezras Entscheidung als den letzten Schritt begriff, der ihn wieder ins Leben zurückbrachte. Nachts allerdings gab es genügend Träume, die mir das genaue Gegenteil signalisierten. Mich mit der Frage konfrontierten, was ich tun würde, wenn er nicht zurückkam. Eine Frage, die nur zu leicht zu beantworten war... Mit einem leisen Fluch klappte ich den Kalender zu und ging zum Kaffeegerät, füllte mir eine große Tasse. Ich hatte Glück, der Kaffee war dampfend heiß. Ich hätte nicht die Ruhe gehabt, mir frischen zu machen. Mit der Tasse in der Hand ging ich in den Konferenzraum, der in den letzten Wochen mehr und mehr zu Routinetreffen genutzt worden war. Das Team war in Wartestellung, verbrachte die meiste Zeit mit Überprüfungen der Lizenzen lokaler Unternehmen. Travis hatte uns insgesamt drei Razzien durchführen lassen. Alles kleine Fische, rein, raus, Verhöre, Papierkram. Stürme im Wasserglas, die nicht einmal einen einzigen Tropfen überschwappen ließen. Ich trat ans Fenster. Draußen war ein herrlicher Tag, passend für den ersten Tag des Frühlings. Ich sehnte mich nach Dingen, die ich nicht haben konnte, nach dem einen Menschen, den ich aus meinen Gedanken halten mußte, um nicht durchzudrehen. Schwierig, wenn wir die ganze Zeit nichts anderes taten, als auf die entscheidende Nachricht von eben diesem Menschen zu warten, um in Aktion zu treten. Das Team war in Wartestellung, egal, womit wir uns beschäftigten. "Wie wäre es, wenn du mit den anderen zur Ranch kommst heute abend?" Ich hätte es wissen müssen, daß die anderen es nicht lange aushielten, mich allein zu lassen. Um ehrlich zu sein, war ich froh, daß Chris neben mir stand und mir mit seiner Frage klarmachte, daß wir immer noch eine Familie waren, auch wenn einer von uns fehlte. Dennoch war es schwer, die Frage, ob er das Streichholz ohne Kopf gezogen hatte, zurückzuhalten. "Warum gibt es diese Tage, wo es noch schlimmer als sonst ist? Nicht nur, daß es mit der Zeit nicht leichter wird, sondern schwerer. Dann kommen noch so Tage wie heute, wo--" Ich brach ab, sah zu Chris herüber. Er wußte, was ich fühlte, hatte Momente wie diese tausendfach erlebt. "--es keinen Sinn macht, aufzustehen, wo das Atmen allein schmerzt, wo jede Erinnerung verblaßt angesichts der Angst, daß die Erinnerung alles ist, was bleiben wird", vollendete er den Satz. "Es war zu früh." "Für ihn oder für dich?" Typisch Chris. So schnell und direkt, daß mir keine Zeit blieb, in Deckung zu gehen. "Für ihn." In dieser Sekunde glaubte ich, was ich sagte. "Er konnte nicht mehr warten. Wäre er damals nicht gegangen, hätte er es niemals mehr geschafft." "Das glaubst du?" Ich wirbelte zu Chris herum. "Oh nein. Aber Ezra glaubte es." Chris war bei unserer Diskussion - verdammt, Nathan, warum nennst du es nicht beim Namen? Es war ein ausgewachsener Streit! - nicht dabei gewesen, das hatten Ezra und ich brav auf die Zeit nach Dienstschluß vertagt. Aber es schien, als wüßte er, was abgelaufen war. "Und deshalb ließ ich ihn gehen!" "Gib dir nicht die Schuld für das, was du jetzt durchmachst. Oder was Ezra möglicherweise durchmachen muß. Vielleicht hättest du Ezra zurückhalten können, aber dann hättest du ihn sicher verloren." "So wie es aussieht, habe ich das ohnehin. Mehr als acht Wochen ohne Kontakt, Chris, das ist doch nicht normal." "Nichts ist normal bei Ezras Arbeit. Kein 'Liebling, ich komme später. Halt das Essen warm.' Keine Karte zu Valentin. Kein Anruf, um JD zum Geburtstag zu gratulieren. Keine codierte Email, die uns sagt, daß er noch lebt und es ihm gut geht." Chris wußte genau, wie meine Seele schmerzte. Es half... ein wenig. Aber sein Verstehen und sein Mitgefühl änderte nichts daran, daß ich hier stand und auf einen Blumenboten wartete, der mir einen Frühlingsgruß ohne Absender brachte. "Vielleicht sollte ich ein wenig frische Luft schnappen." Auch das würde mir nicht helfen, aber vielleicht fand auch Ezra ein paar Minuten Zeit, hinaus in die Sonne zu treten.
|| Fiction || |