Words Needed
Author: Shendara
[2002] Feuer: Licht. Geborgenheit. Die wild flackernden Flammen zeichneten bizarre Schatten auf die Wände, vertrieben die Dunkelheit jedoch nur bedingt. Feuer: Lebensspendend. Wärmend. Tödlich. "Chris?" Eine leise Stimme durchbrach seine Gedanken, und mit einem leisen Seufzen öffnete Chris seine Augen. Trotz der relativen Dunkelheit blinzelte er kurz. "Was ist?" Seine Stimme klang rau, selbst für seine eigenen Ohren. "Wie lange sitzt du schon hier?" Langsam ging Vin neben Chris in die Knie, hielt jedoch ein wenig Abstand. "Zu lange." Die Antwort brachte Vin zum Lächeln, allerdings nur für einen Augenblick. "Ganz recht, Cowboy", stimmte er leise zu. "Komm mit, es ist schon fast drei - Zeit, dass du ins Bett gehst." "Ich kann sowieso nicht schlafen, geh vor. "Nein." Das einzelne Wort war fast zu leise, um gehört zu werden, doch trotzdem war klar, dass Vin keinen Widerspruch duldete. "Entweder du kommst mit mir mit, oder wir beide verbringen die Nacht vor dem Kamin kniend." "Viel Spaß", lautete Chris' Antwort.
[Am nächsten Tag] "Wäre jemand so nett mich darüber aufzuklären, was mit unserem ehrenwerten Anführer los ist?" Die Ausdrucksweise konnte in keinster Weise über Ezras Besorgnis hinwegtäuschen - genau wie der Rest des Teams fragte er sich seit Tagen, was in Chris gefahren war. Der Mann war an und für sich schon nicht gerade gesellschaftsfreudig oder gar kommunikativ, doch in den vergangenen beiden Wochen hatten sich diese Charakterzüge noch verstärkt. Lediglich Buck und Vin schienen zu wissen, was ihn bedrückte, doch die beiden schwiegen sich aus, während der Rest des Teams sich darüber den Kopf zerbrach, was los war. "Hat einer von euch bedacht, welcher Tag morgen ist?" Alle Teammitglieder - außer Chris und Buck, die zu einem Meeting gerufen worden waren - hatten die Ankunft des Scharfschützen nicht bemerkt; in seinem Beruf ein unbeschreiblicher Vorteil, trieb Tanners Verhalten seine Freunde regelmäßig in den Wahnsinn. "Dienstag, sonst noch etwas?" Josiah hatte sich aus den Spekulationen seiner Kollegen weitestgehend herausgehalten, er war schon zu lange dabei, um sich über Dinge, die ihn eigentlich nichts angingen, Gedanken zu machen. Trotzdem, und das gab er nur sich selbst gegenüber zu, war er auch mehr als nur neugierig, was mit Chris los war. "Morgen ist Sarahs Geburtstag." Keiner reagierte auf diese Aussage - zumindest nicht mit Worten. Was sollten sie auch schon sagen? Vin ließ seinen Blick von einem zum anderen wandern, von Betroffenheit bis hin zu Verlegenheit waren alle Gefühle präsent. "Ihr wisst es nicht von mir", fügte er knapp hinzu und schloss das Thema damit eindeutig ab.
[Abends] Sarah Connelly Larabee. Eine wunderschöne, lebenslustige Frau - das kam selbst auf Fotos mehr als eindrucksvoll rüber. Mit einem leisen Seufzen stellte Vin das Bild zurück, fuhr noch einmal sanft über das Gesicht der Frau, die er nie kennen gelernt hatte. Er wünschte sich, er hätte es, genauso sehr wie er es sich wünschte, Chris damals schon gekannt zu haben. Nach all dem, was er - überwiegend von Buck - gehört hatte, war der Chris, den er kannte und liebte, nur noch ein Schatten seines früheren Selbst; etwas, das Vin sofort glaubte. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, dass Chris mit seinem jetzigen Verhalten eine Frau wie Sarah erobert hätte... Aber für dich hat es gereicht, nicht? Er schüttelte leicht den Kopf, er konnte es nicht ändern. Sarah war Chris' Ausgleich für eine Arbeit voller Gewalt gewesen, nach ihrem Tod war es für eine Weile der Alkohol gewesen. Und jetzt bin ich es. Das war kein Wunschdenken, Chris hatte ihm sehr nachdrücklich klargemacht, wie wichtig er für ihn war. Trotzdem... Vin kam nicht um den Gedanken herum, dass Sarah und Adam hatten sterben müssen, um ihm sein Glück zu ermöglichen. Obwohl "Glück" war in diesem Fall ein sehr weitgesteckter Begriff; eine Beziehung mit Chris Larabee war sowohl ein Drahtseilakt als auch eine Achterbahnfahrt - in jeder Hinsicht. Wenig Geduld und großes Aggressionspotential, gemischt mit der Tendenz, seine Sorgen im Alkohol zu ertränken, wurden von einer Zärtlichkeit und Hingabe gemildert, die ihresgleichen suchte. Vin verzog leicht das Gesicht bei dem Gedanken an die heftigen Gefechte, die sie sich - sowohl verbal als einige Male auch mit schlagenderen Argumenten - geliefert hatten. Er konnte verstehen, warum sogar Buck eines Tages aufgegeben hatte; bei aller Liebe bezweifelte er ernsthaft, ob er mit einem Chris, der nur seine übelsten Charakterzüge zeigte, klarkommen würde. Doch diese Gewaltausbrüche nahmen in den letzten Monaten mehr und mehr ab, mittlerweile kamen sie kaum noch vor. Und die Zeiten, die zwischen diesen Phasen lagen, waren es Vin mehr als wert, weiterzumachen. Er wandte sich von den Fotos ab und ließ seinen Blick über Chris' - nein, mittlerweile schon ihrer beider - Wohnzimmer streifen. Viel hatte sich hier in den letzten Jahren nicht verändert, noch immer war ein eindeutig weiblicher Einfluss in puncto Einrichtung und Dekoration zu spüren. Genau wie im ganzen Haus - in gewisser Weise lebten hier noch immer die Geister von Sarah und Adam. Anfangs war Vin bei dem Gedanken, fast vollständig hier her zu ziehen, etwas seltsam zu mute gewesen, doch mittlerweile hatte er sich daran gewöhnt, dass er das Haus, genauso wie Chris, mit den vagen Echos der beiden zu teilen hatte. Gott, ich rede zuviel mit Josiah! Er stöhnte leise auf; er hasste es, wenn er sich von seinen Gedanken derart ablenken ließ. Mit einem unwirschen Kopfschütteln verbannte er diese Gedanken und verließ den Raum. Langsam aber sicher musste er sich auf den Weg machen, wenn er verhindern wollte, dass Chris heute vollends abstürzte. Er warf noch einen letzten Blick zurück auf die Bilder, bevor er nach dem Schlüsselbund griff und das Haus verließ. "Ich könnte heute deine Hilfe brauchen, Sarah", flüsterte er leise, bevor er die Tür schloss und absperrte.
Er fand Chris genau dort, wo er ihn auch erwartet hatte: In einer etwas außerhalb der Stadt gelegenen Bar, von der Larabee wusste, dass weder jemand seines Teams noch irgend jemand anders, den er kannte, freiwillig einen Fuß hinein setzen würde. Mit einem leisen Seufzen sperrte Vin den Jeep ab - das Fahrzeug mochte vielleicht nicht viel mehr als ein noch fahrender Schrotthaufen sein, doch in dieser Gegend war nichts sicher. Auf dem Weg zum Eingang entdeckte er Chris' Ram im Schatten, dicht neben dem Gebäude. Gut, das Auto stand nicht mitten auf dem Parkplatz, und die schwarze Farbe und die Bäume, die am Rande des Grundstücks standen und das wenige Licht der einzelnen Straßenlaterne fast vollständig verschluckten, würden hoffentlich dafür sorgen, dass es morgen noch immer an dieser Stelle stehen würde. Vin hielt sein Gesicht ausdruckslos und schaffte es sogar, nicht einmal in die Richtung der betrunkenen Biker, die ihm eindeutige Angebote zuriefen, zu sehen. Mit einem letzten, angewiderten Blick auf die Umgebung betrat er die Bar. Was ich für ihn nicht alles tue, schoss es Vin durch den Kopf, als er Chris in einer Ecke des Lokals entdeckte. Langsam und selbstsicher durchquerte er den Raum und ließ sich Chris gegenüber nieder. Er war nicht im geringsten davon überrascht, dass selbst die abgehärteten Stammkunden heute einen Bogen um diesen Tisch machten. Chris Larabee in einem seiner Momente strahlte eine derartige Aura der Wut und Gewalt aus, dass jeder, der nicht an einem unmittelbaren Todeswunsch litt, automatisch auf Abstand blieb. Bloß bei Vin hatte das noch nie gewirkt. Ja, er war schon zurückgewichen, wenn er erkannt hatte, dass es der bessere Weg war. Hin und wieder hatte er Chris auch sich selbst überlassen und darauf gewartet, dass die düstere Stimmung von selbst wieder verschwand... aber nicht heute. Vin musterte den Mann ihm gegenüber; jemand, der Chris kannte, sah auf den ersten Blick, dass etwas nicht stimmte. Vin hatte schon vor langer Zeit erkannt, dass sich Chris' Stimmung am Besten an seiner Haltung oder den Augen ablesen ließ, alles andere konnte man vergessen. Stimme oder gar Mimik? Oh nein, Chris hatte schon vor Jahren die Kunst, keine Emotionen zu zeigen, perfektioniert. Manchmal war Vin sich sogar sicher, dass Chris darin noch besser war als Ezra - eine Behauptung, gegen die sicherlich beide Protest eingelegt hätten, hätten sie sie jemals gehört. Sie sind sich ähnlicher, als sie denken... "Vin." Der einfache Gruß war mehr, als Vin sich erhofft hatte, und er erwiderte ihn mit einem leichten Nicken. Als klar wurde, dass weder Chris noch er etwas zu sagen hatten, ließ er seinen Blick über den nur schwach erleuchteten Raum gleiten. Ein paar Betrunkene und einige auf dem Weg dorthin hatten sich an der Bar versammelt; trotzdem war der Geräuschpegel bemerkenswert niedrig. Die meisten Tische waren leer - vor allem die rund um den ihren. "Was ist so komisch?" Erst auf Chris' Frage hin bemerkte Vin, dass er leicht lächelte - warum wusste er selbst nicht. Er zuckte leicht mit den Schultern, tat die Frage damit ab. "Nichts, gar nichts", meinte er, und einen Moment später wusste er nicht mehr, was ihn vorhin so amüsiert hatte. "Was dagegen, wenn ich mich bediene?" Mit einem Nicken deutete er auf die noch fast volle Whiskeyflasche, die zwischen ihnen stand. Der Abend verlief anders, als Vin erwartet - und befürchtet - hatte. Eigentlich hatte er damit gerechnet, sofort nach dem Betreten der Bar mit einem betrunkenen und wütenden Chris Larabee konfrontiert zu werden. Verdammt, selbst eine Schlägerei hätte mich nicht überrascht. Aber das hier... Unbewusst bewegte er sein linkes Handgelenk; der letzte, durch Chris' Weigerung eine Bar, ähnlich wie diese, zu verlassen, ausgelöste und außer Kontrolle geratene Streit hatte mit einem geprellten Handgelenk für Vin und einer leichten Gehirnerschütterung für Chris geendet - nicht zu vergessen die diversen Verletzungen der anderen Betroffenen. Aber nicht heute... Stattdessen traf er auf einen stocknüchternen Chris, der keinerlei Anzeichen für Aggression zeigte. Trotzdem war Vin bei weitem nicht naiv genug zu glauben, dass das vielleicht ein Zeichen dafür war, dass Chris endlich soweit war und versuchte, den Tod seiner Familie wirklich zu verarbeiten - Vin kannte ihn lange und gut genug, um zu wissen, dass dies niemals der Fall sein würde. Aber es ist ein erster Schritt, wenn er sich nicht ins Koma säuft... Unaufgefordert griff er nach Chris' Glas; selbst diese Geste provozierte keine nennenswerte Reaktion. "Okay", meinte Vin schließlich, "Was ist los?" "Was meinst du?" Der Blick, den Vin ihm daraufhin zuwarf, machte deutlich, dass er nicht beabsichtigte, auf diese Frage zu antworten. Chris seufzte leise, stützte den Kopf auf die Hände. "Ich weiß es nicht", murmelte er schließlich. "Ich weiß schon seit einiger Zeit nicht mehr, was los ist..." Seine Stimme verklang, und er schloss seine Augen. Die rauchige Luft tat ihr Bestes, um seine leichten Kopfschmerzen in einen ausgewachsenen Migräneanfall zu verwandeln, und ihm war klar, dass es nicht mehr lange dauern würde, bevor jeder einzelne Gedanke zuviel werden würde. "Chris?" Vins Stimme durchbrach seine Gedanken, und mit einiger Anstrengung schaffte er es wieder in eine aufrechte Haltung, den Kopf noch immer auf einer Hand abgestützt. "Ich habe keine Ahnung", wiederholte er. "Es schien einfach nicht richtig..." ... Mich an einem Tag wie heute in der Flasche zu verkriechen. "Und warum bist du dann hier?" Bisher hat dich ein Tag wie dieser noch nie davon abgehalten, im Gegenteil. "Ich weiß es nicht." Diesmal schon etwas lauter. "Ach, verdammt..." Auf den Fluch folgten keine weiteren Worte, stattdessen schob Chris die Flasche noch etwas weiter von sich. "Nach Hause?" Die Worte klangen sogar für ihn selbst seltsam, an diesem Tag - genauso wie an Adams Geburtstag sowie dem nur eine Woche darauf folgenden Todestag seiner Familie - war das Bedürfnis, daheim zu sein, immer das Allerletzte auf seiner Liste. Aber heuer ist alles anders, nicht wahr? Heuer willst du dich nicht in Vergessenheit trinken, heuer willst du den Tag nicht allein verbringen. Vielleicht war es heute auch das erste Mal seit fünf Jahren, dass er sich an einem der drei schwarzen Tage in seinem Jahr nicht umbringen wollte... Die Frage war mehr als unerwartet, und einige Sekunden lang starrte Vin ihn nur überrascht an, bevor er die Worte wirklich zu registrieren schien. "Was?" "Nach Hause", wiederholte Chris. "Mit dir."
"Okay, was ist los mit dir?" Ein leises Seufzen war für einige Minuten die einzige Antwort, die Vin erhielt. Schließlich wandte Chris den Kopf in seine Richtung, sah ihn jedoch nicht direkt an. "Ich weiß es nicht." "Verdammt, Larabee, ist das das einzige, was du noch sagen kannst? Es wird langsam langweilig!" Durch einen schnellen Blick in den Rückspiegel vergewisserte Vin sich, dass hinter ihnen kein Verkehr war, bevor er den Jeep an den Straßenrand steuerte. Er musste nicht einmal vom Gas gehen - der Motor starb von selbst ab. "Wir fahren nicht weiter, bevor ich nicht ein paar Antworten habe, ist das klar?" Chris enthielt sich einer Antwort und starrte stattdessen wieder aus dem Fenster - nicht, dass er etwas erkennen konnte, dazu war es schon längst zu dunkel. "Was willst du?", fragte er nach einigen Minuten. "Erklärungen? Antworten? Worauf? Verdammt, alles was ich weiß, ist dass heuer alles anders ist - und trotzdem gleich." Chris unterbrach sich, obwohl er eigentlich noch mehr sagen wollte. Du hast schon genug gesagt. Mehr als genug. Der innere Schutzmechanismus sprang wieder an und sorgte dafür, dass seine Gefühle wieder dorthin verbannt wurden, wo sie seiner Meinung auch hingehörten - ins Unterbewusstsein. Die Hauptsache war, dass er sich damit nicht auseinander zusetzen hatte... Und heute hatte er nicht den Vorteil einer Flasche Whiskeys in seinem Blut, um dieses Ziel zu erreichen. Vin erkannte, dass er wohl kein Wort mehr zu hören bekommen würde, und im Grunde genommen wusste er selbst nicht, wie er auf Chris' Aussage reagieren sollte. Verständnis? Nein, er konnte nicht verstehen. Nicht einmal ansatzweise. Mitleid? Gott, er hatte es hier mit Chris Larabee zu tun, der Mann erschoss jeden, der auch einen Hauch von Mitleid ihm gegenüber zeigte. Abgesehen davon war es nicht Vins Stil... Im Endeffekt entschied er sich für ein einfaches "Chris?", um die Aufmerksamkeit des anderen Mannes zu erlangen. "Hmm?" Chris starrte zwar noch immer in die Dunkelheit, allerdings lehnte er seinen Körper unbewusst etwas mehr in Vins Richtung; ein deutliches Zeichen dafür, dass er zuhören wollte, es aber nicht schaffte - oder wollte - ihn dabei auch anzusehen. "Wir fahren nach Hause." "Ich dachte, wir wären auf dem Weg dorthin. Ich habe nicht hier angehalten." Vin ignorierte den Einwand und fuhr fort: "Und dann werden wir reden. Und ich meine wirklich reden." War es wirklich ein leichtes Lächeln, das bei diesen Worten über Chris' Gesicht huschte? Vielleicht, Vin konnte sich nicht sicher sein. Sicher war er sich jedoch, dass Chris' ohnehin schon angespannte Haltung bei der Aussicht auf das bevorstehende Gespräch noch weiter versteifte. Wenn er nicht bald damit aufhört, verrenkt er sich noch etwas, schoss es Vin durch den Kopf. Er sagte jedoch nichts, als er den Motor erneut startete. Der Rest der Fahrt verlief schweigend - etwas, was Chris sehr gelegen kam. Er ahnte, dass seine Schonfrist in dem Moment, in dem die Haustür hinter ihnen zufiel, vorbei sein würde, und für einen Moment ertappte er sich dabei, wie er sich wünschte, dass sie noch getrennte Wohnungen hätten. Mit einem heftigen Kopfschütteln vertrieb er den Gedanken. Wage es ja nicht, noch mal so etwas auch nur im Ansatz zu denken! Aus den Augenwinkeln bekam Vin die Geste mit und warf ihm einen fragenden Blick zu. "Nichts", antwortete er auf die unausgesprochene Frage. "Gar nichts." Es hat nichts zu sein... Der Gedanke an ein Haus - ein Leben - ohne Vin war viel zu erschreckend, um auch nur in Betracht gezogen zu werden; selbst im Scherz. Selbst in ausgelassenen Zeiten, wenn sie Spaß aus allem und jedem machten, war ihre Beziehung etwas, das nie zur Sprache kam. Sie beide hatten im Leben viel zu viel durchgemacht, um über das Besondere, das sie jetzt hatten, zu scherzen. Sieh' es endlich ein - ohne ihn würdest du jetzt immer noch in dieser Absteige sitzen und dich wirklich in Vergessenheit trinken. Und eine Alkoholvergiftung war alles anders als angenehm; wie Chris bereits einige Male in den letzten fünf Jahren feststellen musste. "Was denkst du?" "Himmel, Vin, was ist denn heute los?" Mit einem leichten Lächeln wandte Chris sich um. "Sonst muss man dich zu jedem Wort zwingen, aber heute..." "Ich mache mir Sorgen." Die leise Feststellung war der letzte Tropfen - Chris spürte regelrecht, wie seine Selbstbeherrschung um ihn herum zusammenkrachte. "Zu recht", meinte er schließlich. "Bitte?" "Dass du dir Sorgen machst." Er seufzte leise. "Hast du eine Ahnung, wie oft ich in den vergangenen fünf Jahren daran gedacht habe, es einfach hinter mich zu bringen? Mehr als einmal. Mehr als hundert Mal. Eine Million dürfte nahe kommen." Ein humorloses Lachen. "Und weißt du, was mich heute so fertig macht? Es ist Sarahs Geburtstag, und das erste Mal in den letzten gottverdammten fünf Jahren denke ich nicht daran, einfach eine Waffe zu nehmen und abzudrücken." Mit einem leisen Seufzen schloss er seine Augen und lehnte sich zurück. "Und ich will verdammt sein, wenn ich weiß warum", fügte er so leise hinzu, dass Vin ihn fast nicht mehr verstanden hätte.
"Chris? Wir sind da." Als die leisen Worte keine Wirkung erzielten, schüttelte Vin den anderen Mann leicht, um ihn aufzuwecken. "Komm schon, es ist nicht schön, die Nacht in einem Auto zu verbringen." Trotz aller Sorgen und der noch ungelösten Probleme lächelte Vin leicht, als er Chris' Kampf gegen den Schlaf beobachtete. Er liebte es, den anderen Mann beim Schlafen zu beobachten - nur dann konnte er den wahren Chris sehen, den Chris, der sich selbst und seine Gefühle nicht hinter einer Maske versteckte. Nicht zu vergessen, dass es einfach nur ein atemberaubender Anblick war... Vin war davon überzeugt, dass auch jeder andere an seiner Stelle das Gleiche denken würde. "Wach auf." Als weder Worte noch leichte Berührungen zum gewünschten Erfolg führten, entschied Vin sich für eine etwas drastischere Methode: Langsam beugte er sich vor und berührte mit seinen Lippen leicht die von Chris. Man konnte es noch nicht einmal als Kuss bezeichnen - Vin hatte sich geschworen, am heutigen Tag keine Verführung zu starten - doch instinktiv öffnete Chris seine Lippen, vertiefte die sachte Berührung und verwandelte sie in einen Kuss. "Ich bin wach", murmelte Chris leise, als er nach einigen Sekunden wieder losließ. "Idiot", gab Vin zurück. "Schuldig." Der melancholische Ausdruck war noch nicht aus Chris' Augen verschwunden, doch etwas Licht war zurückgekehrt - sehr zu Vins Freude. Mit einer schnellen Bewegung zog er Vin noch einmal an sich und hauchte einen Kuss auf die geschlossenen Lippen. "Wir sollten hinein gehen, bevor wir hier erfrieren", meinte er. "Wäre eine tolle Schlagzeile für Mary, findest du nicht auch, Cowboy?" "Erinnere mich nicht daran", seufzte Chris leise. Seit Wochen schob er ein dringend notwendiges Gespräch mit Mary Travis vor sich her - sehr zu Vins Missfallen. Neben seinem eigenen schlechten Gewissen hatte er jetzt auch noch Vin am Hals, der ihn immer wieder - und zu den unpassendsten Zeiten - daran erinnerte. "Du hast noch immer nicht mit ihr geredet." Eine Frage, keine Feststellung. "Ich hatte noch keine Zeit dazu." "Feigling." Keine Antwort, sie beide wussten, dass es die Wahrheit war. "Komm schon, bevor wir hier festfrieren", versuchte Vin die Stimmung zu lockern. Chris schickte noch einen letzten, tödlichen Blick in seine Richtung, bevor er zustimmend nickte und ausstieg.
"Rede." Chris runzelte leicht die Stirn und warf Vin einen halb verwirrten, halb wütenden Blick zu. "Was?" "Sag' mir jetzt nicht, dass du es schon wieder vergessen hast - ich glaube dir nicht." Vergessen? Nein, natürlich hatte er das nicht. Trotzdem... was zum Teufel erwartete Vin eigentlich von ihm? Dass er einfach auf Kommando seine Gedanken und Gefühle zur Sprache brachte? "Was würdest du tun, wenn ich von dir das selbe verlangen würde?", fragte er ruhig. Vermutlich das selbe wie du jetzt, dachte Vin. "Ich würde reden." Du hast in deinem Leben schon überzeugender geklungen, Tanner! Ein kurzes Lachen. "Oh ja, ich bin überzeugt davon. Was ich allerdings zu hören bekommen hätte, möchte ich mir gar nicht ausmalen." Eins zu Null für Larabee. "Okay, dann etwas anderes. Was meintest du vorhin im Auto?" "Was meinst du?" "Diese tolle Ansprache, dass du es zu Ende bringen wolltest." Vin wählte eine etwas weitgestecktere Formulierung - einfach aus dem Grund, dass er die Worte "Selbstmord" nicht im selben Satz mit dem Namen Chris aussprechen wollte. Es war schon schlimm genug, es von Chris selbst zu hören, er brauchte es nicht noch aus seinem eigenen Mund... Die Bedeutung seiner Worte war auch so mehr als klar. Chris sah es genauso, war jedoch noch nicht dazu bereit, darüber zu reden. Ablenkung. Er brauchte irgend etwas, um Zeit zu gewinnen... "Ich meinte genau, was ich gesagt habe." Schweigen. Vin verbrachte die nächsten Minuten damit, für sie beide eine Kleinigkeit zu Essen zu richten, während Chris im Wohnzimmer geradewegs in Richtung Hausbar startete. Wenn er vorhin auch nichts zu trinken gebraucht hatte - jetzt brauchte er es dringender denn je. Er hatte kaum das erste Glas hinuntergekippt und wollte es ein zweites Mal auffüllen, als Vin auftauchte und ihm mit einer sanften aber bestimmten Bewegung die Flasche aus der Hand nahm. "Heute nicht, schon vergessen?" "Das war vorhin." "Es gilt auch jetzt noch." Oh nein, heute würde Vin nicht nachgeben - es lief zwar oft nach Chris' Wünschen, aber nicht immer. "Heute nicht", wiederholte er noch einmal mit Nachdruck. "Von mir aus. Was dann?" Wortlos reichte Vin ihm eine Flasche Bier und deutete in Richtung Couch. Die Aufforderung war klar. Setz' dich hin, und rede. Jetzt. "Was willst du wissen?" Irgendwann muss ich es tun... "Alles. Also fang besser an, die Nacht dauert nur noch", Vin sah kurz auf die Uhr, "vier Stunden, und ich möchte mindestens zwei davon schlafend verbringen." Chris verzog bei dem Ultimatum zwar das Gesicht, kommentierte es jedoch nicht weiter. "Fang damit an, was du im Auto angedeutet hast. Mit diesem Selbstmord-Blödsinn."
[1999] Zwei Jahre. Zwei gottverdammte Jahre. Was mache ich hier eigentlich noch? Chris unterbrach seine Gedanken einen kurzen Moment, um sein Glas noch einmal nachzufüllen. Nach einem Moment überlegte er es sich jedoch anders und entschied, dass er genauso gut direkt aus der Flasche trinken konnte. Sparte Zeit und es ging weniger Alkohol verloren... mittlerweile war er nicht mehr dazu in der Lage, die Flüssigkeit in ein Glas zu füllen, ohne dabei die Hälfte zu verschütten. "Verdammt!", fluchte er, als ihm das Glas durch die Finger rutschte und mit einem leisen Klirren am Boden zersprang. Noch immer fluchend versuchte er, die Scherben mit einem Fuß aus dem Weg zu schieben, schaffte es jedoch nur, die Fragmente tiefer in den Boden hineinzudrücken. Fragmente, wie passend. Genauso zersplittert wie mein Leben... Chris verzog angewidert das Gesicht. Wenn er noch zusammenhängende Gedanken formen konnte, hatte er definitiv zu wenig Alkohol im Blut. "Happy Birthday, Sarah", murmelte er leise, als er abermals nach der Flasche griff - seiner dritten in der heutigen Nacht. Mit einem Schluck leerte er die Flasche und schleuderte sie anschließend gegen die Wand, die sinnlose Zerstörung gab ihm immerhin einen kurzen Moment echten Gefühls: Zufriedenheit. Betrunken und alles, nur nicht mehr Herr seiner Sinne oder gar Gedanken, machte Chris sich auf die Suche nach weiteren Dingen, die er zerstören konnte. Nach einigen Minuten stolperte er über seine Dienstwaffe. Was wäre wenn...? Bis das der Tod uns scheidet, hallte ihm ihr Ehegelübde im Kopf wider. Aber warum sollte der Tod scheiden? Was, wenn er Sarah und Adam einfach folgte? Es war gar nicht schwer; eine kleine Bewegung und alles war vorbei. Die Schmerzen, die Wut, die Hilflosigkeit... Nachgedacht hatte er darüber schon oft, mehr nicht. Aber heute wollte er nicht mehr nachdenken, jedes Für und Wider abwägen. Heute wollte er es nur noch hinter sich bringen. Was war sein Leben schon noch wert? Aus dem Polizeidienst ausgetreten, das neue ATF-Team, das er leiten sollte, bestand aus absoluten Top-Leuten - zwar unkonventionell, aber gerade das machte sie so gut - was hatte er dort eigentlich verloren? Er hatte sechs Männer, jeder ein Spezialist auf seinem Gebiet - was hatte er zu bieten? Außer wenig bis gar keine Geduld, Wut, Aggressionen und einer Karriere bei der Navy, über die er nicht reden durfte und die er alles andere als ehrenhaft beendet hatte? Was zum Teufel hatte Travis sich eigentlich dabei gedacht, ihm die Leitung dieses Teams anzubieten? Und was in Dreiteufelsnamen hatte ihn dazu gebracht zu akzeptieren? In den wenigen Sekunden, in denen ihm diese Gedanken durch den Kopf schossen, holte Chris die Waffe aus ihrem Holster und betrachtete sie nachdenklich. Täuschte er sich oder war sie heute wirklich schwerer als sonst? Mit langsamen und unsicheren Schritten bahnte er sich einen Weg durch das mittlerweile völlig verwüstete Wohnzimmer in Richtung Couch. Möbel, Bücher... was er auch erreichen konnte, war Chris' Zorn zum Opfer gefallen. Bis auf - und diese Tatsache wurde ihm erst Wochen später klar - persönliche Erinnerungsstücke an Sarah und Adam. Fotos, die Vase, die Sarah eines Tages nach Hause geschleppt hatte... Chris hasste das Ding, brachte es jedoch nicht übers Herz, sich davon zu trennen, oder es auch nur an einen anderen Platz zu stellen. Von diesen wenigen persönlichen Dingen abgesehen glich der Raum einem Schlachtfeld. Mit einer unkoordinierten Bewegung, begleitet von einem leisen Knurren, stieß er sämtliche Gegenstände von der Couch und dem Tisch davor, bevor er sich regelrecht in das Möbelstück fallen ließ. Wenn er sich schon umbrachte, dann wollte er es wenigstens im Sitzen tun. Einige Minuten lang starrte er auf die Waffe in seiner Hand, ohne sie wirklich zu sehen. Sollte er oder sollte er nicht? Warum nicht? Die Frage beendete alle anderen Überlegungen - es gab keinen Grund dafür, es nicht zu tun. Keinen einzigen. Seine Familie war tot, er selbst am Ende. Hoffnung auf eine bessere Zukunft? Nicht in dieser Welt. Ohne weiteres Zögern und jeden Gedanken an sein Team verdrängend, entsicherte er die Waffe und presste die Mündung gegen seine Schläfe. Er spürte kaum den Schmerz, als sich das Metall tief in seine Haut presste, noch hörte er das Klopfen und die Rufe an seiner Tür. Das Einzige, was jetzt zählte, war, endlich den letzten Schritt zu tun und auch abzudrücken...
[2002] "Und?" Vin musste sich regelrecht dazu zwingen, das Wort auszusprechen. Er wollte wissen, was weiter passiert war - dass Chris nicht abgedrückt hatte, war offensichtlich, aber was genau hatte ihn davon abgehalten? - aber andererseits wollte er nichts lieber tun, als das Gespräch zu beenden. Manche Dinge sind einem nicht bestimmt zu hören. Allerdings hatte er sich das hier selbst eingebrockt, er hatte den anderen Mann solange gedrängt, bis dieser sich dazu bereit erklärt hatte, zu reden. Jetzt steh' es verdammt noch mal auch durch! Ein kurzes Schulterzucken und Chris konnte ihm noch immer nicht in die Augen sehen; konnte es seit Beginn seiner Erzählung nicht mehr. "Ich habe das Hämmern an der Tür nicht gehört. Es war Buck." Ein leichtes Lächeln. "Er hat gewusst, dass ich daheim bin und schlussendlich die Tür aufgebrochen." Das Lächeln erstarb. "Er stand in dem Moment vor mir, in dem ich gerade abdrücken wollte." Die letzten Worte waren nur noch geflüstert, während Chris - unbewusst, wie Vin vermutete - mit einer Hand die rechte Schläfe massierte. Die Bedeutung der Geste war klar, und Vin schaffte es nur knapp, den fast überwältigenden Drang, aufzuspringen und davonzurennen, zu unterdrücken. Verdammt. Vin hatte vermutet, nein gewusst, dass Chris nahe daran gewesen war, sich das Leben zu nehmen, aber er hatte nicht gewusst, wie weit es wirklich gegangen war. Und erst recht nicht, dass es zu einem Zeitpunkt stattgefunden hatte, in dem das Team bereits existiert hatte. Er hatte bisher angenommen, dass mit dem Beginn von Team Seven auch Chris' Privatleben etwas stabiler geworden war. Offensichtlich habe ich mich getäuscht. "War es hier?" Er wusste nicht, warum es ihm plötzlich wichtig war zu wissen, ob diese Episode im selben Hause, dem selben Raum stattgefunden hatte, in dem sie jetzt erzählt wurde. Ein leichtes Nicken war für einige Zeit Chris' einzige Antwort. "Selber Raum, selbe Couch. Die Stelle, an der du jetzt sitzt, um genau zu sein", sagte er schließlich. Der Satz war noch nicht einmal beendet, als Vin mit einem Satz in der Höhe war und unbewusst einige Meter Abstand zwischen sich und diesem verfluchten Platz brachte. Allein der Gedanke, dass hier... Nein. Denk nicht daran! "Was war danach? Ich denke nicht, dass du es sonderlich gut aufgenommen hast, von Buck während..." Verdammt, wie sollte man noch Worte finden, wenn einem der wichtigste Mensch auf Erden soeben von einem gerade noch verhinderten Selbstmord erzählt hatte?! Mit einem Seufzen setzte er sich in den großen Polstersessel gegenüber von Chris. "Du weißt schon", meinte er schließlich. "Wie hast du reagiert?" "Mit einer Faust ins Gesicht", antwortete Chris leise. Gott, wenn er heute daran zurückdachte, würde er sich am liebsten im nächstbesten Erdloch verkriechen; das Einzige, an das er damals denken konnte, war, wie Buck es nur verhindern konnte, dass er seiner Familie folgte. Sein Versprechen Sarah und Adam gegenüber einlöste. Gerade er hätte es doch verstehen müssen, nicht? Ich werde euch nie alleine lassen. Nie. Noch am Abend vor jenem schicksalhaften Tag hatte er Sarah diese Worte zugeflüstert, bevor sie gemeinsam zu Bett gegangen waren. Und dann, am nächsten Tag... ein Feuerball, ein lauter Knall, gerade als er das Haus verlassen hatte, um sich um die Pferde zu kümmern. Danach? Nichts mehr. "Chris!" Vins uncharakteristisch laute Stimme riss ihn aus seinen Erinnerungen, und er sah überrascht auf. Nur um festzustellen, dass Vin nicht mehr ihm gegenüber saß, sondern vor ihm am Boden kniete, seine Hände auf Chris' Oberschenkel lagen und er mit einer Mischung aus Neugier und Angst zu ihm aufsah. Angst? Warum? Seine Augen schienen die Frage besser artikulieren zu können, als seine Stimmbänder es zur Zeit vermochten, denn die Antwort kam fast sofort: "Du hast mir Angst gemacht. Total verloren in was-weiß-ich-woran-du-gerade-gedacht-hast und du hast nicht auf meine Stimme reagiert..." Angst war jetzt definitiv das dominierende Gefühl. Kein Wunder; normalerweise brauchte es nur ein leises Wort, eine einfache Frage und Chris' Aufmerksamkeit konzentrierte sich fast augenblicklich auf Vin. Aber nicht jetzt. Nicht heute, wo die Geister der Vergangenheit noch näher waren als an allen anderen Tagen. "Nur Erinnerungen", murmelte er abwesend. Erinnerungen an bessere Zeiten?, fragte er sich selbst. Seine erste und logische Antwort war "ja", doch dann fiel sein Blick wieder auf Vin und die Antwort war bei weitem nicht mehr so offensichtlich. War sein Leben jetzt komplizierter? Definitiv. Gefährlicher? Nicht unbedingt; es lief fast auf dasselbe hinaus, ob er als Cop oder ATF-Agent arbeitete - die Kugeln flogen überall. Hatte er jetzt weniger zu verlieren? Sicher nicht. Im Gegenteil. Jetzt hatte er sechs Menschen, statt früher zwei. Oder drei, je nachdem, ob er Buck schon damals mitzählte oder nicht. Konnte sein Leben damals, nach der Navy, als er noch seine Familie hatte, und sein jetziges auch nur annähernd miteinander verglichen werden? Nein. Manchmal fühlte er sich, als hätte er irgendwann, als aus den sieben einzelnen Mitgliedern von Team Seven eine einzige Einheit, aus Arbeitskollegen Freunde und später sogar Familie geworden war, eine unsichtbare Grenze überschritten und wäre von einem Leben in ein anderes geglitten, einfach so. Und dieses Leben war zwar anders, aber sicher nicht schlechter als das, was er mit seiner ersten Familie hatte. Wie hatte er nur jemals denken können, dass er keine Zukunft mehr hatte? Oder hatte damals doch nicht eher der Alkohol das Denken für ihn übernommen? Ja, musste er sich widerwillig eingestehen. "Es war nicht das einzige Mal." Er hatte die Worte ausgesprochen, noch bevor sein Gehirn sie richtig durchdacht hatte, bevor er sich den Vorfall überhaupt wieder richtig in Erinnerung gerufen hatte. "Doch das andere Mal war eher ein Unfall... falls man eine akute Alkoholvergiftung als einen solchen bezeichnen kann." "Wann?" Und dann, einige Sekunden später: "Wie knapp?" Wann? Chris konnte sich mehr genau erinnern. "Nicht lange nach der Bombe. Ich weiß nicht genau, wie lange, allerdings ist das erste halbe Jahr danach nicht viel mehr als ein dunkles Loch, mit vereinzelten Lichtpunkten, was meine Erinnerung angeht." Und auf diese einzelnen Erinnerungen könnte ich nur zu gut verzichten. Mit einem leichten Schaudern zog Chris die Beine an und brachte sie damit gleichzeitig in eine etwas bequemere Position wie auch eine, in der er sich etwas sicherer vorkam. Wenn auch unklar war, vor was er sich schützen wollte. Vin kommentierte die Veränderung nicht, blieb stattdessen im Schneidersitz vor Chris auf dem Boden sitzen. "Wie nahe dran? Verdammt nahe. Ich habe getrunken, keine Ahnung wie viel, ich kann mich dunkel erinnern, gefallen zu sein und dann... Meine nächste Erinnerung ist, dass ich im Krankenhaus aufgewacht bin mit Buck neben mir. Ich verstehe bis heute nicht, warum er mich damals nicht einfach mir selbst überlassen hat." Ich schon, dachte Vin. "Was ist passiert?" "Zuviel Alkohol im Blut - oder sollte ich sagen zuwenig Blut im Alkohol?" Chris seufzte. "Ich bin gestolpert und durch die Verandatür gekracht. Du wolltest doch schon immer wissen, woher die Narbe ist, nicht? Hier hast du deine Antwort." Langsam entwirrte Chris Beine und Arme wieder, doch noch bevor er sich eine etwas bequemere Sitzposition suchen konnte, stand Vin auf, zwängte sich in den Raum zwischen seinem Rücken und der Couchlehne. Noch bevor er ein Wort erwidern konnte, hielt Vin ihn auch schon in einer leichten Umarmung, seinen Kopf auf Chris' Schulter. "Ich dachte, es wäre noch aus deiner Zeit bei der Navy", murmelte Vin, fast direkt in Chris' Ohr, während sein Blick einmal mehr auf Chris' rechten Unterarm fiel. Auf der empfindlichen Innenseite zeigte sich eine lange, dünne Linie in der Haut - vom Ellbogen bis fast zum Handgelenk. "Muss ein ziemliches Chaos angerichtet haben", bemerkte er, ohne eine Spur von Humor in seiner Stimme. Gott, wie viele solcher Geheimnisse schleppte Chris noch mit sich herum?! Und würde Vin jemals alle kennen? Wollte er sie überhaupt alle kennen? Er wusste die Antwort nicht. "Kann man so sagen, ja." Chris konnte sich ein kurzes, heiseres Lachen nicht verkneifen. "Genug für heute? Oder willst du noch mehr Geständnisse aus mir herausquetschen?" Die Worte erinnerten Vin wieder daran, dass er es gewesen war, der dies alles begonnen hatte. Hätte er gewusst, was ihn erwartete, hätte er sich seine vorherigen Worte sicher dreimal überlegt. "Ich denke, für heute ist es genug." Wenn nicht für immer. "Gut." Chris war nicht dazu bereit, jetzt noch mehr preiszugeben. Vielleicht ein andermal; vielleicht auch nie. "Was jetzt? Bett?" "In einem Moment, okay? Gib' mir noch ein paar Minuten." Ein paar Minuten, während derer ich mich davon vergewissern kann, dass ich dich wirklich in meinen Armen halte und das alles nicht nur ein Traum ist. Die Minuten, die ich brauche, um das alles hier einmal ansatzweise verstehen zu können. Ein wenig Zeit, in der ich einfach nur das Hier und Jetzt genießen kann, ohne an die Vergangenheit oder Zukunft denken zu müssen. Instinktiv spürte Chris, was Vin fühlte, und gab mit einem leichten Nicken sein Einverständnis. Vin konnte ihn zwar nicht sehen, aber er wusste, dass er die Bewegung spüren konnte. Nimm dir alle Zeit, die du brauchst. Er lehnte sich noch etwas weiter gegen Vins Rücken, fast augenblicklich wurde die Umarmung etwas fester. Nicht, dass Chris etwas dagegen hatte. Er legte eine Hand über die verschränkten Arme Vins, direkt über seinem Herzen, während er mit der zweiten blind nach hinten griff und auf Vins Wange legte. Die Haltung war zwar nicht wirklich bequem, aber auch nicht das, was er als unbequem bezeichnen würde - bloß ungewohnt. Er konnte einige Zeit so verbringen. Er konnte so lange in dieser Haltung bleiben, bis Vin dazu bereit war, ihn loszulassen.
|| Fiction || |